Frauen an die Front!
Da der Bundeswehr in Zeiten zunehmender Eroberungsfeldzüge das männliche Kanonenfutter ausgeht, wird sie erfinderisch. Dagegen wehrt sich die Jugendredaktion mit einer Rubikon-Sonderausgabe, die am 28. Oktober 2019 erscheint.
Auch Frauen soll nun die Funktion als Kanonenfutter für das Großkapital schmackhaft gemacht werden. Mit der mittlerweile siebten Webserie „Die Rekrutinnen“ versucht die Bundeswehr nun gezielt Frauen anzusprechen. Damit erlangt die Kriegspropaganda ein gänzlich neues Level an Perversion. Frauen sind von ihrer Natur her eigentlich die letzte Instanz, um — militärische — Konflikte abzuwenden. Eigentlich. In unserer Kultur, um nicht zu sagen seit Anbeginn der Zivilisation, wird das Weibliche sukzessive zurückgedrängt und weicht immer stärker patriarchalischem, kriegslüsternem Männlichkeitsgebaren. Diese Entwicklung hat in den letzten Jahrzehnten einen derart gewaltigen Schub bekommen, dass Frauen dem Irrglauben verfallen, sie würden gegen das Patriarchat aufbegehren, wenn sie selber wie Männer werden. Dies zeigt sich darin, dass Frauen sich nun häufiger die gleichen kalten und empathielosen Wesenszüge vieler Männer zu eigen machen, konkurrenz- und karriereorientiert agieren und dies aber als Emanzipation verstehen. Die logische Konsequenz dieser Entwicklung mündet darin, dass es nun auch en vogue ist, wenn Frauen in den mörderischen Dienst des Militärs eintreten. Mit diesem Artikelschwerpunkt wollen wir Autoren und — vor allem — Autorinnen dieser bizarren Irreführung eine deutliche Gegendarstellung entgegensetzen und klar aufzeigen: Ein Mensch an der Waffe ist immer entgegen unserer Natur. Sowohl als Mann, aber erst recht als Frau! Wer einmal verstanden hat, dass wir alle miteinander verbunden sind, muss erkennen, dass jeder Akt der Gewalt gegen ein anderes Lebewesen auch stets ein Angriff auf uns selber ist!
Im Westen nichts Neues — zu dieser Erkenntnis kommt man, wenn man sich die Homestorys der vier blutjungen Rekrutinnen der neuen Webserie ansieht (1, 2, 3, 4). Der Titel des gleichnamigen Anti-Kriegs-Romans von Erich-Maria Remarque bezog sich 1928 zwar auf die westliche Front der Deutschen im ersten Weltkrieg, doch lässt sich dieser Aufruf genauso auf die westliche Sphäre heute anwenden, auf die Gesellschaft des Westens und ganz besonders auf die deutsche Gesellschaft.
Natürlich sind die Homestory-Videos rein technisch ganz anderer Natur als die Propagandastreifen aus dem Dritten Reich. Full-HD, Shake-Cam, Jump-Cuts, in das Bild getrackte Emojis, gute Soundqualität et cetera. Doch betrachtet man die Videos in einem größeren geschichtlichen Kontext, stellt man schnell fest, dass der ihnen innewohnende Geist der gleiche ist. Es ist der Geist der „Mobilisierung“. Der Geist, der die Bevölkerung auf Krieg trimmen soll.
Und es ist erschreckend, wenn auch wenig verwunderlich, dass die Gesellschaft Deutschlands sich diesbezüglich kaum verändert hat. Die Taten sowie die Mitschuld durch die Passivität der Deutschen im Dritten Reich wurden an Gedenktage und rein materielle Denkmäler externalisiert; die Entnazifizierung blieb eine vorrangig auf rechtliche Schuldfragen begrenzte Kur. Eine innerseelische Verarbeitung dieses Grauens wurde kaum je vorgenommen, und mittlerweile muss die Nachkriegsgeneration Flaschen sammeln, um ihre Rente aufzustocken. Ein breiter Teil der meist jüngeren, sich für aufgeklärt haltenden Deutschen ruft heute lautstark „Wir sind mehr“ und „Nazis raus“, schweigt aber zu den kapitalistischen Strukturen, die den Faschismus naturnotwendig produzieren (Brecht) und damit auch zu der militärischen Tötungsmaschine, die mit blutiger Fratze den unersättlichen Hunger dieses Systems mit Waffengewalt zu stillen versucht (5).
Und so stehen wir, die Deutschen, heute wieder an der gleichen Stelle wie damals. Nicht fähig, den Donner in der nahen Ferne als das zu identifizieren, was er ist: das Trommeln für einen neuen Krieg.
Die Homestory-Videos von Enny, Lea, Leah und Melanie sind wirklich zum Haare raufen. Sie gewähren einen sehr tiefen Einblick in unsere traumatisierte Gesellschaft.
