Geistige Lösungen für materielle Armut
Die Rückbesinnung auf die drei Glieder des Sozialen — Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit — wäre ein vielversprechender Ansatz zur Überwindung der weltweiten Armut. Teil 1 von 2.
Zunehmende materielle Armut scheint sich seit mindestens 15 Jahren verstärkt wieder ins Zentrum der kapitalistisch orientierten Länder des Westens — besonders in Deutschland (1) — hineinzufressen. Sie tritt in der Regel zusammen mit sich konzentrierendem Reichtum auf. Die ungleiche Verteilung wirtschaftlicher Ressourcen und Güter ist von Menschen verursacht. Weil sich Armut und Reichtum auf das materielle Dasein auswirken, das durch die ökonomischen Tätigkeitsfelder gesichert wird, könnte man meinen, dass vor allem Lösungen innerhalb des ökonomischen Gebietes zu suchen sind. Beliebt ist auch die Idee, Lösungen vorrangig in der Stärkung der Demokratie zu suchen. Einseitige Ansätze haben jedoch noch nie Probleme nachhaltig gelöst. Ein Text zur Sonderausgabe „Armut in Deutschland“.
Zurückgestautes neues Denken
Armut kann selbstverschuldet oder schicksalsbedingt auftreten. Die Ursachen von systembedingter Armut, die hier gemeint ist, sind, wie alle Ursachen schwerwiegender Probleme im sozialpolitischen Bereich, aus einem differenzierten Blick auf das große Ganze der gesellschaftlichen Realität zu suchen, und dies unter Einschluss des menschlichen Bewusstseins, das an seine seelische und geistige Natur gekoppelt ist. Das ist wie es klingt: kompliziert! Entsprechend gibt es keine einfachen Lösungen.
Um das Denken von Lösungen, die der Komplexität der Verhältnisse Rechnung tragen, ist es heute nicht so gut bestellt. Lösungsansätze unterliegen mehr denn je einem Bewusstsein, das als „renovatives“ gerne an dem festhält, was sich bewährt hat. Ich spreche von Reformen und einem Füllen alter Inhalte in neue Schläuche. Weniger verbreitet ist ein wirklich „innovatives“, Denken, das wissenschaftlich fundiert mit künstlerischem Gespür und spiritueller Einsicht aus den Erfordernissen der Zukunft schöpft.
Die Frage muss besonders heute lauten: Was will uns die Zukunft sagen? Es geht um den Mut, sich nicht ständig an den bequemen Ideen der Vergangenheit festzuhalten, sondern Vergangenes sterben zu lassen, wenn es nichts mehr taugt. Unbestreitbar müssen wir ständig auf Bewährtes zugreifen können. Und doch wird ein aufmerksamer Beobachter der sich auftürmenden Probleme zugeben müssen, dass gewisse „Gepflogenheiten“ politischer und sozialer Art hemmend und zerstörend wirken und daher lieber heute als morgen aufgegeben werden sollten.
Wir haben längst die Schwelle zu einem neuen, spirituellen und vernetzten Denken überschritten. Man könnte jedoch meinen, dass wir heute hinter ein Denk- und Erkenntnisniveau zurückgefallen sind, das schon vor 30 Jahren erreicht war. Sahen wir die Wissenschaften nicht bereits holistisch ausgerichtet? Haben die Quantentheorie und Wissenschaftler wie Werner Heisenberg und Hans-Peter Dürr den primitiven Materialismus nicht längst in Frage gestellt? Haben die Forschungen von Lynn Margulis, die Schriften des Wissenschaftsphilosophen und Systemtheoretikers Ervin Lazlo und die Gedanken des Physikers, Systemtheoretikers und Philosophen Fritjof Capra mit seinem wichtigen Buch „Wendezeit“ nicht deutlich belegt, dass lineare Denkmodelle in ein Museum der Geistesgeschichte gehören und wir uns vertiefend einer stets anwesenden Tiefendimension zuwenden sollten, statt uns mit Statistikspielereien, unwissenschaftlichen Klimaspekulationen und P(l)andemien Katastrophen einreden zu lassen, mit einseitigen, lächerlichen Erregertheorien in die Enge treiben zu lassen, und das alles nur um gewisser Geschäftsmodelle willen? Und: Waren wir in punkto existenzieller Sicherheit nicht auch schon einmal wesentlich weiter?
