Frühlingserwachen
Die Berichterstattung der Massenmedien über die Großdemonstration in Kassel war stark verzerrend.
Am 20. März 2021 war es endlich so weit: Die Großdemonstration in Kassel stand an. Die Autorin war ziemlich aufgeregt, es war schließlich ihre erste Corona-Demo. Dort angekommen, war sie positiv überrascht. Menschen jeden Alters und aller Hautfarben liefen zusammen durch die Straßen und demonstrierten für ihre Freiheit. Das Gefühl war überwältigend — die Demo wirkte sehr friedlich und tolerant. Es gab nur geringfügige Auseinandersetzungen mit der Polizei, und jeder war willkommen. Die Berichterstattung der Medien sah im Nachhinein jedoch ganz anders aus. Vor allem der Volksverpetzer, der des Öfteren durch seine populistische Art auffiel, zeichnete ein vollkommen falsches Bild von der Veranstaltung und den Demonstrierenden.
Der Denunzianten-Blog schlechthin, der Volksverpetzer, der sich selbst als Anti-Fake-News-Blog bezeichnet, will den Leser im Nachhinein über die wahren Zustände in Kassel aufklären. Doch schon der erste Satz strotzt nur so vor Falschinformationen: „Vergangenen Samstag eskalierte mal wieder eine nicht genehmigte Querdenken-Demonstration in Kassel“ (1). Komisch, von der Eskalation habe ich überhaupt nichts mitbekommen. Im Gegenteil, der Großteil der Demonstranten war friedlich, es wurde ausgelassen getanzt, gesungen und für die Wiederherstellung aller Grundrechte eingestanden.
Die Polizei griff nicht ein, wirkte deeskalierend, weshalb es zu keinen größeren Zusammenstößen kam. Von Querdenken wurde die Demonstration übrigens auch nicht organisiert, sondern von den Freien Bürgern Kassel, die sich selbst als „lockere(n) Zusammenschluss von Menschen, die sich im Kontext der Corona-Maßnahmen für mehr Freiheit im Ausleben (ihrer) im Grundgesetz festgelegten Rechte einsetzen“ bezeichnen.
Deutschland, die Diktatur?
Weiter schreibt der Volksverpetzer: „Es war nur eine kleine Demo unter strengen Auflagen außerhalb der Innenstadt erlaubt, aber wer hat wirklich gedacht, dass Menschen, die buchstäblich antreten, um Regeln zu missachten, weil sie glauben, in einer Diktatur zu leben, sich daran halten würden?“ (2) Ich habe darauf eine Gegenfrage an den Volksverpetzer: Wieso sollten sich Demonstranten an Regeln halten, wenn es die Bundesregierung nicht einmal schafft, sich an das Grundgesetz zu halten? Dass wir tatsächlich in einer Diktatur leben, denken wohl die wenigsten der Demonstranten; dass unsere eigentliche „Demokratie“ langsam diktatorische Züge annimmt, ist jedoch kein Geheimnis mehr.
Dazu habe ich mir die Merkmale einer Diktatur bei der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung angeschaut. „Eine Person, Gruppe oder Organisation hat das Machtmonopol. Eine Gewaltenteilung ist nicht gewährleistet“ (3). Im Moment liegt das Machtmonopol bei unserer Regierung, das Parlament ist bis zum 1. April 2021 außer Kraft gesetzt, die FDP und die AfD versuchten mehrmals, „die epidemische Lage von nationaler Tragweite“ wieder auszuhebeln, blieben dabei jedoch erfolglos (4). Damit konzentriert sich die Macht auf einige wenige Personen und die Gewaltenteilung in Legislative, Exekutive und Judikative ist nicht mehr vollständig gegeben, denn auch Gerichtsentscheidungen beispielsweise gegen das Verbot von Demonstrationen oder gegen die Ausgangssperre wurden vonseiten der Politik mehrmals ignoriert.
Ein weiteres Merkmal ist die Abschaffung der Grundrechte (3). Unter dem Vorwand der Virusbekämpfung wurden und werden die Grundrechte in Deutschland massiv eingeschränkt. Dazu zählen die Würde des Menschen – die, laut Söder, erst durch die Öffnung der Friseurbetriebe wiedererlangt werden konnte –, die Versammlungsfreiheit oder auch die Unverletzlichkeit der Wohnung.
