Gralshüter des Journalismus
Dass immer mehr Medien eine devote Haltung gegenüber Bill Gates einnehmen, ist kein Zufall: Der Internet- und Impf-Mogul finanziert etliche von ihnen.
Gibt es irgendetwas, bei dem die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung nicht ihre Finger im Spiel hat? Das Ehepaar bestimmt nicht nur vielfach die globale Agenda, es kontrolliert auch verstärkt sein eigenes Image in den Medien. So erhält unter anderem das National Public Radio, ein Zusammenschluss von 800 Hörfunkstationen der USA, Fördergelder von Gates. Und raten Sie, wie über das Wirken der Stiftung bei den Radiosendern berichtet wird ...! Der Autor befürchtet, dass der Microsoft-Gründer zu etwas wie einem „Torhüter“ — im Original mit einem Wortspiel: „Gates Keeper“ — des zeitgenössischen Journalismus wird. Nur was er durchlässt, kommt ans Licht der Öffentlichkeit — eine große Gefahr für die Meinungsfreiheit.
von Tim Schwab
Im August 2019 berichtete NPR (National Public Radio, ein Zusammenschluss von etwa 800 nicht kommerziellen Hörfunkstationen in den USA) von einem Projekt der Harvarduniversität, das einkommensschwachen Familien helfen soll, sich in wohlhabenderen Gegenden anzusiedeln, sodass ihre Kinder Zugang zu besseren Schulen bekommen und später Gelegenheit, „den Teufelskreis der Armut zu durchbrechen“. Nach den in dem Beitrag zitierten Forschern könnten diese Kinder im Laufe ihres Lebens ein um 183.000 US-Dollar höheres Einkommen erzielen — eine bemerkenswerte Prognose für ein Wohnungsbauprogramm, das sich noch im Experimentalstadium befindet.
Wenn Sie beim Lesen ein bisschen blinzeln, dann fällt Ihnen auf, dass jeder zitierte Experte mit der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung in Verbindung steht, die das Projekt mitfinanziert. Und wenn Sie wirklich genau hinschauen, finden Sie vielleicht auch am Ende den Hinweis des Redakteurs, dass NPR selbst Fördergelder von Gates erhält.
Die Förderung von NPR durch Gates „hatte keinen Einfluss, warum oder wie wir die Geschichte gebracht haben“, betont die Journalistin Pam Fessler und fügt hinzu, dass ihre Berichterstattung weit über die in ihrem Artikel zitierten Stimmen hinausreicht. Nichtsdestoweniger ist die Geschichte eine von Hunderten Beiträgen des NPR über die Gates-Stiftung oder die von ihr finanzierten Projekte, die überwiegend positiv und aus der Perspektive von Gates oder seiner Geförderten geschrieben sind.
Darin erkennt man einen übergreifenden Trend und ein Ethikproblem — durch die Finanzierung von Nachrichten durch philanthropische Milliardäre. Die Broad-Stiftung, die die sogenannten Charter Schools (1) fördert, hat damals auch die Berichterstattung der LA Times über das Schulwesen mitfinanziert. Charles Koch spendete für journalistische Institutionen wie das Poynter-Institut oder Nachrichtenorganisationen wie die Daily Caller News Foundation, die seine konservative Politik unterstützen. Und die Rockefeller Stiftung finanziert das Vox-Projekt „Future Perfect“, das „durch die Lupe des effektiven Altruismus“ über die Welt berichtet — oft mit Blick auf die Philanthropie.
Während Philanthropen zunehmend die Finanzlöcher von Nachrichtenorganisationen stopfen — eine Rolle, die sich infolge des nach der Corona-Pandemie zu erwartenden Konjunktureinbruchs mit ziemlicher Sicherheit ausweiten wird —, machen sich wenige darüber Gedanken, wie das die Berichterstattung über ihre Wohltäter beeinflussen wird.
Nirgends ist diese Sorge berechtigter als bei der Gates-Stiftung, die bei den Spenden an Nachrichtenmedien führend und häufig Gegenstand wohlwollender Berichterstattung ist.
