Gefährlicher Sprachzwang

Staatliche Versuche, den Menschen eine bestimmte Sprache vorzuschreiben, provozieren Hass und Aufstände. Teil 1.

Alle, vor 1960 Geborenen, erinnern sich wahrscheinlich noch. Der Aufstand in Soweto 1976 läutete den Anfang vom Ende des Apartheid-Regimes in Südafrika ein. Aber kaum einer erinnert sich an den Anlass: Der „Afrikaans Medium Decree“ zwang alle weiterführenden Schulen, Afrikaans — die Herrschafts- und Unterdrückersprache der Buren — als verbindliche Unterrichtssprache einzuführen. Daraufhin gingen 20.000 schwarze Schüler aus dem Township auf die Straßen — mit Parolen, wie „Zur Hölle mit Afrikaans!“ und „Afrikaans gehört abgeschafft“. In einem Blutbad tötete die Polizei etwa 700 Schüler, offiziell 176. Weltweit wird Sprachzwang von Herrschenden als politisches Instrument eingesetzt, um in undemokratischer Weise nationalistische und/oder rassistische Ideologien durchzusetzen. Dieser Beitrag ist der Auftakt einer Trilogie, die diese Konflikte in den Kontext von Geschichte und Politik stellt: in Südafrika, Katalonien und der Ukraine.

Der Sprachzwang in Südafrika

Apartheid — Geschichte einer rassistischen Herrschaft

Südafrika war 1976 ein Land, in dem eine weiße Minderheit die Bevölkerung in unterschiedliche Klassen entsprechend ihrer Hautfarbe eingeteilt hatte. Führende dieser Minorität der Weißen waren die Buren, Nachfahren der Holländer, die das Kap im 17. Jahrhundert besiedelten. Der Niedergang der holländischen Kolonialmacht und das Erstarken des britischen Empires führten Anfang der 19. Jahrhunderts dazu, dass Südafrika britische Kolonie wurde.

Der Beschluss des britischen Parlaments von 1833 zur Abschaffung der Sklaverei raubte den Buren ihre Existenzgrundlage. Um der britischen Herrschaft zu entgehen, wichen sie zu großen Teilen ins Hinterland aus und gründeten eigene Staaten — die Burenrepubliken. Gold- und Diamantenfunde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts führten zur Einwanderung anderer Europäer, die sich im Wesentlichen dem englischen System anpassten. Die Buren dagegen — obwohl in der Minderheit, kämpften teils erfolgreich gegen die Engländer, wie im Ersten Burenkrieg von 1880/81.

Letztlich ging es aber um die Herrschaft über die ertragreichen Goldminen und Diamantfelder, insbesondere auf dem Gebiet der Burenrepubliken. Ihr Streben nach den Bodenschätzen dieser Region zwang die Briten, den Zweiten Burenkrieg (1899 bis 1902) anzuzetteln, zumal die Buren drohten, sich mit dem Deutschen Reich zu verbünden. Die langen Friedensverhandlungen führten im Jahr 1910 zur Gründung der Südafrikanische Union.

Die afrikanischen Völker spielten in dieser Historie kaum eine Rolle, obwohl beispielsweise die Zulu — ein Bantuvolk, das ursprünglich aus dem Kongo stammte — den Engländern in verschiedenen Schlachten im 19. Jahrhundert blutige Niederlagen beibrachten.

Mit dem Aufstieg des deutschen Nationalsozialismus und seinen Rassengesetzen kam es erneut zu starken Spannungen zwischen Briten und Buren, da letztere damit sympathisierten.

Obwohl nach 1945 die Politik des Rassismus international in Diskredit geriet, verlief diese Entwicklung in Südafrika gegenteilig. Die — überwiegend britische — Nationale Partei (NP) und die Afrikaanerpartei (AP), die Partei der Buren, fusionierten und setzten die durch strikte Rassentrennung gekennzeichnete Politik der Apartheid — das Africaanswort für „Getrenntheit“ — durch. Diese Rassismuspolitik sollte nicht allzu sehr erstaunen, war sie doch auch in den Südstaaten der USA üblich, und die USA lösten mit Ende des Zweiten Weltkrieges praktisch Großbritannien und Frankreich als Kolonialmacht ab.

Die weißen holländischen Siedler waren nicht die ersten Menschen am Kap. Buschmänner, heute San genannt, bewohnten als Nomadenvolk von Jägern und Sammlern große Teile des südlichen Afrikas schon seit mehr als 10.000 Jahren. Im 17. Jahrhundert waren die Zulu , teilweise im Kampf gegen die San, eingewandert. Daneben lebten dort weitere Völker, wie die Khoikhoi, früher als „Hottentoten“ bezeichnet, zu denen die Nama und die Korana gehören, oder das Bantu-Volk der Xhosa.

Die einheimischen afrikanischen Völker konnten den „Bedarf“ der weißen Siedler an Slaven nie befriedigen. Die aus Indien, Malaya und Indonesien nach Südafrika verschleppten Sklaven unterschieden sich von den afrikanischen Völkern durch ihre vergleichsweise hellere Hautfarbe. In der Regel sprachen diese „Coloureds“ mehrheitlich Afrikaans und wurden gegenüber den Schwarzen relativ bevorzugt behandelt.