Außerdem sucht man heutzutage vergebens den gesellschaftlich-politischen Pluralismus (3). Sobald jemand Kritik äußert, wird er umgehend diffamiert. Anerkannten Wissenschaftlern wird ihre Fähigkeit zum wissenschaftlichen Arbeiten abgesprochen, und sie werden als Corona-Leugner, Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker dargestellt. Auch die Sorgen der einfachen Leute werden nicht gehört, stattdessen reitet sich Deutschland immer weiter in eine Wirtschaftskrise, die letztendlich von der breiten Bevölkerung getragen werden muss, worüber aber keiner im Moment ein Wort verliert.
Zensur ist ein weiterer großer Punkt, der als Merkmal einer Diktatur gilt (3). Sicherlich wird – noch – nicht alles zensiert, sonst könnte ich diesen Artikel womöglich nicht schreiben, jedoch gibt es immer größere Einschränkungen, vor allem in sozialen Medien. So wird mittlerweile auf allen größeren Plattformen gegen „Falschmeldungen“ vorgegangen. YouTube zum Beispiel priorisiert Videos zu COVID-19, die von „glaubwürdigen“ Quellen stammen, löscht aber gleichzeitig alles, was nicht in das politische Narrativ passt, unter dem Vorwand, es handle sich um „Fake-News“ (5).
Tatsächlich haben sich bis zum heutigen Zeitpunkt viele Dinge bewahrheitet, die vor einem Jahr noch als Verschwörungstheorien abgestempelt und von den „glaubwürdigen Quellen“ vollständig ignoriert wurden.
Dies waren nur einige Merkmale einer Diktatur. Sicherlich leben wir im Moment in keiner Diktatur, doch die Demokratie bröckelt immer weiter und wird nur noch als Aushängeschild benutzt. Der Weg bis zu einem diktatorischen Regime ist nicht mehr weit.
Hippies, Rechtsextreme, Verschwörungstheoretiker?
Der Artikel geht nun über zur Beschreibung des spontanen Aufzuges, der sich bildete, nachdem die Schwanenwiese geschlossen wurde. Der Volksverpetzer mokiert sich über die Einwohner Kassels, die die Demonstranten in ihrer Sache bestärkten, indem sie beispielsweise an ihren Fenstern standen und ihnen zuwinkten (1). Tatsächlich standen an fast jedem Fenster Kassels Menschen, die uns bestärkten und sehr positiv auf uns reagierten. Nichtsdestotrotz gab es auch einige, die uns ihre Ablehnung klar zeigten, das war aber nur ein winziger Teil. Warum sich der Volksverpetzer jedoch das Recht herausnimmt, die Einwohner Kassels zu verurteilen, bleibt im Verborgenen. Solange wir noch das Recht auf freie und eigene Meinung haben, sollte diese auch jeder zum Ausdruck bringen können, egal ob durch Hupen, Winken oder Mitlaufen.
Gegen die Gegendemonstranten der Antifa ging die Polizei jedoch unverhältnismäßig aggressiv vor, weshalb der Volksverpetzer die berechtigte Frage in den Raum wirft, „wen die Polizei eigentlich schützt und warum sie das tut“ (1). Im Gegensatz zu früheren Corona-Demonstrationen, bei denen Menschen, darunter Frauen und alte Leute, stundenlang eingekesselt wurden, war die Polizei in Kassel schlichtweg überfordert mit der Masse an Demonstranten und konnte deshalb nicht eingreifen, versuchte aber deeskalierend zu wirken. Wie sie im Gegenzug gegen die Antifa vorging, kritisiere ich auch zutiefst.
Unverhältnismäßige Gewalt sollte nie gegen friedlichen Protest gerichtet sein, egal auf welcher Seite die Demonstranten stehen.
Schlussendlich beteuerte die hessische Polizei ihre Neutralität bei Demonstrationen auf Twitter, schoss sich damit aber natürlich selber ins Knie und erlitt daraufhin zu Recht einen gewaltigen Shitstorm.
Der Volksverpetzer dagegen bringt das folgende Zitat als weiteres Argument gegen die Neutralität der Polizei an: „Die QuerdenkerInnen riefen die Polizei dazu auf, sich ihnen anzuschließen, und ich glaube, diese Forderung kommt nicht von ungefähr“ (1). Dieses Argument ist nicht haltbar. Ich war bereits auf vielen Demonstrationen, darunter auch einer Kohlegebietsbesetzung von der Organisation Ende Gelände, die offen links ist. Immer habe ich die Forderung gehört, die Polizei möge sich doch den Demonstrierenden anschließen. Somit ist dies kein Spruch, der ausschließlich auf Corona-Demos zu hören ist, sondern auch und vor allem bei vielen anderen linken Demonstrationen.
