Jung und kriegsuntüchtig
Mit der Streitschrift „Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde“ bricht der junge Publizist Ole Nymoen das Schweigen seiner Generation, der „Kriegstüchtigkeit“ von einer Politikerriege befohlen wird, die selbst nie kämpfen würde.
Die Kriegslust scheint ein unausrottbares Unkraut auf deutschem Boden zu sein. Der wurde bereits zweimal großflächig mit Blut durchtränkt. Und dennoch scheint das beschworene „Nie wieder Krieg!“ ein geistiges Ablaufdatum zu haben. Spätestens dann, wenn die letzten Zeitzeugen ableben, scheint die Bahn Richtung Abgrund wieder frei zu sein. Kriegstüchtig soll das Land werden. Astronomische Neuverschuldungssummen für Tötungsgerät werden jetzt gerade locker gemacht, während immer mehr Menschen in die Armut abrutschen. Die Forderung nach Kriegstüchtigkeit läuft naturgemäß auf einen zentralen Bestandteil hinaus: die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht. Scheinbar aus der Zeit gefallene Patriotismus-Parolen werden wieder zeitgemäß. Für das eigene Land, wahlweise auch für „unsere Demokratie und unsere Freiheit“, zu kämpfen, ist wieder en vogue. Am lautesten gefordert wird die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht von jenen, die altersgemäß davon nicht mehr betroffen sind. Hingegen herrscht Schweigen und ausbleibende Empörung bei den jungen Menschen — jenen also, die von der Remilitarisierung der Gesellschaft als Erstes betroffen sind. Doch es gibt unter den jungen Menschen dankenswerte Ausnahmen: Der Podcaster und Journalist Ole Nymoen ist einer von ihnen. Als einer der wenigen Nüchternen im Bierzelt der Kriegsbesoffenheit verfasste er eine Streitschrift, die aktueller und dringlicher nicht sein könnte: „Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde: Gegen die Kriegstüchtigkeit“. Unaufgeregt, aber mit messerscharfer Klarheit und ausgeprägtem Geschichtsbewusstsein nimmt Nymoen auf wenigen Seiten — fast — alle Mythen des Kriegstüchtigkeit-Diskurses auseinander. Eine Rezension.
„Es ist entsetzlich, inmitten dieser wahnsinnigen Menschheit leben und ohnmächtig den Bankrott der Zivilisation mitansehen zu müssen.“
So schrieb der französische Schriftsteller Romain Rolland am 3. August 1914, als Frankreich in den Ersten Weltkrieg eintrat. Über hundert Jahre später scheint die Welt, zumindest der Westen, nicht sonderlich weitergekommen, sondern vielmehr in einer tragischen Wiederholungsschleife gefangen zu sein. Alles und jeder wird zunehmend der Kriegslogik untergeordnet. Wer dagegen hält, gerät unter die — noch rein verbalen — Räder.
Der Journalist und Podcaster Ole Nymoen ist einer von ihnen. Unter anderem „15 Jahre Lagerhaft“ wünschte ihm mancher Leser. Was hatte Nymoen verbrochen? In einem Beitrag für Zeit Online erklärte er: „Ich, für Deutschland kämpfen? Never!“ In den Kommentarspalten taten sich daraufhin — neben einigem Zuspruch — Abgründe auf. Egoismus, Feigheit und Realitätsferne wurden ihm unterstellt. Undankbar sei er für die Freiheit, die er nicht unter Einsatz seines Lebens zu verteidigen bereit sei.
Selbstredend konnten diese Kommentare nicht unkommentiert stehen gelassen werden. Und so geht Nymoen in Buchform auf diese Reaktionen ein. Die decken in der Summe alle wesentlichen Säulen der Kriegstüchtigkeitsideologie ab und eignen sich insofern als dankenswerte Steilvorlage, um widerlegt zu werden.
