Kandidat der Kanonen
Die jüngsten kriegslüsternen Äußerungen von Friedrich Merz zeigen, dass man von einem solchen Kanzler nur das Schlimmste erwarten darf: einen erneuten Krieg gegen Russland.
Frieden und Friedrich Merz haben bis auf die jeweils erste Wortsilbe keine Gemeinsamkeit. Den Frieden verortet der Christdemokrat im Jenseits, genauer auf dem Friedhof. Dort gebe es Frieden. Das Diesseits hingegen scheint in der Welt des Herrn Merz dem Kriegerischen vorbehalten zu sein. Auf nichts anderes lassen die bellizistischen Stammtisch-Parolen des Ex-BlackRock-Funktionärs schließen. Ginge es nach ihm, könnte die Remilitarisierung der heranwachsenden Generation und der gesamten Gesellschaft nicht schnell genug voranschreiten. Denn Frieden könne es ohne die Freiheit nicht geben, die müsse nun mal kriegerisch erkämpft und verteidigt werden, so Merz. Der Widerspruch, der darin liegt, dass die von ihm angestrebte Wehrpflicht für Mann und Frau alles andere als Freiheit bedeutet, entgeht ihm dabei — oder es ist ihm schlicht egal. Nun wäre es schon dramatisch genug, würde sich ein Partei-Hinterbänkler mit derart geschichtsvergessener Rhetorik öffentlich zu Wort melden. Doch bei Friedrich Merz handelt es sich eben nicht um einen Hinterbänkler, sondern um den Frontmann der Union und wahrscheinlichen nächsten Kanzler. Sollte er es tatsächlich werden, so hätte er das mit dem Amt obligatorisch verbundene Versprechen, „Schaden vom deutschen Volke abzuwenden“, schon vor seinem Antritt gebrochen.
„Frieden gibt’s auf jedem Friedhof!“ — Friedrich Merz.
„Man stirbt nicht mit einem Hurra auf den Lippen, sondern mit einem Schrei, einem Wimmern und Stöhnen, einem Brüllen vor Schmerzen und einer Verzweiflung, die unbeschreiblich ist. Man stirbt nicht mit dem Gefühl im Herzen ‚Lieb Vaterland, magst ruhig sein‘, sondern die Angst packt einen, der Körper ist zerfetzt und blutet aus, man kriecht über die Erde und brüllt ‚Sanitäter! Sanitäääter!‘; und dann liegt man da, vor Schmerzen zerrissen, und keiner hilft einem, die Erde bebt unter den Granateinschlägen, die Panzer rollen auf einen zu, man sieht sie kommen, man möchte wegkriechen, aber es geht ja nicht, man ist ja nur noch ein Klumpen blutigen Fleisches, und die Ketten kommen näher, immer näher, man sieht den Tod, man weiß, daß man gleich in die Erde gewalzt wird, ein Tod aus 30 Tonnen Stahl, rasselnd wie hunderttausend Kastagnetten … und dann schreit man, man schreit und betet und ruft nach der Mutter … und krepiert. Das ist der Heldentod!“ — Heinz G. Konsalik, Stalingrad.
Nach dem Bruch der ‚Ampel’-Koalition macht der ehemalige Vermögensverwalter von BlackRock und zukünftige Nachlassverwalter der Bundesrepublik Deutschland Friedrich Merz mit markigen Sprüchen von sich reden:
„Ich (...) habe den Vorschlag gemacht, der Regierung in Kiew das Recht zu geben, zu sagen: Wenn das Bombardement auf die Zivilbevölkerung nicht innerhalb von 24 Stunden aufhört, werden die Reichweitenbegrenzungen der vorhandenen Waffen gemeinschaftlich aufgehoben“, erklärte Friedrich Merz dem Stern. „Falls das nicht ausreicht, wird eine Woche später der Taurus geliefert“ (1).
Der „Taurus“ ist bereits zu einem geflügelten Wort der deutschen Bundespolitik geworden (2). Nach der, wie böse Zungen sagen, Entsorgung von Marie-Agnes Strack-Zimmermann nach Brüssel ist Merz nun der neue Mann fürs Grobe und macht die Frage nach der Lieferung des deutschen Marschflugkörpers an die Ukraine zum Wahlkampfschlager.
