Kalter Krieg 2.0

Um ihre Weltdominanz zu bewahren, bedienen sich die USA aller Mittel der psychologischen und militärischen Kriegsführung. Exklusivabdruck aus „Der Tiefe Staat schlägt zu“. Teil 2/2.

Seit dem Ende der UdSSR haben sich die USA und das außenpolitische Establishment der EU im Rahmen ihrer geopolitischen Welt-Neuordnungspläne dazu entschlossen, den marktradikalen Kapitalismus nach Osten auszudehnen und dieses Projekt militärisch durch die NATO-Osterweiterung abzusichern. Selbst die Atommächte Russland und China sind von dieser geostrategischen Eroberungsmission betroffen, werden mit Sanktionen und Stellvertreterkriegen terrorisiert und in neue Aufrüstungsrunden gedrängt, um sie ökonomisch maximal zu schädigen. Transatlantisch-neokonservative Cliquen zogen die NATO-Osterweiterung ohne jede Rücksicht auf russische Sicherheitsinteressen und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für den Frieden in Europa und in der Welt durch. Das entscheidende Instrument zur Durchsetzung der strukturellen Gewalt- und Eroberungsphantasien des sogenannten freien Westens ist die NATO.

Die NATO als militärischer Gewaltarm des „freien Westens“

Die NATO ist nicht der Garant des Friedens, sondern das Schutz- und Trutzbündnis, der militärische Gewaltarm der westlichen Fassadendemokratien. Via NATO streben die USA die Weltherrschaft an und die NATO-Mitgliedsstaaten sollen dieses Ansinnen mitfinanzieren. Um nichts anderes geht es bei der Forderung aus dem Pentagon an die NATO-Mitgliedsstaaten, ihre Millitärausgaben auf 2 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes anzuheben.

Sämtliche Kriege, die die USA nach 1945 beziehungsweise ab 1999 führten, waren illegale Angriffskriege, die mit lügenhaften Narrativen propagandistisch vorbereitet wurden.

Allein der Angriff auf einen NATO-Mitgliedsstaat rechtfertigt laut NATO-Statuten die Ausrufung des Bündnisfalls und damit einen „Verteidigungskrieg“. Kein Staat des NATO-Bündnisses wurde jemals von einem anderen staatlichen Akteur angegriffen. Dies gilt auch für 9/11. Anlässlich dieses Ereignisses erfand das Bush-Regime den „war on terror“ und konstruierte einen Bündnisfall, um sofort gegen Afghanistan und später gegen Irak und Libyen Krieg führen zu können.

2002 kündigte das Bush-Regime den ABM-Vertrag mit Russland, den fundamentalen Pfeiler globalstrategischer Stabilität. Sämtliche Pentagon- und NATO-Weltneuordnungspläne beeinflussen über militärische Großprojekte, Rüstungsdynamiken und Budgetplanungen auch ganz massiv die Politik der westlichen Staaten im Innern. Diese Tiefenstrukturen schaffen zumeist erst die Konflikte und Feinde, die sie später bekämpfen. Faktisch führt die 360°-NATO mit ihren „neuen Kriegen“ nicht nur Krieg an allen Fronten nach außen, sondern auch nach innen gegen die Völker der NATO-Staaten, indem sie diese durch „information warfare“ — eine 360°-Propaganda an allen Medienfronten — auf ihre Aggressionskriege einschwört.

Für die gesamte NATO-Entwicklung nach 1990 gilt:

