Heilung durch Selbstbegegnung
Die „Identitätsorientierte Psychotraumatheorie“ hat sich in der Praxis der Traumaheilung bewährt und kann Menschen helfen, zu sich selbst zurückzufinden. Exklusivabdruck aus „Ich will leben, lieben und geliebt werden“.
Eine Psychotherapie stellen sich die meisten Menschen ungefähr so vor: Patient und Therapeut kramen gemeinsam Erinnerungen hervor, die für die psychische Entwicklung des Betreffenden einschneidend waren. Dann wird das Problem „bearbeitet“. Was geschieht aber, wenn es an die entscheidenden Vorgänge in der Vergangenheit gar keine Erinnerungen mehr gibt? Es braucht dann zweifellos Methoden, die diese dunklen Bereiche ausleuchten können. Wichtig ist es auch, nicht allein um die „Traumabewältigung“ zu kreisen, sondern Zugang zu den Ressourcen eines Klienten zu bekommen, es ihm zu ermöglichen, sich mit dem gesunden Anteil in sich selbst zu verbinden. Franz Ruppert stellt hier eine von ihm entwickelte Methode vor, die für sein persönliches und berufliches Leben essenziell gewesen ist. Exklusivabdruck aus „Ich will leben, lieben und geliebt werden. Ein Plädoyer für wahre Lebensfreude und menschliche Verbundenheit in Freiheit“.
Die Identitätsorientierte Psychotraumatheorie (IoPT) ist mein Lebenswerk, das ich seit fast 30 Jahren entwickle. Hervorgegangen aus Familien-, System- und Trauma-Aufstellungen hatte ich dieses Projekt von 2001 bis 2010 „Mehrgenerationale Psychotraumatologie“ genannt. Danach das „Aufstellen des Anliegens“.
Heute trenne ich zwischen dem Theoriegebäude, das bis dato in elf Büchern dargelegt ist, und der Methode beziehungsweise der Praxis. Ich stelle rückblickend fest, dass ich meine Theorie und Methode immer dann einen wichtigen Schritt voranbringen konnte, wenn ich mich selbst innerlich geklärt und weiter integriert habe. Meine psychische Entwicklung geht für mich eindeutig Hand in Hand mit der stufenweisen Evolution der IoPT.
Selbstbegegnung
Meine auf die IoPT aufbauende Methode nenne ich heute nicht mehr „Aufstellungen“ sondern „Selbstbegegnungen“, weil sie uns ermöglicht, mit uns selbst und unserer Psyche unmittelbar in Kontakt zu treten. Vor allem unser verinnerlichtes, weitgehend unbewusst arbeitendes psychisches Bindungssystem wird uns auf diesem Wege zugänglich.
Wir kommen mit diesem Verfahren sogar bis an den Anfang der Entstehung eines Menschen heran. Wir überwinden damit die Bewusstwerdungsschwelle, denn erst mit dem zweiten Lebensjahr und der Herausbildung eines Sprachbewusstseins können wir uns an unsere Biografie bewusst und in Erlebnisepisoden erinnern. Vor diesem Zeitpunkt bilden sich die psychischen Muster eher somatosensorisch und nonverbal in unserem Organismus aus. Bis dahin ist das Wesentliche, was uns ein Leben lang prägen kann und oft leiden lässt, in der Regel bereits geschehen (siehe Abbildung 1).
Abbildung 1: IoPT jenseits der Bewusstseinsschwelle.
Dort suchen, wo es hell ist?
Ein Mann trifft abends beim Spaziergang einen anderen Mann, der im Schein einer Straßenlaterne angestrengt nach etwas sucht.
Er fragt ihn: „Was machen Sie da?“
Der andere Mann sagt: „Ich suche nach meinem Schlüssel.“
Darauf der Spaziergänger: „Sind Sie sicher, dass Sie Ihren Schlüssel hier verloren haben?“
„Nein“, sagt der Mann, „aber hier ist es hell.“
So ähnlich verhält es sich mit unserer Alltagspsychologie. Auch viele akademische Psychologen und Psychotherapeuten, Ärzte, Sozialarbeiter oder Coaches sind heutzutage oft nicht viel weiter. Sie suchen nach dem Schlüssel für menschliche Probleme dort, wo sie selbst etwas sehen und erkennen können. Die Trag- weite der prä-, per- und postnatalen psychischen Geschehnisse ist vielen nicht bewusst.
