Gebührenfinanzierte Journalismussimulation
Der WDR befragt eine Penny-Kundin beim Einkauf — und gibt später zu, dass die Kundin selbst WDR-Moderatorin ist. Geht so Journalismus?
Es ist eine so lästige wie beliebte Manipulationstechnik: Schäfchen-Interviews zu aktuellen Themen. Will eine TV-Redaktion eine bestimmte politische Meinung im Volk fest verankern, eine unbequeme Maßnahme der Regierenden promoten, interviewt sie Menschen „auf der Straße“, die mit ebendieser Maßnahme total einverstanden sind — egal ob 2G-Regelung oder Blitzmarathon. Bei der Auswahl der Befragten können die Macher schalten und walten, wie sie wollen, sie muss nicht repräsentativ sein. Widerborstige spüren auf diese Weise sofort: Sie sind mit ihrer Kritik allein auf weiter Flur, das gesunde Volksempfinden schwingt in inniger Eintracht mit der Regierung. Normalerweise ist Manipulation in solchen Fällen schwer beweisbar. In einem aktuellen, eher die Privatwirtschaft betreffenden Fall, flog der Fake jedoch auf. Für die Penny-Aktion „Wahre Preise“, mit der die reichen Großhandelsmogule den Kunden zu mehr Genügsamkeit zu erziehen versuchten, fand sich eine „Frau aus dem Volk“, die Insidern verdächtig bekannt vorkam ...
Der Discounter Penny hat eine jener ausgezeichneten Ideen entwickelt, die dem Zeitgeist den Bauch pinseln: Er druckt jetzt auf einige Artikel die „wahren Preise“. Bis zu fast 100 Prozent teurer müssten manche Waren sein. Natürlich gilt der ursprüngliche Preis, die Kette möchte nur aufmerksam machen auf das, was normalerweise nicht eingepreist wird. Etwa Folgekosten des Klimawandels. Der Bauernverband spricht — nicht ganz zu Unrecht — von Greenwashing. Und tatsächlich kann man annehmen, dass die Aktion mehr dem Marketing als einer Sensibilisierung des Penny-Managements entspricht — Focus Online schrieb hämisch, dass bei Penny gleichzeitig Entenschlegel verramscht würden.
Die Berechnung hat indes etwas von Willkür, denn wie man den Klimawandel einpreisen kann, ohne gleichzeitig spekulativ zu sein, muss man erstmal mathematisch aufdröseln. Penny erntete relativ viel Kritik für die Aktion. Dabei waren die Medien sehr bemüht, den Discounter zu loben und die Aktion als großen Wurf vorzustellen. Der WDR fragte dann mal bei Penny nach: Eine junge Kundin zeigte sich begeistert. Ob sie mit dem WDR-Außenteam erstmal zu Penny mitfuhr oder schnell in der Mittagspause dort war, müsste jedoch noch geklärt werden. Denn eines weiß man bereits: Die „Kundin“ ist selbst WDR-Mitarbeiterin.
Journalismus unter Freunden
Hannah Mertens heißt die junge Frau, sie ist Produktionsassistentin und soll auch als Moderatorin fungieren, wie man später las. Der WDR spricht von „einer Verkettung unglücklicher Umstände“ — kann ja sein, aber Mertens hätte ja auch was sagen können; journalistisch Geschulte wären an dieser Stelle offen gewesen, schon alleine, um die Kollegen nicht in die Bredouille zu bringen. Aber vielleicht war sie so begeistert von der Penny-Aktion, dass sie das einfach vergessen hat. Seien wir an dieser Stelle einfach mal so naiv und nehmen das an.