  1. Bei der NATO-Expansion bestimmten und bestimmen die USA die Gangart. Die Aufnahme immer neuer Länder in das Bündnis dient der Ausweitung des eigenen Ideologie- und Machtbereichs bis in die Tiefe des eurasischen Raumes. Die USA definieren die ganze Welt, insbesondere den eurasischen Raum, zu ihrem Sicherheitsinteresse.
  2. Der Expansionsprozess ist noch nicht abgeschlossen.
  3. Die Phasen der NATO-Expansion lassen sich grob unterteilen in a) die Orientierungsphase 1990 bis 1993: Neuorientierung des Bündnisses und Suche nach neuen Aufgaben; b) die Entscheidungsphase 1994 bis 1998: Revitalisierung des US-Weltführungsanspruchs, Erhaltung und Stärkung dieser Dominanz sowie Festigung der NATO-Expansionsplanungen; c) die Aggressionsphase I 1999 bis 2001: Jugoslawienkrieg, PNAC-Studie, 9/11 und der „war on terror“, Krieg gegen Afghanistan, erste NATO-Erweiterungsrunde: Polen, Tschechien, Ungarn 1999; d) die Aggressionsphase II 2002 bis 2010: Konsolidierung des US-Weltherrschaftsanspruchs, Kündigung des ABM-Vertrages (2002), Irakkrieg, Libyenkrieg, Georgienkrieg, zweite NATO-Erweiterungsrunde um 7 Staaten, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Bulgarien, Slowenien, Slowakei 2004, dritte NATO-Erweiterungsrunde um Albanien und Kroatien 2009; e) die Aggressionsphase III 2011 bis 2013: beginnender Syrienkrieg und antirussische Hysterie sowie offene Feindschaft gegen Russland, prä-Putsch-Phase in der Ukraine mit vorläufigem Höhepunkt, Politik der Nadelstiche gegen Russland, Konflikteskalation, krude Kriegstreiberei, Militärmanöver, Dislozierung von schweren Waffen an die russischen Grenzen; f) die Aggressionsphase IV ab 2014: Putsch in der Ukraine, Eskalation des Syrienkrieges, Propaganda-, Sanktions- und Wirtschaftskrieg, paranoider, russophober Hass, exzessive Militärmanöver, Aufrüstung, Kündigung des Iran-Atomabkommens und des INF-Vertrages, vierte NATO-Erweiterungsrunde um Montenegro 2017.

Die gezielte Aufnahme der ehemaligen UdSSR-Satellitenstaaten in die NATO und damit in den eigenen Ideologie- und Machtbereich ist weitgehend abgeschlossen. Russland hat seit Beginn der 1990er-Jahre vor den NATO-Erweiterungen in Richtung Osten und deren destabilisierende Wirkungen für die internationale Sicherheitsarchitektur gewarnt.

Bosnien-Herzegowina, die Ukraine, Georgien, Mazedonien und Kosovo bleiben mit unterschiedlichen Prioritäten in der „pipeline“. In der aktuellen Phase und absehbar zukünftig geht es für die USA, die NATO und die EU darum, Russland und China als permanente Feinde zu installieren, während Vladimir Putin, und sei es auch nur aus taktischen Gründen, immer noch von unseren „Partnern“ spricht.

Full-spectrum-dominance

Kein Staat mit wichtigen Ressourcen oder in geostrategisch exponierter Lage sollte sich dem totalitären Weltbeherrschungsanspruch der USA und ihrer Vasallen widersetzen, will er nicht Gegenstand von Medienkampagnen, Sanktionen, Destabilisierungen, Regimewechsel-Operationen oder einer Militärintervention „zur Rettung der Demokratie und der westlichen Werte“ werden. Militärische Grundlage der Weltbeherrschungsobsession ist die „full-spectrum-dominance“. Laut dem Oberbefehlshaber des United States Strategic Command, John E. Hyten, müssen die USA die dominierende Atommacht sein. Sie dürfen keinem Gegner erlauben, vergleichbare militärische Fähigkeiten zu besitzen und zwar über die gesamte Bandbreite des militärischen Spektrums.

„Wir müssen immer die besten Möglichkeiten haben, die unser Land bieten kann. Wir müssen immer in der Lage sein, auf dem Schlachtfeld zu dominieren. Ich will nicht, dass es eine ausgeglichene Schlacht ist, damit unsere Gegner glauben, dass wir ebenbürtig sind. Falls es so sein wird, dann wird es ein Risiko für unser Land geben.“

„Full spectrum dominance“ beschreibt das Militärkonzept der USA, auf allen Gebieten überlegen sein zu müssen, und reduziert sich damit bei weitem nicht auf Atomwaffendominanz. Dies legten die Joint Chiefs of Staff (die Chefs aller Militärgattungen) bereits im Jahr 2000 in einem Strategiepapier fest:

„Der Hauptzweck [der Militärkräfte, U.M.] war und ist es, zu kämpfen und die Kriege der Nation zu gewinnen. Das übergeordnete Ziel der in diesem Dokument beschriebenen Transformation ist die Schaffung einer Streitmacht, die über das gesamte Spektrum der militärischen Operationen dominiert — überzeugend im Frieden, entscheidend im Krieg und überragend in jeder Form von Konflikt. […] Die globalen Interessen und Verantwortlichkeiten der Vereinigten Staaten werden fortbestehen, und es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass die Bedrohungen dieser Interessen und Verantwortlichkeiten für unsere Verbündeten verschwinden werden. Die strategischen Konzepte ausschlaggebender Stärke, der Machtprojektion, der Präsenz im Ausland und der strategischen Agilität werden auch weiterhin unsere Bemühungen bestimmen, diese Verantwortung zu erfüllen und den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen.“

In ihrem verquasten Denken gehen diese Militärs sogar so weit, dass sie das „full-spectrum-dominance“-Gewaltarsenal zur „Bedingung“ des Friedens hochstilisieren.

„Seit mindestens dem Kalten Krieg ist der Planet in eine Kampagne dessen eingebunden, was das US-Militär als Vollspektrum-Dominanz bezeichnet: Die Kontrolle von terrestrischen, maritimen, atmosphärischen und außerirdischen Räumen durch eine ausgeklügelte Kriegsmaschine. Als Teil dieser Überwachung, „finden, fixieren und erlegen“ CIA- und Spezialeinheiten regelmäßig ihre Beute, wo immer sie auf den globalen Jagdgründen auftaucht.“

Gemäß ihres Hegemonialanspruchs haben die USA bereits während des Zweiten Weltkrieges Fakten geschaffen: 1945 verfügten sie weltweit über mehr als 2.000 Militärbasen und 30.000 Militärinstallationen. Aktuell unterstehen ihnen über 800 Militärbasen in etwa 170 Ländern außerhalb der USA, wobei es aufgrund von Geheimhaltung keine präzisen Zahlen gibt. Der Base Structure Report des Pentagons für das Haushaltsjahr 2015 listet 4.000 inländische Militärbasen auf. Ferner haben die USA die Welt in sechs militärische Interessenzonen, „Unified Combatant Commands“, unter Leitung des US Strategic Command (U.S. STRATCOM) in Omaha, Nebraska, aufgeteilt. Generell sind die errichteten Militärbasen auch bedeutende Wirtschaftsfaktoren für die jeweilige Region.

Russland und China bedrohen den Hegemon

Obwohl Russland und China als kommunistischer Block nach 1990 keinerlei militärische Gefahr für den Westen sind, stellt deren teilweise staatlich geregelter Kapitalismus die „free-market Ökonomie“ als einzig denkbares Wirtschaftsmodell in Frage. Genau das darf nach dem Selbstverständnis des neokonservativen US-Establishments und seiner EU-Vasallen aber nicht sein.

Da China, Russland und Iran die unipolare Weltordnung nicht anerkennen, wird der „Wertewesten“ immer aggressiver, insbesondere die USA und Großbritannien, die die Spannungen permanent anheizen und es scheinbar gar nicht mehr erwarten können, endlich den 3. Weltkrieg loszutreten.

Also verstärken sie ihr Kriegsgeschrei, um die unipolare Weltherrschaft um jeden Preis zu verlängern. Das „hat dazu geführt, dass der Tiefe Staat der USA nach jeder verfügbaren Waffe greift und die Gefahren und Folgen einer solchen rücksichtslosen Außenpolitik nicht beachtet.“

„Der grundlegende ideologische Konflikt findet hier zwischen den nach einer unipolaren Welt strebenden USA und einem Russland statt, das sich für eine multipolare Weltordnung einsetzt. Russlands Position, wie Vladimir Putin bei seiner historischen Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 klarstellte, ist es, Ländern zu erlauben, nationale Souveränität zu genießen und sich auf ihre eigene Art zu entwickeln. Die derzeitige russische Regierung ist prinzipiell gegen die Einmischung in die Politik anderer Länder. (…) Im Gegensatz dazu sind die USA prinzipiell für die Einmischung in andere Staaten (…).“

Den Grundstein für die neue massive Konfrontation mit Russland legten die neokonservativen Ideologen um die PNAC-Gruppe (Project for a New American Century) bereits zu Beginn der 1990er-Jahre. Im Jahr 2000 konkretisierten sie ihre Welteroberungsstrategie. Zbigniew Brzeziński, Sicherheitsberater mehrerer Präsidenten, formulierte diese Strategie während der Clinton-Ära in seinem Buch „The Grand Chessboard“, in deutscher Sprache: „Die einzige Weltmacht, Amerikas Strategie der Vorherrschaft“ besonders eindrücklich.

