Glück ist für alle da!
Der Glücksforscher Dr. Ha Vinh Tho sprach am 9. Juni 2017 nicht nur zum Thema Glück, sondern auch über Ressourcenkriege.
„Wie wollen wir Leben? Geld, Politik und Bruttonationalglück“ war das Thema der diesjährigen Mitgliederversammlung der GLS-Bank rund um die Frage, wie der viele Menschen einende Wunsch nach Glück bei allen unterschiedlichen Vorstellungen davon in die Praxis umgesetzt werden kann. Eine spannende Frage, insbesondere dann, wenn sie auf der Jahresversammlung einer Bank gestellt wird.
Das Musikforum Ruhr, die kürzlich fertig gestellte Spielstätte der Bochumer Symphoniker und Veranstaltungsort der Tagung ist proppenvoll. Es haben sich, wenn man dem Vorstandssprecher der GLS-Bank Thomas Jorberg Glauben schenken darf, so viele Mitglieder und Nichtmitglieder angemeldet wie nie zuvor. Bereits bei den Gesprächen im Foyer vor Beginn der Veranstaltung ist klar: Die überwiegende Zahl der Menschen ist wegen eines Glücksforschers hier.
Wer also ist Dr. Ha Vinh Tho? Er ist Psychologe und Pädagoge mit vietnamesischen und französischen Wurzeln und hat viele Jahre als Direktor der Ausbildungssektion des internationalen Roten Kreuzes gearbeitet. Er war viel in Krisengebieten der Erde unterwegs. Inzwischen ist er Direktor des Entwicklungsprogramms des Zentrums für Bruttonationalglück (Gross National Happiness Centre) in Bhutan, einem Königreich im Himalaya, das auf Ebene der UN beauftragt ist, weltweite Lösungen für ein gesundes Wirtschaften zu erarbeiten. Sein 2014 erschienenes Buch „Grundrecht auf Glück: Bhutans Vorbild für ein gelingendes Miteinander“ beschreibt eine in die Praxis umgesetzte soziale Utopie von einem glücklichen menschlichen Zusammenleben.
Erfahrung in Kriegs- und Krisengebieten, Glück, Utopie und Wirtschaft in einer Person vereint? Das klingt mindestens widersprüchlich, doch wenn er es geschafft hat, all das unter einen Hut zu bringen, kommt der Verdacht in mir auf, dass dies nur möglich ist, wenn man die Gretchenfrage des Wirtschaftens „Sag, wie hältst Du es mit dem Kapitalismus?“ unbeantwortet lässt. Erst recht, wenn man ihn auf die Jahresversammlung einer Bank eingeladen hat.
Meine so geprägte Vorstellung eines systemkonformen Glücksforschers, der seinen Vortrag mit einer Klang- und Atemmeditation beginnt, um seine Zuhörer von eben dieser Frage und jeglicher Systemkritik abzulenken, wurde gleich zu Beginn des Vortrages als Vorurteil entblößt.
„Meine Damen und Herren, Es ist schön, dass Sie da sind und ich hier sein kann, um über Glück zu sprechen. Ich muss Sie aber gleich zu Beginn enttäuschen: Ich rede zuerst und ganz wesentlich über Leid!“ Ich traue meinen Ohren kaum, als ich nach einer kurzen Vorstellung seiner Person von ihm Sätze höre wie:
„Machen Sie das Experiment: Schauen Sie nach, wo Kriegsgebiete sind. Schauen Sie dann nach, welche Ressourcen, insbesondere Öl, in diesen Kriegsgebieten vorhanden sind. Sie werden sehen, das ist perfect match“.
Ich sehe mich vorsichtig um. Keiner empört sich. Alle hören gespannt zu. Darauf war niemand gefasst.
Wie die meisten anderen um mich herum höre ich ihm aufmerksam zu, wie er emotional und bildreich von seinen Erfahrungen mit Menschen in Kriegsgebieten erzählt. Er berichtet, dass größtenteils in den Medien nicht das dargestellt wird, was er vor Ort erlebt hat.
„Wissen Sie, Hungersnot hat für mich ein Gesicht. Das sind für mich nicht Statistiken und Zahlen. Das ist für mich die Mutter, die eines ihrer Kinder unterernähren muss, nur damit sie im Hilfsprogramm des Roten Kreuzes bleiben kann, damit ihre Familie wenigstens für ein paar Monate Nahrung bekommt. Was ist das für ein Prinzip, das so etwas möglich macht? Das ist Kapitalismus. Das ist das, was wir alle tun. Gut, Sie machen es nicht persönlich. Persönlich haben Sie nichts gemacht. Doch es ist das, wonach wir hier im so genannten Westen leben.“
Das Gebäude meines Vorurteils stürzt im freien Fall ein. Ich sehe mich wieder um. Die meisten nicken zustimmend! Ich muss lächeln vor Glück, nicht nur, weil ich gegen Vorurteile offenbar nicht gefeit bin, sondern auch, weil dieser physisch kleine Mann es schafft, solche Sätze groß auszusprechen und mehr als die Hälfte der Anwesenden zu einem zustimmenden Nicken zu bewegen.