Dazu gehört Chuzpe: weiß Merz doch, was der Russe schon lange weiß — die Waffen können vom ukrainischen Militär allein gar nicht zum Einsatz gebracht werden, da die „vier voneinander unabhängige(n) Navigationssysteme“ (3) kombiniert nur der Bundeswehr zur Verfügung stehen. Eines dieser Navigationssysteme funktioniert mithilfe von hochauflösenden Karten des russischen Territoriums, deren Erstellung die Bundeswehr im Jahr 2021 selbst in Auftrag gegeben hat (4). Es handelt sich dabei um eine Kartographie mittels sogenannter Vektordaten, die man sich als digitalisierte dreidimensionale Abbildung der Topographie vorstellen kann.
Spätestens nach dem geleakten Gespräch hochrangiger deutscher Militärangehöriger (5), darunter der Inspekteur der Luftwaffe Ingo Gerhartz, ist jedem mit Sachverstand begabten Menschen klar, dass die „Erlaubnis“ des Einsatzes von Marschflugkörpern auf russischem Gebiet nicht ohne Beteiligung ausländischer Militärs bei Zielprogrammierung und -steuerung vonstatten gehen kann. Der Begriff „Erlaubnis“ erfüllt hier eine eindeutig euphemistische Funktion. Der russische Präsident Wladimir Putin ist ein sachverständiger Mensch und hat sich diesbezüglich sehr klar geäußert:
„Dies (der Einsatz von Marschflugkörpern gegen russisches Gebiet; Anm. d. Verf.) würde auf signifikante Weise die Natur des Konflikts verändern. Es würde bedeuten, dass NATO-Staaten, die USA, europäische Länder, sich im Krieg mit Russland befinden. Und wenn das der Fall ist, so werden wir, angesichts der Veränderung in der Essenz des Konflikts, auf Grundlage der für uns geschaffenen Bedrohungen angemessene Maßnahmen ergreifen“ (6).
Man beachte, wie unterschiedlich sich die Wortwahl eines Präsidenten einer Großmacht und eines Anwärters auf den Kanzlerposten einer „Bananenrepublik“, so Maria Sacharowa, ausgestaltet.
Während Putin in seiner gewohnten Lässigkeit eines erfahrenen Juristen und Staatsmannes bloß von „angemessenen Maßnahmen“ spricht – und alle Welt versteht, was er damit meint — ist Merz’ Adressat der Stammtisch: Jetzt zeigen wir dem Russen mal, wo der Hammer hängt!
Dem scheidenden Bundeskanzler Olaf Scholz ist zugute zu halten, dass er in der Frage nach der Taurus-Lieferung standhaft geblieben ist — abzusehen war das nicht, nachdem sich Kaliber und Gewicht der an die Ukraine gelieferten Waffen stetig vergrößerten und die deutschen Medien ihren Beitrag zur „Kriegstüchtigkeit“, so Bundesminister der Verteidigung Boris Pistorius, leisteten, indem sie vehement für eine solche Lieferung eintraten. Auch wenn einige „Experten“ schnell begannen, die Abhängigkeit der Marschflugkörper von den deutschen Zieldaten infrage zu stellen oder sogar als Lüge zu bezeichnen (7), ließen sich das unfreiwillige Eingeständnis von Gerhartz und auch die Aussagen von Olaf Scholz (8) fortan nicht mehr wegdiskutieren.
Frieden? Das kann weg
Somit steht zweifelsfrei fest, dass Friedrich Merz mit seiner Forderung nicht nur die nächste Bundestagswahl gewinnen, sondern Deutschland erneut in den Krieg führen will. Dieses Ziel hat er sich nicht erst seit der Selbstzerstörung der Drei-Parteien-Koalition gesetzt. Schon länger stört Herrn Merz das hässliche Wort Frieden:
„‚In Freiheit leben‘ nennen wir das Grundsatzprogramm (der CDU; Anm. d. Verf.) – also unsere Freiheit. Wir haben in der CDU uns angewöhnt, ich auch, in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer so in einem Satz zu sprechen: ‚In Frieden und Freiheit wollen wir in diesem Lande leben.‘ Meine Damen und Herren, ich habe schon längere Zeit das Gefühl, die Reihenfolge dieser Begriffe ist falsch, und heute wissen wir, dass die Reihenfolge falsch ist. Nicht der Frieden ist das Wichtigste. Ich sag’s ganz salopp: Frieden gibt’s auf jedem Friedhof. Freiheit ist das Wichtigste für eine offene liberale Gesellschaft. (zögerlich einsetzender Applaus) Und erst wenn Freiheit da ist, erst wenn Freiheit besteht, erst dann kann es Frieden geben“ (9).