Nach meinen Erfahrungen liegen die Ursachen vieler körperlicher, psychischer und sozialer Leidenssymptome in einer Zeit, in der es noch kein helles und waches Bewusstsein in uns gegeben hat: im Bauch unserer Mutter, während des Geburtsprozesses und im ersten Jahr nach unserer Geburt.
Wir brauchen also eine Psychologie, die dieses Dunkelfeld ausleuchten kann und diagnostische und psychotherapeutische Methoden, die dort hineinreichen.
Resonanz
Möglich werden Selbstbegegnungen durch das Prinzip der Resonanz, das heißt der informatorischen und energetischen Rückkoppelung beim Senden und Empfangen psychischer Inhalte. Da jeder Mensch zugleich ein Sender und Empfänger von Informationen ist, können wir als Menschen nicht nur die bewusst ausgestrahlten kommunikativen Inhalte eines anderen Menschen empfangen — also vor allem seine sprachlichen Äußerungen —, sondern auch seine unbewusst übermittelten Inhalte. Diese werden eher auf einer körpersprachlichen, möglicherweise sogar zellulären Ebene gesendet und empfangen. Wie es scheint, funktioniert auch unsere DNS auf der Grundlage von Senden und Empfangen von Lichtwellen (1).
Über Resonanz, das heißt Schwingungsfrequenzen, sind wir Menschen grundsätzlich mit anderen Lebewesen unbewusst verbunden und tauschen darüber jede Menge an Informationen aus. Die sog. Spiegelneuronen spielen bei komplexen Lebewesen eine wichtige Rolle (2). Im Grunde kann jedoch jede Zelle mit einer anderen Zelle mitschwingen. Wasser ist ein optimaler Stoff, um Resonanz herzustellen (3) — wir Menschen bestehen altersabhängig bis zu 85 Prozent aus Wasser (4).
Echoprinzip
Resonanz ist das Echoprinzip: Wie wir in den Wald hineinrufen, so schalt es zurück. Das bedeutet, wenn ich aus meinen Trauma-Überlebensstrategien heraus mit anderen Menschen Kontakt aufnehme, dann aktiviere ich auch bei diesen deren Trauma-Überlebensstrategien. Mache ich es über meine gesunden psychischen Strukturen, ernte ich auch ein gesundes Echo. Möglich ist auch, dass zwei Menschen vor allem mit ihren Traumastrukturen unbewusst in eine tiefe Resonanz kommen. Sie finden sich dann zwar sehr anziehend, auf Dauer ist eine solche Beziehung aber nicht sehr befriedigend, denn auch ihre Überlebensstrategien werden leicht getriggert.
Zwei traumatisierte Menschen haben also im Prinzip die Möglichkeit, neun unterschiedliche Formen von Beziehungen zu führen. Wir haben somit die Wahl (siehe Abbildung 2).
Abbildung 2: Welchen Anteil rufe ich bei einem anderen Menschen wach?
Sich mit den gesunden Anteilen verbinden
Für therapeutische Begleiter ist es von entscheidender Wichtigkeit, sich nicht in sinn- und endlose Diskussionen mit den Trauma-Überlebensstrategien der Menschen zu verbinden, die sich hilfesuchend an sie wenden. Sie müssen sich hingegen mit deren gesunden Anteilen verbünden, und es fördern, dass diese zu Wort kommen können.
Erst wenn die Trauma-Überlebensstrategien in den Hintergrund rücken und die gesunden Anteile wieder mehr Gewicht in der Psyche eines Menschen erhalten, ist auch der nächste Schritt möglich, die traumatisierten Anteile aus ihrer inneren Verbannung zu holen und ins helle Licht des Bewusstseins zu bringen.
