Ich gehöre dazu, also bin ich
Der Psychologe Dr. Bernhard Sollberger hat erforscht, weshalb im Zuge der Coronakrise manche der offiziellen Erzählweise gefolgt sind — und andere nicht.
Die gesellschaftliche Spaltung, die wir seit Beginn der Coronakrise im Frühjahr 2020 erlebt haben und die mit der weltweiten Impfkampagne ihren denkwürdigen Höhepunkt erreichte, ist historisch beispiellos. Zwar gab es in der Bevölkerung wegen unterschiedlicher Meinungen zu gesellschaftsrelevanten Themen immer mal wieder Zerwürfnisse, aber noch nie zuvor in der Menschheitsgeschichte erstreckte sich ein solcher Prozess zeitgleich über den gesamten Globus. Von großer Bedeutung war dabei natürlich die mittlerweile unmöglich zu überschauende Menge an etablierten und alternativen Medienkanälen, mittels derer wahre oder unwahre Informationen innerhalb kürzester Zeit weltweit verfügbar gemacht werden konnten. Warum sich aber innerhalb von Familien, Freundeskreisen oder am Arbeitsplatz die einen auf die Seite der Befürworter der Coronapolitik der Regierung schlugen und die anderen auf die Seite der Kritiker, ist eine andere Frage.
Ausgangspunkt der eigenen Untersuchungen war die Feststellung, dass die Coronakrise nicht selten zu einer auffallenden Verengung des Denkens führte, wobei der vom Virus ausgehenden Gefahr sowie den hinlänglich bekannten Strategien zu dessen Bekämpfung die volle Aufmerksamkeit zuteilwurde. Beispielsweise die durch die Maßnahmen verursachten Kollateralschäden oder das mittlerweile umfangreich dokumentierte Gefahrenpotenzial der Corona-Impfungen schienen hingegen in den Köpfen vieler inexistent. Betont wurde von vehementen Befürwortern der Coronapolitik der Regierung zudem die Wichtigkeit von Solidarität, und kritischen Stimmen wurde oft mit bemerkenswerter Intoleranz begegnet. Diese Eigenschaften stellen gemäß dem Psychologen Mattias Desmet die typischen Merkmale einer sogenannten Massenbildung dar, einer extremen Form des Kollektivismus und Gruppendenkens angesichts einer wahrgenommenen Bedrohung, und von Strategien zu deren Bewältigung, wie sie eben auch im Zuge der Coronakrise zu beobachten waren.
Gemäß Desmet müssen vier logisch miteinander verknüpfte Voraussetzungen gegeben sein, damit es in einer Gesellschaft zu Massenbildung kommen kann:
Diese Emotionen können im Gegensatz beispielsweise zu Angst vor einem Arztbesuch oder Wut auf den Chef keinem konkreten auslösenden Umstand zugeschrieben werden, weshalb sie als äußerst unangenehm empfunden werden. Sind diese Voraussetzungen gegeben und wird über die Massenmedien ein Narrativ verbreitet, welches einen Auslöser der Angst — im vorliegenden Fall das Coronavirus — sowie Mittel zu dessen Bekämpfung benennt, wird gemäß Desmets Theorie die freischwebende Angst an den Auslöser gekoppelt. Damit kann sie besser kontrolliert und ebenso können die freischwebende Aggression und Frustration an denjenigen ausagiert werden, die der offiziellen Erzählung nicht folgen.
Noch wichtiger ist aber, dass dadurch, dass viele dem Narrativ gleichzeitig folgen, für das psychische Wohlergehen so bedeutsame Gefühle des Verbundenseins — mit dem kollektiven Ideal der Bekämpfung des Angstobjektes — und der Sinnerkennung erlangt werden, deren Nichtvorhandensein die Massenbildung ja eben gerade verursacht hat.
Dieser Mechanismus verweist auf den ausgesprochen wichtigen identitäts- und sinnstiftenden Charakter des Prozesses der Massenbildung, welcher zu erklären vermag, weshalb manche auch in Anbetracht der immer augenscheinlicher werdenden Unzulänglichkeiten der Coronapolitik der letzten Jahre ignorant, abwertend oder gar aggressiv auf weiterhin kritische Stimmen reagieren.
In den eigenen, in der Schweizer Allgemeinbevölkerung durchgeführten Studien wurde die Massenbildung mithilfe der Zustimmung oder Ablehnung von Aussagen erhoben wie zum Beispiel „Der Schaden, der durch die weltweit ergriffenen Massnahmen, etwa Lockdowns, gegen die Ausbreitung von Corona entstanden ist, kann vernachlässigt werden” oder „Aus Solidarität sollten sich zumindest alle Erwachsenen in der Schweiz gegen Corona impfen lassen”. Untersucht wurde, ob Faktoren identifiziert werden können, welche die Massenbildung verhindern, wobei basierend auf Desmets Theorie davon ausgegangen wurde, dass dies dann der Fall ist, wenn durch diese Faktoren Gefühle des Verbundenseins und der Sinnerkennung gefördert oder die Koppelung von freischwebender Angst an das Coronavirus verhindert wird.