Eine Geschichte der Verarmung
Im 19. Jahrhundert kam mit der generellen Strömung des Marxismus/Kommunismus eine erste kritische Bewegung gegen den ausbeuterischen Kapitalismus auf. Die brillanten aber einseitigen Ideen dieser Strömung etablierten Staatssysteme, die individuelle Impulse und ein Geistesleben des Menschen zugunsten eines von oben nach unten wirkenden bevormundenden Staates in Frage stellten und damit dem Mensch-Sein wesentliche Elemente absprachen — und noch absprechen. Es musste daher scheitern, zumal es, wie der Kapitalismus, schlussendlich in ein System der Herrschaft von Menschen über Menschen mit allerlei Klüngeleien und verdeckten Missbräuchen mündet(e).
Der Kapitalismus überbetont wiederum individuell-egoistische Initiative zu Lasten der sozialen Sphäre und zerstört, wegen seiner Tendenz zu Vetternwirtschaft und Kartellbildung und aufgrund unkontrollierter Wachstumsmechanismen, die Sozialwerke und unsere Lebensgrundlagen.
Beiden Systemen wohnen jedoch auch positive Momente inne. Die Idee der „sozialen Marktwirtschaft“ von John Maynard Keynes, die bis in die 1970er Jahre des 20. Jahrhunderts Menschen angemessen am Gewinn der ökonomischen Erfolge beteiligte, war ein Instrument, mit dem die Vorteile des Sozialismus, soziale Ideen/Staat, und Kapitalismus, individuelle Initiativkraft/Unternehmen ein Stück weit zusammengeführt wurden. Sie wurde von Politikern eingeführt, die — im Gegensatz zu heutigen, tendenziell überforderten Profi-Kartellpolitikern — noch einen praktischen Sinn für soziale Lebenszusammenhänge hatten.
Mit der ersten Ölkrise 1973 wurde dem ein Ende gesetzt. Ein neuer, mächtiger Einflussfaktor trat auf. Wie Professor Rainer Mausfeld im Gespräch mit Ken Jebsen im Mai 2017 ausführte, hat die Einführung der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland dazu geführt, dass die Eliten mit ihrem Anteil nicht mehr zufrieden waren. Ab den Siebzigerjahren hat sich, so Mausfeld, eine Gegenbewegung gegen den Sozialstaat etabliert (2). In dieser Zeit begann der Neoliberalismus — ein Begriff, den Hermann Ploppa lieber durch „Marktradikalismus“ ersetzen will (3) — offener aufzutreten, obwohl er sich doch wie eine Art Chamäleon verhalte, das man zunächst suchen müsse, so Mausfeld.
In der Ära von Helmut Kohl beginnen sich die Staatsschulden und Vermögen aufzutürmen, ohne Chance, sie je wieder abzubauen. Das auf Zins- und Zinseszins beruhende Geldsystem beginnt den Mechanismus der Umverteilung von unten nach oben zu beschleunigen (4). Die Arbeitslosenzahlen wachsen.
Die Rot-Grüne Regierung zementierte unter Gerhard Schröder mit „Hartz 4“ die Verarmung (5), was immer mehr Menschen in eine Existenzminimum-Falle trieb, aus der es kein Entrinnen zu geben scheint.
Mit Beginn der völkerrechtswidrigen NATO-Osterweiterung mit Ländern, die später auch in die EU aufgenommen wurden (6), erschloss sich der Kapitalismus neue Ausbeutungsfelder in Niedriglohngebieten im Osten Europas.
Mit der Einführung des Euro ab 2002 konnten viele Staaten die in den Maastrichter Verträgen vereinbarten Ziele nicht erreichen: jährliches Haushaltsdefizit eines Landes maximal 3 Prozent, öffentlicher Schuldenstand maximal 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Sie stehen mit über 100 Prozent Schulden auf das BIP vor dem Zusammenbruch, sodass vor allem die schwachen Glieder der Gesellschaften weiter verarmen werden.
