Harry Potter und das Coronavirus
Was können wir aus den beliebten Romanen um den Zauberlehrling über die derzeitige Corona-Krise lernen?
Nicht selten sind die Harry Potter-Romane ein Zufluchtsort des Trostes oder eine unverhoffte Wissensquelle, wenn man inmitten einer Lebenskrise nicht mehr weiter weiß. So können wir von den sieben Romanen der Autorin Joanne K. Rowling auch in Zeiten der Corona-Krise zehren. Für diese Veranschaulichung ist es nicht nötig, die Bände gelesen zu haben. Die Beispiele werden im Nachfolgenden so aufbereitet, dass auch Harry Potter-Laien einen Nutzen daraus ziehen und sich der Subbotschaften und Analogien zur heutigen Zeit bewusst werden können.
In der Gesamtbetrachtung aller sieben Harry Potter-Bände geht es im Grunde ebenso wie in der heutigen Zeit um einen wiederkehrenden Faschismus. Die Trennlinie verläuft hier nicht zwischen unterschiedlichen „Menschenrassen“, sondern zwischen Magiern und Nichtmagiern – den sogenannten Muggeln. Im vierten Band „Harry Potter und der Feuerkelch“ kehrt der Faschist Lord Voldemort – das magische Pendant zu Adolf Hitler – zurück, nachdem er dreizehn Jahre sein Dasein als halb lebendiges, geschwächtes Geschöpf fristete. Dass Harry Potter Zeuge von dessen Wiederauferstehung wurde, will ihm niemand glauben.
Harry Potter, der Verschwörungstheoretiker
Es gibt in der westlichen Kultur kaum eine so prominente Kultfigur, der im Laufe ihres Plots das widerfährt, was wir in jüngster Zeit im Zusammenhang mit kritischen Geistern erleben, die für die bloße Wiedergabe ihrer Sichtweise den Stempel des Verschwörungstheoretikers aufgedrückt bekommen. Daher ist der Blick durch die berühmte Brille von Harry Potter so wichtig. Er kann vielleicht helfen, auch jenen, die in den hysterischen Chor einfallen, man müsse doch nun Fake-News bekämpfen und dafür zur Not auch Social-Media-Kanäle zensieren, vor Augen zu führen, dass sie gerade die unrühmliche Rolle jener einnehmen, die Harry Potter im fünften Band der Reihe das Leben schwer machen.
Manchmal muss man die Realität in Bezug zur Fiktion setzen, damit man deutlicher erkennt, was sich derzeit eigentlich abspielt. Das Wiedererkennen von Mustern aus Fiktionen kann eine emotional-geistige Stütze sein, um die Realität besser einordnen zu können, da diese Muster in den Fiktionen noch stärker überspitzt und damit sichtbarer werden.
Genau dies tat Roland Rottenfußer kürzlich in einem hervorragenden Artikel, der auch Harry Potter anschnitt, wenngleich leider nur sehr knapp. Daher soll dies hier ausführlicher thematisiert werden.
Harry Potter ist in der Magierwelt eine Heldenfigur, die als Kleinkind einen Angriff des eben genannten Magier-Faschisten Lord Voldemort überlebt hat und fortan als „der Junge, der überlebte“ berühmt ist. Sowohl innerhalb der Diegese als auch in der Realität ist Harry Potter ein Held. Doch innerhalb der Diegese wird Harry Potter ab dem fünften Band von den Medien und weiten Teilen seiner Mitmenschen zum Verschwörungstheoretiker erklärt. Auch wenn die Bezeichnung natürlich anders lautet. Doch sinnbildlich wird ihm ein mit Alu umwickelter Zauberhut aufgesetzt.
Was macht Harry, dass er sich diesen Ruf zuzieht? Im Grunde genommen gibt er nur das wieder, was er mit eigenen Augen im vierten Band gesehen hat: Die Rückkehr Lord Voldemorts. Doch sowohl die PolitikerInnen des Zaubereiministeriums als auch die Presse – der Tagesprophet – schenken ihm keinen Glauben, wollen ihm nicht glauben. Harry Glauben zu schenken würde nämlich bedeuten, anzuerkennen, dass die größte Gefahr innerhalb der Zaubererwelt wieder zurück wäre. So wird Harry von allen Seiten verleumdet. Von der Politik, der Presse und letztlich von seinen Mitschülern, die ihn als Spinner abstempeln.
Des Weiteren gibt es eine breit aufgestellte politische Inquisition, die dem Treiben Potters und seiner Freunde Einhalt gebieten soll. So wird die Schreckschraube und Ministeriumsmitarbeiterin Dolores Umbridge – das magische Pendant zu Ursula von der Leyen – an die Hogwarts-Zaubererschule geschickt, um dort die Lehrinhalte und das Verhalten der Schüler gemäß der gewünschten Ideologie in die jeweils richtigen Bahnen zu lenken. Zudem führt sie nebenbei eine Form von Social Distancing ein, ein Kontaktverbot für Jungen und Mädchen. Diese dürfen sich einander auf nicht mehr als 20 Zentimeter nähern.
