Glaubenskrieg gegen Globuli
Bei einer Heilmethode wie der Homöopathie zählt letztlich, ob sie wirkt — nicht ob sie mit dem begrenzten Weltbild ihrer Gegner übereinstimmt. Teil 3/4
Nach einer Blütezeit der alternativen Medizin Ende des 20. Jahrhunderts hat es in jüngerer Zeit ein schulmedizinisches Rollback gegeben. Schon relativ anerkannte Methoden wie die Homöopathie werden nicht nur in der etablierten Fachpresse, sondern auch im journalistischen Mainstream mit immer härteren Bandagen bekämpft. Das Imperium schlägt zurück, und politisches und medizinisches Establishment ziehen dabei an einem Strang. Was immer mit ins Feld geführt wird, ist die Behauptung, die Homöopathie verstoße gegen die Naturgesetze. In homöpathischen Mitteln sei „nichts drin“. Nicht geschieht jedoch im Widerspruch zu den Naturgesetzen. Allenfalls kann es sein, dass ein Gesetz den Naturwissenschaftlern — noch — nicht bekannt ist, weil sie ein eingeschränktes Bild von „Natur“ pflegen. Die wissenschaflichen Weltbilder verändern sich — die Heilwirkungen der Homöpathie bleiben.
Viele naturwissenschaftlich orientierte Menschen fordern Beweise dafür, dass Homöopathie wirksam ist. Diese Forderung können Homöopathen allerdings nicht erfüllen, denn Beweise gibt es nicht. Aber es gibt auch keine Beweise, dass Aspirin wirksam ist. Für beides, für die Homöopathie und ebenso für Aspirin, gibt es jedoch Belege. Und Belege können von sehr unterschiedlicher Qualität sein.
Da sind zunächst die Berichte von Einzelfällen, für die ich zwei Beispiele bringen möchte. Beide betreffen mich selbst.
Vor längerer Zeit hatte ich morgens starke Kopfschmerzen, Übelkeit, Kreislaufprobleme und leichte Schwindelanfälle, weil ich am Abend zuvor zu viel getrunken hatte. Ich nahm daraufhin das homöopathische Arzneimittel Nux vomica C30. Und am Tag darauf waren alle Beschwerden weg. Darin kann man wohl kaum einen Beleg dafür sehen, dass diese wundersame Besserung auf die Wirkung von Nux vomica zurückzuführen ist. In diesem Fall trifft die Argumentation der Homöopathie-Gegner voll zu, dass nicht das Arzneimittel gewirkt hat, sondern dass meine Beschwerden ohnehin besser geworden wären.
Mein anderes Erlebnis ist circa 14 Jahre her: Ich wachte nachts mit Tinnitus auf und wollte sofort etwas dagegen einnehmen. Ich fand ein entsprechendes homöopathisches Arzneimittel, nahm es ein und am nächsten Tag war der Tinnitus weg. Gut, auch das kann man so interpretieren, dass es sich um eine spontane, nicht durch das Mittel bewirkte Besserung handelte.
Wesentlich wichtiger – und wohltuender – war, dass von diesem Tag an meine Migräne, an der ich schon etliche Jahre litt, nie wieder aufgetreten ist. Hier möchte ich hinzufügen, dass meine Migräneanfälle und auch deren Dauer zu jener Zeit immer mehr zunahmen. Und ich schwöre, dass sich um diesen Zeitpunkt herum nichts wesentlich an meinen Lebensumständen geändert hat. Ein Placebo-Effekt ist unwahrscheinlich, weil ich das Arzneimittel nicht gegen die Migräne verwenden wollte. Nun kann man zwar immer noch sagen, dass die Migräne auch ohne das homöopathische Mittel verschwunden wäre, die Wahrscheinlichkeit hierfür ist aber doch wesentlich geringer als beim Beispiel des Alkohol-Katers. (1,2)
Was will ich damit sagen?
