Harte Arbeit
Der fehlende Nachwuchs im Handwerk ist Ausdruck einer gesellschaftlichen Desorientierung.
Alle, die im weiteren Sinne geistig arbeiten, kennen das Problem: Einen Handwerker zu bekommen ist schwierig. Um einen Termin bei den begehrten Spezialisten müssen immer mehr Menschen mit „zwei linken Händen“ konkurrieren. Und wie stellt sich die Lage aus der anderen Perspektive dar? Handwerker, die ohnehin nicht gut bezahlt werden und wenig gesellschaftlichen „Status“ haben, fühlen sich zunehmend überlastet und kommen bei den Aufträgen nicht mehr hinterher. Es gibt einfach viel zu wenige von ihnen — Tendenz fallend. Alle brauchen sie, aber kaum jemand hat wirklich Respekt vor ihnen. Wenn eben alle Leute nur noch managen, programmieren oder kontrollieren wollen, repariert niemand mehr den Rohrbruch bei all den Managern, Programmierern und Controllern. Zu den Gründen gehört eine wachsende Scheu davor, mit den Händen oder überhaupt hart zu arbeiten. Eine bedenkliche Entwicklung, die viel über den „Geist“ aussagt, der in unserer Gesellschaft herrscht.
„Oh Mann ey, ick schaff dit allet nie.“ Uwe klingt am Telefon wie ein einziger Stoßseufzer. Uwe ist Maurer. Ich hatte ihn angerufen, um ihn zu bitten, an meiner Scheune zu arbeiten. Die Fundamente mussten erneuert werden, keine schöne Arbeit, man kraucht die ganze Zeit auf dem Boden herum und frickelt halbe Steine unter die Schwelle. Bereits im Vorjahr hatten wir das abgesprochen, aber jetzt mag Uwe nicht kommen. Er hat zu viel zu tun. Alle wollen etwas von ihm. Es gibt immer weniger Maurer, die Schlange der fordernden Kunden wird immer länger. Er hat nicht mal mehr einen Hucker, der ihm die Steine reichen und den Mörtel anmischen könnte.
Uwe ist ein sehr guter und ein redlicher Handwerker. Er rechnet vernünftig und bescheiden. Er kann sich nicht klonen. Sein Jahr hat auch nur 365 Tage, mehr ist nicht drin. Manchmal kommen Leute, die ihm einfach das Doppelte seiner Kalkulation bieten oder das Dreifache. Es ist ihnen egal, wie viel es kostet, sie wollen nur, dass es gemacht wird. Das ist schon fast so etwas wie Korruption, wenn auch legal. Aber für jemanden, der sein Geld mit Handwerksarbeit verdient, ist es eine Zumutung. Womit verdienen die wohl ihr Geld? Sicher nicht mit Mauern.
Ich höre erst einmal zu. Ich verstehe Uwe, es wäre unanständig, jetzt noch moralischen Druck aufzubauen. Also mache ich nur einen letzten, schwachen Anlauf. Ich sage, ja, das sei mir alles klar, ich hätte eben nur gedacht, dass er sich mit dem Zimmermann kurzschließen wollte, der ohne ihn ja nicht weiterkommt.
Da sagt Uwe: „Na, welcher Zimmermann ist denn da bei euch überhaupt?“
Und ich sage: „Na, Thomas, ich dachte, das weißt du.“
Da sagt Uwe: „Ach, Thomas.“Pause. Und dann: „Na, pass uff, denn komm ick morgen ma rum und denn kriegen wir dit schon hin.“
Uwe und Thomas haben früher zusammen in einer Firma gearbeitet. Die ehemaligen Kollegen bauen immer noch gern zusammen, sodass sie sogar bereit sind, ihre mühsam abgesicherte Planung über den Haufen zu werfen. Es ist wie eine kurze Begegnung mit einer vergangenen Zeit, in der alles noch einfacher und fröhlicher war.
Später hatte ihr Chef die Firma aufgegeben und alle entlassen, die ganze Sache war ihm über den Kopf gewachsen. Ständig hatte er Aufträge annehmen müssen, auch unangenehme und schwierige, damit seine Leute beschäftigt waren, dazu die Abgabenlasten, die Bürokratie, die Haftung, irgendwann auch Schulden, er konnte nicht mehr. Also machte er Schluss. Er selbst und alle seine Angestellten machten nun als Einzelkämpfer weiter.