Junge Frauen, die in ihrer Unsicherheit darüber, was sie aus ihrem Leben machen wollen, den Weg zum Bund wählen. Materieller Wohlstand bei gleichzeitiger innerseelischer Verwahrlosung, die beim Rezipieren der Videos unterschwellig zu Tage tritt. Ennys Vater lässt dann noch einen Spruch vom Stapel, der wirklich fassungslos macht: „Wenn du heulst, dann heul ins Kissen!“ Da springt einem die Warmherzigkeit direkt entgegen. Der Mensch ist ein Produkt seiner Umwelt, würde so mancher Soziologe anmerken.
Bei fast allen Homestorys wird übrigens gegrillt. Wir erinnern uns der Worte Tolstois: „Solange es Schlachthäuser gibt, wird es auch immer Schlachtfelder geben.“
Und auf genau diese Schlachtfelder taumeln die deutschen Familien arglos zu. Leahs Mutter sagt dazu: „Mein erster Gedanke war: Ich möchte mein Kind nicht tot in einer Krisenregion sehen. (…) (Mir ist) bewusst, dass sie mal in einem Krisengebiet landen kann.“
Hier drängen sich doch gleich zwei Fragen auf. Warum interveniert die Mutter denn nicht, wenn sie sich um ihre Tochter sorgt? Etwa aus Stolz, weil sie etwas Großartiges vollbringt, wenn sie Deutschland in einer „Krisenregion“ à la Hindukusch verteidigt oder dorthin Demokratie exportiert? Hierauf folgt gleich die zweite Frage: Ist denn das Völkerrecht — insbesondere die ersten beiden Artikel — völlig in Vergessenheit geraten? Das Nichteinmischungsprinzip? Das Verbot, sich in innere Konflikte eines Staates einzumischen? Das Prinzip der Souveränität von Staaten? Der illegale Charakter dieser Einsätze — oder nennen wir sie doch ganz direkt illegale Kriegshandlungen — wird einfach ausgeblendet.
Dies reiht sich nahtlos ein in die Kaskade der systematischen Militarisierungsaktionen in Deutschland. Immer häufiger sind am Himmel dicke, schwere Militärhelikopter zu beobachten, uniformierte Soldaten dürfen ab nächstem Jahr kostenlos — beziehungsweise auf Kosten von uns Zivilisten — Bahn fahren und die optische Militärpräsenz „in der Mitte der Gesellschaft“ erhöhen.
Der Ernüchterung, dass wir Deutschen aus den ersten beiden Weltkriegen — so scheint es — keine Lehre gezogen haben, wird zusätzlich durch eine Orwell‘sche Geschichtsverdrehung die Krone aufgesetzt. Nach der Neudeutung der Geschichte durch das EU-Parlament hätte der Nichtangriffspakt zwischen Hitler-Deutschland und der Sowjetunion die Initialzündung für den Ausbruch des zweiten Weltkrieges geliefert (6). Hier bekommen wir das narrative Gerüst, um uns für einen Krieg gegen Russland, und zwar ohne schlechtes Gewissen, aufstellen zu können, denn wir — die Deutschen — sind ja mittlerweile die Guten, während drüben beim Ivan angeblich noch der böse Geist des Totalitarismus schlummert.
Soweit so schlecht. Die Homestorys enden dann jeweils — und das ist schon wirklich zynisch — mit den Worten der Rekrutinnen vor ihrer Abreise: „Wenn ihr sehen wollt, was aus mir wird, dann schaltet beim nächsten Mal ein und abonniert diesen Kanal.“
Mit dem Teddybär zur Bundeswehr
Nein, diese Absatzüberschrift ist keine Überspitzung. Zwei der jungen Rekrutinnen nehmen zur Kaserne ihr Kuscheltier mit. Es ist so bizarr! Es ist pervers! Es ist von einer solch abgrundtiefen Abscheulichkeit, dass es kaum in Worte zu fassen ist. Die Rekrutinnen sind zwar, rein rechtlich gesehen, allesamt volljährig — wobei das bei der Bundeswehr mittlerweile kein sonderliches Hindernis mehr darstellt (7) — doch in ihrem Verhalten eigentlich noch Kinder. Und das dürfen sie auch! Eigentlich. Nicht so jedoch hinter der Pforte der Kaserne in Roth bei Nürnberg. Dort wird auf die Befindlichkeiten dieser jungen Mädchen keinerlei Rücksicht genommen.
Teddy begleitet seine Besitzerinnen aus dem wohlig warmen Kinderzimmer an einen Ort der Kälte und Härte. Die jungen Mädchen werden bei ihrer Ankunft direkt auf das allerübelste schikaniert — auch wenn es nicht derart dargestellt wird oder mit „witzigen“ Jump-Cuts ins Lustige gedreht werden soll. „Sie sind eine Frau, oder?“ „Ich nehme an, Sie können lesen?“ „Das heißt JAWOHL!“ Teddy kommt nun in eine Stube, in der die Bettlaken keine Falten haben dürfen. In den Spinden muss alles am rechten Platz sein. Die Hemden müssen auf DIN-A4-Größe gefaltet werden. Kein Millimeter zu viel! Bei den Ärmeln der Bundeswehr muss die Dooiitschland-Fahne nach außen zeigen. Kurzum: Die Stube darf nicht so aussehen, als würde dort tatsächlich jemand ... leben!