Spekulationen auf den Finanzmärkten waren der entscheidende Auslöser für die globale Finanz- und Wirtschaftskrise, die im Jahr 2008 mit der Pleite der Investmentbank Lehmann Brothers ihren Ausgang nahm. Sie trieb auch zahlreiche Kleinfirmen in den Ruin sowie Familien in den Privatbankrott und führte für Jahre zum Einfrieren der Zinsen, weshalb Staatsbankrotte in Europa bisher ausblieben.
Unter Angela Merkel als Bundeskanzlerin wurde Deutschland unter anderem zum Export-„Weltmeister“. Durch Lohnsenkungen erzwungene Exportüberschüsse in Billionenhöhe führten in den Nachbarländern zu weiteren Auswüchsen von Verarmung .
Heiner Flassbeck, bis 2012 Chef-Volkswirt bei der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD) in Genf, erklärt die grundlegenden Gefahren, die von Finanzmarktspekulationen ausgehen. Für besonders gefährlich hält er Spekulationen auf Rohstoffmärkten und mit Währungen. Dies kann bis hin zu Hunger in Ländern führen, in denen die Lebensgrundlagen der Bewohner durch massive Preisschwankungen auf Rohstoffmärkten bedroht sind (7).
Die Zukunftsaussichten sind nicht rosig: Falls der Klima-„Schwandel“ so weiter gehen darf, wird der Umverteilungsprozess — es geht um weitere Billionen Euro — weiter verstärkt werden, wie unter anderen der österreichische Strahlungsphysiker Dr. Bernhard Strehl aufzeigt (8).
Bereits diese grob und unvollständig skizzierte Entwicklung seit der Abschaffung der sozialen Marktwirtschaft liest sich wie die der — bewussten? — Verarmung der Bevölkerung und zugleich der extremen Steigerung des Reichtums und der Macht von immer weniger Oligarchen und Superreichen. Unter Umgehung von Demokratie und Rechtsstaat — so scheint es jedenfalls — wird die Bevölkerung der Industrienationen gewaltsam in die Grenzen gewiesen, und dies unter Mithilfe transatlantisch gebriefter Politiker.
Zeigt dieser Abriss der Verarmungsentwicklung nicht deutlich, dass dieses Politik-System grundsätzlich an seine Grenzen gestoßen ist?
Materialismus und Geistlosigkeit
Zwar nehmen die kritischen Passagen in Vorträgen und Abhandlungen stets den größten Raum ein, doch wird die Luft deutlich dünner, wenn es darum geht, konstruktive und realistische Lösungen aufzuzeigen. Woran kann das liegen?
- Lösungsansätze beziehen sich meist nur auf Einzelaspekte der sozialpolitischen Realität, so auch beim Thema Armut. Rainer Mausfeld ist der Meinung, dass uns nur die Demokratie vor dem zivilisatorischen Abgrund bewahren könne (9). Seit geraumer Zeit werden jedoch gerade Demokratie und Rechtsstaatlichkeit stark beschnitten und die Debattenräume verengt. Müsste es da nicht eher darum gehen, strukturelle Grundlagen zu schaffen, die demokratiefeindliche Übergriffe verhindern? Man kann mit Demokratie nicht deren Unterwanderung verhindern. Um Demokratie und Rechtsstaat stabil zu halten, damit auch die Leitplanken zu einer gerechten Verteilungsökonomie gesetzt werden können, müssen diejenigen Elemente, welche Demokratie als „System“ und als seelische Fähigkeit des Souveräns etablieren (10), gestärkt und Missbräuche in die Schranken gewiesen werden können. Sind Demokratie und Rechtsstaat stabil etabliert, können sie sich, wie Rainer Mausfeld richtig betont, als wirkmächtiges Schutzinstrument vor Exzessen der Macht und vor parasitärer Eliten-Verkommenheit bewähren (9).
