Im Kontext NSU…

Wolf Wetzel im Gespräch mit beate maria wörz über ihre Plakataktion zum NSU-Komplex.

Die Künstlerin beate maria wörz hat eine Plakataktion zum NSU-VS-Komplex gemacht und dazu zahlreiche Stimmen eingefangen, die verschiedene Aspekte beleuchtet.

Frau Wörz, Sie haben als Künstlerin das Format der Werbeflächen entdeckt und genutzt. Können Sie mir etwas zu Ihrem ersten Projekt „bedacht hausen“ erzählen.

Das Konzept für ‚bedacht hausen‘ hatte ich 1999/2000 entwickelt. Seit Sommer 1999 hatte mich die enorme Diskrepanz der eigenen Erfahrung des ‚mich beheimatet‘ Fühlens an einem bis dato mir unbekannten Ort sehr beschäftigt, während eines Symposiums in Österreich und den laufenden Berichten im Radio über die damaligen Fluchtbewegungen im Kosovo. Ich suchte nach einer adäquaten Form für die Umsetzung dieses Themas und kam, zurück in Berlin, auf Idee der Werbegroßflächen.
Dank einer Förderung durch die damals noch existierende Stiftung Kulturfonds konnte ich das Konzept Anfang 2001 realisieren, es gab damals im Zeitraum von ungefähr sechs Wochen 120 Großflächenplakate im öffentlichen Raum zu sehen und 24.000 in ganz Berlin verteilte Postkarten dazu.
Formal war es das künstlerisch strengere Konzept, sehr reduziert, vier Worte, je einzeln auf einem Plakat schwarz auf weiß gedruckt: ‚bedacht’ ‚unbedacht’ ‚unbehaust’ und ‚hausen’, Letzteres auf seinen Ursprung hausen = einen Ort haben zum Wohnen, zurückgeführt.
Das Konzept setzte ähnlich wie jetzt auf Wahrnehmung durch Wiederholung, einen unbeschränkten Zugang, die Plakate überraschten durch den Moment des scheinbaren ‚Nichts’ zwischen lauter und bunter Werbung und öffneten einen mentalen Raum für die Auseinandersetzung mit den jeweiligen Bedeutungsebenen.

Ich bin jetzt nicht zu gewagt, wenn ich vermute, dass Sie Kunst nicht in private, also relativ geschlossene Räume verbannen, sondern in den öffentlichen Raum stellen wollen, quer zu gewohnten Konsumwerbung?

Ich habe immer wieder nach Formen gesucht, Themen, die mich beschäftigen, häufig gesellschaftliche oder auch politische, soweit sich das überhaupt trennen läßt, in den öffentlichen Raum zu bringen und habe das mit unterschiedlichen Mitteln getan; letztlich ging es mir immer wieder darum, zu irritieren, die jeweils eigene Wahrnehmung und für die Betrachtenden scheinbar Selbstverständliches in Frage zu stellen, ein Nachdenken darüber anzuregen.

Diese erste Erfahrung brachte Sie dazu, dieses Großformat auch auf das Thema „NSU-Komplex“ anzuwenden. Sie hatten über ein halbes Jahr den in Berlin tagenden parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur politischen Aufklärung der NSU-Terrorserie besucht. Was haben Sie von dort mitgenommen?

Zuerst einmal ein Erschrecken, eine Fassungslosigkeit über das, was sich an Abgründen auftat zwischen allen diesem ‚Nicht-Erinnern‘, den sogenannten ‚Pannen’, der offensichtlichen Gleichgültigkeit politischer Vertreter und auch von uns als Gesellschaft überhaupt gegenüber bestimmten in diesem Land lebenden Bevölkerungsgruppen und dem, was ihnen an Terror und Leid widerfahren war; es war ein ‚Nicht-fassen-können‘, dass all diese Dinge tatsächlich passieren konnten. Anfänglich auch ein positives Erstaunen darüber, dass bis zu einem gewissen Punkt tatsächlich alle Mitglieder des Ausschusses parteiübergreifend ernsthaft an der Aufklärung zu arbeiten schienen, gegen offensichtliche Widerstände seitens der jeweiligen Verfassungsschutz- und anderer Behörden. Irgendwann, gegen Ende dieses ersten PUA zum NSU kippte etwas, Fragen gingen nicht mehr tief genug und wir alle fragten uns, was da gerade passiert.