Gegner der Homöopathie führen immer wieder an, Berichte von positiv verlaufenen Einzelfällen seien völlig bedeutungslos. Ich will dem folgendes entgegenhalten: Es gibt ein Spektrum der Bedeutung von Einzelfällen – von völliger Bedeutungslosigkeit bis hin zu Fällen, die es sehr wahrscheinlich machen, dass tatsächlich die homöopathische Behandlung zur Besserung (bei mir zur Heilung!) führte. Diese Einschätzung ist aber leider wesentlich intuitiv und als solche nicht quantifizierbar. Ich kann keine Zahl angeben, wie wahrscheinlich es ist, dass meine Migräne von allein verschwunden ist und nur zeitlich mit der Einnahme des homöopathischen Mittels korrelierte.
Zudem sind die Zusammenhänge meist nicht so eindeutig. Ein Kind, das ich behandeln durfte, hatte schweres Asthma. Es musste drei verschiedene Sprays verwenden, zusätzlich Theophyllin schlucken und trotz all dieser Medikamente etwa dreimal im Jahr als Notfall in die Klinik. Die homöopathische Behandlung sorgte dafür, dass täglich nur noch ein Hub eines Sprays mit Chromoglicinsäure ausreichte, damit das Kind anfallsfrei blieb. Aus meiner Sicht hätte man auch darauf noch verzichten können, aber das ist eine andere Geschichte. Hier ist es deutlich schwieriger zu sagen, ob das homöopathische Mittel die Besserung bewirkte oder ob es nur eine zeitliche Korrelation gab und die Besserung spontan eingetreten ist. Das heißt: Einzelfallberichte sind problematisch, aber nicht wertlos für die Beurteilung des Effekts homöopathischer Arzneimittel – oder jeder anderen medizinischen Methode.
Nun ist es aber so, dass wir Mediziner immer mit einem einzelnen Patienten zu tun haben, aber dennoch unser Wissen, was ganz individuell zu tun ist, aus vielen Fällen beziehen müssen.
„Was ist das Allgemeine? Der einzelne Fall.
Was ist das Besondere? Millionen Fälle.“
— Johann Wolfgang von Goethe
Dieser Widerspruch lässt sich nur notdürftig auflösen. Dafür gibt es verschiedene Wege.
Als erstes können wir Einzelfälle sammeln und bewerten. Das macht zum Beispiel die Karl und Veronica Carstens-Stiftung. Und von solchen Fallberichten existieren ziemlich viele. Dabei gibt es aber ein Problem: Es ist wahrscheinlich, dass bei der Stiftung vor allem Fallberichte eingereicht werden, die positiv für den Patienten und damit auch für den Homöopathen ausgegangen sind. Der publication bias – die Tendenz, nur das zu veröffentlichen, was der eigenen Hypothese entspricht – ist dabei vermutlich enorm hoch.
Gehen wir also einen Schritt weiter. Fragen wir uns: Wer beurteilt denn eigentlich, ob eine Besserung eingetreten ist? Das sollte doch in erster Linie die Patientin oder der Patient sein. Der Arzt kann das wohl auch durch Beobachtung und Tests beurteilen. Aber wenn etwa ein Rheuma-Patient meint, es gehe ihm sehr viel besser, auch wenn die Blutwerte die gleichen geblieben sind, was ist dann relevanter für den Patienten? Die Antwort ist klar – sofern wir Ärzte sind und nicht bloße Wissenschaftler.
Mit anderen Worten: Man kann ganz einfach die Patienten befragen, wie es ihnen nach der homöopathischen Behandlung ging. Solche Studien sind gemacht worden, mit der Maßgabe, dass in der Auswertung alle Patienten einer Praxis berücksichtigt werden, die eine homöopathische Behandlung bekommen und die sich bereit erklären, an der Studie teilzunehmen. Diese Studien ergaben durchweg ein sehr günstiges Bild für die Homöopathie.