Kürzlich untersuchte ich fast 20.000 wohltätige Spenden, die die Gates-Stiftung bis Ende Juni gewährt hat, und ich fand dabei heraus, dass mehr als 250 Millionen US-Dollar in den Journalismus fließen. Zu den Empfänger gehörten:
- Nachrichtenorgane wie BBC, NBC, Al Jazeera, ProPublica, National Journal, The Guardian, Univision, Medium, die Financial Times, The Atlantic, die Texas Tribune, Gannett, Washington Monthly, Le Monde und das Center for Investigative Reporting;
- Wohltätigkeitsorganisationen, die mit Nachrichtenagenturenverbunden sind, wie die BBC Media Action and der Neediest Cases Fund der New York Times;
- Medienkonzerne wie Participant, dessen Dokumentation „Waiting for Superman“ die Gates-Agenda für die „Charter Schools“ unterstützt;
- journalistische Organisationen wie das Pulitzer Center on Crisis Reporting, die National Press Foundation und das International Center for Journalists und
- eine Vielzahl anderer Gruppen, die Nachrichteninhalte erstellen oder den Journalismus unterstützen, wie die Leo Burnett Company, eine Werbeagentur, die Gates beauftragt hat, eine Nachrichtenplattform für den Erfolg von Hilfsorganisationen zu erstellen.
In einigen Fällen gaben die Empfänger an, die Zuwendungen an andere Organisationen weiterverteilt zu haben — was es schwierig macht, sich ein Gesamtbild von Gates‘ Förderung der Vierten Gewalt zu machen.
Die Stiftung hat auch den 2016 erschienenen Bericht des American Press Institute kofinanziert, der dazu diente, Richtlinien zu entwickeln, wie Nachrichtenagenturen ihre redaktionelle Unabhängigkeit von philanthropischen Geldgebern aufrechterhalten können. Eine Haupterkenntnis war: „Es gibt kaum Anzeichen, dass die Förderer auf redaktionellen Einfluss bestehen oder diesen haben.“ Interessanterweise geht aus der Datenbasis der Studie hervor, dass fast ein Drittel der Förderer, nach eigenen Angaben, wenigstens einige der von ihnen finanzierten Inhalte vor der Veröffentlichung gesehen hat.
Gates‘ Großzügigkeit scheint offenbar zu einer immer freundlicher werdenden Medienumfeld für die im Rampenlicht stehende Wohltätigkeitsorganisation geführt zu haben.
Noch vor 20 Jahren stellten Journalisten Bill Gates’ anfänglichen Ausflug in die Philanthropie als ein Vehikel zur Bereicherung seines Softwareunternehmens dar, oder als PR-Aktion, um dessen angeschlagenen Ruf nach dem blutigen Kartellkampf von Microsoft mit dem Justizministerium zu retten. Heute ist die Stiftung meist Gegenstand zahnloser Porträts oder glühender, die Wohltaten preisender Leitartikel.
Während der Pandemie behandelten die meisten Nachrichtenmedien Bill Gates wie einen Experten für Covid-19 — obwohl er weder eine medizinische Ausbildung noch öffentliches Amt hat. PolitiFact und USA Today — herausgegeben vom Poynter-Institut beziehungsweise von Gannett, die beide Mittel von der Gates-Stiftung erhalten — haben ihre Faktencheck-Plattformen aufgeboten, um Gates vor „falschen Verschwörungstheorien“ und „Fehlinformationen“ in Schutz zu nehmen, wie etwa dem Gerücht, dass die Stiftung in Unternehmen investiert habe, die Covid-19-Impfstoffe und -Therapien entwickeln. Dabei zeigen Webseite der Stiftung und ihre aktuelle Steuererklärung deutlich Investitionen in solche Unternehmen wie Gilead (2) und CureVac.
So wie die Nachrichtenmedien Gates einen unangemessenen Einfluss in Fragen der Pandemie verschafft haben, nutzte die Stiftung ihre wohltätigen Spenden seit langem dazu, um den öffentlichen Diskurs über alles von globaler Gesundheit über Bildung bis zur Landwirtschaft zu prägen — mit diesem Einfluss schaffte es Gates auf die Forbes-Liste der mächtigsten Menschen der Welt.
Die Gates-Stiftung kann in den vergangenen zwei Jahrzehnten auf wichtige gemeinnützige Errungenschaften verweisen — wie die Bekämpfung von Polio und die Bereitstellung neuer Mittel für die Bekämpfung von Malaria — aber selbst diese Anstrengungen haben kompetente Lästerzungen auf den Plan gerufen, die sagen dass Gates mehr Schaden als Nutzen anrichte oder uns von wichtigeren, lebensrettenden Gesundheitsprojekten abhalte.
