Hauptsache, China-Bashing!

Um China zum Feind zu stilisieren, ist dem Westen jedes Mittel recht.

Die FAZ und der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates nehmen einen behaupteten Eingriff ins Erbgut bei Embryonen (Keimbahntherapie) durch einen chinesischen Forscher zum Anlass, alles „den Chinesen“ in die Schuhe zu schieben.

Sollen hartnäckige Vorurteile wieder bestätigt werden? In einem Land wie China, in dem angeblich alles von der Regierung und der Kommunistischen Partei kontrolliert wird, macht ein Forscher namens He Jiankui unverantwortliche Experimente mit Embryonen und veröffentlicht das auch noch im Internet. Natürlich kann er das nur, wenn es von oben so gewollt ist. Also sind das Experimente „der Chinesen“! Oder ist das nur ein Beispiel für die berühmte Vorurteilsfalle, nach der ein Vorurteil zu ständig neuen Vorurteilen führt?

Eine FAZ-Meldung und der Deutsche Ethikrat

Der Theologe Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrates, hat in der FAZ vom 27. November eine Stellungnahme zu den behaupteten Genmanipulationen an Embryonen abgegeben. In der gleichen FAZ-Ausgabe wird über dieses Experiment auf der ersten Seite mit der Überschrift „Empörte Reaktionen auf genveränderte Babys“ berichtet. Die Genveränderung solle in Shenzhen geborene Zwillinge und deren weitere Nachkommen vor dem HI-Virus schützen. Der Vater der Kinder sei mit dem Virus infiziert gewesen.

Auf der „Deutschland und die Welt“-Seite erfahren wir auch, dass über 100 chinesische Forscher in einem offenen Brief dieses Experiment verurteilt hätten und die betroffene Universität eine Untersuchung eingeleitet habe. Davon hat offensichtlich auch Peter Dabrock Kenntnis, denn er schreibt: „Die Southern University of Science and Technology, der He angehört, hat sich in einer Stellungnahme über die Experimente empört und darauf hingewiesen, dass die Versuche weder genehmigt waren , noch auf dem Universitätscampus stattgefunden haben.“ So weit, so gut.

Der Angriff

Aber dann vernachlässigt Peter Dabrock seine Kenntnisse und geht vom Angriff auf den in Stanford ausgebildeten Forscher mit einer floskelhaften Entschuldigung zum China-Bashing über: „[…] man verzeihe mir, dass ich unterstelle, dass für die chinesischen Forscher Embryonen in der Petrischale keine Menschenwürdenträger sind.“

Wie bitte? Eine Unterstellung nicht auf He bezogen, sondern auf „die chinesischen Forscher“ sollen wir als Leser verzeihen? Oder ist das ein Druckfehler und soll „den chinesischen Forscher“ heißen? Aber vielleicht hat Peter Dabrock mit der Artikelverwendung im Deutschen Probleme und meint „diese chinesischen Forscher“, weil He ja nicht allein gearbeitet haben kann? Einiges deutet genau darauf, aber auch auf noch Schwerwiegenderes für einen Vorsitzenden des Deutschen Ethikrates hin, denn Ethik hat auch etwas mit der Sprache zu tun. Stereotype und Pauschalisierungen sind ethisch sehr fragwürdig, da sie gerade bei Völkerbezeichnungen zu gefährlichen Reaktionen, eventuell sogar zu Morden, führen können. Was wäre nicht nur in der deutschen Medienlandschaft los, wenn Peter Dabrock bei einem ethisch fragwürdigen Experiment eines jüdischen Forschers pauschal „die jüdischen Forscher“ oder „die Juden“ kritisieren würde?

„Die Chinesen“ als Sündenbock

Peter Dabrock legt ganz offensichtlich keinen Wert auf klare Kennzeichnungen. So spricht er davon, dass beim „ersten Weltgipfel zum Einsatz der Gen-Schere Ende 2015 in Washington – noch mit den Chinesen an Bord – vollmundig versprochen“ worden sei, dass man erst nach einem breiten gesellschaftlichen Konsens mit den Forschungen weiter „voranschreiten“ wolle. Was heißt schon wieder „noch mit den Chinesen an Bord“? Hat die chinesische Forschungsgemeinschaft oder gar die chinesische Regierung erklärt, dass sie sich nicht mehr daran halten will? Peter Dabrock weiß zumindest, dass die Universität von He sich eindeutig von dessen Vorgehen distanziert hat . Aber das stört ihn nicht. Er verlässt die Generalisierung auf Forscher endgültig und haut jetzt ein ganzes Volk in einen Topf, indem er auf die „Empörung über das unfassbare Vorpreschen der Chinesen“ verweist.

Ein fragwürdiger Vorsitzender

Ich schwanke immer noch zwischen der Einschätzung, dass Peter Dabrock bewusst antichinesische Propaganda betreibt, und dem Verdacht, dass er sich als Theologe und Ethiker noch nie Gedanken über generalisierende Kennzeichnungen gemacht hat. Er schreibt schließlich ganz locker, dass „die Amerikaner“ schon 2016 die Erklärung von 2015 verwässert hätten. Wie bitte? Die Amerikaner? Die Regierungen aller amerikanischen Staaten oder nur alle amerikanischen Forscher? Oder meint er eventuell nur US-Stellen? Aber er spricht ja eindeutig nach der Erwähnung der „Amerikaner“ von den „dortigen Wissenschaftsakademien“. Peter Dabrock interessiert das alles offensichtlich nicht. Seine Leserinnen und Leser werden schon herausfinden, was er meint. Man verzeihe mir also, wenn ich Professor Dabrock unterstelle, dass ihm als Theologen und Ethiker die Folgen seiner unklaren und unbedachten Äußerungen gleichgültig sind. Und ich bitte auch um Verzeihung, wenn ich so einen Vorsitzenden des Ethikrates für fragwürdig halte.

