Frieden wird „gemacht“

Von uns allen. Jeden Tag. Nur einfach ist diese Arbeit nicht. Immer wieder werden wir verleumdet und diskreditiert.

Die Friedensbewegung in Deutschland ist zweifellos im Aufwind, wenn man die Gesamtheit der diesjährigen Aktivitäten sieht, wie zum Beispiel auch die jüngsten Aktionstage der Kampagne "Stopp Air Base Ramstein". Allerdings ist gerade diese Kampagne im Fokus von lähmenden Debatten über vermeintlich notwendige Abgrenzungen nach rechts und den antifaschistischen Konsens. Damit stellt sich die Frage: Woher kommt diese Kontroverse und wohin führt sie?

Friedensaktivitäten durch Organisationen oder Einzelpersonen?

Kampagnen der Friedensbewegung wurden bisher meistens von etablierten Organisationen initiiert. Allerdings gab es auch die sehr massenwirksame Kampagne gegen die Stationierung von US-Atomraketen Anfang der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts auf Basis eines Personenbündnisses. Aktuell wird die Ramstein-Kampagne ebenfalls von Einzelpersonen aus der Friedensbewegung getragen. Was macht das für einen Unterschied?

In politischen Bündnissen zurückliegender Jahrzehnte waren zweifellos Organisationen dominant, Einzelpersonen wurden dabei zuweilen etwas herablassend als "Unorganisierte" bezeichnet. Heutzutage stellt sich dieses als Langzeitwirkung des Neoliberalismus leider völlig anders dar. Die mangelnde Bereitschaft sich zu organisieren, ist selbst für Gewerkschaften ein Problem, obwohl es hier ja um ureigenste persönliche Interessenvertretung geht. Dass es auch gegenläufige Entwicklungen gibt, zeigt das Beispiel der britischen Labour Party, bei der vor zwei Jahren die Direktwahl des Parteivorsitzenden wegen des Kandidaten Jeremy Corbyn zu massenhaften Parteieintritten führte.

Der Friedensbewegung geht es organisatorisch natürlich nicht besser. Die Bereitschaft, sich zu engagieren, ist heute mehr spontan und projektorientiert. Ein relativ unorganisiertes Engagement war auch kennzeichnend für die Mahnwachen gegen Kriegsgefahren, die sich im Frühjahr 2014 bundesweit über Kontakte in den sozialen Medien etablierten. Schon bald bestimmten hierbei zwei Argumentationsstränge den Diskurs. Da war einmal die Rede von neuer und alter Friedensbewegung im Sinne einer Gegenüberstellung sowie die Debatte um dort mehr oder weniger präsente Neonazis und andere als problematisch angesehene Personen.

Einige Aktivisten der alten Friedensbewegung bemühten sich nun, mit den zumeist jungen Leuten ins Gespräch zu kommen, um positives politisches Engagement für den Frieden zu unterstützen, aber auch, um tatsächlich vorhandene Rechtsextremisten innerhalb der Mahnwachen herauszudrängen. Natürlich war das eine schwierige Gratwanderung, bei der das Sprichwort gilt: „Wer nichts macht, macht keine Fehler. Wer viel macht, macht viele Fehler“. Von „Nichts-Machern“ wurden dabei an einige „Macher“ sehr schnell die Etikettierungen rechtsoffen und rechtslastig vergeben, im Einklang mit einer sich diesbezüglich homogen präsentierenden Medienlandschaft.

Prinzipiell muss festgehalten werden: Grundlegende Konflikte in der Friedensbewegung gibt es – neben inhaltlichen Differenzen wie zum Beispiel zur Bewertung der russischen Politik – weniger zwischen „alter“ und „neuer“ Friedensbewegung als vielmehr wegen des Umgangs zwischen alter, mittlerer und junger Generation, da hier die eigene Sozialisation für die Wahrnehmung von Krieg und Frieden nach 1945 eine wesentliche Rolle spielt.