Die am 8. März 2024 gehaltene Rede enthält bereits das unsägliche Zitat, das diesem Essay vorangestellt ist. Friedrich Merz glaubt offenbar, dass er da ein besonders gewitztes Sprachspiel kreiert hat, und lässt sich mit dem Satz für den Wahlkampf erneut zitieren. (10) Die Kumulation des Begriffs der Freiheit — fünfmal in sieben Sätzen — weckt für den historisch geschulten Zuhörer ungute Erinnerungen. Nicht nur die Ukraine kämpft „auch für unsere Freiheit“ (11) — ein mittlerweile totgerittenes Topos —, nein, bereits unsere Vorfahren zogen dereinst für die Freiheit gen Osten:
„Von Finnland bis zum Schwarzen Meer
Vorwärts, vorwärts!
Vorwärts nach Osten, Du stürmend’ Heer!
Freiheit das Ziel, Sieg das Panier!
Führer befiehl, wir folgen Dir!“ (12).
Wo viel von Freiheit die Rede ist, muss man skeptisch werden. Freiheit wovon? Freiheit wozu? Die Ukraine kämpft de facto für die Freiheit, der NATO beitreten zu dürfen — wenn sie den Krieg gewinnt, wird sie Mitglied der Militärallianz, die Frage ist allerdings, wozu das dann noch nötig ist.
Mit dem Begriff der Freiheit haben die Militärs seit Jahrhunderten Schindluder getrieben und Schundlieder verfassen lassen. Es wäre ein ganzes Buch nötig, um die propagandistischen Exzesse, die mit diesem Terminus veranstaltet wurden, zu dokumentieren.
Friedrich Merz, seines Zeichens Teil der „gehobenen Mittelschicht“ (13), begnügt sich in seinen Forderungen aber nicht etwa mit der Lieferung des ‚Taurus’ und dem damit verbundenen Kriegseintritt Deutschlands. Ein solcher Eintritt will gründlich vorbereitet sein, und so richtet sich der Kanzlerkandidat der Union im Rahmen eines CDU-Kongresses am 13. November 2024 zum Thema „Wehrpflicht und Gesellschaftsjahr“ — zugegen ist auch Carsten Breuer, ranghöchster Soldat und Generalinspekteur der Bundeswehr — an die Jugend. Dazu bedient er sich einleitend eines rhetorischen Kniffs, indem er einen „ganz, ganz besonderen Dank“ an den Vorsitzenden der Jungen Union, Johannes Winkel, ausspricht: Er sei es schließlich gewesen, der die Partei davon überzeugt habe, sich für die Wiedereinführung der Wehrpflicht zu positionieren. Ob dieses Sprachmanövers vergisst Merz dann auch glatt, ihn namentlich zu nennen, nachdem er Johann Wadephul — stellvertretender Fraktionsvorsitzender und CDU-‚Verteidigungsexperte’ — noch mit namentlicher Anrede bedacht hat (14).
Dann geht es schnell ans Eingemachte: Eine Grundgesetzänderung sei nötig, damit die Wehrpflicht „auch auf junge Frauen“ „ausgedehnt“ wird. „Wir sprechen hier über 700.000 junge Menschen im Jahr, denen wir so etwas zumuten wollen, abverlangen wollen.“ War die Rede bis dahin schon eine einzige Zumutung, kommt Friedrich Merz jetzt erst so richtig in Fahrt. Nach langatmigen Ausführungen über die „veränderte Weltlage“ und die Geschichte der Bundeswehr, emphatischem Lob für die Streitkräfte — „Ohne sie säßen wir heute Abend nicht hier“ — folgt eine erneute Freiheitseloge:
„Freiheit ist für uns wichtiger als Frieden. Das mag auf den ersten Blick wie eine Provokation erklingen. Aber meine Damen und Herren, ich sag es so, vielleicht etwas zugespitzt, wie ich es an anderer Stelle schon einmal gesagt habe: Frieden gibt’s auf jedem Friedhof. Freiheit gibt es nur in offenen, demokratischen, liberalen Gesellschaften. (einsetzender Applaus) Das zu verteidigen im Wortsinne ist unsere wichtigste Aufgabe der nächsten Jahre. Freiheit zu erhalten, um Frieden überhaupt möglich zu machen“ (15).
