Kampf um die Zukunft

Die desaströse Wirtschaftspolitik der „Ampel“ ist symptomatisch für das grundlegende Dilemma der hoch verschuldeten kapitalistischen Länder des Westens.

Das Bundesverfassungsgericht hat der Ampel-Regierung ein Loch von sechzig Milliarden Euro in den Haushalt gebrannt. Nun drehen sich die Diskussionen um den Weiterbestand der Schuldenbremse. Tatsächlich aber geht es um die weitere Finanzierbarkeit des Kapitalismus im politischen Westen.

Vermögen durch Schulden

Im normalen Leben besteht ein Vermögen aus Guthaben. In der Politik aber können selbst Schulden ein Vermögen sein, ein Sondervermögen. Das Geld der Sondervermögen, die in vergangenen Jahren geschaffen worden waren, besteht — anders als vermutet — nicht aus Guthaben, sondern aus der Ermächtigung, zusätzliche Schulden machen zu können. Das heißt, dass das Geld nie da war, aber es durfte an den Finanzmärkten aufgenommen werden.

Derzeit gibt es 29 Sondervermögen, dessen ältestes noch aus dem Jahr 1951 stammt. Seit 2020 hat deren Umfang sprunghaft zugenommen, da sich die Bundesregierung außerordentlichen Notsituationen gegenüber sah, die aus dem ordentlichen, vom Parlament verabschiedeten Haushalt nicht bewältigt werden konnten. Deren erstes war der Coronafond mit einer Kreditermächtigung in Höhe von 150 Milliarden Euro.

Im Fonds Aufbauhilfe 2021 wurden 30 Milliarden für die Folgen der Ahrtalkatastrophe bereitgestellt. Der dickste Batzen bestand in den Sondervermögen, die im Zuge des Ukrainekriegs geschaffen wurden. Die Bundeswehr bekam zusätzliche 100 Milliarden und der Wirtschaftsstabilisierungsfond in Höhe von 200 Milliarden Euro sollte die enorm gestiegenen Energiekosten auffangen, die der Bevölkerung und der Wirtschaft durch die Sanktionen gegen Russland entstanden waren.

Diese Sondervermögen haben nach Angaben des Bundesrechnungshofes mittlerweile die Summe von 869 Milliarden Euro erreicht und erhöhen die Gesamtverschuldung der Bundesrepublik Deutschland um weitere 50 Prozent auf ungefähr 2,4 Billionen Euro. Auf diese Schulden, die in der Regel in Form von Anleihen an den Finanzmärkten aufgenommen werden, müssen Zinsen gezahlt werden an die Anleger, die diese Anleihen gekauft haben.

Die Sanktionen gegen Russland, aber auch schon die in 2020 begonnene Bepreisung des Kohlendioxids haben zu starken Preissteigerungen geführt. Diese Inflation versuchen die Notenbanken, durch die Anhebung der Zinssätze von nahezu 0 Prozent auf über 4 Prozent zu bekämpfen.

Die höheren Zinsen in Verbindung mit der stark gestiegenen Neuverschuldung werden nicht ohne Auswirkungen auf die Haushalte der nächsten Jahre bleiben. Gegenüber dem Vorjahreswert von 3,4 Milliarden Euro, dem niedrigsten seit der Einführung der Schuldenbremse (1), haben sich die deutschen Zinsleistungen im Jahr 2022 mit 14,8 Milliarden Euro bereits mehr als vervierfacht.

Haushaltsnöte

Das Bundesverfassungsgericht hat der bisherigen Handhabung der Sonderhaushalte Grenzen gesetzt, indem genehmigte, aber nicht verwendete Mittel eines Sonderhaushaltes nicht auf einen anderen übertragen werden können. Eine solche Übertragung von Kreditermächtigungen aus dem Coronafond hatte die Bundesregierung für den Klima- und Transformationsfonds vorgesehen.

Diese nun vorliegende Situation offenbart ein grundlegendes Problem des politischen Westens. Die Einnahmen reichen nicht aus, um den Staat sowie seine Aufgaben und Verpflichtungen zu finanzieren.

Im Gegensatz zu den Ländern der Dritten Welt stehen den Ländern im Westen die internationalen Finanzmärkte für die Aufnahme von Krediten zur Verfügung, womit sie ihre Defizite im Haushalt ausgleichen können.