Worum geht es bei der Abgrenzungs- und Querfrontdebatte wirklich?

Zu den Gefahren einer isolierten und diffusen „Rechts“-Abgrenzungsdebatte sei auf die aktuellen Vortragsveranstaltungen des Psychologen und Kognitionsforschers Prof. Rainer Mausfeld verwiesen, in denen er die Methoden zur Meinungsmanipulation analysiert. Eine seiner wesentlichen Aussagen lässt sich sinngemäß wie folgt zusammenfassen: Soziale Bewegungen werden marginalisiert bzw. zerstört, indem man diese ihrer Identität beraubt, sie von ihren historischen Wurzeln abtrennt und ihnen falsche Identitäten gibt. Dieser Gefahr ist derzeit auch die Friedensbewegung ausgesetzt, indem durch die irreführende Abgrenzungsdebatte ihre historische Verwurzelung bzw. Identität und der damit selbst definierte Konsens ausgeblendet werden. An deren Stelle tritt eine fremdbestimmte Debatte darüber, mit wem man angeblich nicht zusammen arbeiten dürfe beziehungsweise von wem man sich unbedingt distanzieren müsse. Das heißt, dass man bei Verwendung von Begriffen wie „rechtslastig“, „neu-rechts“, „verschwörungstheoretisch“ und daraus abgeleiteten Querfrontvorwürfen zwangsläufig die Deutungshoheit anderer politischer Akteure akzeptiert. Diese Begriffe erweisen sich damit als Trojanisches Pferd derjenigen, die – durch die Einschleusung falscher Identitätsmerkmale – aktiv Kriegspropaganda betreiben und deshalb an einer Marginalisierung der Friedensbewegung interessiert sein müssen.

Sind die Mechanismen und Wirkungen von Kriegspropaganda in der Friedensbewegung unterbelichtet?

Zur Kriegsvorbereitung gehören nicht nur milliardenschwere Aufrüstungsprogramme, sondern verschiedene Mechanismen der Kriegspropaganda, die nur einen kleinen Bruchteil dieser Ressourcen erfordern, aber von der Friedensbewegung in selbiger Weise wahrgenommen werden müssten. Dieses ist aber leider nicht der Fall, was verwunderlich ist, weil diese Thematik im wissenschaftlichen Umfeld der Friedensbewegung durchaus präsent ist. Bereits im März 2015 fand dazu ein Kongress der neuen Gesellschaft für Psychologie unter dem Titel „Krieg um die Köpfe“ statt. Exemplarisch genannt sei hieraus der Titel eines Vortrages: „Wann Krieg beginnt, das kann man wissen, aber wann beginnt der Vorkrieg?“. Ein aktuelles Beispiel zur Behandlung dieser Thematik ist der anstehende diesjährige Kongress der Informationsstelle Militarisierung (IMI) in Tübingen am 18. und 19. November 2017, der unter dem Motto „Krieg im Informationsraum“ steht. Der Ankündigungstext hierzu lautet:

„Im Informationszeitalter wird der Informationsraum zunehmend selbst zum Schlachtfeld. Dessen ständige Überwachung ist zu einer militärischen Aufgabe erklärt worden, wofür die Bundeswehr ein eigenes Kommando Cyber- und Informationsraum aufgestellt hat. Zugleich sind verstärkt Propaganda und Gegenpropaganda zu beobachten; Strategische Kommunikation, Fake News sowie der Kampf um Wahrheiten bestimmen zunehmend den Alltag. In dieser schwierigen Gemengelage versucht der Kongress eine kritische Bestandsaufnahme und will auch Gegenstrategien diskutieren.“

