Helle Zukunft, höllische Gegner
Olaf Scholz breitete bei einer Wahlkampfrede in München sein holzschnittartiges Weltbild aus und verkündete das Ende der Toleranz.
Wahlkampfreden gibt es unzählige, da nahezu immer irgendwo im Lande gewählt wird. Stets sollen die Menschen von den Zielen und guten Absichten des sprechenden Politikers überzeugt werden. Die aktuelle Wahlkampfrede von Bundeskanzler Olaf Scholz in München war allerdings von einer ganz besonderen und sehr eigenen Qualität. In verschwurbelter Sprache sägte er an einer Säule der Demokratie: der Meinungsfreiheit. Menschen, die angesichts der Hölle des Krieges für den Frieden plädieren, kanzelte der Kanzler geradezu als Ausgeburten der Hölle ab. Dies sollte bei uns sämtliche Alarmglocken läuten lassen. Zwar ist das öffentlich Angekündigte nach der Wahl zumeist vergessen, doch manchmal wird das Gesagte — auch bei nachweislicher Vergesslichkeit des Redners — zumindest teilweise in Regierungshandeln umgesetzt. Das veranlasste den Autor zu einer intensiveren Beschäftigung mit dieser Rede.
Am 18. August 2023 fiel mir ein Artikel bei Spiegel.de unter dem Titel „SPD in Bayern — Scholz attackiert bei Wahlkampfrede in München rechte Populisten“ in die Hände, der mich sehr verstörte. Auf dem Münchner Marienplatz, so las ich, hätte unser Bundeskanzler die Politik der Bundesregierung gegen „Dauerkritik von Rechts“ verteidigt. „Ja, die rechten Populisten sind schlecht für den Wohlstand. Sie stehen für eine düstere Zukunft und darum haben sie auch immer so viel schlechte Laune“, so wird er wörtlich zitiert. Die Zukunft sei hell, demokratisch und frei, lese ich weiter und staune über diesen sehr optimistischen Ausblick.
Immer noch spüren wir die Auswirkungen der nicht bewältigten Finanzkrise und die Folgen der Coronapandemie, bei der die über uns verhängten, oft sehr fragwürdigen Entscheidungen und massiven Einschränkungen erbarmungslos deutlich machten, wie schnell sich die großartige Verkündigung von „frei sein“ in das komplette Gegenteil verkehren kann.
Längst sind wir aber auch in die alles in Frage stellende Klimakatastrophe geraten, die uns jetzt und noch lange zu schwerwiegenden, kostenaufwendigen Veränderungen unseres Lebens zwingen wird. Auch der Ukraine-Krieg und die mysteriöse Sprengung der Nord-Stream-Pipeline, die zwar den Energiesektor völlig durcheinanderbrachte, aber ansonsten keinen unserer Politiker zu tiefergehenden Untersuchungen veranlasste, haben sicherlich bedenkliche Langzeitfolgen. Den Worten unseres Bundeskanzler zufolge scheint das alles jedoch keinerlei negative Auswirkungen für unsere Zukunft zu haben.
Was mich in seiner Rede noch mehr verwunderte, ja regelrecht schockierte, war einer seiner nächsten Sätze, der da lautete:
„Also Demokratie und Freiheit ist, dass man sagen kann, dass man seine Meinung nicht sagen kann.“
Diesen Satz musste ich sogar mehrmals lesen, um ihn zu verstehen — und ich gebe zu, ich habe ihn immer noch nicht ganz verstanden.
Heißt das, dass ab jetzt die Meinungsfreiheit darauf begrenzt ist, dass ich zwar öffentlich sagen darf, dass ich in diesem Land meine Meinung nicht äußern kann, aber meine möglicherweise nicht opportune Meinung nicht?
Muss ich dann mit schwerwiegenden Konsequenzen rechnen? Werde ich, wie schon in der Coronazeit geschehen, zum Schwurbler, zum Idioten, zu einem Rechtsextremisten gemacht, außerhalb des Rechts gestellt, vielleicht sogar ins Gefängnis gesteckt?
Auf dieser Wahlkundgebung machte unser, der SPD entsprungene Kanzler in verwirrender Weise auch klar, dass es eine Todsünde ist, für den Frieden einzutreten. Wer nämlich „als Friedenstaube“ auf dem Platz umherlaufe, so sagte er, sei ein „gefallener Engel aus der Hölle“. Und schon wieder bin ich sprachlos. Schon einmal hatte ein höherer Funktionär dieser früheren Arbeiterpartei Demonstranten als „Pack“ bezeichnet. Der der gleichen Partei angehörende Chef unserer Regierung wählte jetzt eine in der Wortwahl weit ins Mittelalter zurückgreifende, religiöse Variante der Diffamierung, indem er diejenigen Menschen, die eine friedliche Lösung des Konfliktes in der Ukraine fordern, als „gefallene Engel aus der Hölle“, also als Satansbrut bezeichnet. Damit, so fürchte ich, werden Forderungen nach einer diplomatischen Lösung dieses Konfliktes nicht mehr von dem Grundsatz unseres Grundgesetzes, dem Frieden der Welt zu dienen, gedeckt, und ich frage mich, ob wir jetzt etwa wieder den totalen Krieg wollen?
Nun ist Krieg immer die schlechteste Lösung zwischenstaatlicher Probleme, weil er unglaublich viele Menschenleben kostet und ungeheure Ausmaße an Zerstörung und Verwüstung mit sich bringt. Verhandlungen sind da stets der bessere, sinnvollere, weil vernünftig-menschliche Weg.