Das ist nur möglich, weil diese hoch entwickelten Staaten über eine leistungsfähige Wirtschaft verfügen, die ihnen hohe und vor allem verlässliche Steuereinnahmen garantiert. Zudem haben sie moderne Kapitalmärkte mit einer Vielzahl von Produkten, die Investoren aus aller Welt die Möglichkeit bieten, Kapital gewinnbringend und sicher anzulegen. Der amerikanische Anleihemarkt ist der größte und liquideste Finanzmarkt der Welt, sodass investiertes Geld jederzeit auch wieder abgezogen werden kann.

Weltweit fließen Ersparnisse und Kapital in diese Märkte. Sie finanzieren den westlichen Kapitalismus. Die Erfolge westlicher Unternehmen sind zu einem nicht unerheblichen Teil der Tatsache geschuldet, dass ihnen Kapital im Überfluss zur Verfügung steht. Das war im Systemkonflikt zwischen dem sowjetischen Sozialismus und dem westlichen Kapitalismus der entscheidende Nachteil der UdSSR. Sie verfügte nicht über genügend Kapital und hatte keinen Zugang zu dessen internationalen Märkten.

Der Zustrom von Kapital aus aller Welt ermöglicht nicht nur den westlichen Unternehmen, sondern auch den westlichen Staaten, sich selbst über Schulden zu finanzieren, wo die eigenen Einnahmen nicht ausreichen. Solange Zinsen und Tilgung der Anleihen geleistet werden, sind die Anleger weiterhin bereit, ihr Geld zur Verfügung zu stellen, auch wenn die Verschuldung der westlichen Unternehmen und Staaten immer weiter wächst.

Diese erreicht allein in den USA bis zum Ende des Jahres 2023 einen Gesamtwert von 33 Billionen US-Dollar (2). Damit sind die USA im Verhältnis zu ihrem Bruttosozialprodukt mit 124 Prozent (3) verschuldet, Japan sogar mit etwa 220 Prozent. Auch bei den meisten Staaten der Europäischen Union übersteigt die Verschuldung die 60 Prozent, die laut Maastricht-Verträgen als Richtlinie gesetzt sind. In diesen Zahlen sind die privaten sowie die Unternehmensschulden und jene von Schattenbanken noch gar nicht berücksichtigt.

Es sind also gerade nicht die armen, unterentwickelten Länder, die am höchsten verschuldet sind, sondern vor allem die hoch entwickelten Industriestaaten des politischen Westens.

So verzeichnete China im Juni 2023 eine Verschuldung von nur 21,5 Prozent (4), obwohl die westlichen Medien ein ganz anderes Bild von Chinas Verbindlichkeiten zeichnen.

Der politische Westen setzt in seiner wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung zunehmend auf geliehenes Geld. Die statistisch hohen Pro-Kopf-Einkommen der westlichen Staaten vermitteln den Eindruck von Wohlstand, erzeugen aber ein falsches Bild, denn der Reichtum verteilt sich sehr unterschiedlich. Während Zinsen und Tilgung der öffentlichen Verschuldung von der Gesamtheit der Steuerzahler getragen werden müssen, kommt der Reichtum aus den Erträgen der Unternehmen allein den privaten Besitzern und Aktionären zugute.

Zukunft auf Pump

Die hohen Schuldenstände verursachen Zinskosten, die in ihrer weiteren Entwicklung die Handlungsfähigkeit des Staates bedrohen. Der Kapitalismus besonders im politischen Westen befindet sich in einer Zwickmühle, aus der es kein Entrinnen zu geben scheint.

„Alleine in den letzten vier Quartalen (…) musste die US-Regierung auf die gesamte Staatsverschuldung 853 Milliarden Dollar an Zinsen bezahlen“ (5).

Das entspricht fast einem Drittel der gesamten Staatseinnahmen des Landes von 2,99 Billionen Dollar.

Das bedeutet, dass immer größere Anteile des Budgets durch Kreditaufnahme dargestellt werden müssen und gleichzeitig auch immer größere Anteile der Staatseinnahmen in den Schuldendienst fließen.

In immer kürzeren Abständen muss die Schuldenobergrenze der USA angehoben werden, um der Zahlungsunfähigkeit zu entrinnen. Einer ähnlichen Entwicklung sollte in Deutschland durch die Schuldenbremse begegnet werden.