Seit der Bewegung der Montagsmahnwachen – und nicht erst seit dem Erstarken der AfD als rassistische und ins Rechtsextreme driftende Partei – wird nun die Abgrenzung nach rechts in der Friedensbewegung stark thematisiert. Bezüglich Abgrenzungen nach rechts gilt zunächst, dass die Friedensbewegung keine weltanschauliche Bewegung ist, die in einem immer unschärfer werdenden Links-Rechts-Koordinatensystem zu verorten wäre, sondern schon immer ein breites Bündnis von sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Kräften verkörperte. Der hierbei unstrittige Antifaschismus bedeutet ein Eintreten für friedenspolitisches Geschichtsbewusstsein und ist damit gegen Geschichtsrevisionismus und Geschichtsvergessenheit gerichtet. Dieses gilt vor allem in Bezug auf das NATO-Säbelrasseln gegenüber Russland an dessen Westgrenze, das auch von solchen Politikern kritisiert wird, die man als rechts einstufen kann. Auch deren Stimmen sind für die Friedensbewegung relevant.

Braucht die Friedensbewegung eine Debatte zu Abgrenzung und Bekämpfung der AfD?

Ja und Nein. Das Anwachsen der AfD ist vor allem darauf zurückzuführen, dass diese mit dem seit dem Sommer 2015 erfolgenden gesellschaftlichen Diskurs in der Flüchtlingspolitik durch rechtspopulistische Fremdenfeindlichkeit und Diffamierungen auch starken Einfluss auf andere Parteien ausübt. Der Streit darüber, wie man sich der AfD konsequent entgegenstellt, ist deshalb kein Kernthema der Friedensbewegung, sondern ein gesamtgesellschaftliches. Zur Flüchtlingspolitik selbst haben die zwei großen Netzwerke der deutschen Friedensbewegung, die Kooperation für den Frieden und der Bundesausschuss Friedensratschlag bereits im September 2015 ein Positionspapier verfasst, in dem zur Solidarität mit Flüchtenden und der Bekämpfung von Fluchtursachen anstatt der Flüchtenden aufgerufen wird. Prinzipiell ist dieses Papier auch heute noch aktuell. Daraus wird schließlich ersichtlich, dass in der gesellschaftlichen Polarisierung zu dieser Thematik die Friedensbewegung klar auf der einen, die AfD hingegen auf der entgegengesetzten Seite steht. Eindeutigere Abgrenzungen zur AfD – auch wenn diese in dem Positionspapier von 2015 noch nicht genannt wird – sind kaum denkbar und natürlich auch in der gesamten Breite der Friedensbewegung unstrittig. Trotzdem wird bei Querfrontvorwürfen der Einfachheit halber eine AfD-Nähe unterstellt.

Keine Probleme sollte man hingegen damit haben, wenn aus der AfD Stimmen zu einer anderen Russlandpolitik kommen, das heißt gegen Sanktionen und für politische Annäherungen. Dazu ein wörtliches Zitat aus der Satiresendung „Die Anstalt“ vom 3.2.2015, die sich schwerpunktmäßig mit dieser Problematik befasste:

"Es kann doch nicht richtig sein, dass eine richtige politische Forderung deshalb unrichtig wird, weil der Falsche sie teilt."

Wie wird diffamiert?

An dieser Stelle soll lediglich ein jüngstes Beispiel dargestellt werden. Hierbei geht es um eine aus dem Zusammenhang gerissene Aussage von Daniele Ganser bei seinem Vortrag im Rahmen der Ramstein-Aktionstage am 8.9.2017 in der Versöhnungskirche in Kaiserslautern, die von einzelnen Aktiven aus der „alten“ Friedensbewegung skandalisiert wird mit Worten wie „Schlussstrich-Mentalität, wie sie von Ewiggestrigen, Nazis, ‚Reichsbürgern‘ und anderen politisch rechts stehenden so oder ähnlich vertreten werden“. Diese Aussage am Anfang seines Vortrages (ohne Manuskript) lautet:

„Ich darf das als Schweizer sagen. Ich sehe das so von außen, was hier läuft. Deutschland wird immer niedergedrückt mit dem Stichwort ‚Hitler – Nationalsozialismus‘. Das ist eine psychologische Kriegsführung, die sie schon seit vielen Jahren erleiden. Jeden Abend um 10:00 Uhr: Hitler Waffensystem so, die Schergen so, alles, immer, das läuft immer. Und das ist ein Trick, um sie runterzubügeln. Und dann sage ich, man müsste eigentlich diese Verbindung ‚Deutschland – Hitler‘, die müsste man kappen und man müsste machen Deutschland – Goethe“.