Die Ergebnisse legen nahe, dass zwei Kategorien von Variablen der Massenbildung entgegenwirken: weltanschauliche Überzeugungen und Persönlichkeitsmerkmale.
Was erstgenannte Kategorie betrifft, so stand der Grad der Massenbildung im Zusammenhang mit der Befürwortung der Idee des Transhumanismus, wonach die Grenzen menschlicher Fähigkeiten durch den Einsatz technologischer Verfahren erweitert werden sollen, sowie des reduktiven Materialismus, demgemäß es ohne Materie keine geistigen Zustände geben kann.
Im Umkehrschluss deutet dies darauf hin, dass Massenbildung durch ein Menschen- und Weltbild entgegengewirkt wird, welches geistigen Prozessen im Vergleich zu einer materialistischen Anschauung einen wichtigen Stellenwert einräumt, wodurch Strategien wie beispielsweise Lockdowns oder wiederholtes Testen und Impfen als einzig probate Mittel zur Bekämpfung des Coronavirus als sehr fragwürdig erscheinen. Noch wichtiger gemäß Desmet: Durch die Ablehnung der Ideologie des reduktiven Materialismus werden Gefühle des Verbundenseins und der Sinnerkennung gefördert, was Massenbildung entgegenwirkt.
Wer so tickt, kann sich mit dem Gedanken des Physikers und Nobelpreisträgers Max Planck anfreunden, dass alle Materie nur durch eine geistige Kraft entsteht und besteht und dass hinter dieser Kraft ein bewusster intelligenter Geist anzunehmen ist. Demgegenüber sind für einen überzeugten Befürworter des reduktiven Materialismus beispielsweise auch Gefühle der Zuneigung oder gar tiefen Liebe schlussendlich nichts weiter als das bloße Resultat bestimmter Aktivierungsmuster im Gehirn. Und so etwas wie ein barmherziger Gott oder eine nicht an einen Körper gebundene Seele, die den Tod überlebt, kann gemäß der Doktrin dieser Ideologie unmöglich existieren, was Gefühle des Verbundenseins durchaus mindern und folglich für Massenbildung anfällig machen könnte.
In Bezug auf Persönlichkeitsmerkmale zeigte sich, dass das Denken und Verhalten von Individuen, welche der Massenbildung nicht anheimfielen, grundsätzlich eher durch eigene Werte und Überzeugungen gesteuert wird und nicht durch von außen auferlegte Normen und Erwartungen. Solche gelebte Autonomie, so hat frühere Forschung gezeigt, steht mit dem Erleben von tieferer Verbundenheit mit anderen Menschen und mehr Sinnerkennung im Leben im Zusammenhang, was den Prozess der Massenbildung von vornherein verhindert haben könnte.
Weiterhin erwiesen sich Individuen ohne Massenbildung als dazu fähig, ihr Denken und Verhalten an neue oder unerwartete Ereignisse anzupassen und in herausfordernden Situationen, wie seit Beginn der Coronakrise natürlich gegeben, verschiedene Perspektiven einzunehmen, statt in Schwarz-Weiß-Denken verhaftet unkritisch einem vorgegebenen Narrativ zu folgen.
Möglich also, dass so die Koppelung von freischwebender Angst an die Angst vor dem Coronavirus verhindert wurde. Schließlich wurde der Zusammenhang zwischen der Massenbildung und 24 Charakterstärken untersucht. Dabei ergaben sich die stärksten negativen Zusammenhänge mit den gerade in belastenden Lebenslagen sehr wertvollen Stärken Mut und Ehrlichkeit sowie mit sinnstiftender Spiritualität.
Professor Desmet hat auf die Frage hin, was diejenigen kennzeichnet, die während der Coronakrise der Massenbildung nicht anheimfielen, wiederholt zu Protokoll gegeben, dass dies niemand wisse. Die hier vorgestellten Daten machen diese Antwort insofern nachvollziehbar, als sie aufzeigen, dass kein alleiniger Faktor identifiziert werden konnte, der darüber entschied. Vielmehr scheinen es die Ablehnung von weltanschaulichen Überzeugungen, welche den Menschen und die Welt als auf rein reduktionistisch-materialistischer Ebene erklärbare Phänomene auffassen, sowie mehrere in herausfordernden Krisensituationen bedeutsame Persönlichkeitsmerkmale zu sein, die zu verhindern vermochten, dass der heimtückische Prozess der Massenbildung angestoßen werden konnte.