Fürs Leben lernen
Die künstliche Intelligenz stellt uns vor die Frage, welche Fähigkeiten wir entwickeln sollten, um auch in Zukunft etwas zu tun zu haben.
Verwaltungsbeamte, Bankangestellte, Buchhalter — viele der typischen Schreibtischjobs werden in nächster Zukunft durch die künstliche Intelligenz (KI) ersetzt werden. Bei der Verrichtung sich wiederholender, monotoner Aufgaben wird der Mensch künftig nicht mehr gebraucht. Daraus ergibt sich die Frage, welche Tätigkeiten wir in Zukunft verrichten werden, wenn wir uns nicht von staatlichen Zuwendungen abhängig machen wollen, die uns gerade so am Leben halten. Welche unserer Fähigkeiten sind nun gefragt? Was gilt es heute zu lernen, wenn wir nicht als Auslaufmodelle aussortiert werden wollen?
Bereits heute bekommen wir es zu spüren: Die künstliche Intelligenz sorgt für eine maßgebliche Veränderung auf dem Arbeitsmarkt. Zahlreiche Berufe werden bereits in allernächster Zukunft von Maschinen und nicht mehr von Menschen ausgeführt werden. Milliarden sind von dieser Entwicklung betroffen. Geschätzt 14 Millionen Berufsbilder werden in Kürze nicht mehr so existieren, wie sie heute sind.
Schreibtischjobs wie Buchhalter, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Gerichtsschreiber, Bauzeichner, kommerzielle und industrielle Designer, Informatik-Ingenieure, Mitarbeiter in der Datenerfassung, juristische Hilfskräfte oder biologisch-technische Fachkräfte gehören zu den Verlierern der KI-Revolution. Diese Entwicklung betrifft auch meine Arbeit. Bereits heute verfassen Chatbots in Sekundenschnelle Essays und Artikel und konfrontieren mich mit der Frage: Werde ich in Zukunft noch gebraucht?
Der Geist ist aus der Flasche
Zu den Gewinnern der digitalen Revolution gehören unter anderem Friseure, Klempner, Pflege- und Servicekräfte und die Berufe, die etwas mit Kreativität und Verantwortung zu tun haben (1). In meinem Kopf beginnt es zu arbeiten. Wenn das so ist, dann sei die Frage erlaubt, ob wir dann noch eine allgemeine Schulpflicht brauchen. Warum sollten wir alle dazu gezwungen werden, mindestens zehn Jahre lang die Schulbank zu drücken und Dinge zu lernen, die wir in unserem Leben nicht brauchen? Worin besteht der Sinn, Menschen auf Tätigkeiten vorzubereiten, die die Maschine verrichtet?
Was rechtfertigt den Nutzen von Lernkasernen, in denen alle auf eine Höhe zurechtgestutzt werden, wenn am Ende eh nur das Bürgergeld wartet? Warum müssen wir reglos in Betonburgen ausharren, wenn vor allem handwerkliche Berufe Zukunft haben, in denen körperliche Fähigkeiten gebraucht werden?
Wozu die zusammenhangslosen Lerneinheiten, das ständige miteinander Vergleichen und gegeneinander Ausspielen, die Prüfungen, die Benotungen, der Stress, wenn Kreativität, Verantwortungsbewusstsein und Kooperation gefragt sind (2)?
Die Entwicklung der Technologie ist nicht aufzuhalten. Wir verschwenden unsere Energien, wenn wir uns ihr entgegenstellen. Was wir bekämpfen, machen wir letztlich groß. Unsere Möglichkeiten eröffnen sich dann, wenn wir mit den Dingen gehen, nicht gegen sie. Was also gilt es heute zu erlernen, wenn wir morgen noch Beschäftigung finden wollen? Was haben wir zu tun, wenn die stupiden Jobs wegfallen, die monotonen Aufgaben und immergleichen Abläufe?
Wir sind Schöpferwesen
Was kann der Mensch, was die Maschine nicht kann? Wie können wir es lenken, dass die künstliche nicht die natürliche Intelligenz ersetzt? Wie können wir die Technik als das benutzen, was sie ist: ein Werkzeug? Wir haben es in der Hand. Ohne jemanden, der sich dessen bedient, ist das Werkzeug nutzlos. Das Künstliche hat kein Eigenleben. Es hängt vom Programmierer ab. Die Maschine ist tot, wenn jemand den Stecker zieht.
Der Mensch hingegen ist nicht davon abhängig, von jemandem programmiert zu werden. Er bezieht seine Lebensenergie aus anderen Quellen. Als autopoietische Wesen sind wir dazu in der Lage, uns selbst immer wieder neu zu erschaffen und zu erhalten. Maschinen sind Objekte. Menschen sind Subjekte, mit Bewusstsein ausgestattete, denkende, erkennende und handelnde Wesen, gleichzeitig Schöpfer und Geschöpf.