Bei praktisch allen von Gates Wohltaten können Reporter, die sich die Mühe machen, Probleme mit der unangemessenen Machtausübung durch die Stiftung finden. Aber solch kritischen Stimmen sind in den Medien nicht so oft und so laut zu hören wie die von Bill und Melinda. Die Nachrichten über Gates sind meist durch die Sicht von Akademikern, gemeinnützigen Organisationen und Denkfabriken gefiltert, die Gates finanziert. Oft sind auch die Redaktionen finanziell mit der Stiftung verflochten.
Die Gates-Stiftung lehnte mehrere Interviewanfragen für diesen Artikel ab und wollte auch keine eigenen Zahlen vorlegen, wie viel Geld sie in den Journalismus gesteckt hat.
Auf Fragen per E-Mail antwortete ein Sprecher der Stiftung, dass ein „Leitprinzip“ ihrer Journalistenförderung die Gewährleistung „schöpferischer und redaktioneller Unabhängigkeit“ sei. Der Sprecher bemerkte auch, dass infolge finanziellen Drucks auf die Medien viele der Themen, an denen die Stiftung arbeitet, „nicht mehr die tiefe, konsequente Behandlung erhalten, die sie einst hatten. (...)Wenn renommierte Medien Gelegenheit haben, über wenig erforschten und wenig bekannten Themen zu berichten, haben sie die Macht, die Öffentlichkeit aufzuklären und die Annahme und Implementierung einer evidenzbasierten Strategie sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor zu fördern.“
Als wir vom Columbia Journalism Review (CJR) beim Faktencheck für diesen Artikel waren, kam von der Gates-Stiftung eine konkretere Antwort:
„Die Empfänger unserer journalistischen Förderung waren und sind einige der renommiertesten Medien der Welt. (...) Die von Ihnen vorgelegte Fragenliste impliziert, diese Medien hätten ihre Integrität und Unabhängigkeit aufs Spiel gesetzt, indem sie mit Mitteln der Stiftung über globale Gesundheitsthemen, Entwicklungs- und Bildungspolitik berichteten. Diese Deutung lehnen wir entschieden ab.“
In der Antwort nennt die Stiftung weitere Beziehungen zu Nachrichtenmedien, zum Beispiel die „Teilnahme an Dutzenden von Konferenzen, darunter dem Perugia Journalism Festival,dem Global Editors Network oder der World Conference of Science Journalism sowie die „Hilfe beim Aufbau von Kapazitäten durch Initiativen wie den Innovation in Development Reporting Fund.
Der volle Umfang der Spenden von Gates für die Nachrichtenmedien bleibt im Dunkeln, weil die Stiftung nur Gelder offenlegt, die durch gemeinnützige Zuschüsse und nicht durch Verträge vergeben werden. In Beantwortung von Fragen gab Gates nur einen Vertrag — den mit Vox — bekannt, beschrieb aber, wie ein Teil dieser Vertragsgelder ausgegeben wird: für die Produktion gesponserter Inhalte und gelegentlich für die Finanzierung „nicht-medialer gemeinnütziger Einrichtungen zur Unterstützung bei Aktivitäten wie Ausbildung von Journalisten, Organisation von Medienkonferenzen und Teilnahme an Events.“
Im Laufe der Jahre haben Reporter die offenkundig blinden Flecken in der Berichterstattung über die Gates-Stiftung aufgedeckt, auch wenn diese reflektierende Art zu schreiben in den vergangenen Jahren seltener geworden ist. Im Jahr 2015 publizierte Vox einen Artikel über die weitverbreitete unkritische Berichterstattung über die Stiftung — die auch dann noch erfolgte, wenn viele Experten und Wissenschaftler bereits die roten Fahnen hissten.
Vox bezifferte weder Gates‘ Zuwendungen an die Nachrichtenredaktionen als einen entscheidenden Faktor noch erwähnte sie seine einmonatige Tätigkeit als Gastredakteur bei The Verge, das zu Vox gehört. Dennoch warf die Nachrichtenagentur kritische Fragen zur Tendenz der Medien auf, die Gates-Stiftung als ambitionslose Wohltätigkeitsorganisation zu porträtieren anstatt als Machtinstrument.