- Welches Problem wir auch immer betrachten: Es steht immer in einem Zusammenhang mit dem Großen Ganzen. In Bezug auf die sozialpolitische Realität geht es darum, dieses Große Ganze und seine qualitativ unterschiedlichen, in den Lebenszusammenhängen des Menschen gründenden inneren Wirkkräfte zu erfassen. Ökonomie/Gewinn oder Demokratie/Bildung sind immer nur Teile des Ganzen, denen der richtige Platz zugewiesen werden muss.
- Eine Lösungsebene wird stets ausgeblendet: die geistige. Der Mensch als „Ich“, von transhumanistisch Gläubigen gerne geleugnet; Schicksal, Karma, Einflüsse aus einer „geistigen Welt“, seine seelische Ebene mit Egoismen und Narzissmen, all das wird bei Lösungsvorschlägen kaum berücksichtigt. Bei jeder neuen Idee bildet jedoch das Subjekt Mensch mit seinem Geistes- und Seelenleben immer den Ausgangspunkt. Staat, Recht und Ökonomie müssen in ihrem Zusammenhang immer wieder aus einer freien, geistigen Metaebene neu beurteilt werden können. „Geist“ fristet jedoch ein Dasein als „Ideologie“. Es soll aber, so Rudolf Steiner in seiner epochalen Schrift „Die Kernpunkte der Sozialen Frage“ (11), sachgemäß die Aufmerksamkeit auf das Geistesleben gerichtet werden, einer „Geistigkeit als eigener Lebensinhalt des Menschen, die beim Erfassen der praktischen Lebenswirklichkeit deutlich wird“. Der geistige Blick auf das Ganze bedingt Unbefangenheit und die Fähigkeit zur Selbstreflexion.
- Überbetont wird die materielle Ebene. Linear-monokausales Denken ist symptomorientiert, gerade auch in der Politik, und besonders gravierend in den „Wissenschaftsabteilungen“, die sich heute als Mittel zur Renditesteigerung prostituieren. Schlussendlich muss klar sein, dass vor allem die Menschheit der Industrienationen sich in einer schweren Geisteskrise befindet, die sich seit etwa 600 Jahren zugespitzt hat.
Freiheit — Gleichheit — Brüderlichkeit: Schon vergessen?
Ich kenne keinen Erfolg versprechenderen und umfassenderen Ansatz, um die schon vor hundert Jahren an ihre Grenzen gestoßenen sozialen und politischen Verhältnisse so umzugestalten, als die Idee der „Dreigliederung des sozialen Organismus“, die Rudolf Steiner im Jahr 1917 erstmals in seiner Schrift „Die Kernpunkte der sozialen Frage“ (11) der Öffentlichkeit vorstellte. In dieser Zeit wurde auch die erste Waldorfschule in Stuttgart gegründet. Angeknüpft wurde an die Ideale der französischen Revolution, die Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit postulierte, vor denen Helmut Kohl und Francois Mitterand stramm standen, während heute kaum mehr die Rede davon ist. Wie vergesslich wir doch geworden sind ...
In den heutigen Staatssystemen können sich die Forderungen nach Gleichheit vor dem Gesetz und nach Geschwisterlichkeit, Brüderlichkeit, als empathisch gegründete Solidarität neben der Freiheit — oder soll man sagen: Freibeuterei? —,im ökonomischen Feld des auf Egoismus gegründetem Liberalismus nicht behaupten.
Die Ökonomie wurde durch neoliberale Kräfte zu einem allumfassenden Bereich erklärt, dem sich alles zu unterwerfen hat. Die supranationalen Organisationen wie WTO, WHO, UNO, EU wurden zu einer Art Welttyrann verschmolzen. Rainer Mausfeld dazu (9):
„Heute ist die Asymmetrie der Macht so gigantisch, wie sie nie in der Geschichte zuvor war; das heißt, heute können sich die zerstörerischen Anteile von Macht völlig ungehindert entfalten, weil uns die Schutzmechanismen verloren gegangen sind.“
Der amerikanische Philosoph Leo Strauss meinte zur Demokratie:
„Was die Massen anbelangt, so ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für ein reibungsloses Funktionieren von Demokratie eine Wahl-Apathie, das heißt ein Mangel an Gemeinsinn.“
Durchgesetzt hat sich das Menschenbild eines „Homo Oeconomicus“, demzufolge der Mensch ein Wesen sei, „das in permanenter Konkurrenz mit anderen seinen privaten Nutzen zu optimieren sucht und alle sozialen Beziehungen als kalkulatorische Zweckverhältnisse ansieht“.