Keiner wollte mehr ein Unternehmen mit Angestellten gründen. Allein kann man seine Kräfte besser einteilen und auch mal Nein sagen. So hält es auch der Zimmermann, und auch der Dachdecker macht es nicht anders.
Diese Leute stehen früh auf, aber sie machen auch beizeiten Feierabend. Wenn man eine größere Leistung bei ihnen beauftragen will, sagen sie meistens: Nächstes Jahr, dies Jahr ist schon alles voll. Sie wollen sich nicht kaputtarbeiten, wie sie es bei der älteren Generation oft genug gesehen haben.
Körperliche Arbeit auf dem Bau ist wirklich hart. Wenn ich mal was am Haus mache, merke ich es noch am nächsten und am übernächsten, manchmal sogar noch am dritten Tag danach. Sicher, diese Männer sind es gewohnt, und sie sind kräftiger als ich, aber dennoch: Es schlaucht. Mein Freund Jens ist Garten- und Landschaftsbauer, er ist so alt wie ich. Wenn er abends von der Baustelle kommt, isst er noch etwas und legt sich dann ins Bett. Mehr ist nicht drin.
Wer nicht auf sich achtet, geht vor die Hunde. Wer in diesen Berufen nicht allzu früh sterben will, muss auf seine Gesundheit achten. Die Einzelkämpfer rauchen selten und trinken nur maßvoll. Sie haben auf den Baustellen ihrer Jugend viele Kollegen erlebt, die sich kaputtgesoffen haben.
In der DDR-Zeit war es normal, dass die meisten kurz vor oder nach dem Eintritt in die Rente gestorben sind. Das Trinken unter Maurern war eine Kollektivgewohnheit.
Man sollte das nicht allzu leicht abtun. Wer hart arbeitet, bekommt leicht das Gefühl, auch einmal etwas für sich tun zu wollen, sich irgendwie zu entschädigen. Natürlich ist das unlogisch, man tut sich ja nichts Gutes mit Zigaretten und Schnaps. Aber ich glaube, ich verstehe den Mechanismus. Ich war bei der Armee, da war das Rauchen so etwas wie Freizeit. Wer rauchte, gehörte in diesem Moment sich selbst, nicht den Offizieren. Damit hängt das zusammen. Wer raucht und trinkt, dient nicht, nicht in diesem Moment.
Aber die Einzelkämpfer gehören sich ohnehin selbst, das sieht man ihnen auch an. Der Dachdecker zieht sich immer passend zum Wetter an; im Sommer schützt er sich mit Sonnencreme und einem großen Hut vor der Sonnenstrahlung. Die Kleidung ist wichtig, sie fördert Haltung und Sorgfalt im Umgang mit sich selbst und mit dem Material.
Uwe trägt weiße, gute Maurerklamotten, die genau für diese Arbeit gemacht sind, alles hat Hand und Fuß. Und auch Andreas, unser Fleischer, sieht sehr zünftig aus, er trägt die Arbeitskleidung des Metzgerhandwerks.
Das ist keine Eitelkeit, es ist Selbsterhalt. Die Kleidung ist nicht nur praktisch und angepasst, sie ist auch eine zweite Haut, die zwischen dem Körper und dem zu leistenden Werk vermittelt, praktisch und symbolisch.
Andreas ist sehr fleißig, er steht wahnsinnig früh auf und arbeitet bis abends. Er muss klar und streng sein, auch im Kontakt mit den Kunden, sonst hält er das nicht durch. Er muss auch menschliches Urteilsvermögen haben, denn als Einzelkämpfer macht man in erster Linie mündliche Verträge, und wenn der Kunde nicht ehrlich und zuverlässig ist, dann hat man das Nachsehen.
So kommen diese Männer durchs Leben, geradlinig, mit einer gesunden Distanz zum Rauschen der geschäftigen Welt und mit einer großen Skepsis gegenüber der Politik. Ein Müller aus Bayern hat mir mal auf meine Frage geantwortet, ob man nicht politisch etwas tun könne für das Müllerhandwerk: „Wer dem Handwerk etwas Gutes tun will, sollte möglichst nichts für uns tun und uns einfach in Ruhe lassen.“ Damit war alles gesagt.