Entlarvung bellizistischer Mythen und Märchen
Mit unüberhörbarer Schnappatmung wurden die Kommentare unter Nymoens Zeit-Beitrag verfasst. Mit einem umso ruhigeren und langem Atem geht Nymoen auf diese ein. Der teils plumpen Kritik kontert er nicht mit ebenso plumper Polemik. Unaufgeregt, obwohl Nymoen allen Grund zur Aufregung hätte, geht er auf die einzelnen Vorwürfe ein und widerlegt sie mit haarfein durchdachten Argumenten, die er mit wertvollen historischen und literarischen Referenzen unterfüttert.
Zu diesen Referenzen zählt unter anderen Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“, ein Werk, welches man dieser Tage nicht oft genug zitieren kann. Mit diesem untermauert er die Sinnlosigkeit des Krieges, die damals wie heute gleichgeblieben ist, und der nie zu den angepriesenen Verbesserungen geführt hat, derentwegen Kriege vorgeblich geführt wurden.
Die wohl wichtigste Referenz, die sich argumentativ wie ein roter Faden durch das ganze Buch zieht, ist Immanuel Kants anekdotisches Zangen-Bildnis aus „Zum ewigen Frieden“:
„So antwortet ein bulgarischer Fürst dem griechischen Kaiser, der den Zwist mit ihm, nicht durch Vergießung des Bluts seiner Untertanen, sondern gutmütigerweise durch einen Zweikampf abmachen wollte: ‚Ein Schmied, der Zangen hat, wird das glühende Eisen aus den Kohlen nicht mit den Händen herausnehmen.‘“ (1)
Diese Analogie begleitet den Leser durch das gesamte Buch hindurch. Sehr anschaulich skizziert Nymoen, was es bedeutet, wenn Staaten, die er als „Geschöpf und Urheber von Gewalt“ versteht, einander den Krieg erklären. Um den Irrsinn losgelöst von Sympathien und Antipartien gegenüber gewissen Nationen sichtbar zu machen, bedient er sich zweier fiktiver Musterstaaten: Staat X und Staat Y.
Was geschieht also konkret, wenn Staat X und Y einander bekriegen? Es sind schließlich nie die staatlichen Entscheidungsträger selbst, die miteinander kämpfen, um die Rivalitäten in einem Zweikampf auszutragen. Vielmehr gehen sie mit den glühenden Zangen aufeinander los, auf denen wir uns bildlich das miniaturhafte „Menschenmaterial“ vorstellen müssen, das sich gegenseitig im Auftrag der Staatsmacht niederstreckt.
In der Konfrontation töten — so zeigt es der Publizist mit Verweis auf Remarque — Menschen einander, die sich zuvor noch nie gesehen haben und in einem zivilisierten Kontext wohl auch nie ein Problem miteinander gehabt hätten.
Darauf aufbauend arbeitet Nymoen heraus, inwiefern die Menschen sowohl durch den zum Feind erklärten Staat Y, als auch durch „ihren eigenen“ Staat X bedroht werden: Leisten die eingezogenen Männer dem Befehl Folge, Staat Y abzuwehren oder anzugreifen, riskieren sie, von dessen Soldaten im Gefecht getötet zu werden. Verweigern sie den Befehl, dann droht ihnen in der Heimat im Staat X mindestens eine Haftstrafe wegen Fahnenflucht — zu anderen Zeiten waren standrechtliche Erschießungen üblich. Im Falle des Letztgenannten stellt sich die Lage der zum Kriegsdienst Einberufenen als geradezu ausweglos dar: Getötet werden entweder infolge der Verweigerung oder im Schlachtfeld selbst zu töten, bevor sie selbst getötet werden. Und umgekehrt gilt natürlich das gleiche, weswegen der Kriegskritiker anstatt für Parteilichkeit, für eine Solidarität mit allen betroffenen Menschen auf beiden Seiten der Fronten plädiert.
„Es gibt so gesehen keinen Grund für Parteilichkeit, wenn die Staaten dieser Welt ihre Bürger aufeinanderhetzen. Wer sich in Kriegen und mit einzelnen Staaten gemeinmacht statt mit den betroffenen Menschen auf beiden Seiten, der akzeptiert das (…) Prinzip, dass einige wenige Herrscher ihrer Untertanen nach Gutdünken instrumentalisieren dürfen.“ (2)
Getreu dem Aphorismus „die Waffen liefern die Reichen, die Armen liefern die Leichen“ macht Nymoen deutlich, dass die Leidtragenden stets die Bürger der jeweiligen Staaten sind — nie die Staatenlenker selbst.
