Furchterregende Beschützer

Hinter allen Krisen unserer Zeit ist Geld das versteckte Motiv. Das gilt vor allem auch für die Kriegswirtschaft. Rede von Gabriele Gysi auf der Friedensdemonstration am 3. August 2024 in Berlin.

Besitzlosigkeit für uns — unermessliche Kapitalkonzentration für die „Eliten“. So haben sich Letztere die Zukunft gedacht. Geld lässt sich am besten mit Zerstörung verdienen. Und mit Wiederaufbau. Für beides sorgt des Investors bester Freund: der Krieg. Dass dabei Tausende vor die Hunde gehen — wen schert’s? Kampf gegen den Klimawandel. Kampf gegen rechts. Kampf gegen das Virus. Hinter all diesen öffentlich ausgetragenen Gefechten steht ein Hauptwiderspruch, der auch als die „soziale Frage“ bezeichnet wird. Geld rinnt auf rätselhafte Weise aus den Händen derer, die hart arbeiten, in die Geldspeicher derer, die davon schon mehr als genug haben. Das ist nicht nur ärgerlich und ungerecht, es könnte uns alle umbringen, wenn ausgerechnet die Rüstungsindustrie zur Spielwiese nimmersatter Investoren wird. Da Krieg nicht per se bei allen Bürgern beliebt ist, muss er durch die Kreation von Feindbildern, durch eine Charme-Offensive der Tötungsprofis, durch die Dämonisierung von Friedensfreunden in die Köpfe geprügelt werden. Gabriele Gysi klärt in ihrer Berliner Rede über die Zusammenhänge auf und plädiert vehement für Verständigung mit Russland.

„Nach Golde drängt,
am Golde hängt,
doch alles, ach wir Armen!“

Erkennt Gretchen im Faust von Goethe.

Das Geld geht seine eignen Wege, verändert ständig sein Aussehen, seinen Wert, seinen Besitzer, und doch ist es für unser Leben unerlässlich. Es ist gespeicherte Energie. Aber wer nutzt diese Energie und wie?

In Shakespeares Kaufmann von Venedig kämpft Shylock, der jüdische Kaufmann und Geldverleiher, gegen die Unterstellungen der christlichen Kaufleute in Venedig:

„O Vater Abraham, was sind diese Christen, deren eigene grausame Handlungsweisen sie lehren, die Gedanken anderer zu verdächtigen.“

Aber wie soll Shylock, wie sollen wir Menschen mit ständigem Verdacht, mit ständiger Denunziation leben? Vieles entzieht sich unserem Blick.

Das Geld flieht auf die Konten anderer. Die Energie schafft anderen die Macht, ihre Vorstellungen Wirklichkeit werden zu lassen.

Beim Kampf um das Geld wird heute aus Davos für die Mehrheit der Menschheit Besitzlosigkeit gepredigt. Die kleine Minderheit der dort versammelten Philanthropen weiß, was für die Menschheit, für die Welt von Nöten ist, sie denken und wollen uns alle lenken.

Versprochene Sicherheiten und versprochenes Glück fliegen als ständige Zahlungsaufforderungen ins Haus. Besitz als Sicherheit wird immer unsicherer. Wer ist der oder die oder das Schuldige?

Jeden Tag gibt es mehr Schurken, die unsere Köpfe bevölkern sollen:
Nazis, Putin, Klimaleugner, Antisemiten, Querdenker, Terroristen, Leugner der neuen woken Gewissheiten aller Art. Die Achse des Bösen lauert in jedem Leben.

Werden uns Gewissheiten verkauft, die noch flüchtiger sind als Geld?

Wird darum der Debattenraum immer enger? Dennoch werden Fragen nach dem, was wir nicht sehen sollen, unüberhörbar.

Warum werden bei Klimaproblemen alle durch das Militär verursachten Belastungen nicht mitbewertet? Warum sind Nachbarn plötzlich Nazis, obwohl bisher ohne Macht und ohne Verantwortung für vergangene Desaster? Warum gibt es immer neue Stichtage für eine Welt voller Probleme auch vor den Stichtagen? Die Besetzung Palästinas ist älter als jeder Stichtag.

Sollen wir nicht bemerken wie sich Geld verflüchtigt aus unseren Händen, aus den Händen derer, die arbeiten?

Bertolt Brecht unterhält uns mit einem kleinen Gedicht:

Vom Geld

Ich will dich nicht zur Arbeit verführen.
Der Mensch ist zur Arbeit nicht gemacht.
Aber das Geld, um das sollst du Dich rühren!
Das Geld ist gut. Auf das Geld gib Acht!
Die Menschen fangen einander mit Schlingen.
Groß ist die Bösheit der Welt.
Darum sollst du dir Geld erringen,
Denn größer ist ihre Liebe zum Geld.
Dem Geld erweisen die Menschen Ehren.
Das Geld wird über Gott gestellt.
Willst du deinem Feind die Ruhe im Grab verwehren,
Schreibe auf seinen Stein: Hier ruht Geld.