Die Argumente der Gegner
Dennoch führen Gegner der Homöopathie zwei Gegenargumente an. Das erste lautet: Vielleicht wurden doch nicht alle Patientendaten ausgewertet. Dieses Argument unterstellt Betrug. Okay, Betrug gibt es natürlich überall, aber diese pauschale Unterstellung ist nicht zu rechtfertigen.
Das zweite Argument gegen solche Studienergebnisse ist ernster zu nehmen: Es muss ja nicht das homöopathische Arzneimittel gewesen sein, was geholfen hat. Es könnte sein, dass das spezielle Setting einer homöopathischen Behandlung die Besserung bewirkt hat – ein Standard-Argument der Homöopathie-Gegner. Ich glaube auch, dass das Setting tatsächlich zur Besserung oder Heilung beiträgt. Nur handelt es sich hierbei um eine ad-hoc-Hypothese. Sie ist weder bewiesen noch liegen dafür ordentliche Belege vor. Wahrscheinlich sind die Gegner der Homöopathie von dem Gedanken getragen, dass die homöopathischen Arzneimittel doch nicht wirken können und dass daher die vermeintliche Wirkung irgendwie „Psycho“ ist. Das meist verwendete Wort dafür lautet „Placebo-Effekt“.
Das bedeutet, dass ein „Medikament“, welches als wirkungslos angesehen wird, doch eine Besserung „bewirken“ kann. Das gibt es ganz gewiss, wir verstehen allerdings nicht vollständig, wie das funktioniert.
Das heißt wiederum, dass wir etwas, von dem wir nicht wissen, wie es funktioniert – die Homöopathie – durch den Placebo-Effekt zu erklären versuchen, von dem wir ebenfalls nicht wirklich wissen, wie er funktioniert. Das halte ich für ein fragwürdiges Vorgehen.
Um zu einem eindeutigeren Ergebnis zu gelangen, kann man nun hingehen und einem Teil der Patienten das richtige Arzneimittel, das sogenannte Verum, geben und einem anderen Teil ein Placebo und dann die Effekte in beiden Gruppen vergleichen. Wenn es einen Unterschied gibt, wenn das richtige Arzneimittel besser wirkt, dann sollte der Unterschied die „tatsächliche“ Wirkung sein. Sehen wir einmal davon ab, dass ein solches Verfahren meines Erachtens ethisch fragwürdig ist, auch bei Zustimmung der Patienten.
Aber das reicht noch nicht. Der Arzt könnte ja den Patienten, denen er das richtige Arzneimittel gibt, irgendwie bewusst oder unbewusst suggerieren, dass es helfen wird und den anderen das Gegenteil. Die Lösung dieses Dilemmas ist, dass auch der Arzt nicht weiß, ob er dem Patienten das richtige Arzneimittel gibt oder Placebo, sondern nur ein verschwiegener Dritter. Solche Studien heißen „Doppelblindversuch“. Im übertragenen Sinne ist der Patient blind und der Arzt ebenfalls. Dieses Verfahren wird gemeinhin als der „Goldstandard“ der Arzneimitteltestung bezeichnet. Dabei gebe ich zu bedenken, dass wir durch diese „Blindheit“ objektives Wissen erlangen wollen. Ein merkwürdiges Konstrukt!
Ich sehe jetzt einmal davon ab, dass die Durchführung eines Doppelblindversuchs möglicherweise die Ergebnisse verzerrt, indem der sogenannte Placeboeffekt sich umkehrt und die Wirkung des Verums geringer erscheinen lässt, denn das ist Spekulation, weil kaum untersuchbar. Um das „objektiv“ zu untersuchen, dürften weder der Arzt noch der Patient wissen, dass es sich um einen Doppelblindversuch handelt. Es wäre also mindestens dreifach blind, und das wäre mit Sicherheit unethisch.