Nymoen schält diese Unterscheidung noch weiter heraus, wenn er die vielfach vorgebrachten „Was-würdest-du-tun-wenn“-Vergleiche als das entlarvt, was sie sind: hinkend. Es sind genau diese Vergleiche, bei denen jene, die sie bemühen, die Komplexität von zwischenstaatlichen Kriegen auf die Überschaubarkeit von zwischenmenschlichen Konflikten herunterbrechen. Kriegsdienstverweigerer der alten BRD kennen folgende Frage nur allzu gut: „Sie gehen mit Ihrer Freundin durch den Wald spazieren. Da springt ein (Sowjet)Russe aus dem Gebüsch und will Ihre Freundin vergewaltigen. Würden Sie sich nicht zur wehr setzen?“ Wer diese Gewissensfrage unbedarft beantwortete, konnte sich nicht mehr oder nur noch schwer auf sein Gewissen berufen, um nicht eingezogen zu werden. Solcherlei Vergleiche, die wie ein beinamputierter Soldat hinken, haben in der Zeitenwende wieder Hochkonjunktur. Und sie dienen jenen Sofa-Strategen und Kriegsbegeisterten als argumentativ totschlagende Moralkeule, mit der sie den „Lumpenpazifisten“ — als solchen sich Nymoen ebenfalls beschimpfen lassen musste — in Diskussionen den Garaus machen wollen.
Mit Kant‘s Zangen-Bildnis, respektive der daraus hervorgehenden Unterscheidung, hat Nymoen das zur Hand, was es braucht, um die bellzistischen Keulenschwinger argumentativ zu entwaffnen. Wenn etwa der Nachbar das eigene Grundstück angreift, dann handelt es sich um eine unmittelbare Konfrontation zwischen zwei oder wenigen Menschen. Hingegen erleben zwei Staatsoberhäupter, die einander den Krieg erklären, den dann andere austragen dürfen, keine unmittelbare Direktkonfrontation, sondern lassen die blutige Austragung Dritte erledigen.
Insofern ist diese Unterscheidung von enormer Wichtigkeit und gerade in Diskussionen mit kriegsbegeisterten Freunden, Verwandten und Kollegen eine argumentativ sehr hilfreiche Handreichung, um derartige Moralkeulen dort landen zu lassen, wo sie hingehören: im Nichts.
Ebendieser Unterschied stellt im Folgenden eins der weiteren Mythen dar, die von Couch-Generälen gerne beschworen werden, nämlich das in Eintracht zusammengeschweißte „Wir“. In (Vor)Kriegszeiten wird gerne das Bild einer zusammenstehenden Einheit vermittelt. Dass dieses Bild illusionärer Natur ist, hat Nymoen bereits mit dem Gefälle zwischen Staatenlenkern und dem von ihnen verfügten „Menschenmaterial“ kenntlich gemacht. Wie außerordentlich illusionär dieses vermeintliche „Wir“ ist, macht der bekennende Neoliberalismus-Kritiker an den (A)Sozial-Diskursen der letzten Jahre und Jahrzehnten fest. Isbesondere geht er dabei auf die spalterischen Diskurse vor dem Hintergrund der Agenda 2010 ein, die darauf ausgelegt waren, die zunehmend entrechteten Arbeitnehmer gegen die Hartz-IV-Bezieher aufzuwiegeln.
Hier gab es alles andere als dieses gemeinsame „Wir“, stattdessen eine Stufenverteilung der Gesellschaft zwischen oben, unten und ganz unten — mit steter Absturzgefahr hin zu letzterer Stufe. Folglich kostet es Nymoen keine sonderlich große Mühe, die Mär von dem im Angesicht des Krieges geschlossen zusammenstehenden Staates der Heuchelei zu überführen.