Alle möchten die Handwerker gern bei sich oder für sich arbeiten lassen, aber es gibt nicht mehr so viele von ihnen. Kaum jemand will noch solche anstrengenden Berufe lernen.
Das Schulsystem orientiert einen Großteil der Jugendlichen auf das Gymnasium, die wenigsten wählen einen Handwerksberuf, wenn sie einmal das Abitur gemacht haben — und wenn es auch ein schwaches Abitur ist. Aber Handwerker, das müssen sehr gute, intelligente und arbeitsfähige Leute sein, mit Selbstdisziplin, Geschicklichkeit, Lernvermögen und einem weiten Horizont. Ein Auslesesystem, das die Handwerksberufe als zweite Wahl für die Leistungsschwächeren einordnet, ist grundverkehrt.
Natürlich gibt es noch Handwerker, die nicht zu Einzelkämpfern geworden sind, also Unternehmer, die noch Angestellte in ihren kleinen Firmen haben. Aber auch sie werden weniger, und auch sie haben kaum Nachwuchs. Der Fleischer in Altreetz hat sogar mal eine Wohnung angemietet, damit sich auch Lehrlinge von weiter her für seine Lehrstelle interessieren könnten. Es hat nichts genutzt.
Da diese Betriebsleiter nicht nur sich selbst verantworten müssen, können sie ihre Kräfte nicht so gut einteilen wie die Einzelkämpfer. Sie müssen mehr Aufträge heranschaffen, mehr Angebote abgeben, mehr bürokratische Voraussetzungen erfüllen, Kontrollen überstehen, Fristen einhalten, arbeitsteilige Prozesse meistern, Risiken eingehen, sich auf unangenehme Kunden einlassen. Oft genug legen sie selbst mit Hand an. Tagsüber stehen sie auf dem Bau oder in der Werkstatt, nebenbei und abends müssen sie sich um Steuern und Bankangelegenheiten kümmern.
Diese Menschen werden händeringend gebraucht, sei es, um dem immer größer werdenden Wohnungsmangel abzuhelfen oder um Heizungen zu warten oder um Autos zu reparieren oder um die Auswirkungen der vielen tollen Ideen der Politik abzufangen. Aber die Gesellschaft kommt trotzdem nicht auf die Idee, ihr Bildungssystem und ihre ganze öffentliche Kultur so auszurichten, dass dieser Bedarf auch gedeckt werden kann. Ich kenne einige von diesen Menschen, und sie sind ziemlich ärgerlich über das alles.
In der Landwirtschaft ist es nicht anders. Landwirt sein heißt früh aufstehen, unregelmäßig arbeiten, möglicherweise wenig verdienen, immer mehr fragwürdige Auflagen erfüllen müssen und zu allem Überfluss noch verachtet werden. Als wäre die Landwirtschaft nicht Grundlage unserer Ernährung, also eine wirklich wichtige Angelegenheit, hackt man auf ihr herum. Das ist schon einigermaßen seltsam.
Rainer arbeitet im Tiefbau. Ich habe ihm einmal zugesehen, aus dem Auto heraus. Seine Arbeit ist vielleicht noch härter als die der bisher beschriebenen Männer, denn sie ist zusätzlich noch laut und staubig. Er sägt Straßen auf, verlegt Rohre, baut Bankette und versiegelt die Flächen dann wieder. Ringsum dröhnt der Verkehr, seine Maschinen sind die Hölle. Ist das ein Handwerk? Ich meine schon, denn es ist keine standardisierte Arbeit. Im Gegensatz zu den beschriebenen Handwerkern ist er aber nicht sein eigener Herr. Er hat Chefs, kaum Entscheidungsspielraum und höchstwahrscheinlich auch weniger Einkommen. Also raucht er.