Die Freiheit, die Merz meint
Zwei Fragen stellen sich sofort: Wer bedroht unsere Freiheit? Und ist die Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht — progressiv für beide oder allerlei Geschlechter – wirklich vereinbar mit dem Ideal einer „offenen, demokratischen, liberalen“ Gesellschaft?
Wenn Merz nun an dieser Stelle geendet hätte, hätte man ihm diesen lauen Aufguss einer Rede vom März dieses Jahres sicher verziehen. Aber der von kreisrundem Publikum umgebene, an der Wand hängt noch dazu ein großes Konterfei von Konrad Adenauer, von keinerlei rhetorischem Talent gesegnete gesetzte nächste Kanzler will es anders. Er kommt direkt auf die Jugend zu sprechen, er richtet sich gar an die Jugend selbst:
„In der ganzen Breite der Gesellschaft der jungen Generation etwas abzuverlangen, von ihnen etwas zu fordern mit dem Argument: ‚Ihr lebt in einem Land, in dem ihr alle Chancen habt, so gut wie in wenigen anderen Ländern der Welt, mit in der Spitzengruppe der Chancen für junge Menschen’, heißt auch: Wir können und wir dürfen von euch auch etwas erwarten“ (16).
Mit der „ganzen Breite der Gesellschaft“ meint Merz in erster Linie die Jugendlichen, die er selbst wohl der unteren Mittelschicht und der Unterschicht zuordnen würde – der Freiwilligendienst des Freiwilligen Sozialen Jahres werde schließlich überwiegend von Menschen aus „gutbürgerlichen Familien“ in Anspruch genommen. Man muss Merz zuhören und seine Mimik und Gestik bei der Aussprache gewisser Wörter und Phrasen beobachten: Immer spricht er von oben herab, aber manche Wörter lässt er regelrecht von oben auf seine Zuhörerschaft herabtröpfeln — wie eben dieses ‚gutbürgerlich‘ — mit Emphasis auf jeder Silbe. An dieser Stelle muss man betonen, dass das Tagungsprogramm zwar mit „Wehrpflicht und Gesellschaftsjahr“ betitelt ist, Friedrich Merz jedoch fast ausschließlich von der Wehrpflicht spricht.
Begriffe wie „Gesellschaftsjahr“ oder auch „Dein Dienst für Deutschland“ (17) sind Euphemismen, hinter denen sich die kalte, harte Realität von Einberufung und Zwangsrekrutierung verbirgt.
Der Kanzlerkandidat der CDU/CSU präsentiert diese neue Wirklichkeit der Jugend gegenüber jedoch als „Chance“ (18): Bei der Bundeswehr lerne man schließlich Menschen „aus anderen sozialen Schichten“ kennen, erinnert sich Merz an seine eigene Wehrdienstzeit, und außerdem komme man endlich mal raus aus dem Elternhaus. Nach den ersten Monaten des Ersten Weltkriegs wünschten sich die Soldaten auf allen Seiten nichts sehnlicher, als wieder nach Hause zurückzukehren und gaben diesem Wunsch auch in Liedern Ausdruck:
„I want to go home, I want to go home,
I don’t want to go in the trenches no more,
Where whizzbangs and shrapnel they whistle and roar.
Take me over the sea, where the alleyman can’t get at me;
Oh my, I don’t want to die, I want to go home“ (19).
Bei der Bundeswehr lerne man „ein Stück Eigenständigkeit“. Wie sich dieses Stück angesichts der Dichotomie von Befehl und blindem Gehorsam, auf der jedes Militär basiert, allerdings bemisst, lässt Merz offen. Stattdessen preist er den Dienst an der Waffe als Gelegenheit, der Jugend „die Welt so zu zeigen, wie sie sie vielleicht bisher nicht erlebt haben“ (20). Ein solches „Angebot“ sei „außergewöhnlich faszinierend“. Mit diesen doch eher zaghaft einstiges Kriegspathos heraufbeschwörenden Worten endet Merz’ Rede.
Ganz ohne Zweifel ist der Krieg eine einmalige Gelegenheit, die Welt so zu sehen, wie man sie „vielleicht bisher nicht erlebt“ hat. Eine Quelle von unschätzbarem Wert sind daher die Zeugnisse von Menschen, die im Krieg waren, lebend aus ihm zurückkehrten und imstande waren, über ihre Erlebnisse zu berichten.
