Jenseits von Angst

Furchtlosigkeit ist nicht nur möglich, sondern auch nötig für das echte Leben — sie zu erlangen sollte gerade jetzt höchste Priorität haben.

Die politisch-mediale Eskalation hat — mal wieder — ihre Farbe gewechselt und nimmt immer weiter Fahrt auf; mit dem Bespielen der tiefsten Töne der Angstklaviatur sollen nun scheinbar auch die bislang nicht ins Netz Gegangenen geködert werden. Man benötigt nur ein wenig Distanz zum Geschehen, um wahrzunehmen, wie unglaublich plump und entlarvend dabei vorgegangen wird — was im Übrigen auch einiges über die innere Verfassung der Matrixherrscher verrät. Unseren eigenen Ängsten mehr denn je wahrhaft die Stirn zu bieten, uns ihnen nicht zu beugen und damit den rein reaktiven Handlungen zu widerstehen, ist gerade jetzt einer der revolutionärsten Akte, die wir vollbringen können. Denn ohne Angst ist der Film aus; und ein einziger Mensch ohne Angst ist wirksamer als Tausende mit.

Genug der Worte? Ein Vorwort.

Seit dem stümperhaften Narrativwechsel merke ich, dass sich ein neuer Text in mir seinen Weg in die Öffentlichkeit zu bahnen versucht, dass ich gerne so vieles sagen und bündeln möchte, doch wie es manchmal auch beim Fotografieren ist, stellt sich sein Fokus einfach nicht lange genug scharf. Normalerweise würde ich warten, bis er von alleine in Fluss kommt, doch es drängt mich, auch zeitlich, ihn jetzt Gestalt annehmen zu lassen.

Gibt es denn noch so viel zu sagen? Ist nicht schon alles gesagt, gerade jetzt? Ich lese immer wieder äußerst befriedigende, teils magische Texte mit Bezug zum aktuellen Zeitgeschehen und stelle mir dann nicht selten diese Fragen. Doch wenn ich nur ein klein wenig weiterdenke, bemerke ich, dass es schon immer so war: Es gab gewissermaßen immer schon alles und nichts mehr zu sagen und jeder Mensch, der den Drang, sich zu äußern, verspürte, hat es schon immer unabhängig davon getan, was andere vor ihm oder zur gleichen Zeit sagten. Andernfalls käme das einer Unterdrückung unserer Individualität gleich, was wenig sinnhaft wäre, ist die Erfahrung von Individualität doch offenkundig integraler Bestandteil der menschlichen Erfahrung. So wird auch nie jedes Bild schon gemalt, jeder Tanz getanzt und jede Geschichte erzählt sein.

Worte wirken zwar schnell abgenutzt und hohl, gerade wenn der Absender sie wenig oder gar nicht fühlt, sondern nur denkt oder einfach nicht in Resonanz geht mit dem Leser, doch gleichzeitig können Worte so viel jenseits ihrer selbst erschaffen und transportieren. Sie sind gleichermaßen Vehikel hin zum Unsagbaren und komprimierende wie kodierende Speicher von Gefühlen und Bewusstsein, die uns ganze Welten eröffnen, wenn wir sie als Empfänger dekodieren können. Wenn das geschieht, sind Worte Zauber.

Allein für dieses reine und grundsätzlich jedem zugängliche Zauberpotenzial unserer Worte lohnt es sich, uns ihrer zu bedienen, wenn es uns dazu drängt; die eigene innere Verfasstheit samt unbewusstem Beweggrund zum Zeitpunkt ihrer Geburt entscheiden wohl nichtsdestotrotz weitgehend darüber, was und wen sie erreichen.

Angst — Flucht oder Kampf?

Die ewiggleichen Akteure und ihre Agenda bleiben sich selbstredend treu, spielen weiterhin mit der Angst und ordnen immer gebieterischer Hass und Spaltung an; der Gehorsam folgt auf dem Fuße, wie es aussieht. Da nun große Gefahr in Verzug scheint, wird in den meisten von uns reflexartig der Wunsch nach Flucht ausgelöst, weil wir uns dem Kampf nicht gewachsen oder uns von vorneherein unterlegen fühlen. Gibt es wirklich nur diese zwei Optionen, ist die Wahrheit so dichotom, frage ich mich?

Je größer die Gefahr, desto stiller muss ich zunächst werden, sagt etwas in mir. Ich will meine Ängste zähmen, bis sie sich auflösen.

So gut es geht, so weit ich es schaffe, solange ich den Raum dafür fühle. Denn keine noch so große Gefahr ändert etwas daran, dass meine geistig-emotionale Verfasstheit ausschlaggebend für meine Erfahrungen ist. Das ist mir fast ununterbrochen bewusst.