Ich möchte aber noch ein Stück weitergehen: Placebo ist das, wovon der Versuchsleiter glaubt, dass es keine Wirkung hat. Ein Homöopath, der einen solchen Versuch leitet, wird also auch, wenn er der verschwiegene Dritte ist, annehmen, dass das „Verum“ dem „Placebo“ überlegen ist. Ein Gegner der Homöopathie wird annehmen, dass das homöopathische Arzneimittel selbst ein Placebo ist und dementsprechend keinen Unterschied zum Placebo erwarten. Beide werden daher möglicherweise in ihrer Auswertung nicht vollkommen objektiv sein. Eigentlich bräuchten wir also auch noch eine Aufsicht über den Versuchsleiter, die dann wirklich vollkommen objektiv ist. Doch das ergäbe einen steigenden Grad der Verblindung und ließe sich endlos weiterführen.
Nehmen wir dennoch an, der Doppelblindversuch sei nützlich und kommen wir wieder zu entsprechenden homöopathischen Studien.
Ja, es gibt Studien zur Homöopathie im Doppelblind-Design, die eine Überlegenheit des homöopathischen Arzneimittels gegenüber dem Placebo zeigen und es gibt solche, die keinen solchen Unterschied ergeben. Also sind die Ergebnisse nicht eindeutig, wie die Gegner der Homöopathie oft behaupten.
Das Argument der Homöopathie-Gegner und der ihnen in der Regel folgenden Vertreter der „Qualitätspresse“, es gebe keine Studien, die die Wirksamkeit von homöopathischen Arzneimitteln belegen, wird kaum noch gebraucht. Vielmehr lautet die Behauptung jetzt, es gebe keine guten, soll heißen beweiskräftigen, validen, vertrauenswürdigen, relevanten, belastbaren Studien, die die Wirksamkeit der Homöopathie belegen.
Hieraus ergibt sich die Frage: Wie soll man denn die Qualität der existierenden Studien bestimmen? Und das könnte möglicherweise wiederum von der Haltung desjenigen abhängen, der diese Qualität beurteilt. In der Tat werden solche Studien sehr unterschiedlich beurteilt – je nachdem, welchem „Lager“ sich „der Beurteilende“ zugehörig fühlt.
Kurze Zusammenfassung
Erstens werden nicht alle Ergebnisse veröffentlicht. Diesen „publication bias" abzuschätzen, ist sehr schwer. Es gibt statistische Instrumente dafür, deren Aussagekraft aber umstritten ist, weil es sich ja naturgemäß nur um Schätzungen handeln kann. Wahrscheinlich tendieren Homöopathen dazu, Ergebnisse in der Schublade zu lassen, die nicht positiv für die Homöopathie ausgehen, und Gegner der Homöopathie unterdrücken vermutlich Ergebnisse, die für die Wirkung der Homöopathie sprechen. Das ist normal. Wir sind alle nur Menschen.
Zweitens wird niemals sicher nachweisbar sein, dass eine im Einzelfall eingetretene Besserung wirklich vom angewandten Arzneimittel verursacht wurde. Das gilt aber nicht nur für Homöopathie, sondern generell. „Correlation is not Causation“ sagt man dazu.
Drittens haben klinische Studien das zentrale Ziel, die Wahrscheinlichkeit zu minimieren, dass man sich in der Annahme, das Arzneimittel habe zur Besserung geführt, geirrt hat. Gemeinhin wird eine Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 Prozent als Beleg dafür gesehen, dass das Arzneimittel wirkt. Bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit über 5 Prozent nimmt man an, dass die Wirkung eher zufällig ist. Ich halte das für eine willkürliche Festsetzung.
Viertens gibt es ohne Zweifel Placebo-Effekte oder Kontexteffekte. Daher muss die Besserung nicht unbedingt kausal von dem Arzneimittel kommen, sondern auch von allem, was im Umkreis des Arzneimittels geschieht, oder könnte auch ganz spontan sein. Auch in diesem Punkt unterscheiden sich Homöopathie und wissenschaftlich fundierte Medizin nicht prinzipiell.
Fünftens ist noch das Kriterium der Reproduzierbarkeit einer Studie zu berücksichtigen. Wenn eine zweite Studie zum gleichen Thema zu einem anderen Ergebnis kommt, ist es vernünftig, das Ergebnis der ersten anzuzweifeln. Wenn Menschen das Studienobjekt sind, ist allerdings prinzipiell anzuzweifeln, ob zwei Studien wirklich jemals gleich sein können.