Fünf Jahre zuvor, im Jahr 2010 veröffentlichte CJR eine zweiteilige Serie, in der unter anderem die Millionen US-Dollar untersucht wurden, die an PBS NewsHour flossen, um zuverlässig jede kritische Berichterstattung über Gates zu vermeiden.
Im Jahr 2011 äußerte die Seattle Times ausführlich ihre Bedenken darüber, wie die Finanzierung der Gates-Stiftung die unabhängige Berichterstattung gefährden könnte:
„Um Aufmerksamkeit auf für sie wichtige Themen zu lenken, hat die Stiftung Millionen in Ausbildungsprogramme für Journalisten investiert. Sie finanziert Forschungen über die effektivsten Methoden der Medienkommunikation. Von Gates unterstützte Denkfabriken generieren Faktenblätter sowie fertige Meinungsartikel für die Presse. Magazine und wissenschaftliche Zeitschriften erhalten von Gates Geld für die Publikation von Artikeln und Forschungsergebnissen. Experten, die in von Gates finanzierten Programmen geschult werden, schreiben Kolumnen, die dann in Zeitungen von der New York Times bis zur Huffington Post zu lesen sind, während Onlineportale die Grenze zwischen Journalismus und Meinungsmache verwischen.“
Zwei Jahre nach dem Erscheinen dieses Artikels akzeptierte die Seattle Times substanzielle Fördergelder von der Gates-Stiftung für ein schulbezogenes Reportage-Projekt.
Diese Geschichten lieferten überzeugende Beweise für Gates’ redaktionellen Einfluss, legten aber nicht das ganze Ausmaß seines finanziellen Einflusses auf die „Vierte Gewalt“ offen. Zum Vergleich: Die oben erwähnten 250 Millionen entsprechen genau dem Kaufpreis, den Jeff Bezos für die Washington Post hingelegt hat.
Bei Spenden von Gates an Redaktionen ist die Art und Weise der Verwendung der Gelder eingeschränkt — meist für globale Gesundheits- und Bildungsthemen, an denen die Stiftung arbeitet — was dazu beitragen kann, die Präsenz dieser Themen in den Medien zu erhöhen.
So flossen zum Beispiel im Jahre 2015 383.000 US-Dollar an das Poynter-Institut, das weithin als Autorität auf dem Gebiet journalistischer Ethik gilt und gelegentlich mit CJR zusammenarbeitete. Verwendungszweck der Spende: „Verbesserung der Genauigkeit der weltweiten Berichterstattung zu Themen der globalen Gesundheits- und Entwicklungspolitik“.
Poynters Vizepräsidentin Kelly McBride sagte, die Spendengelder würden an Einrichtungen zur Überprüfung von Medienfakten weitergeleitet, wie Africa Check, und sie zeigte sich „fest davon überzeugt“, dass die Arbeit nicht zu Voreingenommenheit oder blinden Flecken führen würde, obwohl sie einräumte, das nicht selbst geprüft zu haben.
Ich fand sechzehn Beispiele von Medienbehauptungen im Zusammenhang mit Gates, die von Africa Check überprüft worden waren. Diese scheinen alle Bill und Melinda Gates und ihrer Stiftung, die Milliarden US-Dollar in afrikanische Entwicklungsprojekte gesteckt haben, weitestgehend recht zu geben. Das einzige Beispiel, das ich gefunden habe, bei dem der Africa Check seinen Gönner etwas korrigierte, war eine inkorrekte Statistik in einem Tweet eines Stiftungsmitarbeiters: Dass alle 60 Sekunden ein Kind an Malaria sterbe, anstatt alle 108 Sekunden.
Africa Check gibt an, in den Jahren 2017 und 2019 weitere 1,5 Millionen von Gates erhalten zu haben.
„Unsere Sponsoren haben keinen Einfluss auf die von uns überprüften Behauptungen (...) und die daraus für unsere Berichte gezogenen Schlussfolgerungen“, sagte der Geschäftsführer von Africa Check Noko Makgato gegenüber CJR. „bei allen Faktenchecks, in denen unsere Geldgeber involviert sind, fügen wir einen Vermerk zur Information der Leser hinzu.“
Anfang dieses Jahres übernahm McBride im Rahmen eines Vertrages zwischen NPR und Poynter auch die Aufgabe eines NPR-Chefredakteurs. Seit dem Jahr 2000 hat die Gates-Stiftung NPR mit 17,5 Millionen unterstützt, verteilt auf zehn gemeinnützige Zuwendungen, die alle für die Berichterstattung über globale Gesundheits- und Bildungsfragen — spezifische Gates-Themen.