Des Weiteren beschreibt der Artikel die Zusammensetzung der Menge wie folgt: „eine Vermengung aus Menschen unterschiedlicher Couleur, darunter einige Rechtsextreme und VerschwörungsideologInnen, christliche FundamentalistInnen und HolocaustrelativiererInnen sowie Hippies und Bürgerliche“ (1). Es waren tatsächlich einige bekannte Rechtsextreme anwesend, der Anteil war jedoch sehr gering, und der Großteil waren Menschen aus der politischen Mitte, die keiner extremen Strömung zugeordnet werden können. Wenn man die Anzahl der Neonazis auf die gesamte Demo rechnen würde, würde ein Prozentsatz von unter 0,1 Prozent herauskommen.
Diesen minimalen Prozentsatz auf über 20.000 Demonstrierende zu beziehen, ist einfach unsinnig. Ich war mir natürlich schon im Vorfeld der Stigmata von Corona-Demos bewusst und achtete deshalb an diesem Tag besonders auf Symbole und Anzeichen, die auf eine rechte Gesinnung hindeuten würden. Das Ergebnis war ernüchternd: eine Reichsbürger-Flagge, eine Wirmer-Flagge, zwei Trump-Flaggen und ein Bollerwagen mit Compact-Magazinen. Der Satz im Beitrag des Volksverpetzers vermittelt also ein vollkommen falsches Bild der Zusammensetzung der Menschen, die anwesend waren, und drängt alle Demonstranten in die Ecke der Rechtsextremisten, Holocaustrelativierer und Verschwörungstheoretiker.
Tanzen als Symbol für die Freiheit
Doch der Artikel geht noch weiter und prangert jene an, die fröhlich tanzten, sangen und gute Stimmung verbreiteten. Ich selbst war auf einem kleinen Rave auf dem Friedrichsplatz dabei. Jung und Alt tanzten zusammen, hatten Spaß und genossen das schöne Wetter. Dass diese Situationen während der Demo teils spontan entstanden, ist keineswegs verwunderlich, denn Menschen streben danach, glücklich zu sein, und das Tanzen für viele Menschen ist ein wichtiger Bestandteil in einem glücklichen Leben. Schon Friedrich Nietzsche sah das Tanzen als die höchste Form des Geistes an (6). Auch Gunter Kreutz, Professor an der Universität Oldenburg, erklärt in einem Interview mit dem Deutschlandfunk, dass uns Tanzen gesünder und glücklicher mache. Außerdem verbinde Tanzen Menschen miteinander (7).
Nach einem Jahr Lockdown-Politik, ohne Freude oder Zusammengehörigkeitsgefühl, lässt Musik — und das dazu gehörende Tanzen — die Menschen wieder mit mehr Hoffnung in die Zukunft blicken.
Zwischen den anderen tanzenden Menschen verliert man in gewisser Weise sich selbst und verschmilzt mit der Masse, was Kraft und Zuversicht schenkt. Man bricht aus dem Alltagsrad aus und trifft dadurch viele Gleichgesinnte, die einigen Menschen in ihrem Alltag fehlen, die sich mit ihrer Meinung allein gelassen fühlen. Nicht ohne Grund geht das maßnahmenkritische Lied „Danser Encore“ (Tanz weiter) von der Musikgruppe HK im Moment um die Welt und mobilisiert viele Menschen, um für ihre Freiheit zu kämpfen. Nicht zuletzt wurde es auch auf Deutsch übersetzt und von einer Gruppe in der Leipziger Innenstadt gespielt (8). Tanzen heißt Leben, Freiheit und Liebe, und genau dafür gehen die Menschen im Moment auf die Straße.
Doch gehetzt wird auch gegen den Schlagersänger Björn Banane (1). Sowohl im SpiegelTV als auch im Volksverpetzer wird er als der „kleine Schwurbler-Junge“ dargestellt, der total banane ist. Nachdem er die Mainstream-Presse beschimpfte, was man sehen mag, wie man möchte, sagte er einen meiner Meinung nach sehr wichtigen Satz: „Wir sind weder rechts, noch sind wir links, noch sind wir oben, noch sind wir unten. Wir sind nicht schwarz, weiß, gelb oder rot – wir sind bunt. Und wir stehen für Toleranz und Wahrhaftigkeit“ (9). Damit hat der Bananen-DJ es auf den Punkt gebracht.