Sechstens sind sowohl die Studien als auch die Beurteilung der Ergebnisse nicht völlig frei von subjektiven Haltungen. Der Doppelblindversuch ist eines der möglichen Mittel, das einzuschränken, aber nicht das einzige. Und auch mit dem Doppelblindversuch verbinden sich gewisse Probleme, die ich an dieser Stelle aber nicht thematisieren möchte.
Noch etwas kommt hinzu: Und zwar die Frage, welcher Effekt eigentlich untersucht wird. In der wissenschaftlich fundierten Medizin wird etwa die Frage gestellt, ob Aspirin bei Kopfschmerzen hilft. Die Fragestellung ist klar und daher kann man in der Studie einigermaßen klare Kollektive bilden.
Solche Fragestellungen sind auch in der Homöopathie möglich: So kann man durch einen Doppelblindversuch klären wollen, ob Nux vomica bei Kopfschmerzen hilft. Eine solche Untersuchung würde nach aller Wahrscheinlichkeit aus zwei Gründen ein negatives Ergebnis haben. Erstens ist Nux vomica nicht das einzige homöopathische Mittel gegen Kopfschmerzen und zweitens muss das Mittel immer zu der Art der Kopfschmerzen und zur Person des Kranken passen, damit es hilft. Davon sind jedenfalls wir Homöopathen auf Grund unserer Erfahrung mit der Arzneimittelprüfung und der Erfahrung mit konkreten Patienten überzeugt.
Das bedeutet, dass wir bei Studien zu homöopathischen Arzneimitteln in der Regel nicht dessen Wirksamkeit untersuchen, sondern die Wirksamkeit einer Methode. Damit unterscheidet sich die Fragestellung ein wenig von derjenigen, ob Aspirin bei Kopfschmerzen hilft. Diese verschiedenen Fragestellungen werden von den Gegnern der Homöopathie immer wieder verwischt.
Zu bemerken ist dabei noch, dass die Untersuchungsmethoden der Fragestellung angemessen sein sollten und auch das Spezifische des Untersuchungsgegenstands berücksichtigen sollten. Der Doppelblindversuch ist also als „Goldstandard“ nicht für alle Fragestellungen geeignet. Nebenher bemerkt ist der Inhalt des Begriffs „Goldstandard“ in der Finanzwelt, aus der er stammt, längst obsolet.
In einem eher scherzhaft gemeinten Artikel (3) wird behauptet, dass nicht erwiesen sei, dass Fallschirme beim Sturz aus großer Höhe den Tod verhindern können, weil diese Annahme nicht im Doppelblindversuch erwiesen sei. Außerdem wären Menschen in Einzelfällen trotz Fallschirm zu Tode gekommen und in mindestens einem Fall hätte der Springer den Sturz sogar ohne Fallschirm überlebt.
Tatsächlich beweist das Gemisch aus Erfahrungswissen und naturwissenschaftlichen Erklärungen, dass Fallschirme beim Sprung aus dem Flugzeug für eine sichere Landung sorgen. Bei der Homöopathie fehlt leider die naturwissenschaftliche Erklärung. Das Erfahrungswissen ist hingegen vorhanden.
Das Instrument der Meta-Analyse
Was also sollen wir tun, wenn wir nichts Genaues wissen, sondern in der Homöopathie nur Wahrscheinlichkeiten angeben können? Wenn man die Studien so oder so interpretieren kann? Wenn man die Methodik anzweifeln kann und überhaupt?
Dafür kennen Naturwissenschaftler eine bewährte Methode: Sie machen eine Meta-Analyse der existierenden Studien. Das heißt, sie betrachten die veröffentlichten Studien von einem Standpunkt jenseits dieser Studien. Diese Methode können wir Homöopathen auch anwenden.