In ihrem Unterrichtsstil lassen sich Muster für die moderne Schulpflichtkritik erkennen. Sie lehrt die SchülerInnen rein theoretische, praxisferne Inhalte und fordert bedingungslosen Gehorsam. Wer sich dem widersetzt – so wie Harry – bekommt die volle Wucht harter Sanktionen zu spüren.
So muss Harry als Strafarbeit – nachdem er im Unterricht vehement seine Position verteidigte, dass Lord Voldemort zurückgekehrt sei – unzählige Male auf ein Stück Pergament den Satz „Ich soll keine Lügen erzählen“ schreiben. Jedoch mit einer speziellen magischen Feder, die sich als Schreibtinte seines Bluts bedient und entsprechend diesen Satz als Narbe in den Handrücken eingraviert. Umbridge gehört mit ihrem beherrschten Auftreten, dem falschen Dauerlächeln und der übertrieben liebenswürdigen Stimme zwar nicht zur offen faschistischen Gefolgschaft Voldemorts, die vermummt und Parolen gröhlend durch den Wald zieht, um NichtmagierInnen zu foltern und zu demütigen.
Doch ihre drakonischen Erziehungsmethoden im Umgang mit kritischen SchülerInnen ähneln dennoch der Denkart der TodesserInnen – der magischen Gestapo – und stützt letztlich deren Ideologie. Damit gehört sie als Vertreterin des Zaubereiministeriums zum sogenannten Faschismus der Mitte, der eben nicht nur ein Phänomen radikaler Randgruppen ist, sondern im Zweifelsfall bei entsprechender Berichterstattung von der Mitte der Gesellschaft mitgetragen wird. Die Staatsgewalt verschließt nicht nur die Augen vor dem Faschismus, sondern ist ihm auch strukturell ähnlich.
Während sich Harry und seine Freunde in einem zermürbenden Informationskrieg mit dem Zaubereiministerium, den Medien und der aufgestachelten Mehrheit der Zauberergemeinschaft befinden, kann Lord Voldemort im Schatten dieser Gefechte ungehindert seine Machtübernahme planen.
Hier lässt sich eine Analogie zu der derzeitigen Corona-Krise erkennen. Auch hier gibt es
- eine Tatsache, die nicht wahr sein darf: Corona ist weitgehend ungefährlich;
- eine traumatische Schlussfolgerung, die daraus folgt: Der Staat, die Staaten berauben uns unserer Freiheitsrechte, ohne Notwendigkeit und bar jeglicher rechtlichen Grundlage;
- eine breit angelegte Verleumdungskampagne, die jene – Wodarg, Streek, Bahner, Bhakti, Schiffmann et cetera – zum Schweigen bringen soll, die eben diese Wahrheit aussprechen;
- und einen sich im Hintergrund aufbäumenden Faschismus, der immer deutlicher aus dem Dunklen zutage tritt.
Sei selber der Messias, auf den du wartest!
Das Finale des dritten Bandes „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“ lehrt uns, dass es darauf ankommt, sich selbst zu ermächtigen. Um dies verständlich darzulegen, muss hierbei das doch etwas komplexe Finale des dritten Bandes für die Nicht-Potter-Kenner komprimiert und übersichtlich dargestellt werden:
Harry und seine Freunde werden nachts am Ufer eines Sees von einer Horde Dementoren angegriffen.
Dementoren sind Wesen, die sich am besten beschreiben lassen als Gestalt annehmende Depressionen. Joanne K. Rowling sagte selber, diese Wesen seien eine Metapher für Depressionen, die sie selber durchlitten hatte. Dementoren lösen in der Gegenwart von Menschen – Muggeln wie Zauberern – ein beklemmendes Gefühl der inneren Kälte und Trostlosigkeit aus.
Ihre Gegenwart fühlt sich an, als würde man „nie wieder froh werden“. Bei traumatisierten Menschen – wie etwa Harry Potter – lösen sie einen Trigger aus, der sie ohnmächtig und – nach Franz Ruppert – wieder mit den sonst isolierten Trauma-Anteilen in Berührung kommen lässt. So hört Harry in diesem Zustand die Schreie seiner sterbenden Eltern, die er in seinem ersten Lebensjahr durch Lord Voldemort verloren hat.
Außerdem werden die Dementoren vom Zaubererstaat als eine Art Polizei eingesetzt, die das Zauberergefängnis Askaban bewachen und im dritten Teil auch eine Art Ausgangssperre um die Zauberschule aufrecht erhalten, um die drohende Gefahr durch den angeblichen Massenmörder Sirius Black einzudämmen, der sich später als ungefährlich herausstellt.