Ich weiß nicht, ob wir denselben „Bruch“ meinen. Gegen Ende des ersten PUA in Berlin wurde der Mordanschlag auf Polizisten in Heilbronn 2007 thematisiert. Gegen das kompakte Credo der Polizei- und Geheimdienstbehörden, man habe nichts gewußt und der Rest sei Pannen geschuldet, meldete sich eine ehemalige V-Frau mit Deckname „Krokus“. Der damalige Auschussvorsitzende Sebastian Edathy forderte im April 2013 vom Verfassungsschutz in Baden-Württemberg die entsprechenden Akten an. Dieser verweigerte die Herausgabe und drohte gleichzeitig der ehemaligen V-Frau mit einem Verfahren wegen Geheimnisverrates. Edathy setzte ein Ultimatum, blieb hartnäckig, was nicht ohne Folgen blieb: Ein nun öffentlich gemachtes Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Kinderpornografie zielte leicht erkennbar auf die „Glaubwürdigkeit“ Edathys als Ausschussvorsitzender. Mit Erfolg. Am 18. Dezember 2014 erklärte Edathy: „Den Politiker Sebastian Edathy gibt es nicht mehr."

Ich kann die Details nach so langer Zeit nicht mehr nennen, aber es war sicher um diesen Zeitpunkt herum. Der Ausschuss endete ja im Juni 2013, meine ich, und dass plötzlich gegen Sebastian Edathy gezogen wurde, der bis dahin den Ausschuss gut geleitet hatte, läßt sich kaum glaubhaft als rein zufällige zeitliche Übereinstimmung vermitteln. Die Methode, häßliche ‚Trümpfe‘ aus dem Ärmel zu spielen, wenn jemand sich unliebsam macht wie damals mit der klaren Forderung, ist ja nichts Neues bei politischen Machtverhältnissen. Uns, die wir als Beobachterinnen oben auf der Besucherempore saßen, fiel eben auf, dass der bis dato deutliche Ermittlungs- bzw. Aufklärungswille über die Parteigrenzen hinweg plötzlich zu lahmen begonnen hatte wie ein Pferd, dem die Fesseln zu stark eingebunden wurden.

Quellenschutz

Lassen wir das Haifischbecken mal so stehen. Wie kamen Sie auf die Idee mit den Zitaten? Und wie leicht bzw. schwer war es, Menschen eine Meinung abzuringen, die dann unübersehbar auf Plakaten prangert?

Es taten sich einfach so viele neue Fragen auf, wenn man da saß und zuhörte und zusah, da lag es nahe.
Teilweise war es überhaupt nicht schwer, manche der Fragen /Sätze wurden sehr schnell von ihren jeweiligen Verfasserinnen formuliert, waren im Grunde längst fertig. Andere brauchten sehr lange, bis sie ihre Wortgestalt fanden, wieder andere Fragen sind nie bei mir angekommen; den Zugang zu den Betroffenen der Morde und Anschläge habe ich letztlich bis auf ein zwei Ausnahmen nicht hinbekommen, wollte ich sie doch auch nicht bedrängen
in ihrem jahrelangen Leid und ihren Traumata.

*Meinungs- und Pressefreiheit zu haben ist das eine. Wenn sie jedoch der üblichen „Erzählung“ widerspricht, verflüchtigt sich schnell das Geld. Wie kamen Sie an genau dieses? *

Dieser Prozess war lang und mühsam: endlose Anfragen und Anträge, viel Anerkennung für das künstlerische Konzept und die Betonung seiner Wichtigkeit, jedoch fast genauso viele lobende Absagen haben mich am Ende nur einen Bruchteil der für das eigentliche Konzept (3.400 Plakate, 1 Jahr lang in 20 Städten mit 10-tägig wechselnden Fragemotiven) benötigten Gelder zusammenbringen lassen, so dass es jetzt nur eine sehr abgespeckte Kurzversion zu sehen gab und gibt. Ohne die nachhaltige Unterstützung seitens der Rosa-Luxemburg-Stiftung, dem Türkischen Bund in Berlin und Brandenburg (TBB) und privater Unterstützerinnen hätte ich vermutlich das Projekt irgendwann als in der Umsetzung gescheitert zur Seite gepackt.

Nun kenne ich das aus eigener Erfahrung. Zweifel darf man ja an der juristischen und politischen Aufarbeitung des „NSU-Skandals“ haben, aber keinesfalls eine andere „Erzählung“. War es schwierig, politische Unterstützung zu bekommen?

