Kämpfer für Demokratie

Das Buch „Staatsfeinde?“ zeigt, wie gesellschaftliche Verhältnisse und staatliche Institutionen das eigene Leben beeinflussen und Selbstermächtigung möglich ist.

Was macht eine Diktatur aus? Dass Menschen, die eine kritische Meinung äußern, verhaftet oder ermordet werden? Oder reichen finanzielle Existenzvernichtung, Kontensperrung, Zugangsverbot zu öffentlichen Räumen und soziale Isolation aus? Im Sammelband „Staatsfeind?“ schreiben neun bekannte Autoren der Gegenöffentlichkeit über ihre Lebenserfahrung als Dissidenten in Deutschland und den Preis, den sie für ihre Regierungskritik zahlen. Herausgeber ist der Philosophische Salon Köln, den Sabine Marx vor Jahren gründete.

„Ein 14-jähriges Mädchen, das die Polizei niedergeknüppelt hatte. Keiner der Polizisten der beteiligten Einheit wollte etwas bemerkt haben.“ Dirk Pohlmann berichtet Erschütterndes bereits aus seiner Anfangszeit als Lokaljournalist.

„Währenddessen sahen wir alle abends in der Tagesschau empörte Berichte über Demonstrationen in Polen, wo friedliche Demonstranten von einer Diktatur misshandelt wurden. Das sah nicht anders aus, als wir es kennengelernt hatten, aber darüber wurde anders berichtet.“

In Deutschland „provozieren gefährliche Chaoten die Ordnungskräfte, in Polen wurde brutal gegen friedliche Demonstranten vorgegangen“, fährt er fort und erzählt seine Entwicklung vom Wehrdienstleistenden bis hin zum kritischen Journalisten, der sich trotz großer persönlicher Opfer vom offiziellen Mediensystem abwandte.

„Alles unauffällig und unblutig. Es fällt kaum auf und reicht nicht für breite gesellschaftliche Empörung. (…) Es reicht, jemanden erfolgreich aus dem Internet zu verbannen, durch Shadow Banning, Bots oder Algorithmen, und schon ist die Person nicht mehr im politischen oder öffentlichen Diskurs präsent und (…) de facto vernichtet. Und wenn man es Freunden erzählt, dann schallt einem ‚Das glaub ich dir nicht‘ entgegen, ‚Das bildest du dir ein‘“, schreibt die Professorin und Autorin Ulrike Guérot in ihrem Beitrag.

Dabei betont sie, dass sie sich selbst nicht als Dissidentin sieht, sondern als Bürgerin, die am Grundgesetz festhält. Sie würde gerne in eine Bundesrepublik zurückkehren, die sie irgendwie verloren hat, weil sie sich so verändert hat, dass man sie nicht mehr erkennt. „(...) du, liebe Bundesrepublik, hast dich wirklich verändert — und nicht zum Besten!“ Deshalb übertitelt Guérot auch ein Kapitel mit: „Wie ich mein Land verlor“.

Guérots Aussage erinnert an Michael Meyens Buch „Wie ich meine Uni verlor“. Im „Staatsfeind“ äußert sich der Professor für Kommunikationswissenschaft in drei Episoden zum Leben eines Medienforschers. Einen Abschnitt widmet er dem Thema „Wie ich Antisemit und Verschwörungstheoretiker wurde“ und schreibt:

„Ich lerne: Wer die Maßnahmen der Regierungen nicht kommentarlos schluckt, unterstützt eine antisemitische Bewegung.“

Der Angriff gegen ihn zielte auf seine Existenz. Doch Meyen schließt seinen Beitrag mit der positiven Aussage:

„Wenn eine Tür zugeht, öffnen sich zwei neue. Der Ausschluss aus dem System Wissenschaft, so sehe ich das heute, hat mich befreit.“

Der Politologe und Autor Ullrich Mies zeichnet ein lebendiges Bild von seinem Weg zum politischen Widerstand, der bereits in seiner Kindheit begann. Er erinnert sich an autoritäre Strukturen im Kindergarten, in der Schule und in seiner Familie, die in ihm den Wunsch weckten, sich gegen Zwänge und Drangsal aufzulehnen. Von den repressiven Erfahrungen in einem katholischen Internat bis hin zur Ablehnung des Wehrdienstes zieht sich ein roter Faden der Opposition durch seine Biografie. Sein Widerstand gegen staatliche und gesellschaftliche Zwänge führte ihn schließlich in den Bereich der Politikwissenschaften, wo er sich intensiv mit Themen wie Neoliberalismus, Machtstrukturen und dem „Tiefen Staat“ beschäftigte und zu einem aktiven Kritiker des westlichen politischen Systems wurde.

