Keine Frage der Ehre
Sondern eine Frage journalistischer Standards.
Zwei Gerichte entschieden in jüngster Zeit zu Gunsten von Personen aus dem Rubikon-Umfeld und stärkten damit die Meinungsfreiheit und Demokratie — wider Verleumdungen des sogenannten „Bündnisses gegen Antisemitismus“ (BgA) Kassel. Die Zeitschrift „Jungle World“ sieht das anders. Warum?
Sehr geehrte Damen und Herren,
als Rechtsanwalt, der Herrn Prof. Dr. Ruf und Herrn Jens Wernicke in den Verfahren vertreten hat, erlaube ich mir — in eigenem Namen — einige Anmerkungen zu Ihrem Artikel „Fragen der Ehre“ weil dieser ganz ähnliche Fehler macht wie die ursprüngliche Veröffentlichung in der Kasseler Initiative.
Dabei ist noch das Wenigste, dass in beiden Fällen nicht die jeweiligen Amtsgerichte, sondern die Landgerichte und zwar jeweils die Pressekammer entschieden hat.
Sie behaupten in Ihrer Veröffentlichung, dass im umstrittenen Blogeintrag des BgA aus dem Beitrag von Prof. Dr. Ruf zitiert worden sei. Das trifft nicht zu und genau darin lag das Problem der presserechtlichen Auseinandersetzung. Statt eines Zitates wurde nämlich der Eindruck erweckt, Prof Dr. Ruf habe sich selbst in einer bestimmten Weise geäußert.
Dieses Problem ist in der Rechtsprechung — aber vielleicht auch in der Politik — untrennbar mit der Auseinandersetzung Böll gegen Walden verbunden, die Sie Ihren Lesern einmal schildern sollten. Mitte der 1970-er Jahre war bekanntlich die Einteilung von rechts und links noch ziemlich übersichtlich und obwohl zu den publizistischen Leitlinien des Springerkonzerns die Freundschaft mit Israel gehörte, gab es keinerlei Zweifel daran, dass der Springerkonzern ein rechter Konzern ist, der in übler Weise gegen Linke hetzt.
Einer der prominentesten rechten Scharfmacher der damaligen Zeit war Matthias Walden, der nach der Ermordung des Kammergerichtspräsidenten von Drenkmann einen üblen Kommentar gegen die sogenannte „Sympathisantenszene“ der RAF los ließ und dabei in Bezug auf den Nobelpreisträger Heinrich Böll Folgendes ausführte:
„Jahrelang warfen renommierte Verlage revolutionäre Druckerzeugnisse auf den Büchermarkt. Heinrich B. bezeichnete den Rechtsstaat, gegen den die Gewalt sich richtet, als 'Misthaufen' und sagte, er sähe nur 'Reste verfaulender Macht, die mit rattenhafter Wut verteidigt' würden. Er beschuldigte diesen Staat, die Terroristen 'in gnadenloser Jagd' zu verfolgen."
Dagegen wehrte sich Heinrich Böll auch juristisch und in letzter Instanz gab ihm das Bundesverfassungsgericht Recht. Auch hier sollte es für jeden Journalisten lehrreich sein, die Grundgedanken dieses Urteils zu kennen:
„Insofern kann sich der Betroffene auch bei einer unrichtigen, verfälschten oder entstellten Wiedergabe seiner Äußerungen auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht berufen. Dieses wird sogar in besonderem Maße berührt. Wie der Bundesgerichtshof zutreffend ausführt, wird mit einem Zitat nicht eine subjektive Meinung des Kritikers zur Diskussion gestellt, sondern eine Tatsache, an der sich der Kritisierte festhalten lassen muß. Aus diesem Grund ist das Zitat, das als Beleg für Kritik verwendet wird, eine besonders scharfe Waffe im Meinungskampf: Gegenüber der erkennbaren Meinungsäußerung kommt ihm die besondere Überzeugungskraft und Beweiskraft des Faktums zu. Ist das Zitat unrichtig, verfälscht oder entstellt, so greift dies in das Persönlichkeitsrecht des Kritisierten um so tiefer ein, als er hier sozusagen als Zeuge gegen sich selbst ins Feld geführt wird.“
Und genau dies war auch das Problem der Veröffentlichung des BgA über Prof. Dr. Ruf. Hätte der BgA aus der Veröffentlichung von Prof. Dr. Ruf richtig und dann am besten auch noch vollständig zitiert — was beides gerade nicht passiert ist —, so hätte er natürlich eine große Freiheit gehabt, dies anschließend zu bewerten.
Stattdessen hat das BgA aber seine eigene Wertung gewissermaßen als „Zeugnis“ von Prof. Dr. Ruf „gegen sich selbst“ eingesetzt. Das geht gerade nicht. Der Unterschied ist evident. Wird richtig und vollständig zitiert, so kann sich jeder Leser selbständig ein Bild machen, ob die Wertung, die damit durch das BgA verbunden wird, zutreffend ist, geteilt wird oder nicht. Bei einem richtigen und vollständigen Zitat wäre es eher abwegig gewesen, dass die Leser die Schlussfolgerung ziehen, die im Artikel selbst als sinngemäße Äußerung von Prof. Dr. Ruf wiedergegeben wurde.
Bei dem Prozess von Jens Wernicke ging es nicht nur um eine falsche Äußerung, sondern um insgesamt vier falsche Äußerungen und eine unzulässige Bildveröffentlichung. Ich will nicht mit Ihnen darüber streiten, ob die NachDenkSeiten etwas anderes sind als KenFM — was nach meiner Auffassung eindeutig ist. Ich frage mich etwas ganz anderes: Wenn Sie selbst schreiben und auch dem BgA von Anfang an – spätestens nach der Abmahnung – klar war, dass der Artikel in diesem Punkt falsch war, welche journalistische — ich spreche bewusst nicht von juristischer — Rechtfertigung kann es dann noch geben, den selbst eingeräumten und erkannten Fehler nicht zu korrigieren?
Warum meint das BgA sich auf einen juristischen Standpunkt zurückziehen zu können — dass es angeblich nicht ehrverletzend sei, wem man zuerst ein Interview gegeben hat — statt unter Gesichtspunkten der journalistischen Verantwortung schlicht und einfach einen Fehler zu korrigieren? Gibt es höhere politische Ziele, die es rechtfertigen, eine als falsch erkannte Tatsache weiter zu verbreiten?
Sie führen in Ihrem Artikel nicht aus, warum die Urteile „zumindest politisch fragwürdig“ sein sollen. Ich gehe nicht davon aus, dass Sie damit die Forderung erheben wollen, dass aus politischen Gründen auch juristisch falsch hätte entschieden werden können.
Politisch fragwürdige Urteile sind vielleicht solche, die Probleme gesetzlicher Regelungen aufweisen, wie zum Beispiel kürzlich die Verurteilung der Ärztin Hänel durch das Amtsgericht Gießen auf Basis des § 219a StGB. Hier kann man gut die Auffassung vertreten, dass für den Fall, dass das Urteil juristisch zutreffend ist, man das Gesetz ändern soll. Was der Begriff der politischen Fragwürdigkeit allerdings im Zusammenhang mit dem vorliegenden Verfahren zu tun haben soll, erschließt sich nicht.
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass die zugegebenermaßen erheblichen Kosten, die nunmehr auf das „Bündniss gegen Antisemitismus“ (BgA) zugekommen sind, sich hätten vermeiden lassen, wenn das BgA nach der Abmahnung angemessen reagiert hätte.
Mit freundlichen Grüßen
Reinecke/Rechtsanwalt