Jeder Mensch, und sei er noch so traumatisiert und von sich abgespalten, hat den Wunsch und das Bedürfnis, körperlich wie psychisch gesund zu sein und ein verantwortungsvolles und würdiges Leben zu führen.
Eigenresonanz
Selbstbegegnungen bringen Menschen in Eigenresonanz mit sich. Das dient der besseren und vertieften Selbsterkenntnis. Die Eigenresonanz ist die Voraussetzung dafür, sich selbst in den Zustand der Veränderungsbereitschaft zu bringen, um sich zu wandeln und festgefahrene psychische Muster aufzulösen. Ohne Eigenresonanz gelingt das nach meiner Erfahrung nicht.
Das Anliegen
Dreh und Angelpunkt meiner Methode ist das Anliegen eines Menschen, über das die Selbstbegegnung stattfindet. Das kann ein Satz sein, eine Frage, ein Wunsch, es können einzelne Begriffe sein oder es kann auch eine Zeichnung dafür verwendet werden, um das eigene Anliegen zum Ausdruck zu bringen.
Ebenso ist dafür eine Kombination von Worten und Zeichnungen möglich. Wichtig ist, dass es das Anliegen des jeweiligen Menschen selbst ist und nicht durch einen Begleiter vorgegeben oder zu verbessern versucht wird. Wenn es das eigene Anliegen ist, dann ist es genau das richtige zu dem Zeitpunkt, an dem die Selbstbegegnung stattfindet.
Ein Universalwerkzeug
Worauf sich das eigene Anliegen inhaltlich richtet, ist völlig offen. Es kann unmittelbar die eigene Psyche (Angst, Wut, wollen, Identität …) betreffen, den eigenen Körper (Krankheitssymptome, Entscheidungen für medizinische Behandlungen …) in den Fokus nehmen, die persönlichen Beziehungen (Partnerschaft, Elternschaft, Freundschaften …) thematisieren, das berufliche Dasein (Berufswahl, Geld, Führungsaufgaben, Verhältnis zu Kolleginnen und Kollegen, Entscheidungen mit ökonomischen Folgen …) in den Mittelpunkt rücken oder politische Ziele (Visionen, konkrete Projekte, Konflikte …) auf den Prüfstand stellen.
Die IoPT kann damit sowohl für psychotherapeutische Zwecke als auch für Beratung, Supervision, Coaching, Projektmanagement und vieles mehr an psychologischen, pädagogischen oder das Allgemeinwohl betreffenden Zielen eingesetzt werden.
Eingegrenzt arbeiten
Nach längerem Ausprobieren bin ich zu der Entscheidung gelangt, die Höchstzahl möglicher Resonanzelemente pro Anliegen auf maximal drei zu begrenzen, um den Anliegeneinbringer, seine Resonanzgeber, die Gruppe und auch mich als Begleiter nicht zu überfordern und zu viele ungelöste Themen auf einmal ins Bewusstsein zu bringen. Unsere Psyche entwickelt sich und heilt in kleinen Schritten.
Es sind unsere Opfer- und Täter-Haltungen, die uns schnell überfordern und zu viel auf einmal wollen. Sie haben die Tendenz, sich unabhängig von unserem gesunden Ich und unserem freien Willen zwanghaft zu äußern und in den Aktionismus zu gehen. Sie überfordern uns und vertiefen die inneren Spaltungen noch weiter.
Ich persönlich verwende in meinen eigenen Selbstbegegnungen oft sogar nur noch zwei Elemente. Grundsätzlich ist mein Ich mit dabei und dann noch ein Wort oder eine Zeichnung von etwas, was mich gerade beschäftigt. Also zum Beispiel: Ich Zahnschmerzen.
Körper und Psyche
Die IoPT vertritt ein ganzheitliches Konzept. Jede Körperzelle verfügt nach meiner Definition über psychische Funktionen. Daher ist IoPT-Therapie immer auch körperbezogene Arbeit. Es ist schön, wenn am Ende einer Anliegenarbeit jemand sagen kann: „Ich bin jetzt wieder ein Bewohner meines Körpers. Ich fühle mich in meinem Körper zu Hause.“ Insofern ist IoPT auch, wie der Philosoph Sokrates das nannte, „Maieutik“, das heißt „Hebammenkunst“. Wir verhelfen als IoPT-Begleiter vielen Menschen dazu, sich wie neu geboren zu fühlen.