Und er interessiert sich für die Staatsausgaben, weil immer wieder gesagt wird, der Staat müsse Geld in die Hand nehmen. Rainer findet, es ist auch sein Geld, das der Staat in die Hand nimmt, und es ärgert ihn, dass das nicht gesagt wird. Denn Steuern begrenzen seine Möglichkeiten, sich selbst für die harte und gesundheitsschädliche Arbeit, die er leistet, zu entschädigen.
Aber was sieht er, wenn er die politischen Debatten verfolgt? Ganz einfach: Es geht nie, wirklich nie um ihn. Wenn er das Fernsehen anschaltet, dann sitzen gepflegte Personen in den Talkshows, die noch nie eine Fräse gesehen haben, die nicht einmal zu wissen scheinen, dass es solche wie ihn gibt, Leute, die so hart arbeiten müssen, dass es weh tut, und die auch Kinder haben und Träume hatten.
In ihren Gesprächen geht es um Zero-Covid und um Zero-Emission und um Panzerlieferungen und Werbeverbote und um Dinge, die man neuerdings nicht mehr tun oder sagen soll, aber es geht nicht um ihn. Nicht eine einzige Minute der Sendezeit von Anne oder Sandra oder Maybrit oder Markus oder gar Jan oder Oliver oder wie sie alle heißen, handelt von ihm, es sei denn, man macht sich über ihn lustig. Obwohl doch diese Leute auch von ihm bezahlt werden, denn er muss Rundfunkgebühren zahlen. Darüber ist Rainer wütend.
Es ist schon richtig, dass die Werktätigen, wie man sie in der DDR nannte, auch früher meist auf Verschleiß gelebt und gearbeitet haben und dass man insofern die alten Zeiten nicht verklären sollte. Aber dass das, was diese Menschen leisten, wichtig für alle, wichtig für das Gelingen der Gesellschaft war, daran bestand doch kein Zweifel. Filme zeigten die Schickale dieser Menschen, und Bücher handelten von ihnen. Sie genossen Respekt für das, was sie taten. Unsere Öffentlichkeit hat sich dagegen von der täglichen Arbeit dieser Menschen weitgehend abgewendet. Sie klatscht mal für Krankenschwestern, aber was das für eine Heuchelei war, wissen inzwischen alle.
Und diese Menschen sehen nun, dass das System, in dem wir leben, über kurz oder lang nicht mehr funktionieren wird, schon allein deshalb, weil niemand, der es drauf hat, ihre Arbeit fortführen will, wenn sie mal nicht mehr können. Es machen sich alle vom Acker und stattdessen was mit Medien.
Rainer sagte neulich: „Ick fahr nach Berlin. Ick klemme denen dit Wasser ab, den Strom, die Telefonleitung, allet. Ick weeß nämlich, wie dit jeht. Und die wissen dit nich. Die wissen och nich, wie't wieder anjeklemmt wird. Die wissen ja nüscht.“
Ich werde Rainer nicht helfen. Erstens gehöre ich auch zu jenen, die nicht wissen, wie das geht. Zweitens sind wir weit davon entfernt, ein aussichtsreiches Aufbäumen der arbeitenden Bevölkerung zu erleben. Alle Räder stehen zwar bald still, das liegt aber nicht gerade an einem meisterlich geführten Klassenkampf. Drittens habe ich nicht vor, Gesetze zu übertreten. Aber ich verstehe ihn doch. Zumal er das ja ohnehin alles nicht machen wird.
Unter dem Eindruck dieser wachsenden Konfrontation frage ich mich oft, womit eigentlich ich mein Geld verdiene. Ob es gerechtfertigt ist, dass ich davon gut leben kann, im Moment jedenfalls? Ob es die Steuern der Handwerker und Straßenbauer und Landwirte wert ist? Ich bin mir nicht sicher. Ich finde, niemand, der von öffentlichen Mitteln lebt, sollte sich da allzu sicher sein.
Wenn man hier als „Geistesarbeiter“ — man merkt dem Begriff an, dass mit ihm etwas nicht stimmt — überhaupt etwas tun kann, dann ist es vielleicht genau das: diesen Zweifel zu erhalten und den Leuten die Aufmerksamkeit nicht zu versagen, die sie verdient haben.
So sehr wie ein Einkommen, von dem man gut leben kann.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „Harte Arbeit — und was man dafür bekommt“ bei OderAmazonas.