Im Gegensatz zur Maschine haben wir die Möglichkeit, erfinderisch zu werden und aus uns heraus die Welt zu gestalten. Wir sind den Programmierern nicht hilflos ausgesetzt, den „Mächtigen“, den „Eliten“, den „Herrschenden“. Wenn wir es entscheiden, sind wir nicht die Opfer unserer Geschichte, sondern ihre Helden. Sie muss nicht so weitergehen, wie in der Genesis erzählt. Der künstliche Mensch, der nicht dem Leib einer Frau entsprang, sondern der Rippe eines Mannes, muss nicht die Oberhand gewinnen.
Echt und wahrhaftig
Der zunehmenden Entwicklung des Künstlichen haben wir etwas Mächtiges entgegenzusetzen: Gefühle. Freundschaft. Liebe. Herzenswärme. Gemeinsinn. Freude. Dankbarkeit. Würde. Erfindungsgeist. Seele. Unsere Menschlichkeit. Die Maschine kann nur, was man ihr sagt. Der Mensch kann mehr. Auch wenn er nicht mehr besser Schach spielt und Informationen langsamer verarbeitet.
Menschen sind nicht kalkulierbar. Sie können dem Schlimmsten ausgesetzt sein — Verrat, Isolation, Folter, Todesurteil —, nichts kann sie dazu zwingen, sich zu beugen.
Viele der Widerstandskämpfer im Dritten Reich sind mit geradem Rücken in den Tod gegangen. Sie haben ihre Werte nicht verraten und sind echt geblieben, wahrhaftig. Gegenüber einer zutiefst menschenfeindlichen und zerstörerischen Maschinerie haben sie menschliche und geistige Überlegenheit bewiesen (3).
Sie haben uns gezeigt, wozu Menschen in der Lage waren und auch heute sein können: dem eigenen Gewissen folgen und sich nicht nur für das eigene Leben einsetzen, sondern auch für Werte, die die persönliche Existenz übersteigen. Diese Authentizität ist es, die uns zu Schöpferwesen macht. Wir sind nicht dazu verdammt, auf A B folgen zu lassen. Wir haben das gesamte Alphabet zur Verfügung, mit dem wir eine neue Geschichte schreiben können, mit der niemand gerechnet hat.
Hand in Hand
Um die Bandbreite dessen zu nutzen, was uns zur Verfügung steht, müssen wir zunächst, so der Publizist Milosz Matuschek, die Sedimente früherer und aktueller Indoktrinationen, die sich vor unserem inneren Auge abgelagert haben, Stück für Stück abtragen (4). Befreien wir uns von dem Gedankengift und dem zwanghaften Anpassen vergangener Zeiten. Verlieren wir uns nicht mehr in Details, sondern öffnen wir unsere Sinne, um das Ganze zu erfassen. Lassen wir uns nicht mehr bevormunden. Befreien wir uns von Scham und Mangeldenken. Überwinden wir die Spaltung, die man uns auferlegt hat, und finden wir in eine neue Art der Kooperation.
Hier kann uns die künstliche Intelligenz von Nutzen sein. Dank ihr können Sprachbarrieren überwunden werden und Menschen auf der ganzen Welt sich miteinander vernetzen. Gemeinsam beginnen wir, das zu lernen, was wir jetzt brauchen: Frieden. Es gibt so viel zu tun für diejenigen, die sich für das Menschsein entschieden haben!
Wie schaffen wir es, wieder aufeinander zuzugehen, miteinander zu kommunizieren und einander zuzuhören? Wie können wir gemeinsame Entscheidung treffen, bei denen keiner übergangen wird? Wie geht echte Demokratie? Wie kann es uns gelingen, unsere ureigensten und ganz besonderen Talente und Fähigkeiten zu entdecken und der Gemeinschaft zur Verfügung zu stellen? Wie können Konflikte gelöst werden? Wie entwickeln wir erneut Vertrauen ineinander?
Es wird nicht langweilig
Das Lernen, das es hierzu braucht, hat mit der alten Schule wenig zu tun. Jetzt geht es darum, eine wirkliche Nachhaltigkeit zu entwickeln und Energien freizusetzen, die nicht auf Ausbeutung basieren, auf Sklaverei und Kinderarbeit, Energien, für die keine Wälder abgeholzt werden, keine Müllhalden entstehen und keine Natur zerstört wird. Lernen wir, aus dem Vollen zu schöpfen, ohne das Gefäß zu leeren. Befreien wir uns aus dem Mangeldenken, von dem Gift, das seit Jahrtausenden die Menschheit lähmt und gefangen hält
Was es jetzt zu erlernen gilt, ist spannender und herausfordernder als jeder Kampf, jede Schlacht, jeder Krieg: Es geht darum, vom Huhn zum Adler zu werden und in gewisser Weise fliegen zu lernen.
Wer die neuen Aufgaben annimmt, dem wird ganz bestimmt nicht langweilig. Er muss sich nicht virtuell in Stimmung bringen, um ein Leben zwischen Montag und Montag zu ertragen und auf den Urlaub zu warten. Er ist mit dem beschäftigt, was ihn erfüllt und seinem Leben Sinn gibt.
Es wird also abenteuerlich!
Ob das ein Chatbot auch so schreiben würde?