Lösungsorientierung
Die IoPT deckt die Ursachen von Problemen, Konflikten und scheinbar unüberwindbaren Gegensätzlichkeiten auf. Sie geht nur insoweit in die Details solcher Vorkommnisse, als dies für deren Verständnis notwendig ist. Ansonsten steht die in sich stimmige Lösung von Konflikten im Mittelpunkt. Dies ist in der Regel möglich, indem die betreffende Person wieder in Kontakt mit ihren ursprünglichen Lebens- und Liebesbedürfnissen gebracht wird.
Traumaheilung
Das Ziel der IoPT ist die Integration des durch Traumaerfahrungen in einzelne Teile zersplitterten Innenlebens. Aus dem Nebeneinander und Gegeneinander der verschiedenen inneren Anteile wird im Heilungsprozess wieder ein lebendiges und liebevolles Miteinander. Das Öffnen der verschlossenen Türen, hinter denen unsere traumatisierten Anteile eingesperrt sind, macht uns wieder komplett. Diese Anteile fehlen uns bislang und nach ihrem Freiwerden können wir unsere ursprünglichen Potenziale endlich in vollem Umfang leben.
Ringen um das Allgemeinwohl
Dieser innere Prozess der Auseinandersetzung der zersplitterten Anteile ist oft ein zähes Ringen um das Wohl dieses Menschen. Insofern liefert die IoPT wichtige Hinweise darauf, wie auch im Außen, also in einer Familie, einer größeren Gemeinschaft oder sogar im Weltmaßstab das Allgemeinwohl gesucht und gefunden werden könnte. Ich biete daher seit Juni 2021 IoPT-Selbstbegegnungen auch für politisch relevante Fragestellungen an. Für mich gilt schon lange: Das Persönliche ist politisch und das Politische persönlich. Eine zentrale Frage ist es zum Beispiel, wird Politik mit Angst- und Weltuntergangs- oder mit Lebensfreude-Narrativen gemacht?
Mein Vorschlag wäre daher: Jeder der sich um ein politisches Amt bemüht, formuliert drei Schlüsselworte für sein politisches Ziel und überprüft dieses in einer Selbstbegegnung. Wenn sein Anliegen von Trauma-Überlebensstrategien geprägt ist, wird das sichtbar und kann korrigiert werden, sodass das Anliegen aus seiner gesunden Psyche kommt. Das hilft sowohl ihm wie der Gemeinschaft, für die er sich politisch einsetzen will.
Zurück in die Menschlichkeit
IoPT-Arbeit bedeutet, Menschen zurück in ihre ursprüngliche Menschlichkeit zu führen, die sie aufgrund der Traumatisierungen, die sie erleben mussten, teilweise verloren haben. Das heißt, sie wieder in Kontakt mit ihrer anfänglichen Lebendigkeit und Liebesfähigkeit zu bringen.
Einzelsetting
Die Praxis der IoPT kann sowohl im Einzelsetting wie in kleinen und großen Gruppen durchgeführt werden. Im Einzelsetting werden Gegenstände, die in der Nähe sind, oder standardisierte Bodenanker verschiedener Größe, Form und Farbe als Resonanzpunkte für das Anliegen eines Menschen verwendet.
Der Anliegeneinbringer positioniert sie entsprechend seinem inneren Bild auf dem Boden oder auf dem Tisch vor sich. Er bestimmt selbst die Reihenfolge, nach der er mit den Resonanzpunkten in Kontakt geht, und erhält darüber entsprechende Informationen. Ich beobachte den Prozess von außen und mache an geeigneter Stelle Vorschläge, um die auftretenden Spaltungen und symbiotischen Verstrickungen zu überwinden. Selbst gehe ich nicht in Resonanz mit Anteilen des Anliegens.