NPR berichtet ausführlichst über jede Regung der Gates-Stiftung. Bis Ende 2019, so ein Pressesprecher, hat NPR die Stiftung mehr als 560-mal erwähnt, davon allein 95-mal bei Goats and Soda, dem globalen Gesundheits- und Entwicklungsblog, der von Gates gefördert wird. „Die Finanzierung durch Privatwirtschaft und Philanthropen hat nichts mit dem redaktionellen Entscheidungsprozess in der NPR-Nachrichtenredaktion zu tun“, versicherte der Sprecher.
Tatsächlich kommt es vor, dass NPR die Stiftung kritisch beleuchtet. Im September 2019 wurde über die Entscheidung der Stiftung berichtet, den indischen Premierminister Narendra Modi mit einem humanitären Preis auszuzeichnen, trotz dessen düsterer Vorgeschichte in Bezug auf Menschenrechte und Meinungsfreiheit.
Die Geschichte erschien danach in vielen Zeitungen — eine der seltenen für Gates schlecht gelaufenen Episoden.
Am selben Tag erschien über die Stiftung eine zweite NPR-Schlagzeile: „Gates-Stiftung sieht Ziel der weltweiten Armutsbekämpfung bis 2030 in Gefahr“. Die Artikel zitiert nur zwei Quellen: die Gates-Stiftung und einen Vertreter des Center for Global Development, eine von Gates finanzierte NGO. Unabhängige Standpunkte sucht man vergebens. Bill Gates, als zweitreichster Mann der Welt ein potenzielles Sinnbild sozialer Ungleichheit, wird von NPR zur moralischen Autorität in Armutsfragen gemacht.
Angesichts von Gates‘ umfangreicher Finanzierungsrolle beim NPR könnte man sich Redakteure vorstellen, die darauf bestehen, dass ihre Reporter finanziell unabhängige Stimmen zu Wort kommen lassen oder Quellen verwenden, die zu kritischen Betrachtungsweisen imstande sind — sehr im Gegensatz zu vielen NPR-Berichten über Gates (3). Eine andere Methode, ein gewisses Maß an Unabhängigkeit anzustreben, wäre die Zurückweisung von Geldern, die zweckgebunden an Gates’ Lieblingsthemen sind.
Selbst wenn NPR „kritisch“ über Gates berichtet, wird man den Eindruck einer Inszenierung nicht los. Im Februar 2018 brachte NPR einen Bericht mit der Überschrift „Bill Gates befasst sich mit ‚schwierigen Fragen‘ zu Armut und Macht“. Die „schwierigen Fragen“, die NPR in dieser Frage- und Antwortrunde darbot, stammten zum größten Teil aus einer von Gates selbst kuratierten Liste, die er zuvor in einem Brief auf der Webseite seiner Stiftung beantwortet hatte. Ohne jede Ironie fragte der Reporter Ari Shapiro: „Wie ermutigen Sie (...) die Leute, Ihnen reinen Wein einzuschenken, auch auf die Gefahr hin, ihren Geldgeber zu verprellen?“
Gates erwiderte, Kritiker würden ihre Anliegen vorbringen und die Stiftung höre ihnen zu.
Im Jahr 2007 publizierte die LA Times eine der wenigen kritischen Recherche-Serien über die Gates-Stiftung, die auch die Stiftungsbeteiligung an Unternehmen thematisierte, die den Menschen — denen die Stiftung vorgab zu helfen —, schadeten, wie gewisse, im Zusammenhang mit Kinderarbeit stehende Schokoladenfirmen. Der für die Serie verantwortliche Reporter Charles Piller berichtete, er habe sich während der Recherchen gewaltig angestrengt, um Antworten von der Gates-Stiftung zu bekommen.
