Geduldeter Nazikult
Seit Beginn des Ukrainekrieges wurde in München das Grab des ukrainischen Nazi-Kollaborateurs Stepan Bandera zu einer regelrechten Pilgerstätte.
Das Wort „Nazi“ wurde in den zurückliegenden Jahren wie wohl kein zweites durch seinen inflationären Gebrauch vollends entkernt. „Nazi“ ist heute jeder, der sich nicht bei drei auf den Bäumen der politischen Korrektheit befindet. Entsprechend bizarr mutet es an, wenn in Deutschland das Grab eines waschechten Nazi-Kollaborateurs, namentlich Stepan Bandera, zu einer Pilgerstätte wird. Einen Aufschrei gibt es nicht. Im Gegenteil: Seit Kriegsbeginn in der Ukraine herrscht um das Grab von Stepan Bandera auf dem Münchner Waldfriedhof ein reger Publikumsverkehr. Reichte in den vergangenen Jahren eine Reichsflagge unter tausend Peacefahnen, um eine ganze Demonstration zu einem Nazipulk zu erklären, so wird hier einem Wehrmachtskollaborateur gehuldigt — ohne dass dies in jenen Kreisen kritisiert wird, die sonst hinter jedem Baum einen Nazi vermuten.
Ein Jahr vor Beginn des Ukrainekrieges stießen mir bei einem Spaziergang durch den Münchner Waldfriedhof die Farben der ukrainischen Flagge ins Auge. In der Ferne sah ich einen Grabstein, der mit blau-gelben Fahnen verziert war. Meine Neugier war geweckt und so näherte ich mich diesem Grab. In der Inschrift des Grabsteins las ich den Namen „Stepan Bandera“, welcher darüber zusätzlich in Kyrillisch eingraviert ist. Bei dem Namen klingelte augenblicklich etwas in meinem Gedächtnis. Ich wusste in groben Zügen von der Bedeutung Banderas, seiner Kollaboration mit dem Nazi-Regime, dem bis heute anhaltenden Kult um seine Person in der Ukraine und dass er in den 1950er-Jahren in München durch den sowjetischen Auslandsgeheimdienst KGB ermordet wurde.
Dennoch war ich überrascht, bei einem Spaziergang, als ich eigentlich den Kopf frei von politischen Themen bekommen wollte, plötzlich in ein Stück düstere Europageschichte hineinzustolpern. Zu diesem Zeitpunkt, im Frühjahr 2021, verdrängte Corona alle anderen Themenfelder, sodass sich die Ukraine und der dortige Konflikt eher an der Peripherie der medialen Aufmerksamkeit abspielte.
Mit dem Winter 2021/22 und dem Beginn des Ukrainekrieges änderte sich das in atemberaubender Geschwindigkeit. Ein regelrechter Russophobie- und Ukrainekult entwickelte sich. Diese Entwicklungen zogen auch an dem Grab von Bandera nicht spurlos vorbei. Im Gegenteil: Bei meinen Spaziergängen komme ich immer wieder dort vorbei und beobachte, wie sich dieses Grab zunehmend zur Pilgerstätte wandelt. Rund um das Friedhofsgelände sind seit März 2022 protzige SUVs mit ukrainischen Kennzeichen zu sehen, und wo vor einem Jahr lediglich eine Ukraineflagge hing und besonders schöne Blumen angepflanzt waren, quillt das Grab heute über vor lauter Gaben, die Besucher ihrer Ikone zu Grabe legen. Teils ist die Auswahl sehr skurril. Auf den Flächen des Grabes liegen ukrainische Hrywnja-Scheine und -münzen, Süßigkeiten — teils sogar von McDonalds — und beschriftete (FFP2-)Masken.
Das „geschmückte“ Grab von Stepan Bandera in München. Foto: Nicolas Riedl
Die Frage, wer in Deutschland (!) die Grabstätte eines Nazikollaborateurs derart schmückt, beantwortete sich — wenn auch nicht gänzlich — dieser Tage beim Aufsuchen des Grabes an einem Sonntag. Geradezu im Minutentakt kommen Besucher, um andächtig davor stehen zu bleiben, Fotos zu machen oder weitere der oben aufgezählten „Geschenke“ niederzulegen. Doch wer sind diese Menschen? Sind das irgendwelche unverkennbar als Nazis zu identifizierenden Glatzen?
Einmal tat ich so, als würde ich selbst in Gedenken an Bandera an dessen letzter Ruhestätte stehen, um mir ein genaueres Bild von den Besuchern zu machen. Zu meiner Verwunderung handelte es sich jedes Mal um durch und durch unscheinbare, dem Äußerlichen nach vollkommen harmlose Bürgerinnen und Bürger; Eltern mit ihren Kindern oder Jugendliche im Trainingsanzug.
Darauf konnte ich mir keinen Reim machen. Gilt hierzulande doch schon bald als Nazi, wer für sich beansprucht, täglich warm zu duschen. Und doch verwandelt sich mitten in München ohne Skandal und Aufschrei das Grab eines Nazi-Kollaborateurs geradezu in eine Pharaonenkammer.