Gruppenarbeit
In der Gruppe sucht sich jemand, der eine Selbstbegegnung mittels seines Anliegens macht, Personen aus, die er bittet, in Resonanz mit den Elementen seines Anliegens zu gehen. Als Begleiter lasse ich der jeweiligen Selbstbegegnungsgruppe bestehend aus der Person mit dem Anliegen und den Resonanzgebern maximale Handlungsfreiheit, weil Heilung für mich im Wesentlichen das Vorgeben eines geschützten Raumes zur Aktivierung der Selbstheilungskräfte eines Menschen bedeutet. Ich greife nur ein, wenn es mir hilfreich erscheint, um einem Anliegeneinbringer aus seinen Spaltungen und Verstrickungen, in denen er hängen geblieben ist, einen Ausweg anzubieten, ihn durch seine Verwirrungen hindurch zu lotsen und seine inneren Widersprüche aufzulösen.
Meist bedarf es während der Selbstbegegnung zusätzlich des Hinzunehmens der Mutter, manchmal auch des Vaters des Anliegeneinbringers, um die Traumadynamik und die äußere Lebenssituation zu verstehen, die sich im Anliegen widerspiegelt.
Neu fürs Leben entscheiden
Marianne hat heute Geburtstag. Sie kann die Glückwünsche aus der Gruppe nicht gut annehmen und möchte am liebsten unsichtbar sein. Sie hat Gelegenheit für eine Selbstbegegnung und wählt das Anliegen: Ich Geburtstag Traurigkeit.
Marianne ist das zweite Kind ihrer Mutter und eindeutig von dieser nicht gewollt. Das weiß sie aus früheren Selbstbegegnungen. In dieser Selbstbegegnung zeigt sich, dass es in ihr die Ambivalenz gibt, ob sie leben will oder nicht. Über den Satz, den ich ihr nahelege, „Ich bin meiner Mutter sch…egal!“ kommt sie an ihren vermutlich tiefsten Schmerzpunkt heran und weint minutenlang.
Nach einer Erholungsphase und weiteren Dialogen mit ihren Resonanzgeberinnen schlage ich ihr folgende Sätze vor: „Ich bin ganz alleine ohne Mami und habe Todesangst.“ Sie spricht diese nach und kann deren Wahrheitsgehalt bestätigen. Dann empfehle ich ihr, noch folgenden Satz auf seine Resonanz in ihr zu überprüfen: „Vielleicht liebt mich meine Mami, wenn ich sterbe und tot bin.“ Auch diesen Satz wiederholt sie und fühlt, dass er für das Kind in ihr stimmig ist.
Danach kommt sie immer mehr zu sich, spürt, wie sie aus der Dissoziation geht und wieder in ihrem Körper ankommt. Jetzt stimmt der Satz für sie: „Ich will meinen Geburtstag feiern, auch für mich alleine. Ich bin froh, dass ich da bin und einen Körper habe.“
Sie strahlt über das ganze Gesicht und kann nach dieser Selbstbegegnung die Glückwünsche aus der Gruppe zu ihrem Geburtstag ohne Vorbehalt annehmen.
Live und live-online
IoPT-Selbstbegegnungen können live wie live-online, zum Beispiel per ZOOM-Software durchgeführt werden. Beides hat seine Vor- und Nachteile. Im Live-Seminar ist körperliche Nähe und sind intensive körperliche Berührungen möglich und oft sehr heilsam. Im Live-online-Verfahren können sich die Anliegeneinbringer und Resonanzgeber selbst noch zusätzlich in ihrem Videobild sehen und betrachten. Zudem sind die Sichtbar- und Hörbarkeit dessen, was sich zwischen den Resonanzgebern abspielt, meist sogar besser als in der Livesituation. Das hat auch für die Teilnehmer in der Außengruppe einen großen Vorteil.
Die Erfahrung zeigt, dass die dabei auftretenden technischen Störungen nicht zufällig sind. Schlechte Bild- und Tonqualität spiegeln häufig die innere Situation eines Teilnehmers wieder. Stürzt bei einem Resonanzgeber während des Prozesses plötzlich das Programm ab, geschieht dies oft just in dem Moment, in dem der Anliegeneinbringer innerlich die Notbremse zieht, weil zu viel an Traumaenergie hochzukommen droht.