Ja, das hat er tatsächlich so gesagt. Allerdings liegen die Dinge nicht so einfach wie bei einem Videobeweis in der Fußball-Bundesliga. Vorausgegangen waren diesem Vortrag Beiträge der per Video live zugeschalteten Ann Wright aus Houston in Texas sowie dem Theologen Eugen Drewermann. Letzterer ist dafür bekannt, dass er auch über 90 Minuten hinweg völlig ohne Manuskript tief beeindruckende Reden halten kann. Sein flammender Appell an die Bundesregierung zu einer friedenspolitischen Kurskorrektur bediente sich z.B. Verweisen auf die griechische Mythologie (Kassandra) und endete mit Worten von Wolfgang Borchert, die in jedem Fall dem Veranstaltungsort und seiner Rede neben der Kirchkanzel stehend angemessen waren:

„Du. Pfarrer auf der Kanzel. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst den Mord segnen und den Krieg heilig sprechen, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!“.

Lassen wir nun zu dieser „Ganser-Affäre“ jemanden zu Wort kommen, der nicht selbst dabei gewesen ist, sondern sich zur eigenen Meinungsbildung den zweistündige Video-Mitschnitt angeschaut hat:

„Ganser hat es nicht leicht gehabt, nach diesem bewegenden, kämpferischen, empörten Beitrag von Eugen Drewermann zu reden. Seine Überleitung, auf die sich das Transkript bezieht, verstehe ich als eine unglückliche Lösung für diesen Übergang, in der es eigentlich nicht um Hitler und irgendeine Relativierung geht, sondern der Akzent liegt woanders: Eine Verbeugung vor Drewermann als Repräsentant der deutschen aufklärerischen Tradition, die er, aus Schweizer Perspektive, viel zu wenig beachtet und betont sieht. Auf Hitler hätte er auch verzichten können – aber als Historiker ist ihm dieser Kontrast vielleicht besonders naheliegend erschienen, und weder in seinen zahlreichen Vorträgen und Texten noch im weiteren Verlauf dieses Vortrags sind irgendwelche rechtslastigen oder faschistoide Einstellungen rechtfertigenden Akzente zu erkennen.“

Übrigens lohnt auch eine Durchsicht auf die mehr als 250 Kommentare zu dem mit über 40.000 Klicks verzeichneten YouTube-Video, um zu sehen, dass der Querfrontvorwurf nur ganz vereinzelt mal auftaucht.

Dessen ungeachtet kann man aber immer noch kritisch fragen: Relativiert der Verweis auf die kulturellen Errungenschaften Deutschlands nicht doch die Naziverbrechen? Das größte Verbrechen des Naziregimes war der Vernichtungskrieg im Osten, der zu 27 Millionen toten Sowjetbürgern geführt hat. Interessant sind deshalb die einleitenden Worte, die der russische Präsident Putin bei seiner Rede im Bundestag in Berlin am 25. September 2001 gehalten hat. Bevor er die eigentliche Rede in Deutsch fortsetzte, heißt es in der Simultanübersetzung seiner Einleitung:

„Diese Stadt [Berlin] ist in der jüngsten Geschichte der Menschheit mehrmals zum Zentrum der Konfrontation beinahe mit der ganzen Welt geworden. Selbst in der schlimmsten Zeit – noch nicht einmal in den schweren Jahren der Hitler-Tyrannei – ist es aber nicht gelungen, in dieser Stadt den Geist der Freiheit und des Humanismus, für den Lessing und Wilhelm von Humboldt den Grundstein gelegt haben, auszulöschen. In unserem Lande wird das Andenken an die antifaschistischen Helden sehr gepflegt. Russland hegte gegenüber Deutschland immer besondere Gefühle. Wir haben Ihr Land immer als ein bedeutendes Zentrum der europäischen und der Weltkultur behandelt.“