Und das entgegen der weitläufigen Tendenz, immer wieder mal „Verkettungen unglücklicher Umstände“ in Kauf nehmen zu müssen. In der Vergangenheit stellte das ZDF die vermeintlich ganz ungebundene Kundin eines Bio-Supermarktes vor, die Waren eines Herstellers, der mit der AfD zu tun hat, nicht kaufen möchte. Bei der Befragten handelte es sich jedoch um Monika Lazar, damalige Bundestagsabgeordnete der Grünen. Zufälle dieser Art gibt es immer wieder bei den Öffentlich-Rechtlichen.
Erst im Februar dieses Jahres waren wir wieder Zeugen so einer Verkettung. Das Fußgängerkonzept in der Berliner Friedrichsstraße wurde von den Berlinern mehrheitlich abgelehnt — Umfragen ergaben aber, dass insbesondere die grüne Klientel in Mehrheit dafür sei. Eine Passantin wurde vom ZDF befragt, sie „arbeite hier um die Ecke“, mehr erklärte man den Zusehern nicht. Ihr Name: Marie Heidenreich. Dass sie für die Grünen im Landtag Mecklenburg-Vorpommerns kandidiert hatte, konnte ja keiner ahnen. Dabei wäre es gut gewesen, denn das hätte die Befangenheit der „zufälligen Passantin“ fassbar gemacht.
Besonders tragisch gestalteten sich diese Verkettungen beim Bürgerdialog vor einigen Monaten. Der Bundeskanzler stellte sich den Fragen der Bürgerinnen und Bürger, die im Studio saßen und einen Querschnitt der Gesellschaft darstellen sollten. Die Moderatorin sagte noch, man habe keine Ahnung, welche Fragen im Laufe der Sendung gestellt würden. Schlussendlich war es so, dass etliche Parteigenossen des Kanzlers und auch einige des Koalitionspartners der Grünen auf ihn zugingen. Zufall? Die öffentlich-rechtlichen Sender haben aber auch unglaubliches Pech, immer wieder verkettet sich da was unglücklich.
Was tun, wenn keine passende Meinung zur Hand ist?
Aber mal den süffisanten Ton beiseite geschoben: Dass das kein Zufall ist, darüber sind wir uns wohl einig. Dieses Inszenieren vermeintlicher Neutralität, die die Befangenheit der Befragten durch Weglassen notwendiger Informationen kaschiert, hat freilich Methode. Zu oft ist das jetzt passiert, zu häufig erfuhr man durch Alternativmedien, die häufig anders als die offiziellen Faktenchecker wirklich Fakten ergebnisoffen prüfen, dass da etwas nicht mit rechten Dingen zuging.
Die Öffentlich-Rechtlichen stehen aber auch vor einem Dilemma. Seit vielen Jahren begreifen sie sich als Sendeanstalten, die den Parteien, besonders aber der Bundesregierung, zielgenaue Pässe zuspielen.
Während sie Medien im Ausland, aktuell besonders jene in Russland, als Staatsmedien bezeichnen, verbitten sie sich diese Titulierung allerdings für sich selbst. De facto sind sie aber genau das: Sie sind Mächtigenmedien — und sie vertreten Ansichten und Narrative, die ein breiter Teil der Bevölkerung eben schon lange nicht mehr teilt.
Wie will man in diesem Klima, da sich Macht und Bürger so weit voneinander entfernt haben, noch zustimmende Stimmen generieren? Das wird immer schwieriger. Was tun, wenn man also keine passende Meinung zur Hand hat? Man inszeniert Meinung — und simuliert neutrale Stimmen. Man bewegt sich also immer mehr in der eigenen Blase und rekrutiert jene, die innerhalb dieser Blase leben, arbeiten und ticken, um ein Abbild vermeintlicher Lebenswirklichkeiten zu simulieren. Es muss am Ende nicht die Wirklichkeit herauskommen — es reicht, wenn eine Wirklichkeit herauskommt. Eben jene der Blase. Und die präsentiert man der Allgemeinheit dann als die einzig gültige Wirklichkeit.