Kulturübergreifendes Konzept
Die IoPT hat international eine hohe Popularität gewonnen. Meine Bücher sind dank vielfältiger Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen weltweit in zahlreichen Sprachen verfügbar. Das weist meines Erachtens darauf hin, dass die von mir entdeckten psychologischen Entwicklungs- und Traumadynamiken universell vorhanden sind und auf ihre Auflösung warten. Das ist nicht verwunderlich, findet doch jeder Mensch die gleichen Lebensgrundlagen vor. Jeder von uns hat eine Mutter und wächst neun Monate in deren Bauch heran. Zusammen mit ihr muss er durch einen Geburtsvorgang gehen und braucht danach seine Mutter ganz dringend die ersten Jahre seines Lebens. Ebenso hat jeder von uns einen Vater, mit dem die einen mehr und die anderen weniger erfreuliche Erfahrungen machen.
Leider sind die Themen, von der eigenen Mutter wie vom eigenen Vater Nicht-gewollt-nicht-geliebt-nicht-geschützt zu sein, weltweit sehr häufig vorhanden. Ebenso die sich daraus ergebenden Formen sexueller Traumatisierungen, die einen verheerenden Schaden bei den Kindern anrichten.
Ich bin froh darüber, denen, die bei mir nach IoPT- Begleitung anfragen, ein kontinuierlich weiterwachsendes Netzwerk an IoPT- Therapeutinnen und Therapeuten und von mir lizenzierten IoPT-Weiterbildnern und Supervisoren anbieten zu können (5).
IoPT als Lebens- und Liebesschule
In IoPT-Seminaren und Weiterbildungen tauchen viele Themen auf, die unser menschliches Leben tief prägen: Schwangerschaften, Geburt, Adoptionen, Abtreibungen, Fehlgeburten, Geburtsprozesse, Liebe, Sexualität, Partnerschaft, Kinderwunsch, Elternschaft, Ablösung von den Eltern, berufliche Konflikte, Trennung, Täterschaft, Gewalt, Krankheit, Erbschaft, Krieg, Tod und vieles mehr. Aus jeder Fallarbeit lernen wir gemeinsam etwas über die Grundprinzipien unseres menschlichen Daseins und das Zusammenleben von Menschen.
Vor allem erleben wir, wie unlösbar erscheinende innere Konflikte am Ende eines Selbstbegegnungsprozesses doch gut aufgelöst werden können. In Gruppen partizipieren alle von dem, was der Einzelne erlebt und lernt, sei es in den Resonanzrollen oder als Beobachter im Außenkreis.
Aus meiner Sicht sind IoPT-Seminare daher Schulungen in Bezug auf das Leben und die Liebe, die einem helfen können, das eigene Dasein besser und im Einklang mit psychologischen Grundgesetzen zu gestalten. Fundiertes psychologisches Wissen über die menschliche Psyche, über unsere Grundbedürfnisse und Gefühle, über Psychotraumata, Identität, Liebe, Sexualität, Gesundheit und Krankheit und die Gefahren von eskalierenden Täter-Opfer-Dynamiken steht dafür mittlerweile zur Verfügung.
Präventiv können IoPT-Seminare auf die Realitäten des eigenen Daseins und zum Beispiel auf Mutter- und Vatersein vorbereiten, damit junge Menschen nicht blind in ihr Unglück hineinlaufen und die immer gleichen Fehler wiederholen wie die Vorgenerationen. Es können auch Seminare mit besonderen Schwerpunkten für besondere Zielgruppen, zum Beispiel für Schwangere; Mütter, die ihre Kinder loslassen müssen; Jugendliche, angeboten werden.