Doch zurück zu Daniele Ganser. Wäre die beanstandete Äußerung gegen Ende seines Vortrages in einem anderen Kontext gefallen, hätte dieses wahrscheinlich weniger Grund zur Beanstandung gegeben: Dort brachte er nämlich den Hinweis auf die Rolle der deutschen Politik beim Serbienkrieg im Kontext von Kriegspropaganda, die von ihm mit nicht vorhandenen "Konzentrationslager in Serbien" und dem dabei mobilisierten "Trauma der Deutschen" angesprochen wurde.

Mein eigenes Fazit ist, dass wegen der oben genannten Wahrnehmungsdefizite in Bezug auf Kriegspropaganda die Vorträge von Daniele Ganser einen sehr hohen Stellenwert für die Friedensbewegung haben. Das Wort Friedensbewegung tauchte auch etwa ein Dutzend mal in seinem Vortrag auf, im Kontext zu der von ihm gestellten Frage: Wie kann man sich zum friedenspolitischen Engagement motivieren? Diese Frage ist wohlgemerkt an seine jüngere Zielgruppe der 15- bis 25-jährigen gerichtet und nicht an die ältere Generation, wo man noch aufgrund der eigenen Sozialisation in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts zum Kampf für Frieden und Abrüstung beseelt wurde. Daniele Ganser verweist bei seinen Vorträgen darauf, dass er aus seiner Zielgruppe auch mit vielen Mails diesen Zuspruch findet. Anders wäre es auch kaum zu erklären, dass er bisher über 400 Vorträge gehalten hat, die sich überwiegend an die Friedensbewegung richten. (Ein zweites Standbein von Daniele Ganser bei Vorträgen sind erneuerbare Energien versus Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, wo natürlich eine etwas andere Zielgruppe angesprochen wird). Das gilt auch für sein aktuelles Buch „Illegale Kriege“. Für diejenigen, die auf der Suche nach einer aktuellen Analyse auf Basis von Lenins Imperialismustheorie sind, ist dieses sicherlich uninteressant. Hingegen ist das Buch für all diejenigen lesenswert, die sich die Frage stellen, warum man mit Lenins Imperialismustheorie kaum Zugang zu jungen Leuten gewinnt, welche ja die Friedensbewegung als Substanz verstärken müssen.

Warum wird diffamiert?

Es soll an dieser Stelle niemandem unterstellt werden, dass er bewusst dem politischen Gegner zuarbeitet. Vielleicht ist es bei einigen Protagonisten aus der generationsmäßig alten Friedensbewegung einfach nur die Arroganz gegenüber der mittleren Generation, die z.B. von Menschen wie Daniele Ganser oder dem ebenfalls „umstrittenen“ Ken Jebsen vertreten wird. Diese Menschen, hier exemplarisch genannt, ticken eben anders, verstehen es aber offenbar erfolgreich, als Vertreter der mittleren Generation der jungen Generation politische Bildung zu vermitteln, inklusive Motivationstraining zum eigenen Engagement.

Darüber hinaus sollte die oben genannte Analyse von Prof. Dr. Mausfeld unbedingt als Warnhinweis dienen. Die Abgrenzungsapologeten können demnach als Opfer eines Identitätsdiebstahls angesehen werden, der dazu führt, unbewusst historische Wurzeln zu kappen und fremdbestimmten Identitäten auf den Leim zu gehen, mittels fremdbestimmter Begrifflichkeiten wie „rechtsoffen“, „rechtslastig“ und „verschwörungstheoretisch“.

