Hey Alexa, wir müssen reden!
Amazon plant, Alexa massenhaft in deutschen Wohnzimmern zu platzieren.
Überwachung von Wohnungen — gibt‘s nur noch in TV-Filmen über die gruselige DDR-Vergangenheit. Oder? Alexa ist die mobile Wanze in unseren Wohn- und Schlafzimmer. Gottgleich registriert sie alles, was in unsere privaten Räumen geschieht. Alexa ist der feuchte Traum aller berenteten Stasi-Spitzel. Sie vollendet, was selbst die NSA nur höchst unvollständig vollbringen konnte. Das für unsere „Kultur“ unfassbar Peinliche daran ist: sehr viele Menschen laden sie freiwillig zu sich ein. Gerade in der gnadenbringenden Weihnachtszeit sind wir wieder mit einer massiven Kampagne von amazon konfrontiert, die neugierige Dame auch unbedingt zu kaufen. Zeit, dass jemand diese Alexa zur Rede stellt ...
Der alljährliche Vorweihnachtsstress hat wieder große Teile der Bevölkerung erfasst. Statt den besinnlichen Charakter der Adventszeit für sich zu nutzen, um innezuhalten und ein wenig zu entschleunigen, steigern sich viele Menschen in einen Besorgungsrausch hinein.
Es wird hoch- und runtergerechnet, welche Geschenke man für seine Liebsten kauft, wer von ihnen welche Preisklasse wert ist. Währenddessen freut sich das Kapital auf den hedonistischen Konsummarathon, der der ursprünglichen Bedeutung der Weihnachtsfeiertage konträr gegenübersteht. Noch kurioser als diese Werteverzerrung der christlichen Feiertage ist aber das Vermarkten einer Wanze als alleskönnender „Smart Speaker“.
Dieses Jahr tut sich in diesem Segment ganz besonders Amazon hervor und eilt den noch unentschlossenen und unkreativen Geistern an jeder Straßenecke zu Hilfe. An Bushaltestellen, an U- und S-Bahnhöfen — egal wo man derzeit in der Stadt unterwegs ist — drängt sich die Werbung für das „amazon echo dot“ in das Blickfeld der PassantInnen. Ein Gadget, mit dem ein Großteil unseres Bekanntenkreises noch nicht sein zu Hause geschmückt hat. Bei einem Preis von 49,99 Euro für fast jeden erschwinglich.
Handelt es sich hier also um das ultimative Weihnachtsgeschenk für die „etwas-Besonderes-Erwarter“? Ganz sicher ist: Wer dieses Geschenk an Heiligabend unter dem Weihnachtsbaum vorfindet, darf anschließend tatsächlich etwas „ganz Besonderes“ erwarten.
Die Menschen installieren sich die Wanzen nun freiwillig in die Wohnung zahlen auch noch dafür.
Nicht nur das Ministerium für Staatssicherheit hätte diese technologische Errungenschaft des Smart Speakers Beifall klatschend und unter Freudentränen bejubelt. Auch die Gründerväter der modernen Public Relations — wie zum Beispiel Edward Bernays — wären sichtlich beeindruckt von dieser meisterhaften Marketingmasche. Die Internetgiganten des kapitalistischen Systems haben es also tatsächlich geschafft, uns ihre Produkte, die in vielerlei Hinsicht unsere Privatsphäre bedrohen, nicht nur schmackhaft zu machen, sondern uns in devoter Weise davon abhängig zu machen, sodass wir im Austausch für neue digitale Möglichkeiten bereitwillig unsere Privatsphäre aufgeben.
Die landläufige „Ich habe doch nichts zu verbergen“-Mentalität zeugt von einer unglaublichen Naivität der breiten Masse.
Menschen speichern ihre privatesten Fotos und Chats in Cloud-Ordnern, lassen mit ihren Smartphones ein persönliches Bewegungsprofil erstellen und platzieren nun auch freiwillig smarte Abhörgeräte in ihren eigenen vier Wänden. Dieses Phänomen lässt sich nur dadurch erklären, dass viele Menschen sich nicht darüber im Klaren sind, welche weitgreifenden Konsequenzen ihre Entscheidung mit sich ziehen kann.
Wir wissen bereits, dass Unternehmen die gehorteten Daten hemmungslos zu ihrem Vorteil nutzen. Je mehr sie über die KonsumentInnen kennen, desto effektivere Werbung und Beeinflussung ist möglich. Auch können die Daten weiterverkauft werden. VerbraucherschützerInnen prangern seit Jahren die mangelnde Transparenz und Sicherheit im Umgang mit gespeicherten Informationen an. Es gibt bereits zahlreiche Fälle, in denen Leaks dafür sorgten, dass sensible Daten in die Hände Unbefugter gelangt sind. Wer kann glaubwürdig sicherstellen, dass unsere Daten wirklich geschützt und nicht durch Unternehmen oder von Dritten missbraucht werden?
Schon jetzt können HackerInnen und Geheimdienste mit Leichtigkeit auf die gigantischen Datenmengen über uns zugreifen, was die Bevölkerung kaum zu beunruhigen scheint. Es herrscht offenbar noch ein blauäugiges Vertrauen auf unser korruptes und scheindemokratisches System und auf profitorientierte und ausbeuterische Privatunternehmen.
Heute mag die leichtfertige Abgabe unserer Daten zwar noch harmlos erscheinen, da wir keine unmittelbaren Folgen spüren. Doch angenommen unser aktuelles System würde aufgrund einer Notlage seine bürgerlich-demokratische Fassade fallenlassen und sich zunehmend zu einem totalitären Überwachungsstaat entwickeln...
All die sensiblen und teilweise sehr intimen Daten, die jahrelang gesammelt und gespeichert wurden, stünden dem Zugriff offen und könnten in einem Unterdrückungs- und Erpressungsapparat gegen uns gerichtet werden.
