Irrwege als Ausweg
Wie Pilze aus der Erde sprießen allerorts Populisten — ein neuer Typus von Politikern. Was sagt dieses Phänomen über die Mentalität der Populationen aus?
Mit der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA im Jahre 2017 hat ein neuer Typ von Politikern die Macht errungen, die sogenannten Populisten. Sie tauchen auf wie aus dem Nichts und erobern Mehrheiten aus dem Stand. Wieso werden sie trotz ihrer zum Teil wirren Botschaften gewählt und was sagt das aus über die westlichen Gesellschaften?
Donald Trump war der erste der sogenannten Populisten, der die festgetrampelten Ablagerungen altgedienter Politik aufgebrochen hatte. Mit Populisten bezeichneten die Meinungsmacher jene Neuankömmlinge, die nach ihrer Sicht dem Volk nach dem Munde reden. Aber haben die anderen es nicht genauso gemacht? Warum also die Aufregung? Andererseits waren diese Vorwürfe nicht ganz unberechtigt — jedoch in anderer Hinsicht.
Denn die Populisten redeten nur. Um es volkstümlich auszudrücken: Sie klopften große Sprüche. Waren sie aber an der Macht, machten sie auch nichts anders als ihre Vorgänger. Jedoch hatten sie beim Namen genannt, wo vielen Leuten der Schuh drückte. Darin unterschieden sie sich von der alten Garde des politischen Betriebs.
Diese sagte im Gegensatz zu den sogenannten Populisten nicht das, was das Volk hören wollte.
Die Altgedienten sagten das, was das Volk glauben und denken sollte. Sie trugen meistens ihre eigenen Ideen vor, von denen sie erwarteten, dass das Volk sich dafür interessieren müsste. Sie erklärten die gesellschaftlichen Vorgänge aus ihrer Sicht, um zu zeigen, dass ihre Politik alternativlos ist. Und aus diesen ihren Sichtweisen leiteten sie ihre Vorschläge für alles Weitere ab.
Wenn ihre Ideen aber nicht die Zustimmung der Wähler fanden, was sich in Stimmenverlusten offenbarte, dann lag es nicht an ihren Vorschlägen, folgerten sie. Denn diese konnten nicht anders als gut und richtig sein, so ihre Sichtweise. Fielen ihre Vorschläge beim Volk durch, dann lag es nur daran, dass sie „schlecht kommuniziert“ worden waren. Letztlich bedeutet das aber, dass der Wähler zu blöde ist, die Qualität der Vorschläge zu erkennen.
Anders als die sogenannten Populisten schaute herkömmliche Politik gerade nicht dem Volk aufs Maul, wie es Luther einmal gefordert hatte. Eher war es so, dass man dem Volk über den Mund fuhr.
Immer öfter waren die Menschen es leid, von den Meinungsmachern und Politprofis gemaßregelt zu werden. Aber sie protestierten nicht, sie wandten sich einfach ab.
Diese Art von politischer Bevormundung führte bei vielen Menschen zu einem wachsenden Desinteresse an gesellschaftlicher Auseinandersetzung. Als Folge ging die Beteiligung an Wahlen zurück. Zumal die Parteien sich kaum noch in ihren Aussagen unterschieden und ihr Personal nicht in seinem Auftreten.
Gemeinsamkeiten
Vieles haben die sogenannten Populisten untereinander gemeinsam. Wie die Volkstribunen der Antike kommen sie selbst aus jenem gesellschaftlichen Milieu, oftmals wie Donald Trump sogar aus der Oberschicht, die sie zu bekämpfen vorgeben. Sie erweckten den Eindruck, als wollten sie die unteren Klassen zum Kampf gegen die Herrschaft ihrer eigenen Klasse anführen.
So hatte Trump gegen das verkommene Establishment der USA gewettert und Georgina Meloni, die Präsidentin Italiens, warf der herrschenden Politik vor, dass „Klientelismus und Parteibuch in Italien über Karrieren“ (1) entschieden. Javier Milei, der vor wenigen Tagen neu gewählte Präsident Argentiniens, wettert auf die von ihm als Kaste bezeichnete Führungsschicht des Landes. Nun wurde auch in den Niederlanden mit Geert Wilders ein sogenannter Populist mit seiner Partei für Freiheit (PVV) zur stärksten politischen Kraft gewählt.
Wenn sich auch alle in gewissen Feinheiten und Abstufungen unterscheiden, so eint sie doch untereinander und mit so vielen anderen Populisten, die noch nicht Regierungsmacht errungen haben wie Marine LePen mit ihrem Front National, die Betonung der nationalen Souveränität. Im Bereich der Wirtschaft treten sie auf als nationale Reaktion auf die Globalisierung der vergangenen Jahrzehnte und die Konzentration der Macht in nicht legitimierten Institutionen wie der Kommission der Europäischen Union.