Mahatma Gandhi, der 1893 als erfolgreicher Rechtsanwalt in Pretoria tätig war, erlebte trotz seiner Angehörigkeit zur gesellschaftlichen Oberschicht die Diskrimierung als „Farbiger“, die ihm „seinen“ Platz in der rassistischen Hierarchie zeigte. Deshalb begann er seinen gewaltlosen Kampf für Freiheit, der ihn später in Indien zum Führer gegen den britischen Imperialismus machte.

Die weltweite Dekolonialisierung der 1950er und 1960er Jahre stärkte zwar die Unabhängigkeitsbewegung der Völker Südafrikas. Doch die vergleichsweise hohe Industrialisierung, die Investitionen zur Erschließung der Rohstoffreserven des Landes und die relativ große weiße Minderheit in Verbindung mit einem terroristischen Regime gegenüber den einheimischen Schwarzen erschwerte den Befreiungskampf erheblich.

Sprachzwang als Funke des Aufstands

Die Zahl der in Südafrika gesprochenen Sprachen ist infolge der multiethnischen Herkunft der dort lebenden Völker sehr groß. Während der Apartheid gab es nur die beiden Amtssprachen Englisch und Afrikaans. Letztere ist eine Art niederländischer Dialekt, der sich im Laufe der Jahrhunderte ähnlich eigenständig weiterentwickelt hat wie das britische zum amerikanischen Englisch. Afrikaans war und blieb die Sprache der Buren — und einiger Coloureds, die zudem häufig noch ihre Muttersprache nutzten.

Während in den 1970ern weltweit der Kolonialismus weiter bröckelte, insbesondere in den portugiesisch beherrschten Angola und Mosambik, einem Land mit gemeinsamer Grenze mit Südafrika, versuchte die herrschende Minderheit ihr Apartheid-Regime weiter zu festigen. Bildung war in allen Kolonien eine entscheidende Voraussetzung für den Befreiungskampf.

Deshalb beschloss das rassistische Regime 1974 die Einführung von Afrikaans als verbindliches Unterrichtsfach für alle weiterführenden Schulen, wissend, dass die Mehrzahl der Schwarzen diese Sprache kaum sprach. Denn in der Regel wurden die Schwarzen entsprechend der Bantu-Erziehung — Lernen zur Vorbereitung auf den Haushalt (Mädchen) und der Feldarbeit (Jungen) — lediglich in ihrer Stammessprache unterrichtet. Deshalb gelang es nur den allerwenigsten, überhaupt eine höhere Schulbildung zu erhalten.

In Soweto bei Johannsburg gingen die schwarzen Schüler 1976 gegen diesen „Africaans Medium Decree“ auf die Straße. Anfänglich mit der Forderung, Afrikaans abzuschaffen. „To hell with Afrikaans“ — zur Hölle mit Afrikaans — richtete sich natürlich nicht gegen die Sprache an sich, sondern gegen den Sprachzwang, und war Ausdruck ihres Hasses auf die Apartheid. Das Regime schlug diesen Schüleraufstand mit blutiger Gewalt nieder. Aber er war ein Fanal. Es folgten weitere niedergeschlagene Aufstände, bis es den Unterdrückten Anfang der 1990er Jahre endlich gelang, die Herrschaft der Rassisten zu beseitigen.

Nach der neuen Verfassung soll keiner Sprache und damit Bevölkerungsgruppe eine vorrangige Stellung zugesprochen werden. Deshalb gibt es in Südafrika heute elf gleichberechtigte Amtssprachen — entsprechend der Hauptethnien, darunter schwarze Südafrikaner, Weiße, Coloureds, Inder und Asiaten.

Diese Politik der Gleichheit aller Ethnien und der diskriminierungsfreien Nutzung der Sprachen hat nach fast 30 Jahren die Auswirkungen der mit dem Sprachzwang verbundenen Geschichtsfälschung und Indoktrination nicht vollständig beseitigen können.

Wie tief diese nachwirken, dafür abschließend folgendes Beispiel: Das Apartheid-Regime in Südafrika hatte stets behauptet, die Weißen seien die ersten Siedler am Kap gewesen, von daher hätten die Schwarzen keine Rechte auf das Land. Die Reste dieser Auffassung findet man noch heute beispielsweise im Kapstadtmagazin (1), wo ein relativ detaillierter „Überblick über die Geschichte Südafrikas“ nicht mit der Besiedlung durch die Schwarzen beginnt, sondern mit der Entdeckung des Kap 1488 durch die Portugiesen und 1652 mit der Besiedlung durch die Holländer. Erst für 1679 werden Begegnungen der Holländer mit den Xhosa und der Beginn von „Streitigkeiten“ gemeldet.


Quellen und Anmerkungen:

(1) https://www.kapstadtmagazin.de/geschichte-s%C3%BCdafrikas