Letztlich ist mir das nur in wenigen Fällen gelungen. Entweder wurde auf eigene Projekte im Zusammenhang mit NSU und Rechtsextremismus und oder mangelnde Gelder verwiesen oder aber das Format und die formal strenge Aufmachung, das hochpolitische Thema passte für viele nicht - es war entweder zu politisch und zu kritisch (‚staatsangreifend') oder nicht genug ‚Kunst‘.

Sie hatten sicherlich vor, zum NSU-Tribunal in Köln mit Plakaten in der Stadt präsent zu sein. Hat das geklappt?

Das hat am Ende leider überhaupt nicht geklappt, im Zeitraum des Tribunals gab es trotz Unterstützung von unerwarteter Seite keine verfügbaren Flächen mehr in Köln, so dass letztlich in dem Zeitraum kein einziges Plakat in Köln hing, nicht mal am Ort des Tribunals, dem Schauspiel selber. Das fand ich sehr bedauerlich, kommen mit den gesammelten Fragen doch viele unterschiedliche Stimmen aus Politik und Gesellschaft zu Wort, bildet das Ganze eine Art kritische Gesamtfrageskulptur.

Wo kann man in nächster Zeit Ihre Plakate sehen?

Seit ca. 6. Juni gibt es in Berlin, München, Nürnberg, Köln und Kassel nochmals Plakate mit neuen Fragen zu sehen, die Mittel sind jedoch fast aufgebraucht. Außerdem läuft bis zum 17. Juni noch meine Ausstellung ‚Im Kontext NSU-welche Frage stellen Sie?’ in der ver.di Bundesverwaltung in Berlin mit vier verschiedenen Großflächenplakaten und weiteren Arbeiten zum Thema.
Um den Jahrestag der Ermordung von Süleyman Taşköprü soll es in Hamburg nochmals Plakate geben. Danach hängt es davon ab, ob die derzeit unterstützend von dritter Seite laufenden Spendensammlungen genügend Gelder zusammenbringen, so dass beispielsweise zum Ende des Gerichtsprozesses in München nochmals eine Kampagnenrunde laufen könnte - gedruckte Plakate sind noch genügend vorhanden, was fehlt, sind die Mittel für die Hängung.
Es gibt ein Spendenkonto, Spenden für das Projekt sind steuerlich absetzbar.

Vielen Dank für das Gespräch und die Bereitstellung einiger der Plakatmotive und mehr als gerne möchten wir unsere Leserinnen und Leser dazu aufzurufen, für dieses Projekt zu spenden.


Redaktionelle Anmerkung:

Das Bild von einem dieser Plakate wurde verstellt. Trotzdem haben wir genau dieses ausgewählt, denn es zeigt auf seine Weise, wie oft das Thema verstellt wird. Damit der Text auf jeden Fall nicht verloren geht:

„Warum schweigen abermals so viele, wenn es darum geht, politische und juristische Konsequenzen daraus zu ziehen, dass ohne staatliches Zutun der NSU nicht entstanden wäre, dass mit staatlicher Unterstützung zehn Jahre lang falsche Fährten gelegt worden sind? Wolf Wetzel, Journalist, Autor“

Wer die Fortsetzung dieser Plakataktion unterstützen möchte:

Spendenkonto-Nr. 1128062602
Kontoinhaber: Chorôso Kunstförderverein e.V.
Verwendungszweck: 'Plakatprojekt im Kontext NSU'
GLS Gemeinschaftsbank BLZ 430 609 67
IBAN DE92430609671128062602
BIC GENODEM1GLS


Vita:

beate maria wörz, Konzeptkünstlerin und Zeichnerin

im Süden Deutschlands geboren und aufgewachsen
1984 nach mehrmonatigem Aufenthalt in Basel Umzug nach Berlin
1991-97 Studium der Bildhauerei an der HdK Berlin und HfBK Saarbrücken (SS 1995)

1997 Meisterschülerin der HdK Berlin (heutige UdK)
Seitdem zahlreiche Ausstellungen, Förderungen, Projekte, Symposien und Arbeitsaufenthalte in Deutschland, Belgien, Polen, Österreich, Südafrika, Italien, Spanien, Schweden und der Schweiz. Seit 2000/2001 Konzepte/Arbeiten im öffentlichen Raum
Lebt und arbeitet überwiegend in Berlin

www.beatemariawoerz.de