„Zum größten Teil wollten sie mit mir nichts zu tun haben. Sie waren nicht bereit, Fragen zu beantworten, und verweigerten mehr oder weniger jede Form von Kommunikation außer dem absoluten Minimum für die meisten meiner Berichte“, so Piller. „Das ist sehr, sehr typisch für große Konzerne und Regierungsbehörden: Sie haben die Hoffnung, dass jedes noch so kontroverse Thema, das in der Berichterstattung aufgeworfen wurde, eine begrenzte Lebensdauer hat, und sie wieder zur Tagesordnung übergehen können.“
Angesprochen darauf, warum es so wenig kritische Berichterstattung über Gates gebe, sagte Piller, die Redaktionen würden die Zuwendungen zum Anlass nehmen, sich andere Angriffspunkte zu suchen.
„Anzunehmen, die Spenden an ihre Organisationen hätten keine Wirkung auf die redaktionelle Arbeit, wäre Selbstbetrug“, sagt er. „Das ist einfach der Lauf der Welt“.
Zwei Journalisten, die erst kürzlich zu Gates recherchiert haben, berichten über die unzweideutigen Anstrengungen der Stiftung, redaktionellen Einfluss auszuüben.
Die unabhängigen Journalisten Robert Fortner und Alex Park untersuchten in De Correspondent die Grenzen und unbeabsichtigten Folgen der hartnäckigen Bemühungen der Stiftung, die Kinderlähmung (Polio) auszurotten. In der HuffPost zeigen die beiden Journalisten, wie Gates‘ überproportionale Finanzierung globaler Gesundheitsinitiativen die Hilfsagenda der ganzen Welt auf die eigenen Ziele der Stiftung (wie Ausrottung der Kinderlähmung) und weg von Themen wie der Notfallvorsorge zur Reaktion auf Krankheitsausbrüche wie die Ebola-Krise.
Dieses Narrativ ging im Zuge der aktuellen Covid-19-Diskussion verloren, seitdem Medien von der LA Times über PBS bis STAT Gates zur visionären Führungspersönlichkeit im Bereich Pandemie verklärt haben.
Während Fortner und Park an diesen beiden Artikeln arbeiteten, setzte die Stiftung Himmel und Hölle für ein Gespräch mit ihren Chefredakteuren in Bewegung. Beide hatten den Eindruck, dass Gates die redaktionelle Gestaltung der Beiträge zu beeinflussen suchte.
„Sie wichen unseren Fragen aus und versuchten, unsere Berichterstattung zu unterminieren“, berichtet Park.
Während der Recherchen für De Correspondent, machte die Pressesprecherin von Gates‘ Polio-Team, Rachel Lonsdale, dem Chefredakteur des Duos ein ungewöhnliches Angebot und schrieb:
„Wir suchen normalerweise das Telefongespräch mit dem Chefredakteur einer Zeitung, die freiberufliche Journalisten einsetzt, einerseits um besser zu verstehen wie wir bei dem aktuellen Projekt helfen können, andererseits um eine längere Beziehung aufzubauen, die über das Freiberuflerprojekt hinaus bestehen könnte.“
Das Online-Magazin entgegnete, dass es den Vorschlag wegen seines Potenzials ablehne, die Unabhängigkeit und Integrität seiner Arbeit zu kompromittieren.
In einer Stellungnahme erklärte die Stiftung später, dass Lonsdale „normale Medienkontakte als Teil ihrer Rolle als leitende Projektbeauftragte durchführt. Wie wir schon im Dezember 2019 an Tim geschrieben haben, verfügen auch wir wie viele andere Organisationen über ein hauseigenes Team für Medienarbeit, das den Kontakt zu Journalisten und Redakteuren pflegt, um als Ressource für die Informationsbeschaffung zu dienen und eine gründliche, akkurate Berichterstattung zu ermöglichen.“
Park sagt, er hatte für beide Artikel die Rückendeckung seiner Chefredakteure. Aber er macht keine Abstriche an dem Versuch der Stiftung, „einen Keil zwischen uns und das Magazin zu treiben (...) wenn nicht zur direkten Einflussnahme, dann zum Aufbau einer Beziehung über die man später Einfluss nehmen kann.“
Unterdessen erklärt Fortner, dass er es größtenteils vermeide, Artikel in von Gates finanzierten Nachrichtenagenturen anzubieten, wegen des damit verbundenen Interessenkonfliktes. „Die Finanzierung durch Gates macht für mich einen glaubwürdigen Pitch-Prozess unmöglich.“
Fortner, Autor der CJR-Reportage von 2010 über Gates‘ finanzielle Förderung des Journalismus, publizierte 2016 im Selbstverlag einen Folgeartikel, in dem er thematisiert, dass die Finanzierung von Nachrichtenbeiträgen durch Gates nicht immer offengelegt wird, darunter auch 59 Nachrichtenberichte, die das Pulitzer Center on Crisis Reporting teilweise mit Gates‘ Geld finanzierte. Das Center weigerte sich auch, Fortner mitzuteilen, um welche 59 Artikel es sich handelte.