Sein Buch ist Strategiepapier für die NATO-Osterweiterung und Blaupause für den späteren Umsturz in der Ukraine im Februar 2014. Die Übernahme der Krim war die unausweichliche Reaktion Russlands auf den US-geführten und EU-gestützten Putsch in der Ukraine und deren planvolle Destabilisierung der Region. Diese Sezession war nichts anderes als eine Selbstschutzmaßnahme der russischen Föderation, um den strategisch wichtigen Schwarzmeerhafen Sewastopol unter ihrer Kontrolle zu behalten und ethnische Säuberungen der vorwiegend russisch-sprachigen Bevölkerung der Krim zu verhindern.

Genau das Szenario, die Ukraine als Dreh- und Angelpunkt aus dem Einflussgebiet Russlands herauszubrechen, hat Brzeziński bereits 1997 in seinem Buch empfohlen. Er beschrieb die Notwendigkeit zur Destabilisierung ehemaliger Staaten der UdSSR, um die USA auf dem eurasischen Festland zu verankern. „Eurasien ist mithin das Schachbrett, auf dem der Kampf um globale Vorherrschaft auch in Zukunft ausgetragen wird,“ heißt es da. Welche psychotischen Formen diese Welteroberungsmanie annehmen kann, macht Wess Mitchell vor, stellvertretender Staatssekretär im Büro für Europäische und Eurasische Angelegenheiten des US-Außenministeriums. Am 21. August 2018 äußerte er sich vor dem Senatskomitee für auswärtige Beziehungen zur US-Strategie gegenüber Russland:

„Ausgangspunkt der Nationalen Sicherheitsstrategie [vom Dezember 2017, U.M.] ist die Erkenntnis, dass Amerika in eine Zeit des Big-Power-Wettbewerbs eingetreten ist und dass die bisherige US-Politik den Umfang dieses aufkommenden Trends weder ausreichend erfasst noch unsere Nation angemessen ausgestattet hat, um darin erfolgreich zu sein. Im Gegensatz zu den hoffnungsvollen Annahmen früherer Regierungen sind Russland und China ernsthafte Konkurrenten, die die materiellen und ideologischen Voraussetzungen schaffen, um das Primat und die Führung der USA im 21. Jahrhundert anzufechten. Es ist nach wie vor eines der wichtigsten nationalen Sicherheitsinteressen der Vereinigten Staaten, die Vorherrschaft der feindlichen Mächte über die eurasische Landmasse zu verhindern. Das zentrale Ziel der Außenpolitik der Regierung ist es, unsere Nation darauf vorzubereiten, sich dieser Herausforderung zu stellen, indem wir die militärischen, wirtschaftlichen und politischen Grundlagen der amerikanischen Macht systematisch stärken. Unsere Russlandpolitik geht von der Erkenntnis aus, dass die US-Diplomatie gegenüber Russland nur dann wirksam sein kann, wenn sie von einer ‚unübertroffenen militärischen Macht unterstützt wird und in die unsere Verbündeten und alle unsere Machtinstrumente integriert sind‘.“

Tatsächlich taucht hier die alte von Halford Mackinder im Jahr 1904 formulierte Vorstellung angelsächsischer Geopolitik der Landmächte gegen Seemächte wieder auf. Hiernach müssen die Seemächte, allen voran Großbritannien und die USA, die Kontrolle über die Landmächte Eurasiens sicherstellen. Die Herrschaft über das „Herzland“ ist die Voraussetzung für die Weltherrschaft. Vor allem gilt es zu verhindern, dass sich Russland und Deutschland verbünden. Ganz stolz berichtet Mitchell, wie die USA die Beziehungen zu Russland ruinieren und das Land drangsalieren:

„Parallel dazu haben wir daran gearbeitet, die Fähigkeit Russlands, Aggressionen durchzuführen, zu verringern, indem wir dem russischen Staat und der Oligarchie, die ihn unterstützt, Kosten auferlegt haben. Aufbauend auf der jüngsten Aussage von Minister Pompeo reiche ich eine detaillierte Liste der Maßnahmen ein, die diese Regierung ergriffen hat. Dazu gehören bis heute: 217 Personen und Einrichtungen wurden sanktioniert, 6 diplomatische und konsularische Einrichtungen wurden oder blieben geschlossen und 60 Spione wurden vom US-Boden entfernt. Das Außenministerium hat eine führende Rolle dabei gespielt sicherzustellen, dass diese Bemühungen eng und wirksam mit den europäischen Verbündeten koordiniert werden, und zwar durch synchronisierte Abschiebungen und die fortgesetzte Verlängerung der Sanktionen im Zusammenhang mit der anhaltenden Aggression Russlands gegen die Ukraine. [...] Unser Handeln zeigt Wirkung. Untersuchungen des Büros des Chefökonomen im Außenministerium zeigen, dass der Gewinn sanktionierter russischer Unternehmen im Durchschnitt um ein Viertel zurückging, ihre Gesamtbewertung um die Hälfte zurückging und sie gezwungen waren, ein Drittel ihrer Mitarbeiter zu entlassen. Wir glauben, dass unsere Sanktionen die russische Regierung kumulativ zig Milliarden Dollar gekostet haben.“

Es sollte nicht vergessen werden, dass die Organisatoren des Ukraine-Putsches in Washington, Berlin und Brüssel sitzen. Das Ziel war, den Schlüsselstaat Ukraine aus der russischen Interessenssphäre heraus zu brechen, um Russland in Eurasien geostrategisch maximal zu schwächen.

Mitchell erklärt weiter:

„Wie bei der Gesamtstrategie war die Prämisse dieser Bemühungen, dass unsere Diplomatie am effektivsten ist, wenn sie durch starke Positionen gestützt wird. Wir haben besonderen Wert darauf gelegt, die Staaten Europas an vorderster Front zu stärken, die am anfälligsten für den geopolitischen Druck Russlands sind. In der Ukraine und in Georgien haben wir die Beschränkungen der vorherigen Regierung für den Erwerb von Abwehrwaffen gegen die russische territoriale Aggression aufgehoben. Auf dem Balkan hat die amerikanische Diplomatie eine führende Rolle bei der Beilegung des Namensstreits zwischen Griechenland und Mazedonien gespielt und engagiert sich mit Serbien und dem Kosovo, um den EU-geführten Dialog voranzutreiben. Im Kaukasus, in der Schwarzmeerregion und in Mitteleuropa arbeiten wir daran, die Vakuen zu schließen, die die russische Durchdringung fördern, indem wir die Energiediversifizierung fördern, die Korruption bekämpfen und im Vorfeld des 30. Jahrestages des Endes des Kommunismus um Herz und Verstand kämpfen.“

Damit beschreibt Mitchell ganz offen, wie die USA auf der ganzen Welt wühlen und sich in alle ökonomischen, politischen und kulturellen Angelegenheiten anderer Staaten einmischen. Von Russland und vor allem dem „Bösewicht“ Putin entwerfen sie ein eigenartig surreales Bild:

„Putins These ist, dass die amerikanische Verfassung ein Experiment ist, das scheitern wird, wenn es von innen heraus auf die richtige Weise angefochten wird. Putin will die Amerikanische Republik auseinander brechen, nicht durch die Beeinflussung von ein oder zwei Wahlen, sondern durch die systematische Entzündung der wahrgenommenen Fehlerlinien, die in unserer Gesellschaft existieren. Es ist eine Strategie des Chaos mit dem Ziel einer strategischen Wirkung. Die Akzeptanz dieser Tatsache ist absolut notwendig, um eine langfristige und umfassende Antwort auf das Problem zu entwickeln. Das Gefährlichste, was wir tun können, ist, die Herausforderung zu politisieren, die an sich schon ein Geschenk an Putin wäre. Bei den russischen Bemühungen geht es um Geopolitik: den permanenten und selbstgerechten Kampf des Putinismus um internationale Dominanz.“

In ihrem russophoben Hass unterstellen die Akteure der US-amerikanischen Außenpolitik jedem Widersacher die übelsten Motive, die durchgängig ihre eigene Außenpolitik kennzeichnen, um anschließend daraus die Rechtfertigung abzuleiten, den Feind zu vernichten.