Heinz G. Konsalik, einst einer der meistgelesenen Schriftsteller im Deutschland der Nachkriegszeit, hat in Stalingrad gekämpft und überlebt. Er schildert die Schlacht anhand von kommentierten Fotografien. In der Einleitung des Buches heißt es:
„Dieses Buch soll verhindern, daß Deutschland, daß die deutsche Jugend vor allem, wieder einmal der Hypnose seiner Politiker, Militärs und Historiker verfallen könnte. (…) Dieses Buch soll die Jugend der Welt am Beispiel Stalingrads aufrufen, sich die Hände zu reichen. Ich habe mich nicht gescheut, schreckliche Bilder zu zeigen, Bilder, die noch nie veröffentlicht wurden, Bilder aber, die nichts weiter sind als die Wahrheit. Die Wahrheit, über einen Wahnsinn, der Krieg heißt.
Ich habe diesen Krieg kennengelernt, vorne im Schützengraben, im Hagel der Granaten. Ich habe mich in die Erde eingewühlt und die Körper gefallener Kameraden als Deckung vor mir aufgeschichtet. Ich habe nicht am Kartentisch gesessen und Divisionen zum Sterben geschickt, sondern ich habe selbst geblutet“ (21).
Friedrich Merz will diesen Wahnsinn der deutschen Jugend nicht vorenthalten — „auch auf junge Frauen“ soll sich die Wehrpflicht diesmal erstrecken, sodass geschlechtsparitätisch im Schützengraben alles in bester Ordnung ist, wenn da nur nicht der Russe wäre.
Friedrich Merz will tatsächlich das Land zum dritten Mal in einen Krieg mit Russland führen, anders sind seine Aussagen nicht sinnvoll zu interpretieren.
Ein solcher Kanzlerkandidat sollte neben den schändlichsten Schmähungen (22) immer auch einer fundamentalen Kritik der Eltern ausgesetzt sein, deren Sprösslinge schon bald die buchstäblich einmalige Chance erhalten sollen, an der Front zu verrecken. Die Selbstgerechtigkeit und auch Arroganz, mit der Merz auftritt, ist abstoßend. Von seiner eigenen Zeit beim ‚Bund’ weiß er gar ulkige Dinge zu berichten:
„Ich habe vom 1.7.1975 bis 30.9.1976 Wehrdienst geleistet. Gemustert wurde ich mit der Tauglichkeitsstufe 2. Die größte Herausforderung war das scharfe Nachtschießen mit der großen Panzerartillerie-Haubitze. Das lustigste Erlebnis war die Bergung meines gestrandeten Lkw durch einen Leo-Panzer, der von meinem Klassenkameraden gelenkt wurde“ (23).
Nicht zuletzt fordert Merz, dessen militärische Kompetenz der von Anton Hofreiter gleicht — „Waffen! Waffen! Waffen!“ —, auch eine Verstärkung des „Zivilschutzes“. Der abermals euphemistische Begriff meint konkret Bunker und Schutzräume für die Zivilbevölkerung, sodass auch diese in den Genuss kommt, den Krieg am eigenen Leib zu erfahren (24).
Friedrich Merz tritt mit diesen Plänen — Ultimatum an Russland, Lieferung deutscher Marschflugkörper, das heißt deutsche Kriegsbeteiligung, Wiedereinführung der Wehrpflicht, auch für Frauen, — tatsächlich an, um Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland zu werden. Vom Standpunkt jedes gesunden Menschenverstandes aus erweisen sich diese Absichten schnell als Himmelfahrtskommando. Angesichts der emporsteigenden Atompilze keine fernliegende Metapher.
Sein widerwärtiges Bonmot über den Friedhof beleidigt einerseits die Toten, andererseits aber auch alle Lebenden, die sich dem neuen Paradigma der „Kriegstüchtigkeit“ nicht unterordnen wollen.
Merz sollte sich auf den Friedhöfen der Ukraine umsehen, ein Land, das gerade seinen eigenen Nationalfriedhof — inspiriert vom Arlington National Cemetery in den USA – baut, um der Masse der Toten gerecht werden zu können (25). Die Gräber derer, die einst „für die Freiheit“ kämpften, mögen ihn ermahnen, seine Prioriäten erneut zu prüfen.