Innehalten am Abgrund
Aufklärung ist nur dann erfolgreich, wenn sie das Bewusstsein des Menschen verändern kann.
In einer Zeit, in der durch den Einsatz von Atombomben die Vernichtung der Menschheit droht, sind wir mehr denn je auf unabhängige und mutige Intellektuelle angewiesen, die die Menschen aufklären, sie lehren, was Wahrheit und was Lüge ist. Diese Aufklärung kann jedoch nur dann erfolgreich sein oder wirksam werden, wenn sie das Bewusstsein, das heißt die Einstellungen des Menschen erreicht und seine Gefühle anspricht. Ansonsten bleibt sie als reine Information nur an der Oberfläche. Einige wenige Beispiele sollen das verdeutlichen.
Ein Problem ist, dass den Menschen ihre individuellen und die kollektiven Vorurteile nicht bewusst sind; sie können deshalb auch nicht zur Verantwortung gezogen werden. Um diese Vorurteile aufgeben zu können, müssen sie durch eine Psychotherapie bewusst gemacht werden. Das ist jederzeit möglich.
Reinigung von individuellen und kollektiven Vorurteilen
Als Psychologe bin ich der Auffassung meines Lehrers Friedrich Liebling, der sich bereits vor einem halben Jahrhundert zum Problem der Aufklärung äußerte:
„Die Politik wird in den Köpfen und Herzen der Menschen vorbereitet; die Menschen handeln morgen so, wie sie heute denken, darum ist die Aufklärung ein Anliegen, dessen Wichtigkeit nicht überschätzt werden kann.
Der Sinn der aufklärerischen Bemühungen ist die Reinigung des menschlichen Bewusstseins von individuellen und kollektiven Vorurteilen. Die Zukunft unserer Kultur wird wesentlich davon abhängen, ob es genügend ‚Aufklärer‘ geben wird, die imstande sein werden, den bereiten Volksmassen jene Vorurteile zu nehmen, die der ideologische Hintergrund der Menschheitskatastrophen sind“ (1).
Individuelle Vorurteile
Ein vielfach anzutreffendes Vorurteil ist zum Beispiel, dass mit den Menschen „nicht gut Kirschen essen“ sei, dass der Mensch nicht gut oder sozial sei und man deshalb Angst vor seinen Mitmenschen haben müsse. Doch diese Einstellung hat, wie viele andere Vorurteile auch, ihren Ursprung in der Kindheit. So kann eine gewalttätige Erziehung der Eltern und Lehrer dazu führen, dass sich beim Kind diese negative Auffassung vom Mitmenschen langsam entwickelt. Sie wird in der Regel bis ins Erwachsenenalter „mitgeschleppt“, und der Mensch handelt dann danach.
In Tat und Wahrheit — das zeigen die Forschungsergebnisse der Psychologie — ist der Mensch von Natur aus ein soziales, friedfertiges und vernunftbegabtes Lebewesen, das sich gerne mit den Mitmenschen zusammenschließt. Seine Begabung ist nicht angeboren, sondern wird in der Kindheit erworben und kann deshalb zu jeder Zeit gefördert werden.
Kollektive Vorurteile
Oft sind individuelle Vorurteile auch kollektive Vorurteile. Kollektive Vorurteile, die in einer Gesellschaft mehrheitlich anzutreffen sind und zu den Menschheitskatastrophen führen, sind aus der Zeit der Kolonialisierung, aus den beiden Weltkriegen und ebenso aus den gegenwärtigen Kriegen in der Ukraine und dem Mittleren Osten hinlänglich bekannt und müssen deshalb im Einzelnen nicht aufgezählt werden. Sie werden von der politischen „Elite“ stets als „bewährtes“ Mittel angesehen und benutzt, um Kriege gegen ein anderes Volk anzuzetteln.
Bewusstmachung durch Psychotherapie
Wie bereits erwähnt, ist es ein Problem, dass den Menschen die Vorurteile nicht bewusst sind und sie deshalb für deren verheerende Konsequenzen nicht verantwortlich gemacht werden können. Eine Ausnahme bilden Handlungen von skrupellosen mächtigen „Weltenlenkern“, denen die Vorurteile sehr wohl bewusst sind und die sie gegenüber dem Volk „gewinnbringend“ einsetzen.
Damit eine aufklärende Information nicht an der Oberfläche des menschlichen Bewusstseins ein Schattendasein fristet, ist es notwendig, dass sowohl die individuellen als auch die kollektiven Vorurteile in einer Psychotherapie bewusst gemacht werden.
Erst wenn das seelische Empfinden, das Gefühlsleben des Menschen angesprochen werden kann, wird er seine Vorurteile, die ihm im Vertrauensverhältnis zum Psychotherapeuten zu Bewusstsein gebracht wurden, infrage stellen und aufgeben können. Dadurch wird er seiner Natur entsprechend beginnen, menschlich zu fühlen, zu denken — und zu handeln (2).