Fragiler Kämpfer für die Wahrheit
Der kürzlich verstorbene Philosoph Gunnar Kaiser hinterlässt eine große Lücke, doch sein geistiges Erbe wird bleiben. Ein Nachruf.
Gunnar Kaiser – Jahrgang 1976 – studierte Philosophie, Germanistik und Romanistik an der Universität zu Köln. Nach Abschluss seines Staatsexamens arbeitete er als Deutsch- und Philosophielehrer an Gymnasien in Bonn und Köln. In der Coronazeit half er als streitbarer Videoblogger mit Tiefgang vielen Menschen durch diese schwere Zeit. Diesen Monat ist er – viel zu früh – aus dem Leben gerissen worden. Seit etwa einem Jahr wusste er um seine ausweglose Situation, ein Krebsleiden, dem er letztlich erlag.
Kaiser war auch Autor, Publizist und politscher Blogger. Sein Erstlingsroman „Unter der Haut“ wurde bis heute in sechs Sprachen veröffentlicht. Sein Sachbuch „Der Kult. Über die Viralität des Bösen“ belegte direkt nach Erscheinen schon den zweiten Platz der Spiegel-Bestsellerliste.
Als freier Journalist arbeitete Kaiser seit zwei Jahrzehnten auch für verschiedene Medien, darunter die Neue Zürcher Zeitung, die WELT, den Schweizer Monat, die Jüdische Allgemeine und die Berliner Zeitung. Zusammen mit Lukas Kramer war er Co-Gründer der Online-Akademie SYMPOSIUM. Im Sommer 2016 startete Kaiser seinen ersten Blog „Philosophisch denken“.
Auf seinem viel beachteten Videokanal „kaisertv.de“ führte er mit zahlreichen Menschen erkenntnisreiche Gespräche, zuletzt etwa mit Gerald Hüther, Markus Gabriel, Ulrike Guérot, Hans-Joachim Maaz, Henryk M. Broder, Philipp Blom und Jasmin Kosubek.
Sein YouTube-Kanal „gunnarkaisertv“ enthält über 1.000 Videos und erfreut sich mehr als einer Viertelmillion Abonnenten.
Ein großer Einschnitt in seinem Berufsleben begann mit der Coronazeit im Frühjahr 2020.Die Aufkündigung seines Lehrerberufs, nachdem er sich weigerte, seinen Schülern ständig Corona-Tests zu verordnen, gipfelte in dem Video: „Da mach ich nicht mit!“, das über eine halbe Million Aufrufe verzeichnen konnte.
Er machte angesichts von Unrecht und Wahrheitsverhüllung den Mund auf. Insbesondere forderte Kaiser „die Intellektuellen“ auf, sich der „Unterdrückung“ und dem „Imperativ der Technologie“ zu widersetzen.
Von Journalisten und Medienschaffenden oder Künstlern hörte man in dieser Zeit der sogenannten „Coronapandemie“ ziemlich wenig. Ebenso schwieg die intellektuelle Elite – wie auch heute noch.
Kaiser erhielt viel Gegenwind und Kritik aus dem Mainstream, so auch aus der Friedrich-Naumann-Stiftung, die sich von ihm distanzierte, nachdem sie ihn ursprünglich als Moderator in eine öffentliche Diskussion eingebunden hatte. Auch Kaisers offene Art der Diskussion mit allen Seiten des politischen Spektrums brachten ihm viel Kritik ein.
In Bezug auf die Cancel Culture forderte Kaiser zusammen mit Milosz Matuschek „Freiräume zur Debatte“. Ihm zufolge besteht Cancel Culture darin, „Drohungen, Gewaltdrohungen, echte Gewalt, Mobbing oder Shitstorms einzusetzen, um Menschen unter Druck zu setzen und sie aus der öffentlichen Debatte zu zwingen, wobei die Täter oft anonym bleiben“.
Dennoch: Kaisers Reichweite in den alternativen Medien und seine Anerkennung war beachtlich. Viele Menschen berichten, dass Gunnar Kaiser ihnen durch die schwere Zeit der Coronapandemie geholfen habe, ihnen Trost und Mut zugesprochen, ihr Selbstbewusstsein gefördert und ihnen Zuversicht vermittelt habe.