Man stelle sich vor, welche Möglichkeiten sich dem Staat dadurch eröffnen; es könnten beispielsweise durch Datenverarbeitungsprogramme exakte Persönlichkeitsprofile erstellt werden, um die politische Einstellung der BürgerInnen festzustellen oder den Grad der Gefährdung für das System zu ermitteln. Die Herrschenden wüssten so ziemlich alles über uns: wer unsere FreundInnen und FeindInnen sind, mit wem wir uns treffen, ob wir eine romantische Affäre pflegen, wie unsere sexuelle Orientierung ist, welche Pornos wir schauen und so weiter. Politisch Andersdenkende, SystemkritikerInnen, unerwünschte Minderheiten oder ganz einfach unproduktive UntertanInnen könnten erpresst, genötigt oder mundtot gemacht werden. Die Entwicklungen der letzten Jahre lassen dieses Szenario leider sehr realistisch wirken.
Staat und Kapital haben aufgrund der schlichten Logik der Profitmaximierung und des Machterhalts, ein unverkennbares Interesse daran, alles über uns in Erfahrung zu bringen.
Der große Bruder möchte sich, getarnt als hilfsbereites Hausmädchen, in deutschen Wohnzimmern einnisten. Aber noch werden wir nicht gezwungen, potenzielle Abhörwanzen in unser privates Umfeld hineinzulassen. Es liegt wie immer an uns selbst, abzuwägen ob und zu welchem Preis wir uns offenlegen möchten.
Alexa im Verhör
Zurück zu der groß angelegten Alexa-Werbeaktion.
Aus einem gewissen Winkel heraus betrachtet wirkt das Ganze wie ein Bond-Film, bei dem James Bond gescheitert und es dem Superschurken gelungen ist, seine Abhörwanzen weltweit in die Wohnzimmer zu platzieren.
Machen wir uns nichts vor! Nach Weihnachten 2019 wird der Anteil der mit Alexa verwanzten Haushalte sich vervielfacht haben. Dennoch wollten wir dem Ganzen nicht völlig tatenlos zusehen und zumindest den Hauch eines Widerstandes leisten. So haben wir uns die Spionage-Cyber-Göre bei Amazon bestellt, um sie zu interviewen, um nicht zu sagen, einem Verhör auszusetzen.
Wir grüßen an dieser Stelle alle Amazon-MitarbeiterInnen, die an diesem Vorgang beteiligt waren und wünschen ihnen ein frohes Fest und dass sie es schaffen, einen Arbeitsplatz außerhalb dieses Schreckens-Unternehmens zu finden.
Nachdem Alexa bei uns eingetroffen war, wurde uns während des Einrichtungs-Prozesses sehr schnell bewusst, worin die Verlockung besteht, mit der Alexa ihre „NutzerInnen“ betört. Obgleich wir Alexa gegenüber... „kritisch“ sind — um es mal äußerst vorsichtig zu formulieren (!) — so sehr müssen wir uns natürlich eingestehen, dass man sich schon wirklich verdammt cool vorkommt, wenn man mit einer künstlichen Intelligenz wie Alexa spricht. Man fühlt sich augenblicklich in eine Szenerie hineinversetzt, wie man sie wenige Jahre zuvor nur aus Science-Fiction-Filmen kannte.
Wenn ich persönlich versuche, mich in mein 15-jähriges Ich zurückzuversetzen — also in ein Alter, in dem ich noch lange nicht politisiert war, geschweige denn mir Gedanken um den Verbleib meiner persönlichen Daten gemacht habe — muss ich eingestehen, dass ich das damals immens gefeiert hätte, zuhause mit einer künstlichen Sprach-Assistentin zu sprechen, die mir auf Wunsch/Befehl Lieder abspielt, mir sagt, wie warm oder kalt es draußen ist oder mir binnen Sekunden bestimmte Fragen zu unterschiedlichen Themengebieten beantwortet. Ähnlich dürfte es heutigen Jugendlichen und Technikvernarrten — jung wie alt — gehen. Aber auch den Menschen, die das letztjährige Weihnachtsgeschenk in Form eines kleinen Hündchens bereits wieder im Tierheim abgegeben haben — da zu anstrengend — die aber dennoch jemanden brauchen, mit dem sie im Befehlston sprechen können.
„Alexa, tu dies! Alexa, was ist das? Alexa, bitte mach jenes!“
Es ist wirklich erschreckend, wie gut Alexa einen versteht! Selbst dann, wenn man nicht sonderlich deutlich redet oder auch mal nuschelt. Es zeigt, wie unfassbar präzise die Spracherkennung mittlerweile fortgeschritten ist. Was dies für einen Abhörapparat bedeutet, wurde oben bereits dargelegt.
In dem Interview beziehungsweise Verhör — wie immer man es auch nennen mag — wurde sehr schnell deutlich, wie Alexa dahingehend programmiert wurde, dass sie kritischen Fragen gezielt ausweicht. Möchte man etwa erfahren, was mit den gespeicherten Daten geschieht, verweist sie lediglich auf die Datenschutzerklärung von Amazon und — wenn man zu penetrant nachhakt — dann schaltet sie sich einfach — fast schon trotzig — ab.
Am Ende bleibt uns nur der Appell an Sie, liebe Leserinnen und Leser, Ihre Liebsten vor Alexa zu warnen, um der Verbreitung dieser unsäglichen Wanzen zu Weihnachten wenigstens ein klein wenig Einhalt zu gebieten.
In diesem Sinne wünschen wir Ihnen ein frohes, besinnliches und vor allem Amazon-freies Weihnachtsfest!
„Alexa, go and kill yourself!“