Zudem begann die OECD 1966 einen Angriff auf das Erziehungswesen: „Heute versteht es sich von selbst, dass auch das Erziehungswesen in den Komplex der Wirtschaft gehört, dass es genauso notwendig ist, Menschen für die Wirtschaft vorzubereiten wie Sachgüter und Maschinen. Das Erziehungswesen steht nun gleichwertig neben Autobahnen, Stahlwerken und Kunstdüngerfabriken.“, so Ernst Gehmacher, 1966 (9). Das wurde mit der Bologna-Reform beinahe erreicht. Diese Aussagen verdeutlichen eine berechtigte Angst des „Systems“ vor dem Stellenwert von Erziehung, Bildung und Pädagogik. Es wird überdeutlich, wo der erste große Schritte zur Umgestaltung gemacht werden muss ...
Wären Rechtsstaat und Demokratie, die heute in unterschiedlichen Ausprägungen noch recht unvollkommen sind (12) wirklich tragend-stabil, stünden wir aktuell nicht an jenem „zivilisatorischen Abgrund“. Im heutigen Fehl-System können sich die egoistischen Interessen mächtiger Cliquen und Seilschaften rechtlich legitimiert und maximal gegen eine wachsende Mehrheit immer Besitzloserer bis auf den Grund der Lebensrealität auswirken. Es gibt keine zu schiebenden Riegel, und die Demokratie kann definitiv keiner sein, sie muss innerhalb eines geeigneten Systems selbst geschützt werden: Selbst die Gerichte haben bei „Corona“, das sich nun als glatter Betrug herausgestellt hat (13), schändlich versagt, und Ähnliches wird wieder geschehen ...
Der „Kunstdünger“ hat gesunde Soziotope wie das Gesundheitssystem, die ehemals so vorbildliche Deutsche Bundesbahn und den Rechtsstaat/Demokratie allmählich vergiftet. Er lässt ein Gestrüpp aus Ausbootung — Klima, Corona, Migration und vieles mehr — und Entmenschlichung — Transhumanismus, Gender, Digitalisierung — wuchern! Nationalstaatssysteme sind aufgrund ihrer Fehlkonstruktion eine geeignete Spielwiese für extremen Egoismus, Plünderung, Lüge sowie einer stetig steigenden Überforderung der Bevölkerung, die mittlerweile im Existenzsichern feststeckt und keine Zeit mehr für Einmischung hat.
In Deutschland meint die Innenministerin, Ordnung durch Demokratieförderungsgesetze und eine Verschärfung des Disziplinarrechts für Beamte schaffen zu können, was aber zur Abstrafung von Menschen führt, die sich kritisch äußern (14): Es ist doch nur der Versuch des Systems, sich vor dem kritisch aufbegehrenden Souverän zu schützen, was aber nicht gelingen wird, weil Reste des Rechtsstaates immer noch funktionieren (15). Doch wie lange noch?
Drei Glieder des Großen Ganzen
Aus diesen auch damals schon vorhandenen Machenschaften zog Rudolf Steiner in seiner Zeit, die Folgerung, dass in einem Einheitsnationalstaat, in dem die zu differenzierenden sozialen-asozialen Kräfte ungehindert ineinanderfließen, immer eine solche Schieflage entstehen muss, zum Beispiel durch Legalisierung schwerer und schwerster Interessenkonflikte. Die Idee, vom heutigen Einheitsnationalstaat wegzukommen, bedeutet dabei nicht, diesen nun einfach abzuschaffen, was unrealistisch wäre. Es geht hier auch nicht mehr um das ewige Entweder-Oder zwischen Kapitalismus und Sozialismus und ebenfalls nicht um einen mittleren dritten Weg.