Er genoss hohe Anerkennung und Wertschätzung auch bei bekannten coronakritischen Persönlichkeiten wie Boris Reitschuster, Max Otte, Van Frieden, Raphael Bonelli, Gerald Hüther und vielen anderen.
Immer wieder beschreiben ihn Menschen, die direkten persönlichen Kontakt mit ihm hatten, als warm, ehrlich, zugänglich, gutherzig, eine seltene Art Mensch. Auch seine Redegewandtheit verbunden mit einer sonoren angenehmen Stimme fand viel Resonanz.
Die Freude über sein Lebenswerk, seine Hinterlassenschaft in Form von Büchern, Videos, Podcasts und positiven Erinnerungen wird vielfach als größer erachtet als die Trauer über seinen ja nicht überraschend eingetretenen Tod. Immer wieder hört man Stimmen von Menschen, die Kaiser nie persönlich gekannt haben, die ihn aber als „ihnen sehr nah“ empfunden haben.
In weiten Kreisen, die sich das Denken nicht staatlich und massenmedial vorschreiben lassen, fand er großen Anklang. Das Recht auf freie Meinungsäußerung war für ihn unabdingbar. Als besondere Gabe konnte er mit seinen Gedanken und Formulierungen über das Leben – und den Tod – andere Menschen beglücken.
In einem seiner letzten Videos zitiert Kaiser Bernard von Clairvaux: „Du musst deinem Gott nur bis zu dir selbst entgegen gehen.“ Und das hat er für sich bestimmt erarbeitet.
Raphael Bonelli beschreibt ihn als einen Menschen mit einer phantastischen Mischung von Intelligenz und Demut. Er hatte zu Gunnar Kaiser noch drei Wochen vor seinem Ableben Kontakt, und auch in dieser ausweglosen Situation gab dieser ihm noch hilfreiche Hinweise für sein neues Buch.
Bei Kaiser konnte man auch immer ein großes Vermögen zur Selbsttranszendenz erkennen, was seine Ausführungen so authentisch machten. Er war anhaltend auf der Suche nach dem Wahren, Guten und Schönen.
Kaiser war ein Mut machender Redner und immer der Wahrheit verpflichtet, immer herzlich, und seine Ansprache war stets von Menschlichkeit, Liebe und Respekt geprägt.
Max Otte nennt ihn einen „sanften Kämpfer, einen Aufklärer. Er hat in den düsteren Zeiten der sogenannten Pandemie vielen Menschen Mut gegeben durch seine Gelassenheit, durch seine Art, Dinge zu hinterfragen, durch seine Menschlichkeit“.
So hat Gunnar Kaiser eine Spur hinterlassen, derer sich viele Menschen noch lange erinnern und daraus Mut schöpfen können. Viele werden in den zu erwartenden politisch stürmischen Jahren an ihn zurückdenken. Er wird nie ganz von uns gegangen sein, solange wir seiner gedenken.
„Philosophieren heißt sterben lernen“ – so zitierte er einmal Michel de Montaigne, und das hat er tatsächlich mit äußerer Gelassenheit und Souveränität seiner Zuhörerschaft vermittelt. Damit verkörperte er eine Größe des Menschseins, die man nur selten antrifft.
Danke, Gunnar, für Deinen selbstlosen Einsatz, für Dein Sein in Wahrheit, Demut und Würde.
In seinem Live-Stream schreibt Kaiser im Juni 2023:
„Die Anerkennung der eigenen Endlichkeit und Vergänglichkeit kann zu einer tiefen Transformation der Lebensperspektive führen. Im heutigen Livestream geht es um Aspekte wie das Bewusstsein der Vergänglichkeit, das Setzen von Prioritäten, die Akzeptanz des Unvermeidlichen und die Suche nach dem Sinn des Lebens. Durch diese philosophischen Einsichten wird aufgezeigt, wie das Bewusstsein der Endlichkeit zu Mut, Dankbarkeit und einem bewussten Umgang mit der Zeit und den vermeintlich kleinen Dingen des Lebens führen kann.“
Ich bin nicht tot,
ich tausche nur die Räume,
ich leb' in Euch und
geh' durch Eure Träume.