Der Philosoph Werner Köhne berichtet — ähnlich wie Mies — von seiner Jugend in einem Internat.

„Mich hat der Zivilisationsbruch Mitte März 2020 fast in der Art einer Memoire Involontaire (unfreiwillige Erinnerung) an meine Kindheit und Jugend in einem Klosterinternat erinnert.“

Und weiter:

„Was sich der Beobachtung von außen bot, war ein streng genormter Alltag mit vielen kirchlichen Ritualen und einem System der Überwachung durch eine schwarzberockte Kohorte von etwa 20 Missionspriestern, die in der Nomenklatur von Militärs als Präfekten, Offiziere und Spieße auftraten und darauf auch noch stolz waren.“

Köhne schließt seinen Beitrag mit den Fragen:

„Setzt indes, Widerstand zu leisten, eine Begabung voraus, oder lässt sich diese antrainieren? Oder ist es gar nur der biografische oder geschichtliche Zufall, der die einen zum Widerstand treibt — und die anderen nicht?“

Der Journalist und Publizist Patrik Baab schildert eindringlich, wie sein Kampfgeist schon früh erwachte. In seinem Beitrag rechnet Baab schonungslos mit den Mainstream-Journalisten ab.

„Das ist es, was bis heute fehlt: Ideologiekritik — an Universitäten, in Redaktionen. (...) Der Rückfall der Aufklärung in Mythologie, der Vormarsch der Gegenaufklärung, von langer Hand vorbereitet, ist in vollem Gange.“

Baab gibt den Lesern viele Einblicke in sein journalistisches Wirken und seine Recherchen vor Ort, zuletzt in der Ukraine. Sein Resümee: „Ein spöttischer Blick ins Notizbuch: Es hätte ein ruhiges Leben werden können. Aber ich will ja nicht in schlechte Gesellschaft geraten.“

Wie es von Gabriele Gysi als Schauspielerin eigentlich nicht anders zu erwarten ist, überschreibt sie ihren Beitrag mit „Die Macht der Worte“. Und fährt fort:

„Die Macht über unser tägliches Denken, die Macht der Medien liegt in der Verkündung, im Preisen von Personen und im Mord, im Rufmord.“

Ihr Beitrag ist auch ein Plädoyer für den Frieden und für die unbehinderte Kommunikation.

„Aber wer verhindert Kommunikation? Doch derjenige, der die Macht besitzt, Möglichkeiten auszuschließen, das Gespräch zu verweigern.“

Sie schließt mit einer Frage und einem Bedauern:

„Warum muss Kampf die einzige Form der Auseinandersetzung sein? Traurig die Zeit, die Helden nötig hat.“

Der Autor Hermann Ploppa überschreibt seinen Beitrag: „Wie ich zum Eigendenker wurde.“ Der Text enthält viele persönliche Aussagen aus seinem Leben, auch schon aus seiner Kindheit. Sein Resümee:

„Mir blieb nichts anderes übrig, als stets neu Dissident zu sein. Nicht dass ich mich in dieser Rolle unbedingt immer nur wohl fühle. Aber für mein Leben ist das Dissident-Sein ein Glücksfall.“

Der Philosoph und Buchautor Werner Rügemer schildert in seinem Beitrag persönliche Erlebnisse mit seinem Enkel, mit dem er quasi „über Gott und die Welt“ spricht. Zudem nennt er einschneidende Erlebnisse in seinem Leben und konstatiert am Ende seines Textes in Bezug auf die Vasallenrolle Deutschlands gegenüber den USA:

„So jetzt stehen wir mitten im entscheidenden Systemkonflikt der ganzen Menschheit. Also weiter untertan? Nein!“

„Staatsfeinde?“ ist ein Aufruf, die eigene Vergangenheit zu reflektieren und zu verstehen, wie Familie, gesellschaftliche Verhältnisse, staatliche Institutionen und gesellschaftliche Krisen die individuelle Identität formen und herausfordern.

Fazit: Nur Selbstreflexion, Integrität und daraus folgender aktiver Widerstand können echte Veränderungen bewirken.



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