Es ließen sich nun viele weitere Mythen und Märchen auflisten, die Nymoen geschickt formuliert überführt. Etwa das im Titel aufgeführte „mein Land“, welches so illusionär ist, wie das beschworene „Wir“.
Wer von den Soldaten kann denn wirklich von „seinem Land“ sprechen, von dem er in aller Regel nicht einmal einen Quadratmeter besitzt? Immerhin leben die allermeisten Menschen — mehr als in den meisten anderen Ländern — zur Miete und nicht im Eigenheim.
Analog dazu nimmt Nymoen eine wichtige Trennung zwischen der sogenannten „Vaterlandsliebe“ und der Heimatliebe vor. Letztere ordnet er dem Geographischen und Kulturellen zu, ersteres dem Staatsgebilde. Veranschaulicht wird das an der Gegenüberstellung zwischen einem Norddeutschen und einem Oberbayern. Beide gehören dem „Vaterland“ Deutschland an. Hingegen würde sich der Oberbayer an der Nordsee und umgekehrt der Kieler im Alpenvorland sicherlich nicht heimelig, nicht wie in der Heimat fühlen. Eher verbindet den Oberbayern mehr mit dem Österreicher, wenngleich beide unterschiedlichen „Vaterländern“ angehören.
Bevor diese Rezension in reine Schwärmerei abdriftet, kommen wir auf die Schwächen zu sprechen, von denen das Werk nicht frei ist.
Schwächen
„It‘s the war-economy, stupid!“
Ausgerechnet im ökonomischen Teil hat die Analyse ihre blinden Flecken. Dabei studierte Nymoen Wirtschaftswissenschaften in Jena und betreibt zudem mit dem ideologiekritischen Filmanalyst Wolfgang M. Schmitt den Podcast „Wohlstand für alle“.
Im dritten Kapitel, welches sich dem Verhältnis von Staat, Kapitalismus und Krieg widmet, geht er auf Wladimir Lenins Imperialismustheorie ein. Nach dieser führen Staaten Kriege im Dienste des Kapitals, namentlich der Großunternehmen, um Rohstoffe zu erobern und Absatzmärkte zu erschließen. Welch „weitreichende Handlungsmacht“ Lenin „dem Finanzkapital unterstellt“, erachtet Nymoen als „(b)emerkenswert“, ebenso Lenins Schlussfolgerung, dass das Finanzkapital nicht nur Nutznießer, sondern auch der „wahre Urheber“ der Neuaufteilung sei. Weiter schreibt er:
„(A)ls hätten sich einige amerikanische Bankiers zusammengesetzt, die globalen Grenzziehungen ausgeklügelt und diese dann an die herrschenden Politiker durchgegeben, damit sie gewaltsam umgesetzt werden. Noch schärfer — fast schon verschwörungstheoretisch — wird Lenins Ton, wenn er im Folgenden behauptet, dass die ‚Finanzoligarchie (…) ein dichtes Netz von Abhängigkeitsverhältnissen über ausnahmslos alle ökonomischen und politischen Institutionen der modernen bürgerlichen Gesellschaft‘ gespannt habe. Das Finanzkapital erscheint bei ihm als allmächtiger Akteur, der den Staat in der Tasche hat und dem Rest der Welt seine ökonomischen Interessen aufzwingt. Damit immer weiter Profite gemacht werden können, verlangt das (Finanz)Kapital nach kriegerischer Expansion!“ (3)
Diese, in den Augen Nymoens abwegige Behauptung, versucht er unter anderem damit zu widerlegen, dass „Herrscher sich um kleine Inseln oder Bergregionen streiten, die kaum ökonomische Bedeutung haben“. (4) Außerdem sei Lenins Theorie „im Kontext des Ersten Weltkriegs“ entstanden, bei dem es nicht „vorrangig um Kapitalprofite“ gegangen sei, sondern um das Ringen der imperialistischen Staaten um die Weltmacht. So sei der Krieg für das Kapital sogar schädlich. Nur „(e)inige Kapitalfraktionen“, nämlich die Rüstungskonzerne, würden vom Krieg profitieren, während „ein Großteil der Wirtschaft unter ihm ächzt“, schließlich würden „Produktionsstätten zerstört oder Arbeiter an die Front berufen“. (5) Er schließt den Teil seiner Analyse damit, dass „die Profitinteressen einiger Waffenhersteller als Ursachen des Krieges ausfindig gemacht (werden), obwohl der gesamtwirtschaftliche Schaden den partikularen Nutzen um ein Vielfaches übersteigt“. (6)
Nymoen beklagt, dass sich diese These bei vielen Linken hartnäckig halte. Nun, das mag daran liegen, dass sie gar nicht so abwegig ist, wie er sie darstellt. Vielmehr erweist sich diese These im weiteren Verlauf der Geschichte als geradezu prophetisch. Es würde den Rahmen dieser Rezension sprengen, auf all die Punkte ausführlich einzugehen, weswegen sie im Nachfolgenden nur kurz und knapp kommentiert werden.