Erstens muss ein Prozess der Menschen verschiedener Nationen in Gang kommen; zweitens ein neues Denken als dessen Grundlage, das den sozialpolitischen Bereich in seinen Lebenszusammenhängen neu auffasst. Drittens geht es um den Begriff des Lebens, „Gesellschaft“ als „Organismus“ statt als „System“ und schließlich viertens um ein neues, spirituelles Menschenbild. Ich bezweifle im Moment noch, ob die festgefahrenen Demokraten einen solchen Prozess mitmachen werden.
Ökonomie wird zum Wirtschaftsleben, in dem zukünftig Geschwisterlichkeit (Brüderlichkeit) als Grundstimmung leben soll. In einem freien Geistesleben in Bildung, Kunst, Wissenschaft, Religion, Medien und Medizin sollen vor allem die Fähigkeiten der freien Individualität zu ihrem Recht kommen.
Das dritte Glied ist ein Rechts-Staatsleben, in dem Gleichheit vor dem Gesetz vorhanden sein muss, als der Ort, wo Demokratie im besten Sinne von unten alle Menschen eine angemessene Teilhabe an Entscheidungen haben. Das bedingt, dass die politischen Räume schrittweise verkleinert werden Richtung überschaubarer Regionen, ein Projekt, das einst die EU verfolgte.
Diese drei Glieder des Sozialen sollen in einem Prozess allmählich zu autonomen politischen Einheiten umgebildet und sauber getrennt werden, um dann geregelt zusammenarbeiten zu können. Wichtig dabei ist: In jedem Glied müssen, untergeordnet, die jeweils beiden anderen wieder enthalten sein. Der individuelle Mensch, in dem sich selbst jene drei Glieder abbilden, steht in allen drei Gebieten, um sein Leben zu gestalten. Er muss nur wissen, welche der Wertegrundlagen wo gilt.
Weitere Gedanken dazu
Wirtschaft sowie Staat und Recht haben sich aus der Geschichte des Feudalismus heraus zu dem entwickelt, was sie noch vor 30 Jahren waren; sie beginnen sich seither wieder zu feudalisieren, mit zunehmender Tendenz!
Das Wirtschaftsgebiet, das existenzielle Bedürfnisse des Menschen dienend befriedigen solll, muss als eigenständiges Glied ausgebildet und auf die Ebene der Menschen zurückgeholt werden. Also keine Wirtschaftspolitik mehr; keine Subventionen; Vertreter der digitalen Industrie können nicht mehr Bildungspolitiker werden; solche, die mit der Pharmaindustrie klüngeln, dürfen nicht mehr Gesundheitsminister sein; Vertreter der Waffenlobby dürfen nicht mehr als Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages fungieren; ein Robert-Koch Institut darf dann nicht mehr durch politische Prozesse manipuliert werden können; ein Bundeskanzler sollte nicht mehr in Washington antanzen müssen, um dort Befehle entgegenzunehmen. Dies als Hinweis auf einige besonders krasse Interessenkonflikte in Deutschland.
Ein Geistesleben — noch dazu ein „freies“ — sucht man bis heute vergebens, was mit jener fehlenden Geistanschauung zu tun hat. Es ist ein Anhängsel an das Staatsgebilde geblieben, der Staat ist dual ausgerichtet, die Menschen werden durch zwei Machtblöcke beengt: die der Wirtschaft und der Politik. Beide miteinander verfilzte Blöcke sind mit intransparenten Mächten im Hintergrund, dem militärisch-industriellen Komplex, verbandelt. Dieses System hat das, was eigentlich die Individualkraft und Eigenständigkeit des Menschen ausmacht, das Geistesleben, in sich aufgenommen, und biegt es sich so zurecht, wie es den Mächtigen am besten in den Kram passt. Dieses System muss endlich vom Kopf auf die Füße gestellt werden.
Um derartige Interessenkonflikte zu vermeiden oder mindestens zu erschweren und Menschen wirklich zu Eigenständigkeit und Selbstbestimmung zu führen, soll das Geistesleben ebenfalls ganz selbstständig werden, indem seine Institutionen sich zukünftig selbst verwalten und sich die Inhalte geben. Das ist möglicherweise schwer verständlich, sehen die meisten Menschen doch „Staats“-Schulen als etwas ganz „normales“ an, und halten zum Beispiel auch Forschungen im Medizinbereich durch Pharmakonzerne für ganz selbstverständlich.