Politisch verstehen sie sich besonders in den europäischen Staaten als Schirmherrn und Beschützer nationaler und kultureller Identität. Sie wenden sich gegen Migration und Einwanderung, hier vor allem gegen den Einfluss islamisch geprägter Kulturen. In den USA sieht man sich eher einer Einwanderungswelle aus den Staaten Südamerikas ausgesetzt. Deren Kultur ist christlich geprägt wie die der USA selbst, weshalb der Kampf gegen den Islam von geringerer gesellschaftlicher Bedeutung ist als in Europa, eher ein Nebenschauplatz gesellschaftlicher Auseinandersetzungen.
Wer hat Angst vorm starken Mann?
War bis vor wenigen Jahren noch die größte Angst der politischen Beobachter, dass der Zerfall der westlichen Gesellschaften den Ruf nach dem starken Mann wieder lauter werden lassen könnte, so zeigen die Wahlergebnisse der vergangenen Jahre etwas anderes. Zwar war mit Trump jemand auf den Plan getreten, der aufgrund seiner großkotzigen Auftritte noch am ehesten diese Befürchtung hätte bestätigen können. Aber an der Macht hat er sich als Maulheld herausgestellt. Selbst dem kleinen Raketenmann, wie er den nordkoreanischen Präsidenten Kim Yong Un herablassend bezeichnet hatte, hatte er wenig entgegenzusetzen.
Die gesellschaftlichen Entwicklungen hin zum Zerfall der westlichen Demokratien bringen nicht den starken Mann hervor, sondern den wirren Mann, den großsprecherischen Volkstribun, den Maulhelden, den Kraftmeier, den wild zuckenden Pop-Politiker, der glaubt, die Probleme der Gesellschaft mit der Kettensäge lösen zu können.
Diese Verwirrung ist keine Eigenschaft des alten weißen Mannes allein, wie die deutsche Außenministerin mit ihren Drohungen gegen Russland, China und andere Unbotmäßige behauptet. Auch die deutsche Innenministerin offenbarte mit ihrem lächerlichen Auftritt bei der WM in Katar ein Höchstmaß an ideologischer Verblendung.
Verwirrung ist nicht geschlechtsspezifisch. Sie ist eine Erscheinung, die die Auseinandersetzungen in den Gesellschaften des politischen Westens hervorbringen. Verwirrung ist Ergebnis von Realitätsverweigerung. In der westlichen Werteorientierung spielt die Realität keine Rolle mehr, hier gelten nur noch der Geist und die Ideen, die er gebiert.
Denn es sind nicht nur die Populisten, die sich in wilden und wirren Ansichten über die Probleme der Welt ergehen und vorgeben, dafür ganz einfache und nachhaltige Lösungen zu haben. Noch stärker vertreten scheint dieses Denken bei jenen, die die Macht in den Händen halten und glauben, dass die Welt sich ihrem Willen, ihren Theorien und ihren Idealen zu beugen und zu unterwerfen habe.
Die Regierenden hätten die Möglichkeit zu realistischer Einschätzung der herrschenden Verhältnisse in der Welt, denn ihnen stehen die Erkenntnisse ihrer Geheimdienste und wissenschaftlichen Zuarbeiter zur Verfügung. Sie stehen in Kontakt mit den Gremien der Wirtschaft, mit den Medien und den Verbänden der Zivilgesellschaft, die ihnen über die Stimmungen im Lande die Augen öffnen könnten. Sie haben die diplomatischen Kontakte, um die Erwartungen, Einschätzungen und Forderungen anderer Nationen zu erfahren. Und vor allem sehen sie die Zahlen, die die Ergebnisse ihrer Politik widerspiegeln.
Aber auf all das scheinen die Regierungen des Wertewestens zu pfeifen. So wollen ihre Sichtweisen nicht der Wirklichkeit anpassen. Für sie scheinen nur die eigenen Ansichten zu gelten, das bockige und uneinsichtige Festhalten am eigenen Willen, den eigenen Vorstellungen von der Wirklichkeit und den einmal aufgestellten Theorien wie der Forderung, dass die Ukraine den Krieg gewinnen muss und dass Wladimir Putin dieses oder jenes einsehen muss.
Wenn also die Meinungsmacher und Regierenden diese Möglichkeiten zu sachgerechter Erkenntnis nicht nutzen oder deren Ergebnisse nicht wahrhaben wollen, wie viel Vernunft kann man da von den sogenannten Populisten erwarten, die über all diese Zugänge nicht oder nur begrenzt verfügen?