Der Einfluss amerikanischer Bankiers, der hier geradezu geleugnet wird, zeigt sich bereits exemplarisch beim Blick auf das Wirken des Bankenkartells Money Trust. Dieses zeichnete maßgeblich verantwortlich für den Federal Reserve Act von 1913, der das Entstehen nicht nur des amerikanischen Zentralbankensystems begründete. Unter den Money-Trust-Mitgliedern befand sich neben J. P. Morgen außerdem Edward Mandell House, auch bekannt als Woodrow Wilsons „Handler“. Dieser hatte maßgeblichen Einfluss auf die europäische US-Außenpolitik sowie die Pariser Friedenskonferenz. Der dort unterzeichnete Versailler Vertrag barg ob der nicht begleichbaren Reparationszahlungen für Deutschland bereits das soziale und politische Spannungspotenzial für einen weiteren Weltkrieg. Zu dessen Ende hin wurde das Bretton-Woods-Abkommen unterzeichnet, welches durch die weltweite Dollar-Bindung ein neues Profit-Regime im Sinne der USA besiegelte. So viel dazu, dass das Kapital kein Interesse am Krieg hätte.
Nymoen verkennt hierbei vielerlei: Zu Ende des Buches zitiert er Karl-Marx: „Die Arbeiter haben kein Vaterland.“ Ihm gelingt es jedoch nicht, diese Heimatlosigkeit auf das Kapital abzuleiten. Zu behaupten, das Kapital als solches profitiere nicht, weil ja die nicht zur Rüstung zugehörigen Produktionsstätten zerstört würden, greift zu kurz, denn:
- Kennt das Kapital weder Staatsgrenzen noch Moral. Verkauft werden nicht nur Rüstungsgüter an alle im Krieg beteiligten Parteien. Bekanntermaßen finanzierte die Wall-Street das Dritte Reich und selbst im bolschewistischen Russland belieferte die Ford Motor Company bis 1935 den Klassenfeind mit Automobile und Bausätzen für das KIM-Werk in Moskau. Mustergültig für Losgelöstheit des Kapitals von zwischenstaatlichen Differenzen ist die 1930 gegründete Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel. Dort dinierten während des Zweiten Weltkrieges Finanziers aller am Krieg beteiligten Länder, während sich die Bürger (siehe oben) einander im Schützengraben niederstreckten.
- Die — in Friedenszeiten — nicht zur Rüstungsindustrie zugehörigen Produktionssparten werden in Kriegszeiten der Kriegswirtschaft untergeordnet, teils mit der Vorgabe, nicht-zivile Produkte herzustellen. Der Absatz ist also gesichert. Das durch den Kriegsdienst ausfallende Personal kann durch Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter ausgeglichen werden — siehe beispielhaft die Zwangsarbeit im VW Werk Wolfsburg während des Zweiten Weltkriegs.
- Im Falle und im Nachgang der Zerstörung stehen der Bau- und Zementwirtschaft profitable Jahre mit ausgefüllten Auftragsbüchern ins Haus. Das Kapital profitiert im Krieg somit nicht nur von der Zerstörung. Dass die Produktionsstätten in Land X oder Y zerstört sind, spielt aufgrund der in Punk 1 genannten Darlegung keine Rolle.