Die Tatsache, dass keine unsichtbare Hand den Markt regelt, sondern Macht als letzte Instanz entscheidet, wer Gläubiger oder Schuldner sein wird, wer seine Risiken dem anderen anlastet, wer mit Macht zum Gläubiger oder Schuldner gemacht wird, nimmt dem Geld seine stabilisierende Kraft.

Denn wenn die EU russischen Staatsbesitz beschlagnahmt, wenn Paypal das Geld der kanadischen Trucker einfriert, wenn jeder Einzelne durch das Finanzsystem für Bankrott erklärt werden kann, kann keine Natur des Geldes, kein Gott mehr helfen.

Damit wird die gespeicherte Energie des Geldes in den Bankrott geführt und im Nichts aufgelöst und durch Kriege in die Luft geschleudert.

Wir müssen wohl die Götter um Hilfe bitten. Mögen sie freundliches, sichtbares, verständliches Geld vom Himmel werfen. Doch Menschen, die Götter sein wollen, wollen, dass wir ihnen glauben.

Wer sind sie, die als Götter zu uns sprechen? Die über 7,2 Milliarden Menschen verfügen wollen? Wie Bill Gates zum Beispiel an dem berühmten Ostersonntag 2020 zur Propagierung einer weltweiten Impfung?

Zum Glauben gezwungen, müssen wir hoffen.

Sollen wir Menschen auf die hoffen, bei denen Schutz suchen, die für uns sprechen in der modernen Dauerbeschallung als Priester von Gewissheiten, die uns Schutz verkaufen.

Die modernen Raubritter wollen Geld für Schutz, 2 Prozent des BIP zum Beispiel. Doch wird das reichen und wie lange? Wachsende Kriege verlangen wachsenden Schutz, Beschützer brauchen immer neues Geld.

Die NATO muss wachsen, ist ihre Devise.

Statt durch Neutralität und Verständnis werden mit unsinnigen historischen Bezügen die gegenwärtigen Probleme geschildert. Die Gegenwart wiederum entzieht sich unserem Verständnis. Zum Beispiel werden die AfD und ihre Wähler als Nazis beschrieben.

Diese vernichtende und falsche historisierende Etikettierung verdeckt den Blick auf gegenwärtige Probleme wie die Umverteilung des Reichtums von unten nach oben.

Doch die Beschützer brauchen nicht nur neues Geld, sie brauchen auch immer neue Feinde, um uns beschützen zu müssen. In unserer westlichen Gesellschaft wachsen die Feinde innen und außen wie Pilze: Nazis aller Couleur, immer dämonischere Zauberer wie Herr Putin und schreckliche Terroristen wie die Hamas sind schuldig. Krieg überall, die Achse des Bösen muss bekämpft werden.

Der Wokismus, die Erziehung zum Guten eröffnet die Feindschaft gegen jede zivilisatorische Leistung und den Krieg im Inneren der westlichen Gesellschaften.

Leben selbst wird zum Feind.

Ist Frieden überhaupt noch gewünscht? Gibt es kein Staunen mehr über das Leben, nur Urteile? Dürfen wir nicht denken, dass Grenzen der eigenen Erfahrung kein Maß für die Welt sein können? Dass Austausch, Debatte das Ziel sein muss, verstehen statt Krieg?

Der versprochene Schutz kann nicht uns normalen, gemeinsam agierenden Menschen der Straße gelten. Kriegsertüchtigung kann normale Straßenbewohner nicht schützen.

Krieg für weltweit versprochenen Schutz schafft ständig neue schreckliche Opfer in Palästina, in Sahel, in der Ukraine. Der Krieg in der Ukraine, der seit 2014 in der Ostukraine gegen seine Bewohner geführt wird, ist ein ganz Europa bedrohender Krieg geworden.

Wir Menschen hier in Europa müssen wieder lernen, uns zu erinnern, was Krieg bedeutet.

Allein bei der Befreiung Berlins 1945 sind 80.000 sowjetische Soldaten getötet worden, dennoch befindet sich im Ehrenmal in Treptow auf den Reliefs kein einziger deutscher Soldat als Ausdruck der Barbarei. Die Russen ließen das Deutsche Theater mit „Nathan der Weise“ eröffnen. Die erste Reparationszahlung war ein Theaterbau in Berlin-Karlshorst. Gesucht wurde Verständigung und Verständnis.

Russland zog seine Armee in den 1990er Jahren aus Deutschland zurück und löste den Warschauer Vertrag auf.

Um mit Emanuel Todd zu sprechen: „Die defensive Invasion“ Russlands in die Ukraine, nach einem achtjährigen Bürgerkrieg, sollte Verhandlungsbereitschaft erzwingen. Der unterschriftsreife Vertrag von Istanbul ist dann durch die USA und Großbritannien verhindert worden. Die Spezialoperation wurde zum Krieg zwischen der NATO und Russland.

Heute soll daraus ein Krieg für ganz Europa werden.

Kriegsertüchtigung soll das Sterben lehren.

Denn Krieg bedeutet Tod, daran kann kein Geld etwas ändern.

Wer das Leben liebt, kann dem nicht zustimmen.

Die Waffen nieder! Überall!