Die Folge einer solchen Politik sind die Erfolge der Populisten, der wirren Männer. Aber diese kommen seltsamerweise noch eher zur Vernunft als die uneinsichtigen. Offensichtlich sind es die uneinsichtigen, die rechthaberischen und ideologisch verblendeten, also die schwachen, nicht die starken Männer, die die Welt gefährden.
Seifenblasen gegen Hoffnungslosigkeit
Die großen Versprechungen der Populisten platzen schnell. Das ist gut, zeugt es doch von Realitätssinn. Was hatte nicht Donald Trump vor der Wahl den Amerikanern alles versprochen? Er wollte eine Mauer zu Mexiko bauen, um die Migration einzudämmen. Damit nicht genug. Er versprach den Amerikanern sogar, dass die Mexikaner sie selbst bezahlen werden.
Ob diese Mauer, so wie Trump sie vorgestellt hatte, inzwischen fertig ist? Klar ist aber: Die Mexikaner haben sie nicht bezahlt, sondern die Amerikaner mit wachsenden Schulden. Die meisten von Trumps Verheißungen und Drohungen sind nicht eingetreten. Sie sind zerplatzt an der Wirklichkeit. Und wo er sie umsetzen konnte, geschah das oft zum Schaden der Amerikaner wie die Zölle auf chinesische Waren, die die Preise in den USA steigen ließen.
Nun kommt der Heilsverkünder Javier Milei mit seiner Kettensäge und will die Gesellschaft damit zurecht stutzen. Die Hilfsprogramme für die Armen sollen weg, ebenso die Subventionen für Treibstoff, der doch die Wirtschaft noch am Laufen hält. Auch die Notenbank soll abgesägt werden und statt Pesos im Wirtschaftskreislauf der US-Dollar zum Einsatz kommen. Der ist aber knapp in Argentinien, weshalb ja auch die Inflation so hoch ist.
All das könnte man als Ausscheidungen eines wirren Hirns ansehen, wäre Milei nicht Ökonom, was nicht gerade ein schmeichelhaftes Licht auf diese Zunft wirft. Denn als solcher müsste er wissen, dass für Argentiniens Wirtschaft nicht sein Wille wichtig ist, sondern die Tatsache, ob Investoren und Märkte, von denen Argentinien so abhängig ist wie kaum ein anderes Land, Vertrauen in seine Pläne haben angesichts solch wirrer Äußerungen.
Geert Wilders hat die Wahlen in den Niederlanden gewonnen. Diesen Erfolg verdankte er unter anderem seinen Drohungen gegenüber den islamischen Gläubigen im Land. Er hatte in Aussicht gestellt, Moscheen und den Islam zu verbieten, als wären die Probleme moderner Gesellschaften mit solchen einfachen und brachialen Mitteln zu lösen. Vielleicht glaubt er es sogar selbst, viele seiner Wähler jedenfalls waren davon begeistert.
Kaum ist aber der Argentinier Milei gewählt, rudert dieser schon zurück. Viele seiner angekündigten wirtschaftlichen Maßnahmen sind fürs erste auf Eis gelegt.
Bezüglich der Ablösung des Pesos durch den Dollar scheint sich nun doch die Frage zu stellen, „ob die Marktsituation eine solche Lösung zulässt“ (2). Und nun ist auch entgegen seiner reißerischen Ankündigungen die Schließung der Zentralbank ein „nicht verhandelbares Thema“ (3). Hätte man von einem Ökonomen nicht auch bereits vor der Wahl so viel Sachkenntnis erwarten können?
Auch Wilders, obwohl noch nicht im Regierungsamt, schwächt nun schon seine reißerischen Ankündigungen ab. Die Maßnahmen gegen die islamischen Gemeinden seines Landes hat er erst einmal zurückgestellt. Lobenswerterweise stellt er die sozialen Probleme der Menschen in den Niederlanden jetzt in den Vordergrund: die Wohnungsnot, Probleme im Gesundheitswesen und der Altenpflege, besonders aber die Preissteigerungen durch die Inflation. All das waren aber schon Probleme vor den Wahlen und wären durch das Verbot von Moscheen und Islam nicht aus der Welt geschafft worden. Man hätte erwarten können, dass er das als altgedienter Politiker weiß.
Es stellt sich die Frage, ob Milei und Wilders und all die anderen Populisten wie Trump, Meloni und LePen es nicht besser wissen, dass besonders ihre Hetze gegen andere Volksgruppen die Probleme nicht lösen. Oder haben sie die Wähler bewusst getäuscht? Den Wählern aber scheinen angesichts der Unordnung und der Orientierungslosigkeit ihrer Regierungen wirre und schillernde Heilsverkünder immer noch lieber zu sein, wenn sie nur ein wenig Hoffnung versprühen. Denn gerade davon scheint es überall zu fehlen in den Gesellschaften des politischen Westens.