Eigene Selbstbegegnung
Wer die Grundlagen der IoPT und der Resonanzmethode versteht, kann zuweilen selbst ohne Begleitung eine Selbstbegegnung machen. Er braucht dazu ein Anliegen und Gegenstände, mit welchen er in Resonanz tritt. Ich mache das für mich vor allem bei Entscheidungen, bei denen ich mir unsicher bin und mit meinen rationalen Überlegungen auf der Stelle trete. Auf diese Weise konnte ich mir zahlreiche sinnlose Streitereien ersparen und viele gute Entscheidungen für mein Leben treffen. Dazu abschließend ein Beispiel.
Mein Grundstück
Schon seit Jahren hatte ich mich mit dem Gedanken getragen, ein Haus oder Grundstück in Griechenland zu kaufen. Von der Idee eines Hauskaufes bin ich wie der zurückgetreten, weil mir durch andere Selbstbegegnungen klar wurde, dass „Haus“ für unser erstes Zuhause steht: den Bauch unserer Mutter. In meinen Haus- und Wohnungsprojekten sind die Verstrickungen mit meiner Mutter sehr deutlich geworden.
Mittlerweile hat meine Frau von ihrem elterlichen Erbe ein wunderschönes Haus in traumhafter Lage in Griechenland gekauft. Nun ergab es sich, dass das Grund stück unterhalb dieses Hauses zum Verkauf stand. Sofort kam in mir die Idee hoch, dieses Grundstück zu kaufen, um darauf ein IoPT-Seminarzentrum zu bauen. Mir schwebte sogar das Bild vor meinem inneren Auge, die Tradition des Apollotempels in Delphi fortzusetzen. Als Inschrift steht am Portal dieses antiken Orakelheiligtums: Gnothi Seauton (siehe Abbildung 3).
Also bereits 500 Jahre vor Christus war die Grundidee, wie wir Antworten auf unsere Lebensfragen finden können, identisch mit der zentralen Weisheit der IoPT: Erkenne Dich selbst und werde, der du bist!
Abbildung 3: Der Apollotempel in Delphi.
Als sich die Aussichten immer mehr verdichteten, dieses Grundstück unterhalb des Hauses meiner Frau käuflich erwerben zu können, wurde es also Zeit für eine Selbstbegegnung mit mir. Ich machte sie an einem schönen Frühlingstag im Garten meines Münchner Hauses. Für mein Ich wählte ich die Holzfigur einer Katze, deren Bauch ausgeschnitten war, um darin ein Fressschälchen für Katzen zu platzieren. Für mein Geld, das ich für den Kauf des Grundstückes aufwenden musste und wollte, nahm ich einen kleinen Gartentisch, dessen Rand und Füße ich vor einiger Zeit mit Goldfarbe bestrichen hatte. Für das Grundstück nahm ich einen von mehreren Gartenstühlen, die sich in meiner Nähe befanden.
Die Gegenstände für Ich und Geld platzierte ich nahe beieinander. Den Stuhl für das Grundstück stellte ich in einiger Entfernung in die Gartenwiese, die gerade übersät mit Gänseblümchen war.
In Resonanz mit meinem Ich fühlte ich mich sehr gut und froh. Ich wendete mich direkt dem Geld zu, das mir ein zufriedenes Gefühl von Sicherheit gab. Geld war in meiner Kindheit und Jugend immer knapp, meine Eltern gehörten finanziell ge- sehen zu den armen und einfachen Leuten, die durch schwere körperliche Lohnarbeit ihr Einkommen verdienen mussten.
In der Resonanz mit Geld erlebte ich darin nicht nur diesen Geldbetrag, sondern auch den Ausdruck meines inneren Reichtums, den ich an vielen Stellen zum Einsatz bringen und an vielen möglichen Orten platzieren kann. Das Grundstück war so gesehen gar nicht so sehr in meinem Fokus.
Danach ging ich in Resonanz mit dem Stuhl, der das Grundstück verkörperte. Hier geschah etwas, was mich blitzartig überwältigte. Zunächst durchströmte mich von meinen Füßen her eine mächtige Energiewelle. Eine Urlebens- und Liebeskraft, die meinen Körper von unten bis oben ganz ausfüllte. Einige Sekunden später stiegen dann jedoch eine abgrundtiefe Traurigkeit und ein nicht enden wollender Schmerz in mir hoch. Ich ließ den Tränen, die nun in meine Augen schossen, freien Lauf. Mein Körper verkrampfte und krümmte sich vor Schmerz. Ich stand völlig exponiert in meinem Garten und verstand zunächst überhaupt nicht, was da mit mir geschah. Ich fühlte mich in diesem Zustand wie eingeschlossen und gefangen.