Streng genommen gibt es dafür zwei Arten. Zum einen kann man einfach die existierenden Studien ansehen und bewerten – das heißt dann Review – oder zum anderen die Studien einer gemeinsamen statistischen Auswertung unterziehen. Das ist dann eine Meta-Analyse im engeren Sinne.
In beiden Fällen besteht das Problem darin, nach welchen Kriterien man die Studien bewerten soll. Dies intuitiv zu tun, hätte einen gehörigen subjektiven Faktor in der Studienbewertung zur Folge. Oder man verfährt nach einheitlichen Kriterien, zu denen im Wesentlichen die JADAD-Skala und die Cochrane-Kriterien zählen.
Zur Homöopathie sind mehrere Meta-Analysen und Reviews durchgeführt worden. Ich möchte hier vor allem die Meta-Analysen im engeren Sinne erwähnen – also jene, in denen die vorliegenden Studien zusammenfassend statistisch betrachtet werden. Die Mehrheit dieser Meta-Analysen ergab, dass Homöopathie dem Placebo überlegen ist (4). Nur in einer Meta-Analyse wurde letztendlich die Behauptung aufgestellt, Homöopathie habe keinen Effekt (5). Insgesamt wurde bei der Analyse von 110 Studien festgestellt, dass Homöopathie einen Effekt hat. Nachdem man die 8 (warum 8?) „besten“ Studien ausgewählt und alle anderen ausgesondert hatte, war bei diesen der positive Effekt nicht mehr nachweisbar, was zu der Behauptung führte, Homöopathie wirke nicht. Die in letzter Zeit häufig erwähnte australische Studie (6) ist keine Meta-Analyse, sondern ein Review. Die Aussage, dass Homöopathie nicht wirke, ist hier ebenfalls dadurch entstanden, dass die Zahl der in die Auswertung eingehenden Studien extrem begrenzt wurde.
Ein Unterfangen ohne Ende
Nun könnte man hingehen und die existierenden Meta-Analysen einer Meta-Meta-Analyse unterziehen. Ein solches Unterfangen wäre sicherlich endlos. Ich will hier nicht weiter auf die Verästelungen der Designs von Studien und Metastudien eingehen, denn das ist die Sache von Statistik-Profis, zu denen ich nicht gehöre.
Erwähnen möchte ich aber doch, dass das Ergebnis der Meta-Analysen manipuliert werden kann, womit ich nicht sagen will, dass es jemals manipuliert wurde. Neben den erwähnten Kriterien können diejenigen, die die Analyse durchführen, weitere Ein- und Ausschlusskriterien für Studien einführen, zum Beispiel nur Studien ab einer gewissen Probandenzahl in die Auswertung einbeziehen. Sie können die Statistik-Software so missbrauchen, dass sie ermittelt, bei welcher Probandenzahl das gewünschte Ergebnis herauskommt. Sie können die Grenzen für die „Drop-out-Rate“ – also die Prozentzahl der Probanden, die aus beliebigen Gründen anfangs an der Studie teilnahmen, aber nicht bis zum Ende mitgemacht haben – so setzen, dass das gewünschte Ergebnis erzielt wird. Sie können bei ihrer Betrachtung sogar Studien ausschließen, die nicht in englischer Sprache veröffentlich wurden.
Alle diese Meta-Analysen sind unterschiedlich interpretiert worden – natürlich abhängig davon, welchem „Lager“ derjenige angehört, der die Interpretation vornimmt. Manchmal frage ich mich, warum man eigentlich noch solche Studien durchführt, wenn so unterschiedlichen Deutungen möglich sind.
Eine Bemerkung möchte ich zum Schluss noch machen: Die Meta-Analysen gehen umso deutlicher gegen die Homöopathie aus, je mehr Studien ausgeschlossen werden. Es wurde behauptet, man erhalte nur dann ein Ergebnis, das gegen die Homöopathie spricht, wenn man 90 Prozent der Studien nicht berücksichtigt (6).