Hier haben wir in der realen Welt allerdings einen entscheidenden Vorteil. Unsere Polizei besteht nicht aus gesichtslosen, grausamen Monstern, die einem die Seele aussaugen, sondern aus Menschen, die vielleicht eine Uniform tragen, aber genauso Familie, Kinder und Angst haben wie die meisten Menschen in dieser Zeit. Aber zurück zur Handlung:
Gegen die Dementoren kann nur ein einziger Zauber Abhilfe verschaffen: „Expecto Patronum!“. Das Heraufbeschwören dieses Zaubers verlangt von dem oder der Ausführenden, dass er oder sie sich in dem Augenblick mit aller Kraft an die schönsten Momente im Leben erinnert, dabei den Zauberspruch lauthals herausruft und gleichzeitig den Zauberstab auf die Dementoren richtet. Wenn dies glückt, erscheint aus der Spitze des Zauberstabs die Lichtgestalt eines Patronus – lateinisch „Schutzherr“ –, der von Person zu Person unterschiedliche Gestalten annimmt.
Als die Dementoren über Harry und seinem Patenonkel kreisen und ihnen sämtliche Lebensenergien rauben, liegt Harry kurz vor dem Verlust des Bewusstseins auf dem Boden und erblickt auf der anderen Uferseite des Sees eine Person. Er meint, in dieser Person seinen verstorbenen Vater zu erkennen, was natürlich vollkommen unmöglich ist. Als diese Person einen mächtigen „Patronus“ gegen die Dementoren heraufbeschwört, verliert Harry das Bewusstsein und erwacht wieder im Krankensaal der Hogwarts-Zauberschule im Beisein seiner Freunde Ron und Hermine.
Nun erscheint Schulleiter Albus Dumbledore und bringt Harry und Hermine auf die Idee, mittels Hermines Zeitumkehrer drei Stunden in die Vergangenheit zu reisen, um mehrere Leben zu retten. Dies soll hier nicht weiter ausgeführt werden, da für die Analogie unwichtig. Wichtig ist aber, zu verstehen, dass Harry fest glaubt, kurz vor der Bewusstlosigkeit seinen Vater erblickt zu haben. Wohl wissend, dass dies schlicht nicht möglich ist. Nicht einmal in der Zaubererwelt können Tote wieder zum Leben erweckt werden.
Neben der Rettung zweier Leben ist die Haupttriebfeder Harrys bei dieser Zeitreise, an den See zurückzukehren, an dem er vermeintlich seinen Vater gesehen hat. Entgegen jeglicher Vernunft ist sein Glaube, seinen Vater gesehen zu haben, fest verankert, und er möchte sich selbst davon überzeugen. So steht Harry in der momentanen Vergangenheit diesmal auf der anderen Seite des Sees und beobachtet seinen Patenonkel und sich selber, wie sie wiederum auf der entgegengesetzten Uferseite von den Dementoren angegriffen werden. So steht Harry da und erwartet, dass sein Vater jeden Augenblick eintreffen muss. Und er wartet und wartet. Doch der Vater kommt einfach nicht. Und dann kommt ihm folgende Erkenntnis:
Er hat nicht seinen Vater auf der anderen Uferseite gesehen, sondern sich selbst!
So steht Harry auf, ruft sich die schönsten Erinnerungen seines Lebens mit aller Kraft vor Augen, hebt den Zauberstab und brüllt aus voller Lunge: „Expecto Patronum!“ Die mächtige Lichtgestalt eines Hirsches erscheint und vertreibt die Dementoren.
Auch hier kann man wieder Analogien zwischen Harry Potter und der derzeitigen Corona-Krise erkennen:
- Wir sollten nicht darauf warten, dass wir von einer wohlmeinenden Elite gerettet werden, so wie das viele Q-Anon-AnhängerInnen glauben und darauf hoffen, dass Donald Trump oder Putin oder sonst wer uns, also die 99 Prozent, vor den bösen elitären Zirkeln retten wird. Unsere väterliche Wunschprojektion, die uns unter anderem auch in Form des starken Staatsmannes Jens Spahn erscheinen kann, der sich um unsere Gesundheit sorgt, wird uns nicht retten, auch wenn diese Erkenntnis schmerzhaft ist. Aus diesem Schlamassel kommen wir nur durch einen sich im Kollektiv vollziehenden Bewusstseinswandel heraus. Und indem wir uns selbst ermächtigen.
- Die Dementoren stehen sinnbildlich für die bewusst geschürte Corona-Angst – Coronoia –, die uns ohnmächtig und tatenlos werden lässt. Dies können wir nur überwinden, indem wir bei uns selber einen „Patronus“ heraufbeschwören, wenn wir bei uns für geistige Hygiene – nach Jens Lehrich – sorgen, einen klaren und kühlen Kopf bewahren und ein empathisch pochendes Herz behalten.