Haben wir uns an das Falsche gewöhnt? Warum sollten Politiker, erst recht wenn sie selbst einmal Lehrpersonen waren, gut ausgebildeten nicht Lehrpersonen vorschreiben, wie und was sie unterrichten? Warum sollte ein gewinnträchtiger Pharmariese an wissenschaftlicher Wahrheit interessiert sein, wenn dadurch Umsätze in Gefahr sind? Was kann einen geistig-seelisch deformierten Bildungspolitiker, der von der iPad-Industrie „unterstützt“ wird, daran hindern, nun in den Schulen iPads einzuführen, obwohl die Neurologie längst nachgewiesen hat, dass dadurch die Gehirne der Kinder deformiert werden? Man müsste sich fragen: Warum sollte ein Industriebetrieb überhaupt forschen dürfen? Sollte man Forschung als Teil des Geisteslebens und Produktion als Teil der Ökonomie nicht vielmehr sauber trennen?
Gesundheit, Ernährung/Landwirtschaft, Bildung, Kunst, Wissenschaft: Alles wird mit dem Aspekt der Rendite verknüpft. Es sind ungute Paarungen, die verunmöglicht werden müssen.
Verstehen wir das soziale/politische Leben als Organismus, dann zeigen sich darin die Interessenkonflikte in Analogie zum menschlichen Organismus etwa so: Wenn Verdauungsprozesse im Kopf statt im Bauch wirken oder dort gar das Blut austritt, entstehen Migräne und Lähmung, weil Prozesse am falschen Platz wirken. Entsprechend ist der soziale Organismus, bei dem bestimmte Kräfte und Einflüsse ständig an der falschen Stelle wirken, mit dem Problem von „Dauermigräne“ und Lähmungserscheinungen bis hin zu Krebsgeschwüren konfrontiert. Nicht anderes ist heute im Einheitsstaatswesen zu beobachten, trotz all der Reden von Demokratie, Rechtsstaat und Freiheit. Die um sich greifende Armut ist nichts anderes als ein Symptom dieser Krankheitserscheinungen.
Die soziale Dreigliederung kann zweifellos die Welt nicht retten. Würde sie aber realisiert, könnte sie doch vieles abfedern, die Demokratie stabilisieren und einer Weiterentwicklung zuführen.
Die Glieder müssen dabei selbstständig sein, ohne sich gegenseitig zu manipulieren, wohl aber geregelt zusammenwirken.
Bis heute waltet in jedem kapitalistisch-neoliberalen Wirtschaftssystem Freiheit im Sinne des Liberalismus-Egoismus à la Adam Smith. Doch wie soll jedem Menschen eine Existenzgrundlage ermöglicht werden, wenn die Produktion von Nahrungsmitteln und selbst die Arbeit dem Wettbewerb und den Mechanismen der Gewinnmaximierung ausgesetzt sind und die Erträge privatisiert werden? Deshalb eine weitere Neuerung: Freiheit und Wettbewerb sollen künftig nur im freien Geistesleben walten, weil sich dort der natürliche — gesunde — Egoismus des Menschen, gepaart mit seinen individuellen Fähigkeiten, als Impulskraft zugunsten einer Gemeinschaft positiv auswirken kann, während im Gebiet der Wirtschaft Geschwisterlichkeit als Grundwert gelten soll.
Freiheit der Wirtschaft wird immer zu denselben Ergebnissen führen, die wir nun zur Genüge aufgezeigt haben. Jeder Mensch soll seine Bedürfnisse befriedigen können; er muss dies aber mit Blick auf alle anderen tun wollen. Dies ist ein Erziehungs- und Bildungsproblem! Deshalb kann nicht genug betont werden, dass es im Entwicklungsprozess möglicherweise zu kleineren Wirtschaftsräumen kommen muss.
Alle drei Glieder des Politisch-Sozialen müssen zukünftig den menschlichen Gemeinschaften in ihren Lebenszusammenhängen dienen.
In einem zweiten Teil sollen diese Gedanken vertieft und erweitert werden.