Von allen Seiten wird immer massiver gemahnt und gewarnt. Die Matrixherrscher bewerben ihre neueste Erzählung samt altem neuem Feindbild zum Sonderpreis, „die Kritiker“ tappen teils wider besseres Wissen in die Falle der Spaltung oder sind absorbiert vom aktuellen Narrativ und merken nicht, wie hier mit den gleichen Mechanismen gespielt wird und der Inhalt nicht wahrer oder gültiger ist als beim vorherigen. Andere wiederum raten dringender als zuvor dazu, sich zu rüsten und wappnen für dieses und jenes Szenario, nicht selten rufen sie auch dazu auf, das Land zu verlassen.

Einerseits verständlich, andererseits ist es für die meisten von uns so gut wie unmöglich, all diese Vorkehrungen — zumindest „aus dem Stegreif“ — aus einem anderen als aus dem Zustand der Angst heraus zu treffen. Sich angesichts offenkundig anbahnender Engpässe und Krisen vorzubereiten ohne Angst, ist ein Drahtseilakt, der — ohne Weiteres — wohl nur wenigen gelingen wird. Doch Angst ist immer ein schlechter Ratgeber, ausnahmslos. Die Angst ist eng, sie lässt keinen Raum für kreative Lösungen, für komplexes, freies Denken und versperrt uns den Weg zu unserer Intuition, unserer Quelle. Sie strahlt aus in unsere Zukunft, wie alles, was wir fühlen. Und auch sie sucht die Erfahrungen, die zu ihr passen.

Angstfreiheit

Ich bereite mich nicht vor, zumindest nicht auf „materieller Ebene“. Alle gängigen Szenarien, deren Eintreffen in naher Zukunft als sicher gelten oder bereits begonnen hat, sind mir bekannt. Ich schaue sie an und fühle seltsamerweise keine Angst; zumindest, so weit mein Bewusstsein reicht. Natürlich. Aus irgendeinem Grund sträubt sich alles in mir dagegen, mich auf diese Weise vorzubereiten. Wie ein sturer Esel will ich mich einfach nicht von meinem Verstand überzeugen lassen, dass eine gewisse Vorbereitung jetzt wirklich ratsam wäre. Außerdem wäre ich noch kaum in der Lage, mich aus einem Zustand der echten Nicht-Angst heraus vorzubereiten; und angstbasierte Handlungen versuche ich, mehr denn je zu unterlassen. Und ja, wer weiß, vielleicht werde ich das Nachsehen haben, aber etwas in mir glaubt das nicht.

Ich glaube auch nicht, dass gewisse Ängste oder Angstformen natürlich oder gar notwendig sind, wie es gemeinhin angenommen wird. Vielmehr glaube ich, dass völlige Angstfreiheit möglich und notwendig ist und das echte Leben erst dann beginnt.

Und in dieser Freiheit können wir uns immer und überall üben. Daher halte ich die beharrliche und konsequente „innere Angstbereinigung“ gerade in dieser Zeit für die wichtigste Handlung.

Jede Nische, in die eine Angst hineingekrochen ist, in der sie sich womöglich seit langer Zeit verfestigt hat, will ich aufspüren und mir bewusst machen. Und meinen langen, tiefen Atem hinschicken zur Zähmung, zur Weitung, zur Raumschaffung. Das Wort Atem hat seinen Ursprung im Indogermanischen, soweit ich herausfinden konnte. In Sanskrit bedeutet Atman oder Atma Seele, Selbst.

Unseren Atem gerade bei größter Gefahr und Angst bewusst einzusetzen in dem Gewahrsein, dass er wirkmächtig ist, ist nicht lächerlich, nur weil er sich lebenslang so selbstverständlich von alleine vollzieht und uns damit zu gewöhnlich und „impotent“ erscheint. Unser Atem ist in gewisser Weise unsere physische Verbindung zu unserem Ursprung und birgt daher ein unerschöpfliches Potenzial.

Sicher gibt es viele Wege für die Auflösung von Ängsten, doch die Bewusstwerdung ist immer der erste Schritt, dicht gefolgt von der dadurch ermöglichten Entkopplung, wenn auch zunächst minimal. Und sicher ist auch, dass es nicht immer auf Anhieb gelingen wird und wir gewisse Ängste immer und immer wieder zähmen müssen, ehe sie gehen können. Manche Ängste sitzen tiefer als andere oder beanspruchen mehr Raum. Doch wir sollten nicht die Geduld verlieren und glauben, dass wir uns irgendeiner Angst dauerhaft beugen und mit ihr leben müssen. Das sagt übrigens jemand mit einer beachtlichen Angsthistorie, der sich auf den Weg gemacht hat.