Im Jahre 2009 war die Kreditaufnahme des Staates per Gesetz auf „0,35 Prozent am nominalen Bruttoinlandsprodukt“ (6) festgelegt worden. Tatsächlich fiel die Zinslast, die sich seit den 1990er Jahren um die 40 Milliarden Euro jährlich eingependelt hatte (7) zum 31. Dezember 2021 auf ihren Tiefststand bei 3,5 Milliarden Euro (8). Andererseits aber muss der Staat durch diese Begrenzung der Kreditaufnahme bei seinen Investitionen maßhalten.

Diese Einschränkung entfaltet gerade nun ihre unerwartet negative Wirkung, wo sich die Staaten des politischen Westens sowohl von Russland als auch von China abkoppeln wollen, um sich aus einer vermeintlichen strategischen Abhängigkeit zu befreien. Die gegen Russland verhängten Sanktionen und die wirtschaftlichen Behinderungen gegenüber Chinas Aufschwung führen zur Bedrohung von Lieferketten, die bisher für den Bezug billiger Energie und Waren gesorgt hatten. Diese zu ersetzen, ist nicht nur schwierig, sondern vor allem auch teuer.

Denn alles, was China bisher billig lieferte, soll nun in westlichen Wirtschaftszonen hergestellt werden. Mit Förderprogrammen in Höhe von Hunderten von Milliarden Dollar und Euro sollen Zukunftstechnologien aus dem Boden gestampft werden. Aber der politische Westen steht nicht nur in Konkurrenz zu China, sondern auch untereinander.

Besonders die USA und die EU machen sich ansiedlungswillige Unternehmen gegenseitig abspenstig und locken sie mit Subventionen in Milliardenhöhe in den eigenen Wirtschaftsraum. Das treibt den Kapitalbedarf zusätzlich an und damit die Zinslasten. Aber woher soll das Geld kommen und vor allem: Wessen Interessen sollen mit den knapper werdenden Mitteln vorrangig bedient werden?

Zuspitzung

Seit der Finanzkrise von 2008 sind die Spielräume des Staates immer enger geworden, den Interessen der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen Genüge zu tun. Denn die Beilegung der Krisen war immer verbunden mit zusätzlichen Kosten, die nicht mehr über den regulären Haushalt abgedeckt werden konnten.

Diese Kosten verschwanden zwar in den Sonderhaushalten aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit. Aber sie kamen immer wieder an die Oberfläche als Zinslasten, die ständig größere Löcher in die Haushalte reißen und damit die Leistungsfähigkeit des Staates einschränken. Die fast 900 Milliarden Dollar, die die USA im aktuellen Jahr an Zinsen zahlen müssen, stehen zur Bewältigung anderer dringender Aufgaben nicht mehr zur Verfügung.

Die USA versuchen, ihre Defizite durch höhere Kreditaufnahmen auszugleichen. Das geht aber nur, indem sie den Investoren höhere Zinsen bieten und auch zahlen. Die Europäische Union, allen voran Deutschland, hat es versucht durch die Beschränkung der Kreditaufnahme über eine Schuldenbremse. Beide Wege haben nicht dazu geführt, dass Staatseinnahmen und Ausgaben ins Gleichgewicht kamen.

Die unterschiedlichen Ansätze zur Staatsfinanzierungen können aufgrund ihrer Misserfolge über das grundlegende Problem nicht hinwegtäuschen: Der Kapitalismus im politischen Westen ist nicht mehr in der Lage, genügend Überschuss zu erwirtschaften, um die sozialen Belange der Gesellschaft zu bedienen und gleichzeitig Zukunftsinvestitionen zu tätigen.

Der kapitalistische Staat kommt immer näher an den Punkt, wo eine Entscheidung ansteht über die Anwendung der knapper werdenden Mittel: für die Belange der Bevölkerung, also der gesellschaftlichen Mehrheit, oder für die wirtschaftlichen Interessen der herrschenden Klasse der Kapitalbesitzer?

Diese Lage hat sich nun in Deutschland durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts erheblich zugespitzt. Denn es fehlen nun Milliarden und noch ist nicht erkennbar, wo die gehoben werden können und wo Abstriche gemacht werden, wenn kein neues Geld aufgetrieben werden kann. Eine Ausweitung der Verschuldung scheint sich anzubahnen, um Zeit zu gewinnen. Aber mit jedem Zinszahlungstermin werden die Spielräume enger.