Fünfzehn Minuten Staatsfunk

Eine Abrechnung mit den Apologeten der herrschenden Ideologie.

Seit mehr als 60 Jahren informiert die Tagesschau Abend für Abend im Ersten Deutschen Fernsehen das deutsche Fernseh-Volk über die wichtigsten Nachrichten des Tages. Rund fünfzehn Minuten lang, scheinbar verlässlich, neutral, seriös. Natürlich ist die Übermittlung von Fußballergebnissen objektiv. Und auch über das Wetter wird so seriös berichtet wie möglich. Auch Unfälle, Ausstellungen und Trauerfeiern werden mit einer gewissen Neutralität ausgesucht. Doch schon, wenn es darum geht, welche Beerdigung es wie in die Nachrichten schaffen soll, bringt dieser Prozess der auswählenden Gewichtung die Redaktion in den Fahrstuhl der Parteilichkeit: Im Nachruf zum Beispiel auf Muhammed Ali wären zwei erklärende Sätze zu dessen Hinwendung zur »Nation of Islam« ein sinnvoller Beitrag zur deutschen Islam-Debatte gewesen.

Im Westen Deutschlands sind es inzwischen drei Generationen, die sich der täglichen Richtlinienkompetenz des Ensembles von ARD-aktuell – der Tagesschau, den Tagesthemen, dem Nachtmagazin und der Tagesschau24 – relativ freiwillig aussetzen. Die Zuschauer aus dem Osten sind, je nach geografischer Lage, auch seit geraumer Zeit dabei, ganz sicher gehören sie seit 1990 zu jenen, die ihre Informationen aus der öffentlich-rechtlichen Nachrichtenquelle schöpfen.

Relativ freiwillig: Die Tagesschau gilt als eine Art amtliche Vermittlung von Neuigkeiten. Selbst Gegner dieser Sendung müssen das Format beachten: Nach den jeweiligen 15 Minuten weiß man, was die Regierung über dieses oder jenes Ereignis denkt, weiß man, was die Republik denken soll, und auch, was nicht zu denken gewünscht ist. Denn an manchen Tagen ist es interessanter zu sehen, was die Tagesschau nicht sendet, als jenen Ausschnitt von Nachrichten aufzunehmen, den die Redaktion den Gebührenzahlern zuteilt.

Relativ freiwillig: Von all den Massen-Nachrichten-Produkten auf dem Markt – von der heute -Sendung (ZDF) bis zur täglichen BILD – ist das Tagesschau -Ensemble noch das ansehnlichste: Der Ausschnitt der Nachrichten ist nicht so klein wie bei RTL aktuell oder so offenkundig politisch gefärbt wie bei der FAZ. Wenn man kein Internet-Querlesen veranstalten will, ist die Tagesschau immer noch der schnelle Schluck aus der Nachrichten-Pulle.

Relativ freiwillig: Wer mit seinen Nachbarn und Kollegen über die Lage im Land und der Welt reden will, der verlässt sich auf die Tagesschau als gemeinsame Wissensvermittlerin: Hier ist der Horizont abgesteckt, hier weiß man, was man hat, hier ist die ziemlich kollektive Plattform, aus der eine Mehrheit der Bundesbürger ihre Meinung bezieht. Wer wissen will, wie hoch der Tagesschau-Konformitätsdruck ist, der muss am Morgen nur eine andere Meinung äußern als jene, die gestern Abend als ziemlich endgültige Wahrheit verkündet wurde.

Sie halten sich für klug, die Damen und Herren aus Hamburg Lokstedt, dort wo der Norddeutsche Rundfunk, der NDR, die Tagesschau für das Erste, das TV-Nachrichten-Programm der ARD, sampelt. Für klug wie weise, kundig, vernünftig, ganz sicher auch berufen halten sich die Journalisten, manche wohl sogar für begnadet. Und doch sind sie nichts weiter als schlau: So bauernschlau, um den Ansprüchen der Herrschaft so zu genügen, dass ihre Einseitigkeit nicht sofort auffällt. Schlau wie gewieft, um nicht anzuecken und doch auch schon mal eckig auszusehen. Schlau wie ausgefuchst genug, um eine blendende Objektivität zu präsentieren, die eben primär zum Blenden taugt und ansonsten nicht viel.

Vor geraumer Zeit konnten zwei ehemalige NDR-Mitarbeiter, Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer, die wachsende Schläue der Tagesschau-Redaktion nicht mehr ertragen. Erst begann Bräutigam mit einer Programmbeschwerde: Ziemlich zu Beginn des Ukrainekrieges, im Frühjahr 2014, hatte die Tagesschau tagelang von der Gefangennahme angeblicher »OSZE -Militärbeobachter« berichtet, die aber in Wahrheit – und für seriöse Journalisten auch schnell überprüfbar – eben nicht offiziell von der OSZE in das Krisengebiet gesandt waren. Wer sie mit welchem Auftrag in den beginnenden Krieg geschickt hatte, ein Krieg der mehrmals am Rande eines allgemeinen Ost-West-Krieges entlang schrammte, ist bis heute nicht bekannt. Volker Bräutigam nutzte eine Programmbeschwerde – »ein Rechtsbehelf der Bürger gegen die Verletzung von gesetzlich festgelegten Programmgrundsätzen des Fernsehens« –, um die Tagesschau in einer internationalen Krisensituation auf eine gefährliche Falschberichterstattung, eine klassische Desinformation hinzuweisen.

So wie der beginnende Ukraine-Krieg der Beginn auch der Programmbeschwerden war, so war er auch eine Vertiefung der Vertrauenskrise zwischen Medien und Konsumenten. Diese kritische Distanz wuchs – auch und gerade zwischen der Tagesschau und ihre Rezipienten – mit der Intensivierung des Syrien-Krieges. Deshalb liegt darauf der Schwerpunkt der Programmbeschwerden in der Berichterstattung von ARD-aktuell. Weitere Themen – von der Rentendebatte über den Clinton-Wahlkampf bis zu den Panama-Papers – weisen die Breite und Tiefe der Nachrichtenmanipulation in der Tagesschau nach.


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