Dieses Grundmuster entlarvt die USA als Kriegsstaat. In seiner Aussage: „In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt,“ unterschlägt Egon Bahr die hinter den „Interessen von Staaten“ stehenden Akteure, das heißt, die Täter des Tiefen Staates.

Völlige Missachtung russischer Sicherheitsinteressen

Bei sämtlichen Erweiterungsschritten der NATO ab 1999 — aber auch schon lange davor — respektierte das westliche außenpolitische Establishment zu keinem Zeitpunkt die Sicherheitsinteressen der russischen Föderation. Russland war schlicht kein politischer Faktor von Bedeutung — glaubten sie.

„‚In den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten haben sich alle daran gewöhnt, dass Einwände Russlands nicht berücksichtigt werden‘, stellte selbst der westfreundliche Chefredakteur der Moskauer Fachzeitschrift Russia in Global Affairs, Fjodor Lukjanow, leicht verbittert fest.“

Russland wurde arrogant übergangen. Präsident Obama erklärte das Land sogar zur Mittelmacht. Selbst der neoliberale Jeffrey Sachs beschreibt seine Erfahrungen als Regierungsberater wie folgt:

„Ich brauchte 20 Jahre, um zu verstehen, was nach 1991 geschehen war. Warum agierten die USA, die sich in Polen so weise und vorausschauend verhalten hatten, im Falle Russlands so grausam fahrlässig? Schritt für Schritt und Memoiren für Memoiren kam die wahre Geschichte ans Licht. Der Westen hatte Polen finanziell und diplomatisch geholfen, weil Polen zum östlichen Wall einer expandierenden NATO wurde. […] Russland hingegen wurde von den US-Führern in etwa so gesehen wie von Lloyd George und Clemenceau Deutschland in Versailles — als ein besiegter Feind, der es wert war, vernichtet zu werden, aber keine Hilfe zu erhalten. […] Kurz gesagt, die USA würden sich wie ein Sieger und ein Tyrann verhalten und die Früchte des Sieges des Kalten Krieges durch Kriege der Wahl einfordern, wenn nötig. Die USA wären an der Spitze, und Russland wäre nicht in der Lage, sie zu stoppen.“

Hätten sich die US-amerikanischen Regierungen nach George H.W. Bush (Bush sen.) und Außenminister James Baker an die 1990/1991 der UdSSR respektive Russland gegebenen Zusicherungen über die Nichtausdehnung der NATO nach Osten gehalten, so befände sich die Welt nicht in einem derart desaströsen sicherheitspolitischen Zustand. Aber die Herrschaftscliquen der USA und der EU wollten ihren Einfluss auf dem eurasischen Kontinent maximal erweitern. Dieser Wille zieht sich auch durch alle US-amerikanischen sicherheitspolitischen Dokumente. Diese hochgefährlichen Entwicklungen beschrieb Alexej Makarkin, stellvertretender Generaldirektor des Zentrums für politische Technologien in Moskau, bereits 2006:

„Für Russland wird diese Umwandlung der Ukraine in ein NATO-Land ein überaus starker Schock sein. Es geht nicht nur darum, dass Moskau den postsowjetischen Raum als seine historische Einflusssphäre betrachtet. Die Äußerung der USA-Außenamtschefin Condoleezza Rice — ‚Die Russen müssen anerkennen, dass wir unsere legitimen Interessen und unsere Beziehungen mit ihren Nachbarn haben‘ — löst in Russland ernsthafte Besorgnis aus.“

Die am 12. Dezember 2017 vom National Security Archive in Washington D.C. veröffentlichten Dokumente belegen, dass die NATO-Expansion von den neokonservativen Serientätern der USA und ihren europäischen Statthaltern seit 1993/94 ein gewolltes und geplantes Projekt war. Alle damit verbundenen Konsequenzen und die neuen Spannungen in Europa haben sie billigend in Kauf genommen. Darum sind die vorgetragenen „Argumente“ über das „aggressive Russland“ Lügenkonstruktionen, die dazu dienen, einen neuen Feind zu konstruieren und die eigenen, imperialistischen Ambitionen zu verbergen, um nicht als das in die Geschichte einzugehen, was sie schon heute sind: die Wegbereiter des neuen Kalten Krieges 2.0 und die Verantwortlichen für Millionen Tote, Verletzte, traumatisierte und Flüchtlinge sowie für unermessliche Umwelt- und Sachschäden.


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