Das sollte nach den verheerenden Kriegen des letzten Jahrhunderts eigentlich jedem verantwortungsbewussten Politiker geläufig sein. Und doch haben wir wieder Krieg in Europa. Nach dem in den neunziger Jahren ohne UNO-Mandat von dem westlichen Verteidigungsbündnis NATO mit aktiver Beteiligung der deutschen Bundeswehr geführten Krieg in Jugoslawien ist nun Krieg in der Ukraine.
Er wurde lange vorbereitet, was leider, obwohl noch nicht lange her, von den meisten Politikern, die für unsere helle, demokratische und freie Zukunft verantwortlich sind, offensichtlich längst vergessen wurde. Aber auch die Journalisten in unseren Hauptmedien, die als sogenannte „vierte Gewalt“ kritisch die Entscheidungen der Regierenden hinterfragen sollten, wissen nichts mehr davon.
Dabei hatte bereits 1997 Zbigniew Brzezinski, US-Politstratege und einstiger Berater von US-Präsident Jimmy Carter, in seinem 1997 erschienen Buch „The Grand Chessboard — American Primary and its Geostrategic Imperatives“ (deutsch: „Die einzige Weltmacht — Amerikas Strategie der Vorherrschaft“) unmissverständlich angekündigt, dass man dafür sorgen werde, dass Russland nie wieder zu früherer Größe und Macht zurückkehren darf.
Deshalb muss die Ukraine unbedingt aus der Jahrhunderte alten Bindung an Russland gelöst werden, denn „ohne die Ukraine ist Russland kein eurasisches Reich mehr“, so schreibt er dort, aber auch, dass zwischen 2005 und 2010 die Ukraine für ernsthafte Verhandlungen sowohl mit der EU als auch mit der NATO bereit gemacht werden sollte.
Auch die sehr freimütige Information der US-amerikanischen Diplomatin Victoria Nuland über die Fünf-Milliarden-Dollar-Investition, mit der die USA schon im Vorfeld der „Orangenen Revolution“ die „willigen“ Kräfte der Ukraine aktivierte, um mit einer totalen politischen Umorientierung des Landes den eigenen Einfluss auszuweiten und dadurch eine Schwächung Russlands zu erreichen, scheint im Laufe der letzten Jahre unrettbar verloren gegangen zu sein.
Ebenso die Aussage von Barack Obama, der als damaliger US-Präsident im Interview mit dem Reporter Fareed Zakaria im amerikanischen Fernsehsender CNN erklärt hatte, dass der Regimewechsel 2014 in der Ukraine durch die direkte Einmischung der USA zustande gebracht wurde. Originalzitat: „We had brokered a deal to transition power in Ukraine.“
Dass Russland diesem eindeutig von den USA befeuerten, gegen die eigenen Sicherheitsinteressen gerichteten Vorhaben nicht reaktionslos zusehen würde, war zu erwarten; doch nun erinnert sich kaum ein Politiker und Journalist unserer wichtigsten Medien daran. Deshalb sei ausschließlich Wladimir Putin für die jetzt eskalierende Katastrophe verantwortlich.
Dabei war das am 5. September 2014 unterzeichnete „Protokoll von Minsk“, das sogar als „Resolution 2202“ völkerrechtsverbindlichen UN-Status erhielt und von Deutschland und Frankreich garantiert wurde, der Weg für eine diplomatische Lösung der zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führenden Probleme in der Ukraine. Leider ist das vergessen worden; aber auch, dass diese Vereinbarung gar nicht geschlossen wurde, um zu einer friedlichen Lösung zu kommen, denn die durch den Maidan-Putsch an die Macht gebrachte, westlich orientierte Gruppierung sollte mehr Zeit haben, um für einen Krieg gegen Russland besser vorbereitet zu sein.
Genau das sagten sowohl eine Ex-Bundeskanzlerin, ein ehemaliger französischer Staatspräsident und ein ehemaliger ukrainischer Präsident vor nicht allzu langer Zeit sehr deutlich und ganz öffentlich.
Somit sind nun die, die es wagen, jetzt einen Waffenstillstand und Verhandlungen zu fordern, rechte Populisten, also Teufelsbrut.
Wenn sich diese Demonstranten darauf beschränkt hätten, zu verkünden, dass sie ihre Meinung nicht öffentlich sagen dürfen, wäre das gewiss in Ordnung gewesen. Aber öffentlich Frieden zu fordern, das hat die Grenze der vom Bundeskanzler verkündeten neuen Meinungsfreiheit offensichtlich überschritten. So müssen sie es nun ertragen, verteufelt zu werden.
Allerdings verhielt es sich auch mit diesem interessanten Aspekt der freien Meinungsäußerung nicht ganz so, wie es der Kanzler so unglaublich hintergründig formuliert hatte. Ich las nämlich in besagtem Artikel, dass das Mikrofon von Olaf Scholz so laut gestellt war, dass die Pfiffe und Buhrufe kaum bis zur Bühne durchdringen konnten. Auch war es vom Veranstalter untersagt worden, zu dieser Demonstration Trommeln und Pfeifen mitzubringen, damit die Demonstrationsteilnehmer wirklich keine Möglichkeit haben, irgendetwas nicht Opportunes zum Ausdruck zu bringen.
Gittersperren sorgten für Ordnung, mehr als 200 Polizisten waren im Einsatz, vor der Bühne wurden strenge Sicherheitskontrollen durchgeführt. Die Querdenker, Schwurbler und rechten Populisten sollten nicht die Spur einer Chance bekommen, mit ihrer vielen schlechten Laune die nun auf dem Marienplatz verkündete Version einer hellen Zukunft unserer Demokratie zu gefährden. Das jedenfalls ist das aus höchstem SPD-Mund verkündete Ziel dieser Partei, wenn ich das richtig verstanden habe, und wird gewiss viele Wähler überzeugen, ihre Stimme der richtigen Partei zu geben.