Im Unterschied zu früheren Aktivitäten der NPD können seitens der AfD auch überhaupt keine Versuche zur Infiltration der Friedensbewegung unternommen werden, da dieses ihre Programmatik und Ideologie auch überhaupt nicht zulässt – von einzelnen Trittbrettfahrern innerhalb dieser Partei mal abgesehen.

Doch wie wirken Diffamierungen und persönliche Beleidigungen?

Nehmen wir dazu ein Beispiel aus der Politik, wo meistens viel härtere Umgangsformen an der Tagesordnung sind als in zivilgesellschaftlichen Bewegungen. Dem früheren britischen Premierminister Tony Blair wird nachgesagt, dass er mal in Bezug auf Jeremy Corbyn als damaligen „Backbencher“ (Hinterbänkler) im Unterhaus bemerkt habe, seine Partei sei durchaus in der Lage, einen „einzelnen Idioten“ zu ertragen. Im Jahr 2015 konnte Tony Blair nicht mehr eine derart gelassene Haltung einnehmen, als sich Jeremy Corbyn für eine Direktwahl zum Labour-Vorsitz durch die Mitglieder stellte. Tony Blair schlug damals denjenigen „Idioten“, denen Corbyn gefalle, eine Herztransplantation vor. Eine solche Aggressivität ist verständlich, wenn man bedenkt, dass damals ein Untersuchungsbericht der britischen Regierung zur Mitwirkung am Irakkrieg 2003 (Chilcot-Bericht) in Arbeit war, der 2016 veröffentlicht wurde und Tony Blair erheblich belastete. Jeremy Corbyn schloss sich nach seiner Wahl vom Labour-Vorsitzenden deshalb auch der Forderung an, dass man Tony Blair als Kriegsverbrecher anklagen müsse.

Auf dem kürzlichen Parteitag der Labour Party sagte Jeremy Corbyn in einer umjubelten Rede auch etwas zur Kampagne gegen ihn und die Labour Party:

„Sie [die Medien] haben den Wahlkampf betrieben, wie sie es immer tun, und auf Befehl ihrer im Steuerexil sitzenden Eigentümer Labour ein ums andere Mal verrissen. Am Tag vor der Wahl widmete eine Zeitung vierzehn Seiten dem Angriff auf die Labour Party. Unser Ergebnis stieg um fast 10 Prozent. Angesichts einer so überwältigend feindlich gesinnten Presse und einer Armee aus Trollen in den sozialen Medien ist es umso wichtiger, dass wir zusammenhalten. Natürlich werden wir nicht immer einer Meinung sein, aber es ist nicht zu entschuldigen, wenn Menschen beleidigt werden. Wir legen unsere Differenzen mit demokratischen Abstimmungen bei und stellen uns dann gemeinsam hinter diese Entscheidungen.“

Jeremy Corbyn ist auch ein langjähriges führendes Mitglieder der Kampagne für Nukleare Abrüstung (CND). Im Februar 2016 brachte diese Kampagne mehr als 60.000 Menschen auf die Straße, als Protest gegen die Modernisierung des britischen Atomwaffenarsenals mit veranschlagten 39 Milliarden Euro. An der Spitze der Proteste: der nunmehr zum Labour-Chef gewählte Jeremy Corbyn.

60.000 Menschen auf der Straße wären auch eine gute Messlatte für die deutsche Friedensbewegung. Die Fortschritte in der letzten Zeit, wie sie kürzlich bei den Aktionstagen der Ramstein-Kampagne trotz aller Diffamierungen zu sehen waren, sind zwar sehr ermutigend, aber natürlich noch weit weg von dieser Größenordnung. Vielleicht ist es ja die Wahrnehmung von geplanten deutschen Aufrüstungsprogrammen in einer Dimension, welche die Kosten der britischen Trident-U-Boot-“Modernisierung“ noch in den Schatten stellen würde, die geeignet ist, um diese Menschenmengen auf die Straße zu bringen – geeint ohne interne Querelen.


Bild