Sind kritische Berichte über die Gates-Stiftung schon selten, so sind sie im Kontext des „Lösungsjournalismus“ total daneben — einer neuartigen Form der Berichterstattung, die die Lösungen von Problemen, nicht die Probleme selbst, hervorhebt. Diese optimismusbetonte Ausrichtung hat die Patronage der Gates-Stiftung auf sich gezogen, die 6,3 Millionen für das „Solutions Journalism Network“ (SJN) locker gemacht hat, um Journalisten auszubilden und Reporting-Projekte zu finanzieren. Gates ist der größte Geldgeber für das SJN und bestreitet rund ein Fünftel der gesamten Finanzierung des Netzwerks. Mehr als die Hälfte dieses Geldes wurde, laut SJN, unterverteilt, zum Beispiel an Education Lab, sein (oben erwähntes) Gemeinschaftsprojekt mit der Seattle Times.
SJN räumt auf seiner Webseite ein dass „potenzielle Interessenkonflikte inhärent sind“, wenn man philanthropische Gelder nimmt, um Lösungsjournalismus zu betreiben. SJN-Mitgründer Bornstein dazu in einem Interview:
„Wenn Sie über das globale Gesundheits oder Bildungswesen berichten und über interessante Modelle schreiben, sind die Chancen sehr groß, dass eine der Organisationen (über die Sie berichten) von der Gates-Stiftung mitfinanziert wird, denn sie überziehen die ganze Welt mit ihrem Geld und sind der Hauptsponsor in diesen beiden Bereichen“.
Unsere Frage, ob es Beispiele kritischer Berichterstattung des SJN über die Gates-Stiftung gebe, erschien ihm fast als ungehörig: „Die meisten Geschichten die wir fördern schildern Versuche, Probleme zu lösen, daher sind sie in der Regel weniger kritisch als der traditionelle Journalismus“.
Das gilt auch für die Beiträge, die Bornstein und SJN-Mitgründerin Tina Rosenberg für die New York Times verfassen. Als Vertragsautoren für die „Fixes“-Meinungskolumne publizieren die beiden seit Jahren wohlwollende Profile der von Gates finanzierten Erziehungs-, Landwirtschafts- und Gesundheitsprogramme — ohne jemals anzugeben, dass sie für eine Organisation arbeiten, die Millionen US-Dollars von Gates bekommt. Im Jahr 2019 berichteten Rosenbergs Kolumnen begeistert zweimal über das „Weltmoskitoprojekt“, dessen Sponsor-Link mit einem Bild von Bill Gates verknüpft ist.
„Wir verweisen in jeder Kolumne auf unsere Beziehung zum SJN, und die Förderer des SJN sind auf dessen Webseite aufgelistet. Aber Sie haben Recht, was die von Gates geförderten Projekte angeht, dann sollten wir sagen, dass auch das SJN gefördert wird“, schrieb Rosenberg in einer E-Mail. „Wir werden in unserer Arbeit mit der New York Times klarer werden und alles offenlegen.“
Mein flüchtiger Blick auf die „Fixes“-Kolumne förderte 15 Beispiele zutage, in denen die Autoren explizit Bill und Melinda Gates, ihre Stiftung oder von Gates gesponserte Organisationen erwähnen. Bornstein und Rosenberg sagten, sie hätten ihre Chefredakteure bei der Times gebeten, mehrere dieser Kolumnen nachträglich mit finanzieller Offenlegung zu ergänzen, sechs bräuchten ihrer Meinung nach keine solchen Hinweise. Rosenbergs im Jahr 2016 geschriebenes Profil von Bridge International Academics erwähnt zum Beispiel, dass Bill Gates persönlich zur Finanzierung des Projekts beitrage. Die Autoren argumentieren, da die Verbindung von SJN zur Gates-Stiftung und nicht zu Bill Gates persönlich besteht, sei keine Offenlegung erforderlich.