Das ist jedenfalls das Vorgehen von Menschen, die Journalismus simulieren — Staatsmedien tun das gerne. Beseelter Journalismus, ein Journalist mit Berufsethos, geht anders vor. Er geht auf Stimmenfang und fragt sich hernach, wie das öffentliche Klima eigentlich zu bewerten ist. Mit dem Wunsch, ein Klima einzufangen, das er gerne hätte, mag er freilich auch an die Aufgabe herangehen, denn auch Journalisten haben ja Vorlieben, wünschen sich gewisse Stimmen, die etwas untermauern. Aber wenn die nicht da sind, wenn sie sich als rar erweisen, stellen sich seriöse Journalisten dieser „gesammelten Wirklichkeit“. Sie müssen der Realität ins Auge sehen, dass die Welt vielleicht anders ist, als sie es gerne hätten.
Manipulation über Gebühr
Kurz gesagt, wirklicher Journalismus — und den gibt es noch, wenn auch nicht oder kaum noch im Mainstream — stellt sich der Wirklichkeit.
Die gebührenfinanzierte Journalismussimulation entwirft allerdings eine Wirklichkeit nach eigenen Vorstellungen und Wünschen. Die Welt als Wille und Vorstellung: Das wäre ein Slogan, den man ARD, ZDF und den Dritten anheften könnte.
Sie fungieren nicht als Chronisten dessen, was ist, sondern greifen in die Geschehnisse ein.
Natürlich beeinflusst der Berichterstatter immer die Szenerie, es ist eine Art von Unschärferelation, die sich einstellt, wenn er journalistisch auf Stimmenfang geht. Damit hat die Masche, Menschen aus der eigenen Blase zu befragen und als neutrale Betrachter vorzustellen, freilich nichts zu tun. Gemeint ist damit vielmehr der Umstand, dass etliche wirklich unbeteiligte Passanten, die von Journalisten abgefangen werden, eher zu wohlwollenden Antworten neigen, als könne es eine richtige Antwort auf gestellte Fragen geben.
Die Öffentlich-Rechtlichen sind wie alle Medien ein Schaufenster. Jedes Medium ist bis zu einem gewissen Maße tendenziös und baut auf ein Weltbild. Absolute Neutralität ist natürlich ein Märchen, es war zu anderen Zeiten einfach ein Unterschied, ob man die Frankfurter Allgemeine oder die Frankfurter Rundschau las, hinter beiden steckten unterschiedliche Menschen- und Gesellschaftsbilder.
Das ist erstmal nicht ungewöhnlich. Bei den Öffentlich-Rechtlichen ist die Situation jedoch anders als bei privaten Fernsehsendern: Sie werden von allen bezahlt und haben daher ein Schaufenster aller zu sein. Das ist der besondere Anspruch des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Jedenfalls der Agenda nach. Wenn bei RTL gemauschelt wird, schalte ich als Rezipient ab und weiß, dass ich das nicht bezahlt habe — aber wenn der WDR Menschen aus dem WDR befragt und das als Neutralität verkauft, bin ich als Betrachter auch Finanzier. Und als solcher, so denke ich zumindest, habe ich gewisse Ansprüche an die Sachlichkeit.
Legendär ist ein Meinungsbeitrag Kai Gniffkes aus einer Tagesthemen-Sendung von 2017. „Wir jubeln Ihnen keine Meinung unter, wir sind Journalisten, keine Lügner“, erklärte er seriös dreinblickend in die Kamera. Natürlich würden er und seine Kollegen Fehler machen, aber doch nicht absichtlich. Falls es aber dann doch mal so aussieht, als stecke Absicht dahinter, spricht man von einer „Verkettung unglücklicher Umstände“. Dass man etwaige Manipulationsversuche als jemand aushalten muss, der seinen monatlichen Beitrag entrichtet, muss einer Verkettung unglücklicher Umstände geschuldet sein. Staatsmedien sind immer ein unglücklicher Umstand — und sie haben ein Faible für etwaige Ketten.