Anastasia, eine der Volksverpetzer-Journalistinnen an diesem Tag, interviewte einen Polizisten im Einsatz und wunderte sich dann darüber, dass dieser genervt reagierte und auf den Pressesprecher verwies (1). Was hat sie sich als Antwort von dem Polizisten erhofft? Er kann genauso wenig zum Durchgreifen der Polizei beitragen wie sie, solange er keine Anweisung diesbezüglich bekommt. Der Pressesprecher der Polizei Hessen deutete an, dass die Polizei deeskalierend wirken wolle, um Verletzte zu vermeiden (1). Wie ich finde, völlig richtig gehandelt bei einer friedlichen Demonstration. Hätte die Polizei eine große Black-Lives-Matter-Demo im Sommer 2020 mit Gewalt aufgelöst, wäre es zu einem großen medialen Aufschrei gekommen, dem Rechtsstaat wären Rassismus und die Einschränkung der persönlichen Freiheiten vorgeworfen worden. Doch sobald es um eine kritische Sicht auf die Coronapolitik geht, wendet sich das Blatt, und friedliche Demonstrationen ohne Eingreifen der Polizei werden als Versagen des Rechtsstaats betitelt.
Fazit
Im letzten Abschnitt seines Artikels stellt der Volksverpetzer ein weiteres Mal heraus, wie katastrophal und unkontrolliert diese Demonstration in Kassel verlaufen sei (1). So katastrophal, wie es beschrieben wird, war es jedoch nicht. Wie vorher erwähnt, verlief die Demo größtenteils friedlich und familienfreundlich. Es wurde getanzt, gesungen und gelacht.
Aber um seine These des „Superspreader-Events“ zu stützen, verweist der Artikel auf eine vermeintliche Studie, die zu dem erschreckenden Ergebnis kam, dass alleine zwei Großdemonstrationen zu ungefähr 16.000 Neuinfektionen geführt hätten. Das Diskussionspapier wurde von zwei Autoren des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung und der Humboldt-Universität in Berlin veröffentlicht. Doch unerwähnt bleibt immer wieder die Kritik gegenüber diesem Diskussionspapier. Die Neuinfektionsraten wurden nur statistisch dargestellt, konnten aber nie in der Wirklichkeit beobachtet werden.
Außerdem benutzten die Autoren Zahlen der Busunternehmen, die Teilnehmer zu den Demonstrationen fuhren. Im Grunde wissen sie aber laut dem Mathematiker Professor Thomas Rießinger nichts darüber, wie viele Menschen in den Bussen saßen, noch ob sie einem Hygienekonzept folgten. Zudem kritisiert Professor Krämer von der Uni Dortmund, dass die Studie sich auf eine politische Seite schlage durch voreingenommene Wörter wie zum Beispiel „COVID-Leugner“ (10). Das Diskussionspapier wird jedoch von Gegnern der Corona-Demos rauf und runter zitiert, um den eigenen Standpunkt zu festigen, jedoch ohne die Studie zu hinterfragen oder kritisch zu betrachten, wie es in der Wissenschaft üblich ist.
Der Artikel des Volksverpetzers steht stellvertretend für die gesamte, oftmals falsche Berichterstattung der Massenmedien – nicht nur über die Demo in Kassel, sondern auch über andere relevante gesellschaftliche Kontroversen. Der Großteil der Bevölkerung verlässt sich auf diese Berichterstattung, denkt, man bekäme hier neutrale Berichte präsentiert, die der Wahrheit entsprechen, und bildet sich daraus eine Meinung. Doch die Medien tragen derzeit einen enormen Teil zur gesellschaftlichen Spaltung bei und vertiefen die Gräben, die sich seit Jahren bilden.
Quellen und Anmerkungen:
(1) https://www.volksverpetzer.de/bericht/superspreaderevent/
(2) https://freiebuergerkassel.de/ueber-uns/
(3) https://www.politische-bildung-brandenburg.de/demokratie/was-ist-eine-diktatur
(4) https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-09/corona-massnahmen-bund-laender-konferenz-parlamentarismus?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F
(5) https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/panorama/youtube-loescht-tausende-fake-news-und-demonetarisiert-corona-videos-100.html
(6) Tanz & Wahnsinn – Dance & ChoreoMania, herausgegeben von Johannes Birringer und Josephine Fenger, 2011, Leipzig, Henschel Verlag, Kapitel 1: Der Seiltänzer und die „Große Vernunft“: Tanz als Schlüsselkunst in Nietzsches Werk
(7) https://www.deutschlandfunkkultur.de/bewegung-tanzen-als-weg-zu-sich-selbst.970.de.html?dram:article_id=364196
(8) https://fb.watch/4w5RtlsRJf/
(9) https://www.youtube.com/watch?v=DxILj-jb8CM
(10) https://www.nordkurier.de/politik-und-wirtschaft/experten-zerpfluecken-studie-ueber-querdenken-demos-1142400602.html