Scharfe Reaktionen in China

Um Missverständnisse bezüglich der chinesischen Reaktionen zu vermeiden, verweise ich auf einen Artikel („Gene edited babies spark controversy“) in der Global Times vom 27. November (www.globaltimes.cn), der chinesische Kritiker des Experimentes zu Wort kommen lässt und von einer Untersuchung des Falls durch die Gesundheitsbehörde von Shenzhen spricht. Die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua meldet schließlich am 28. November, dass das chinesische Wissenschafts- und Technologieministerium direkt nach Bekanntwerden des Falls seine tiefe Besorgnis ausgedrückt und ein Krisentreffen einberufen habe. Der Vizeminister habe erklärt, das Vorgehen He Jiankuis widerspreche den ministeriellen ethischen Richtlinien bei Stammzellenforschung an menschlichen Embryonen von 2003. Am 29. November meldet Xinhua dann, über alle an dem kritisierten Experiment beteiligten Personen sei ein Forschungsverbot verhängt worden.

Einige Forscher äußerten deshalb schon Befürchtungen, dass in China die gesamte Stammzellenforschung vorerst verboten werden könnte. Es gibt jedoch auch immer mehr Zweifel, ob überhaupt alles stimmt, was He behauptet. Das Krankenhaus, in dem die Kinder zur Welt kamen, streitet bereits ab, von der Gen-Manipulation gewusst zu haben, und wo das Experiment stattfand weiß man bis heute nicht. An seiner Universität war der Forscher jedenfalls schon länger nicht mehr tätig.

Ablenkungsmanöver?

Die ganze Erklärung des Vorsitzenden des Deutschen Ethikrats scheint wohl weniger auf die Ereignisse in China zu zielen, als auf die Ablenkung von der wirklichen Bedeutung eigener Überlegungen. Denn Peter Dabrock schreibt klar: „Keineswegs bedeutet die Empörung über das unfassbare Voranpreschen der Chinesen, dass man Keimbahninterventionen oder die Geburt gentechnisch veränderter Menschen kategorisch ablehnt. Sollten schwerste Erkrankungen dadurch verhindert werden und könnte man auf dem Weg dorthin akzeptable Methoden verwenden, ist diese Option sehr wohl denkbar und ethisch im Bereich des Vertretbaren zu verorten. Aber darüber muss in aller Offenheit ergebnisoffen debattiert werden, wenn die Messe noch nicht gelesen ist.“

Es sieht also so aus, als seien die Meldungen aus China gerade zur rechten Zeit gekommen, um eigene Verwässerungen der ethischen Richtlinien zu rechtfertigen. Es klingt schon sehr verdächtig, wenn Dabrock schreibt, er sei nicht bereit, „diese Entwicklung kommentarlos anderen zu überlassen“, und für das Frühjahr 2019 ein umfangreiches Papier zur „ethischen Beurteilung von Keimbahneingriffen mittels Genome Editing“ ankündigt.

Dem Ethikrat auf die Finger schauen

Wenn es eine wichtige Schlussfolgerung für Deutschland aus den Ereignissen in China gibt, dann nicht die, dass „die“ Chinesen unverantwortlich handeln , sondern dass die gesellschaftliche Kontrolle von Stammzellenforschung verschärft werden und auch dem Deutschen Ethikrat genauer auf die Finger geschaut werden muss – besonders seinem sprachlich schludrigen Vorsitzenden.

Eine Möglichkeit, Kontrolle auszuüben, spricht Liu Ruishuang, Professor der Universität Peking , an. Er betont, dass die Zwillingsmädchen eine Klage einreichen könnten gegen He, sein Team und die eigenen Eltern, wenn ihnen später aufgrund des Experiments irgendein körperlicher Schaden entstünde. Auch müsse sichergestellt werden, dass ihnen alle Bürgerrechte voll zustünden, inklusive Heirat und Nachkommenschaft. Ebenso müsse dafür gesorgt werden, dass die Kinder Datenschutz genießen und vor Diskriminierung geschützt werden.

Nachspann: FAZ dreht durch

Im Vorspann zu einem sachlichen Artikel deutscher Delegierter zum Gen-Kongress in Hongkong hält es die FAZ v. 3. Dezember für nötig von einem „chinesischen Anschlag auf das Ansehen der Genforschung“ zu sprechen. Stellen wir uns vor wiederum vor, ein jüdischer Forscher hätte ein ähnliches Experiment wie He durchgeführt und die FAZ würde von einem „jüdischen Anschlag“ berichten. Wie würde der Deutsche Presserat reagieren? Die FAZ hat die Antwort schon mit ihrer Überschrift zum Artikel der deutschen Delegation ausgedrückt: „Wir nennen es unverantwortlich“. Aber bei China kennt das antichinesische Kampfblatt schon lange keine Hemmungen mehr.