Nachdem diese Schmerzwellen circa zwei bis drei Minuten angedauert hatten, öffnete ich meine Augen und mein Blick fiel auf die Gegenstände für Ich und Geld. Jetzt war die Frage: Kommen diese zu mir oder muss ich zu ihnen kommen? Schlagartig war mir klar, ich will zu diesen beiden, dort gehöre ich hin, dahin fließt meine Liebe. Das bin ich! Intuitiv wurde mir bewusst, dass ich der abgespaltene und damit fehlende Anteil im Bauch des Ichs bin. Ich nahm das Ich in meine Hände und streifte die hölzerne Katze über meinen Arm. Jetzt fühlte ich mich vollständig.
In den Nachgedanken zu dieser Selbst-Selbstbegegnung wurde mir noch einiges mehr bewusst. Das Grundstück steht für meine Urkraft, mit der ich ins Leben gekommen bin. Durch die frühe Abspaltung von ihr wurde sie für mich zu einem im Grunde unerreichbaren Sehnsuchtsort irgendwo in der Ferne. Immerhin liegen zwischen meinem Wohnort München und Griechenland einige Tausend Kilometer und es bedarf vieler Stunden, um dort hinzukommen.
Das Loch im Resonanzpunkt für mein Ich war nicht zufällig der Bauch, also das Zentrum meiner Lebensinstinkte und -kräfte. Mir wurde bewusst, dass ich diese große Lücke bislang mit Überlebensstrategien zu füllen versuchte, mit dem Besitz von Geld, Häusern oder der Sehnsucht nach „der richtigen Beziehung“ und dem Kontakt mit möglichst vielen Menschen.
Die Abspaltung meiner Lebenskräfte hatte schon im Bauch meiner Mutter stattgefunden, weil ich ihr nicht willkommen war. Liebe war bereits zu diesem Zeitpunkt für mich mit dem unaushaltbaren Schmerz verbunden, ihre Liebe nicht erreichen zu können.
Am 28. April 2021, einen Monat vor meinem 64. Geburtstag hatte ich nun das Gefühl, dass mein Kopf und mein Bauch wieder eine Einheit geworden sind. Ich bewohne mich jetzt endlich wieder ganz selbst und bin mein innerer Reichtum (siehe Abbildung 4). Ein materielles Grundstück, um darauf meinen Lebensmittelpunkt zu gründen, sowie ein wunderschönes Therapiezentrum ganz in der Nähe meines Hauses habe ich ohnehin bereits.
Ich bin in dieser Stadt zudem in guter geistiger Gesellschaft. Der Münchner Komiker Karl Valentin hat es auf seine Weise auf den Punkt gebracht: „Heute besuche ich mich. Mal sehen, ob ich zu Hause bin.“
Abbildung 4: ich auf meinem Grundstück in meinem Reichtum.
Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch „Ich will leben, lieben und geliebt werden: Ein Plädoyer für wahre Lebensfreude und menschliche Verbundenheit in Freiheit“ von Franz Ruppert.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Fritz-Albert Popp. Biologie des Lichts. Grundlagen der ultraschwachen Zellstrahlung. Berlin: Paul Parey Verlag 1984.
(2) Joachim Bauer. Warum ich fühle, was du fühlst: Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneurone. München: Hoffmann und Campe Verlag 2005.
(3) Thomas Gonschior. Auf den Spuren der Intuition. München: F. A. Herbig Verlag 2013. Seite 128 und folgende.
(4) https://vitalhelden.de/wasser/ratgeber/wissenswertes/wie-viel-wasser-ist-im-menschlichen-koerper/, abgerufen am 5. April 2021.
(5) Vivian Broughton. Trauma & Identity. Steyning: Green Balloon Publishing 2021.