Eine andere Rekrutin ist den Tränen nahe, als sie nach einer Stubenkontrolle, deren Ergebnis nicht zur Zufriedenheit der schikanierenden, cholerischen Kontrolleure war, einen entsprechenden Einlauf bekommen hat. Damit müsse man wohl klarkommen, sagt sie schwermütig in die Kamera, während ihr sichtbar ein Kloß im Hals steckt.
Wer Arno Gruen, Franz Ruppert oder Hans-Joachim Maaz gelesen hat, erkennt hier schnell die Muster. Identifikation mit dem Aggressor. Nicht die Struktur ist schuld, sondern man selber. Man müsse herausfinden, was der Aggressor von einem möchte, damit weitere Strafen ausbleiben.
Operation: Friedenstroll (#machWasWirklichWIRKLICHzaehlt)
Nachdem hier kurz angeschnitten wurde, wes Geistes Kind diese Webserie ist, sollte die Dringlichkeit einer Gegendarstellung klar sein. Es genügt allerdings nicht, wenn wir uns nur wieder ausschließlich in unserer Friedensbewegungs-Filterblase gegenseitig darin bestätigen, dass Krieg und Militarisierung Scheiße sind. Wir müssen diese Botschaft an Menschen herantragen, die gerade noch auf der Schwelle stehen, diesen blutigen Pfad einer Militärkarriere zu betreten. Deswegen wollen wir mit Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, die Operation Friedenstroll starten. Was bedeutet das?
Wir fluten die Kommentarspalten auf YouTube, Facebook und Instagram unter den Folgen der Webserie mit den Artikeln dieses Schwerpunktes zusammen mit den Hashtags #machwaswirklichWIRKLICHzaehlt und #ersterWeltfrieden.
YouTube im Jahre 2019 ist wahrlich grotesk: Das Werben fürs Sterben wird von YouTube gepusht, die Bundeswehr-Serien auf die höheren Ränge der YouTube-Rankings emporgehievt, während Kanäle wie NuoViso.TV einfach mal für ein paar Tage gelöscht oder Videos mit friedlichen Inhalten wie die des Rappers Kilez More einfach mal entmonetarisiert werden, da sie „nicht werbefreundlich“ seien. Hier zeigt sich wieder, dass Frieden schlecht für das Geschäft ist.
Deswegen müssen wir alle gemeinsam das Marketing für den Frieden in die Hand nehmen und den Frieden eindringlich — aber nicht paternalistisch — bewerben. Keinesfalls von oben herab, keinesfalls belehrend oder respektlos. Auch dann nicht, wenn wir mit hasserfüllten Gegenreaktionen in den Kommentaren konfrontiert werden. Wir fluten die Kommentarspalten schlicht mit unseren friedlichen Botschaften in Form unserer Artikel und dem Hashtags #machWasWirklichWIRKLICHzaehlt und #ersterWeltfrieden für den Wiedererkennungswert. Was sagt Leonardo di Caprio in „Inception“?
„Ein Gedanke ist wie ein Virus, resistent, hochansteckend und die kleinste Saat eines Gedankens kann wachsen. Er kann dich aufbauen oder zerstören.“
Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, hinter der Botschaft unserer Artikel dieses Schwerpunktes stehen können, helfen Sie uns bitte, diese Botschaft dorthin zu bringen, wo sie am dringendsten gebraucht wird, und zwar direkt in den Rachen der Kriegsmaschinerie. Die kleinste Saat des Zweifels im Kopf eines Rekruten oder einer Rekrutin kann mutieren und Wunder bewirken. Glauben wir an den Butterfly-Effekt! Wenn wir auch nur einen jungen Menschen für den Frieden gewinnen können, hat sich die Sache bereits gelohnt!
Inhalt der Rubikon-Sonderausgabe:
- Nicolas Riedl: Frauen an die Front!
- Maren Herz: Die falsche Emanzipation
- Madita Hampe: Die Verformten
- Adriana Sprenger: Gleichschritt statt Fortschritt
- Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer: Tarnfleck für die Niedertracht
Quellen und Anmerkungen:
(1) https://www.youtube.com/watch?v=zxn6g0iwylg
(2) https://www.youtube.com/watch?v=4VWqZOkEHw8
(3) https://www.youtube.com/watch?v=wShfGem5g7E
(4) https://www.youtube.com/watch?v=cxIpUb9jiHc
(5) vgl. Maaz, Hans-Joachim, Das falsche Leben — Ursachen und Folgen unserer normopathischen Gesellschaft, S. 139-151
(6) https://www.nachdenkseiten.de/?p=55273
https://www.nachdenkseiten.de/?p=55198
https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2019-0021_DE.html
(7) https://www.focus.de/politik/deutschland/linke-gegen-minderjaehrige-an-der-waffe-bundeswehr-ursula-von-der-leyen-verteidigt-ausbildungskurs_id_3567221.html