„Das ist ein wesentlicher Unterschied“, erklären sie in einer E-Mail.
Aber auch Monate nachdem Bornstein und Rosenberg gesagt haben, sie hätten ihre Herausgeber gebeten, ihre Kolumnen um finanzielle Offenlegungen zu ergänzen, bleiben diese unkorrigiert. Marc Charney, ein leitender Redakteur bei der Times, sagte, er sei nicht sicher, ob und wann die Offenlegungen hinzugefügt würden, und verwies auf technische Probleme und andere redaktionelle Prioritäten.
Auch NPR versprach eine finanzielle Offenlegung zu einem im Jahr 2012 erschienenen Artikel über die Gates-Stiftung hinzuzufügen, ohne dem Taten folgen zu lassen. Die weitaus meisten Artikel über Gates versieht NPR mit solchen Hinweisen.
Selbst bei perfekter Transparenz der Gates-Finanzierung kann das Geld noch zu Voreingenommenheit führen. Gleichzeitig erklärt dies allein nicht ganz, warum ein so großer Teil der Berichterstattung über die Stiftung positiv ist.
Selbst Medien ohne sichtbare finanzielle Verbindung zu Gates — die Stiftung ist nicht verpflichtet, über alle Gelder, die sie in den Journalismus steckt, offen zu legen, sodass das volle Ausmaß nicht bekannt ist — tendieren zu einer positiven Berichterstattung über die Stiftung. Dies mag daran liegen, dass Gates’ expansive Zuwendungen das generelle Narrativ über die Arbeit der Stiftung verbessert haben.
Vielleicht liegt es auch daran, dass Nachrichtenkanäle immer, besonders heutzutage, nach Helden suchen.
Größere Sorge bereitet der Präzedenzfall, den die vorherrschende Berichterstattung über Gates dafür schafft, wie wir über die nächste Generation von zu Philanthropen mutierten Milliardären aus dem Technologiebereich berichten werden, zum Beispiel Jeff Bezos und Mark Zuckerberg. Bill Gates hat gezeigt, wie nahtlos der umstrittenste Industriemagnat sein öffentliches Bild vom Technoschurken zum großzügigen Menschenfreund transformieren kann. Insoweit es die Aufgabe von Journalisten ist, Reichtum und Macht zu hinterfragen, sollte Bill Gates zu den am genauesten beobachteten Menschen der Welt gehören — und nicht zu den meistbewunderten.
Tim Schwab ist freier Journalist in Washington, D.C. Seine Untersuchung über die Gates Foundation war Teil eines Stipendiums der Alicia Patterson Foundation im Jahr 2019. Weitere Informationen unter about.me.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien unter dem Titel „Journalism‘s Gates Keepers“ bei Columbia Journalism Review. Er wurde von Christoph Hohmann aus dem ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratteam lektoriert.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Charter Schools in den USA sind Schulen in freier Trägerschaft, deren Bau und Betrieb vom Staat finanziert werden Sie durch einen Vertrag („charter“) mit dem Staat verbunden, sie verlangen kein Schulgeld und zählen zum öffentlichen Schulwesen.
(2) Anmerkung des Übersetzers: Gilead Sciences ist der Hersteller von Remdesivir.
(3) Links zu den CJR-Artikeln: https://www.npr.org/2019/08/05/747610085/in-seattle-a-move-across-town-could-be-a-path-out-of-poverty?t=1599209958675; https://www.npr.org/sections/health-shots/2012/08/15/158874028/bill-gates-crowns-toilet-innovators-at-sanitation-fair; https://www.npr.org/sections/health-shots/2010/01/gates_foundation_pledges_10_bi.html; https://www.npr.org/sections/health-shots/2013/03/25/175258772/gates-foundation-says-its-time-for-a-snazzier-condom; https://www.npr.org/sections/health-shots/2012/08/08/158447235/why-is-the-worlds-largest-foundation-buying-fake-poop;
https://www.npr.org/sections/health-shots/2010/06/07/127540888/gates-foundation-pledges-1-5-billion-to-child-and-maternal-health