- Letztlich muss die Funktion des Krieges im Sinne des Kapitals aus einer langfristigen und nicht aus einer kurzfristigen Perspektive betrachtet werden. Es geht nicht darum, ob hier ein Industriestandort zerstört und dort eine Waffenfabrik Reibach macht — es geht um die Schaffung neuer Rahmenbedingungen, in denen sich das Kapital entfalten kann. Wenn das Finanzsystem mit seiner Logik an die Grenzen gerät, wenn sich die Blasen auf den Finanzmärkten aufblähen und zu platzen drohen — dann stellt der Krieg und die darauffolgende Neuordnung einen im Sinne des Kapitals dankenswerten „Reset“ dar, der eine noch zügellosere Ausweitung ermöglicht.
Diese und weitere Aspekte werden im ökonomischen Teil der Analyse nicht berücksichtigt.
„Militäroperation Corona“ bleibt im toten Winkel
Wenn Nymoen zum Endes Buches über „die Freiheit, für die es sich zu kämpfen lohnt“ sinniert, beklagt er das immer restriktivere Meinungsklima. Zu recht. Die Kommentare auf seinen Zeit-Beitrag wurden bereits erwähnt. Die sind aber vergleichsweise noch harmlos, gibt man den Namen „Oly Nymoen“ bei X / twitter in die Suchleiste ein. Dann ergießt sich auf den Bildschirm kübelweise Hass und Hetze. Gemeint ist damit echter Hass und echte Hetze und nicht das, was heute mit diesen zwei Schlagworten diskreditiert wird — etwa abweichende Meinungen von der Regierungslinie.
Neben privaten Akteuren hat das restriktiver werdende Meinungsklima auch staatliche Ursachen. Nymoen verweist historisch auf die Verfolgung und Existenzvernichtung von Kommunisten in der BRD der 1950er Jahre. Und in der Gegenwart nimmt er Bezug auf Repressalien, das Canceln und den Fördermittelentzug von Menschen, die ihre Stimme kritisch erheben.
Dabei wird er, abgesehen von Pro-Palästina-Protesten, nie wirklich konkret. Entsprechend werden die Anklagepunkte mit keiner Silbe abgeleitet auf die Corona-Politik, die in erster Linie eines war — eine Militäroperation.
Es ist wirklich ernüchternd, nach über hundert Seiten nahezu durchgehend kritischer Lektüre feststellen zu müssen, dass der mittlerweile totgeschwiegene Themenkomplex Corona beim Rowohlt-Verlag immer noch ein so heißes Eisen ist, den man sich nicht anzufassen getraut. Das ist tragisch. Denn um zu begreifen, wie das kriegsbegeisterte Klima ab 2022 entstehen konnte, ist ein tieferes Verständnis über die Zusammenhänge und Folgen der Corona-Psy-Op unerlässlich. Doch hier beginnen — wie auch schon in der von Nymoens Podcast-Kollegen Schmitt herausgegebenen Anthologie „Selbst Schuld!“ — die gedanklichen Demarkationslinien der Leitmedien.
Fazit
Am Ende kann man den gehässigen Kommentatoren unter Nymoens Zeit-Artikel im Grunde nur danken: Sie haben das Schreiben dieses so wichtigen Buches regelrecht provoziert. Trotz vereinzelter Schwächen ist das knapp 150 Seiten schmale Büchlein aus den Federn eines jungen, von der drohenden Wehrpflicht unmittelbar betroffenen Autors publizistischer Sand in der anlaufenden Kriegsmaschinerie. Das Adbusting-Buchcover, welches mit seiner Kubismus-Camouflage-Gestaltung der Bundeswehrwerbung entlehnt ist, leistet dem Werk auf der Formebene einen wertvollen Dienst. Mit dieser Informationsguerilla-Aufmache eignet es sich neben dem Inhalt als Protest-Tool dazu, es sich etwa in einem mit Soldaten vollbesetzten Zug provokant lesend vor die Nase zu halten.
So oder so. Der Tenor ist klar: Mehr Lumpenpazifismus wagen! An diesen Lumpen klebt immerhin kein Blut.
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