Aus meiner Sicht wird deutlich, dass die Faktenlage keinesfalls so eindeutig gegen die Homöopathie spricht, wie in den „Qualitätsmedien“ immer wieder behauptet wird. Vielmehr scheint es mir so, dass die Faktenlage eher für die Homöopathie spricht.
Darüber kann man heftig diskutieren, aber diese Diskussion findet im öffentlichen, von der Politik und den „Qualitätsmedien“ dominierten Raum praktisch nicht statt. Homöopathen haben dort fast nichts zu sagen.
In der nächsten Folge dieser Serie über Homöopathie werden einige weitere Vorwürfe an die Homöopathie seitens der „Qualitätspresse“ betrachtet. Das wird wahrscheinlich etwas kurzweiliger werden.
Quellen und Anmerkungen
(1) Elendt, D.: „Sagen, was ist. Versuch eines Laien zum gegenwärtigen Journalismus“, Norderstedt 2019
(2) Arnold, M., Hirsch, P.C., Elendt, D.: „Die Homöopathie-Wahrheit. Eine (selbst)kritische Betrachtung“, Norderstedt 2016
(3) Smith, G.C.S., Pell, J.P.: „Parachute use to prevent death and major trauma related to gravitational challenge: systematic review of randomised controlled trials“, „Fallschirmspringen zur Vorbeugung von Tod und schweren Traumata im Zusammenhang mit der Gravitationsherausforderung: systematische Überprüfung von randomisierten kontrollierten Studien“, British medical Journal, BMJ, 2003, S.1459-1461, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC300808/
(4) Kleijnen, J., Knipschield, P., T. Riet: „Clinical trials of homeopathy“, [Klinische Studien zur Homöopathie], British medical Journal, BMJ, 302 (1991), S. 316-323
Linde, K., Clausius, N., Ramirez, G., Melchart, D., Eitel, F., Edges, L.V., Jones, W.B: „Are the clinical effects of homeopathy placebo effects? A meta-analysis of placebo-controlled trials. Evidence of clinical efficacy of homeopathy“, „Sind die klinischen Auswirkungen der Homöopathie Placebo-Effekte? Eine Meta-Analyse von Placebo-kontrollierten Studien. Nachweis der klinischen Wirksamkeit der Homöopathie“, ,HMRAG. Homeopathic medicines research advisory group, Beratungsgruppe für die Forschung an homöopathischen Arzneimitteln, European journal of clinical pharmacology 56 (1) S. 27-33
Cucherat, M. C., Gooch, M., Boissel, J. P.: Evidence of clinical efficacy of homeopathy. A meta-analysis of clinical trials, Nachweis der klinischen Wirksamkeit der Homöopathie. Eine Meta-Analyse von klinischen Studien, HMRAG. Homeopathic medicines research advisory group, European journal of clinical pharmacology 56 (1) S. 27-33
Mathie, R.T., Lloyd, S.M., Clausen, J., Moss, S., Davidson, S.R., Fort. R.: „Randomized placebo-controlled clinical trials of individualized homeopathic treatment: Systematic review and metaanalysis“, „Randomisierte placebokontrollierte klinische Studien zur individualisierten homöopathischen Behandlung: Systematische Überprüfung und Metaanalyse“, Systematic reviews, (2014, 3), S. 142
(5) Shang, A, Huwiler-Müntener, K., Nartey, L., Jüni, P., Döring, S., Sterne, J., Pewsner,D., Egger, M: „Are the clinical effects of homoeopathy placebo effects? Comparative study of placebo-controlled trials on homoeopathy and allopathy“. „Sind die klinischen Auswirkungen der Homöopathie Placebo-Effekte? Vergleichende Studie über placebokontrollierte Studien zur Homöopathie und Allopathie“, Lancet 366 (2005), S. 726-732
(6) Hahn, R.G.: Homeopathy: „Meta-analysis of pooled clinical data“, „Meta-Analyse der gepoolten klinischen Daten“, Forschende Komplementärmedizin 20 (2013), S. 376-381