„Geld, Gier und Konsum gehören zu einer oberflächlichen Glücksvorstellung. Das hat mit dem, was ich unter Glück verstehe nichts zu tun.“ Ha Vinh Tho weist darauf hin, was die Grundlage seiner Vorstellung von Glück ist. „Glück ist, wenn für alle Menschen erreicht ist, was in den „Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen festgelegt ist.“
Diese insgesamt 17 Ziele, welche durch die UN die Dimensionen und Rahmenbedingungen für politisches Handeln bis 2030 - die so genannte „Agenda 2030“ - vereinbaren, lauten: Keine Armut, kein Hunger, Gesundheit und Wohlergehen, hochwertige Bildung, Geschlechtergerechtigkeit, Sauberes Wasser und Sanitärversorgung, Bezahlbare und Saubere Energie, Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum, Industrie Innovation und Infrastruktur, Weniger Ungleichheiten, Nachhaltige Städte und Gemeinden, Verantwortungsvolle Konsum- und Produktionsmuster, Maßnahmen zum Klimaschutz, Leben unter Wasser, Leben auf dem Land, Frieden Gerechtigkeit und Starke Institutionen, Partnerschaften zur Erreichung der Ziele.
Ha Vinh Tho hat entscheidend dazu beigetragen, dass diese Ziele in Bhutan Umsetzung erfahren können. Er hebt hervor, dass es ein gleichberechtigtes Abwägen von Entscheidungen auf vier Ebenen sind, welche die Umsetzung möglich gemacht haben. Wenn die vier Ebenen Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Ökologie gleichwertig Beachtung finden, kann dies zu politischen Entscheidungen führen, die dem Glück und dem Wohle aller dienen und die das „Bruttonationalglück“ steigern. Bhutan ist beispielsweise weltweit das erste Land, dessen CO2-Emission pro Kopf negativ ist. In Bhutan wird also mehr Sauerstoff produziert als verbraucht.
Auch im Vortragssaal herrscht keineswegs dicke Luft. Ganz im Gegenteil folgen die Zuhörer Ha Vinh Thos Ausführungen zum Thema Glück. Glück erwächst aus der Transformation von Leid. Die Frage „Wie können wir verhindern, dass Leid entsteht?“ führt die Menschen dazu, sich danach zu orientieren, wie man glücklich zusammenleben kann. Der Mensch ist ein soziales Wesen und leidet, wenn andere Menschen leiden. Tho betont, dass das Bild des „homo oeconomicus“ als die Vorstellung eines aus gierigen und zweckrationalen Motiven heraus handelnden Menschen nach seiner jahrzehntelangen Erfahrung unwahr ist.
Ha Vinh Tho betont, dass die Vorstellung von Konkurrenz und Wettbewerb nicht das ist, wonach sich Menschen tiefgreifend sehnen. Nicht nur die Opfer des Kapitalismus sind unglücklich und leiden, behauptet er. Ein Mensch, der anderen Menschen direkt oder indirekt Leid zufügt, ist kein glücklicher Mensch. Als Beleg sieht er die steigende Zahl von Depressionserkrankungen in den westlichen Industrienationen. Trotz Wohlstand und Konsum sind die Menschen zum Teil so unglücklich, dass sie nicht mehr leben wollen.
Ha Vinh Tho findet es deshalb wichtig, dass die Suche nach Glück nicht nur in einzelnen Projekten stattfindet, wo in einer Art „Laborsituation“ ein glückliches Gemeinschaftsleben ausprobiert wird, sondern dass weltweit ein Bewusstseinswandel eintritt, der sich nach Glück ausrichtet und sich dabei auf die Vereinten Nationen stützt.
Ha Vinh Tho erntet am Ende seines Vortrags tosenden Applaus, zustimmende Pfiffe und sogar einige Bravo-Rufe und die Moderatorin der Veranstaltung Katja Leistenschneider stellt ergriffen fest „Was für ein inspirierender Vortrag! So viele Impulse, die uns Herr Ha Vinh Tho mitgegeben hat!“
Es wird sich zeigen, inwieweit die GLS Gemeinschaftsbank, ihre Mitglieder und auch die anwesenden Nicht-Mitglieder die durch Ha Vinh Tho frei gesetzte „Veränderungsenergie“ (Mausfeld) umsetzen wollen und können.
Denn Glück ist für uns alle da.