In diesem Moment kam mir sogar der Gedanke, ob ich über Bandera einfach falsch informiert war. Aber nein: Egal, wo ich mich schlaumachte, ob in älteren Mainstream-Berichten oder in Alternativmedien — ich konnte das Bild von Stepan Bandera drehen und wenden wie ich es wollte, seine Beteiligung an den Verbrechen der Nazis ist unumstritten und ausreichend belegt.
Als Anführer der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) beziehungsweise als Teil der Ukrainischen Aufstandsarmee (UPA) beteiligte er sich an zahlreichen Verbrechen und Gräueltaten an Zivilisten, die selbst SS-Generäle schockierten.
Zwar befand sich Bandera von Juli 1941 bis September 1944 in deutscher Gefangenschaft – nachdem seine Pläne, eine unabhängige Ukraine auszurufen, dem NS-Regime zu weit gingen –, die er jedoch vergleichsweise komfortabel als einer der sogenannten Sonder- und Ehrenhäftlinge der SS absaß. Kurz vor Kriegsende wurden Teile der OUN sogar wieder in die Waffen-SS aufgenommen. Kurzum: Banderas Weste so blutbefleckt, dass sie durch keinen Perspektivwechsel reingewaschen werden kann.
Selbst nach Kriegsende blieb Bandera in seinem Münchner Exil der Vorsitzende der OUN, bis er im Oktober 1959 durch den KGB-Agenten Bogdan Staschinski direkt vor seiner Haustüre mit Blausäuregas ermordet wurde.
Beim Lesen über Banderas Tod kam mir die Idee, seinen damaligen Wohnsitz in der Kreittmayrstraße in der Münchner Maxvorstadt aufzusuchen, um zu sehen, ob dieser sich ebenfalls in eine Pilgerstätte verwandelt hatte. Dort angekommen stellte ich fest, dass nichts mehr an Bandera erinnert. Rings um das mehrstöckige Haus befinden sich hippe Cafés und Restaurants, auf der Türschwelle liegen keine Blumen, nirgends sind ukrainische Flaggen zu sehen. Die einzige Auffälligkeit, von der ich Notiz nahm, war, dass die Hausfassade der Nummer 7 — ganz so, als wolle sie den Antikommunisten post mortem verspotten — die einzige in der ganzen Straße mit einem roten Anstrich war.
Totenunruhe an Banderas Grab
Bereits vor dem Ukrainekrieg fand Banderas Grab immer wieder seinen Weg in die Öffentlichkeit.
Grabschändung 2014
Kurz nach Beginn des Maidan-Putsches 2014 — ob sich die heutigen Ukraineflaggenschwinger daran noch erinnern können? — wurden der Grabstein umgestoßen und das Grab verwüstet. Die Täter wurden nie gefasst.
Ukrainischer Botschafter Andrij Melnyk besucht Banderas Grab
Im Jahr 2015 legte Melnyk Blumen am Grab von Bandera nieder. Die Linken-Abgeordnete Sevim Dağdelen wollte daraufhin in einer Anfrage an die Bundesregierung wissen, ob dieser das bekannt sei. Die Bundesregierung bejahte und verurteilte in ihrer Antwort die Taten der OUN.
2018 kommt der „Friedhof-Faktenchecker“
Der britische Blogger Graham Phillips besuchte 2018 das Grab, entfernte die Flagge der Ukraine — sowie auch die der ukrainischen Nationalisten — und befestigte am Grabstein ein Schild mit der Aufschrift: „Der ukrainische Nazi Stepan Bandera liegt hier begraben.“ Im Netz wurde er teils als echter Antifaschist gefeiert, andere warfen ihm Grabschändung vor.
2021 ermittelt der Staatsschutz nach abermaliger Grabschändung
Ein Jahr vor Beginn des Ukrainekrieges wurde das Grab erneut geschändet, indem es mit roter Flüssigkeit übergossen wurde. Der Staatsschutz nahm im Zuge dessen die Ermittlungen auf, bislang ergebnislos.
Parallelwelt
Es bleibt skurril. Während hierzulande alles und jeder in die rechte Ecke geschoben wird, wenn er nur ein falsches Wort sagt, wird gleichzeitig mitten in Deutschland das Grab eines Nazi-Kollaborateurs verziert, geschmückt und mit andächtigen Blicken der Besucher besichtigt. Mittlerweile patrouilliert in regelmäßigen Abständen die Polizei vorbei, um nach weiteren etwaigen Grabschändungen zu sehen. Es wird sogar gemunkelt, dass im direkt gegenüber befindlichen Grablichtautomat eine versteckte Kamera installiert sei.
Gewissermaßen ist der Grabstein Banderas ein Mahnmal der Doppelmoral, das uns zeigt, dass den Herrschenden sämtliche destruktiven Kräfte recht sind, solange sie ihren Zwecken dienen. Während hiesige Demonstranten mit friedvollen Absichten als Nazis diffamiert werden, stattet man in der Ukraine unverkennbare Nazis mit schweren Waffen aus.
Wie viel Blut muss wohl noch sinnlos vergossen werden, ehe aus der Geschichte gelernt wird?