Filme

Je mehr sich die gesamte Lage zuspitzt, je dramatischer der aktuelle Weltfilm sich auf seinen Höhepunkt zubewegt, desto mehr offenbart sich darin auch seine Substanzlosigkeit, seine Phantomhaftigkeit. Die Erzählungen werden immer gröber und lächerlicher und verzahnen sich immer weniger mit dem rasant erwachenden Bewusstsein der Menschen. Der Film kann unserem wahren Wesen nichts anhaben, so wie auch der schlimmste Horrorfilm nicht das Kino tangieren kann, in dem er gezeigt wird. Sehr wohl aber üben Filme einen immensen Einfluss auf den Betrachter aus, auch wenn wir wissen, dass es nur ein Film ist; und da sind wir wieder bei der Macht der Bilder. Wir sollten daher gerade jetzt nicht vergessen, dass es vollkommen sinnfrei ist, die Kinoleinwand samt ihrer Projektionen zu bekämpfen. Der Schalter für den gezeigten Film liegt woanders.

Ich übe mich darin, den Weltfilm anzuschauen — in seiner gesamten Bandbreite an Grausamkeiten — und dabei eine „Echtzeit-Ausleitung“ vorzunehmen: hingucken, zur Kenntnis nehmen, unvermeidliche erste Reaktionen zulassen und wieder herauslassen, hinausatmen. Gelingt nicht immer, sicher auch nicht immer vollständig, aber ich merke, wie bereits der Versuch einen großen Unterschied für mich macht. Man kann sich natürlich auch immer mal wieder für Vermeidung entscheiden und sich dem Ganzen so wenig wie möglich aussetzen; auch das ist ein valider Weg, denke ich. Für mich kommt er wenn, dann nur vorübergehend in Frage.

Jetzt

Immer wieder verliere ich die Geduld, frage mich, wann es endlich vorbei ist, wann wir alle endlich zur Ruhe kommen können und der Frieden einkehrt. Doch immer wieder besinne ich mich dann darauf, dass das Jetzt das Einzige ist, was ich habe; die wiederholte Besinnung darauf ist gleichsam eine allmähliche Deinstallation eines alten Programms, das Angst überhaupt ermöglicht. In der vollständigen Präsenz des Jetzt kann keine Angst existieren, denn wenn man genau hinschaut, ist jede Angst stets auf eine Zukunft gerichtet, auch wenn diese nur Sekunden entfernt scheint und ihr „Objekt“ unabänderlich real wirkt. Das Jetzt kennt keine Sekunden, auch noch kleinere Einheiten nicht, in die wir unsere Erfahrung zu pressen gewohnt sind.

In jedem Jetzt kann ich den Gefühlsort dessen finden, was ich ersehne, unabhängig von den Umständen.

Jede unserer Handlungen entspringt der oftmals unerkannten Sehnsucht, zu einer bestimmten inneren Verfasstheit, einem bestimmten Lebensgefühl zu gelangen; sie sind es also im tiefsten Grunde, die wir anstreben, doch schon lange verwechseln wir Vehikel und Ziel.

Diese zwingend erscheinende Kausalität von Handlung und Lebensgefühl ist in der letzten Konsequenz eine Täuschung, so wie auch die subjektiv empfundene Entfernung von einer bestimmten Verfasstheit in Wirklichkeit nicht existiert; unser eigentliches Ziel ist im Grunde stets nur eine Idee, einen Gedanken, eine Vorstellung entfernt. Ein einfaches Beispiel dafür ist, wie bereits eine sich plötzlich ergebende, konkrete Aussicht auf eine gewünschte Veränderung — also ein rein ideeller Vorgang — uns und unsere Befindlichkeit umgehend verändert; wir sind dann schon in dem Gefühl, das wir mittels dieser Veränderung anstrebten, ohne dass die äußere Veränderung tatsächlich eingetreten ist. Wir können uns der Handlung als Vehikel bedienen, dafür sind wir Menschen, doch sollten wir unsere grundsätzliche Unabhängigkeit davon ebenfalls immer umfassender zu erkennen suchen.

Ganz gleich, ob wir es ängstlich oder freudig tun, auf eine Zukunft zu warten, die streng genommen niemals kommen kann, weil sie nicht existiert, beschneidet uns nur in unserem Schöpferpotenzial, das in jedem Jetzt verfügbar ist und von uns gelebt werden will.


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