Fest der Destruktivität
Der Super-Bowl offenbart die Symptome einer kranken Gesellschaft.
Beim alljährlich wiederkehrenden Finale des American Footballs, dem Super-Bowl, frönt die westliche Gesellschaft – zumindest diejenigen, die es sich leisten können – ihrem destruktiven Lebensstil. Und zwar in einer überspitzten und unverfrorenen Art und Weise, die nicht einmal einen schönen Schleier darum wickelt. All die sündhaften Perversionen – jede Einzelne ein Pflasterstein auf dem Weg unseres menschlichen Untergangs – werden am ersten Februar-Sonntag in den USA, aber auch weltweit zelebriert. Der Verriss eines bekennenden Spielverderbers.
Football wird in Deutschland immer beliebter. Innerhalb weniger Jahre erlangte und genießt nun die für viele Europäer doch arg komplizierte Sportart (1) eine immer größere Beliebtheit. Dachte vor wenigen Jahren noch der eine oder andere von etlichen Dosenbieren betörte Fußballfan bei dem Begriff „Football“ schlicht und fälschlicherweise an das englische Wort für „Fußball“, weiß hierzulande mittlerweile fast jeder etwas mit dem Begriff „Super-Bowl“ anzufangen. So wie der aus Europa stammende Fußball global um sich greift, so schwappte unlängst auch der American Football über den Atlantik zu uns herüber (2). Für das Sport-Ereignis der Superlative begeistern sich mittlerweile weltweit etwa 800 Millionen Zuschauer – knapp ein Zehntel der Weltbevölkerung – davon 100 Millionen in den USA (3).
Mit der Begeisterung für diese Sportart wurde für diesen einen Tag im Februar auch der traditionelle American-Football-Lifestyle – oder zumindest ein Abklatsch desselben – nach Europa importiert. Kritischen Zeitgenossen offenbart sich jedoch schon nach einem oberflächlichen Blick: Dieser Lifestyle – ein an sich schon unsägliches Wort – hat das Wort „Life“ in seinem Namen nicht verdient!
Feiertag des Kapitalismus
Der Super-Bowl-Sonntag wird in den Staaten als eine Art zweiter Nationalfeiertag zelebriert. Ehrlicherweise könnte man ihn getrost als Kapitalfeiertag bezeichnen. Die Werbeindustrie fährt für diesen Tag alle verfügbaren Geschütze auf.
Es ist der Tag, an dem alles kulminiert, was den entfremdeten Menschen der Industrienationen dazu anhalten soll, durch Konsum und Entertainment seine unbefriedigten Bedürfnisse zu bedienen.
Es werden extra Werbespots nur für den Super-Bowl gedreht. Hollywood schneidet für anstehende Kino-Blockbuster Trailer für dieses Ereignis, sogenannte Super-Bowl-Trailer. Wir haben es mit einem Event zu tun, bei dem das, was wir ansonsten zumeist als „nervig“ wahrnehmen – Werbung nämlich – nahezu einen Heiligenstatus erlangt. Neue Götterbotschaften, die dem Lohnsklaven verkünden, was dieser für ein erfülltes Leben zu besitzen, zu konsumieren und für seine Zerstreuung zu rezipieren habe. Neue materielle Laster, die man sich – in den USA zumeist kreditfinanziert – beschaffen müsse und neue Filmstreifen, die man unbedingt sehen müsse, um für wenige Stunden der tristen Realität entfliehen zu können.
Selbstverständlich gibt es den Heiligenstatus für diese 30-Sekunden-Werbespots nicht zum Nulltarif. TV-Werbung ist nie günstig! Doch was Unternehmen es sich kosten lassen müssen, um beim Super-Bowl von der wortwörtlichen Weltöffentlichkeit gesehen zu werden, ist eine alles in den Schatten stellende, astronomisch hohe Summe. Zum Vorab-Vergleich: Hierzulande (Stand 2015) kostet ein 20-sekündiger Werbespot – variabel nach der Jahreszeit – vor den Nachrichten eines Privatsenders 17.000 bis 20.000 Euro. Beim Heute-Journal sind es knapp 30.000 und bei der Tagesschau sogar über 40.000 Euro.
Bei einer Summe von 250.000 bis 300.000 Euro in der Halbzeit eines WM-Spiels ist dann hierzulande der Fahnenmast der Werbespot-Kosten erreicht (4). Diese hohe Summe wirkt im Verhältnis zu den Kosten für einen Super-Bowl-Trailer jedoch wie Kleingeld in einer Porto-Kasse. Angefangen bei 34.500 US-Dollar im Jahr 1967, kostet ein Werbespot beim Super-Bowl mittlerweile sagenhafte 4,1 Millionen US-Dollar (3)!
4,1 Millionen US-Dollar für einen Werbesport in einem Land, in dem knapp 50 Millionen Bürger von Essensmarken leben (5) und wo die öffentliche Infrastruktur durch Verschleiß und technische Vernachlässigung ihre Benutzer erheblich gefährdet (6).
Völlerei!
In den sich sonst als so christlich verstehenden USA wird auf die fünfte Todsünde ein feuchter beziehungsweise fettiger Dreck gegeben: Die Völlerei. Die Bibelseiten dienen dann bestenfalls noch als Serviette. Das amerikanische Volk verdrückt allein an diesem Tag ganze 650 Millionen Keim-frittierte Chicken, kurz KFC. Der gleichnamige Fast-Food-Konzern liefert mit seinen sogenannten Buckets (zu dt.: Eimern) ein traditionelles Markenzeichen des Super-Bowl-Guckens, das sich mittlerweile auch in Deutschland etabliert hat.
Man stopft sich mit Antibiotika vollgepumpte, mit multiresistenten Keimen übersäte, fettige und gemästete Hühner rein, während man anderen beim Sport zusieht.
Natürlich dürfen weitere kulinarische Sünden à la americana nicht fehlen. Pizzerien machen an diesem Tag ein Drittel ihres Jahresumsatzes. Und zum Nachtisch verdrückt der Amerikaner ganze 4.000 Tonnen Popcorn (3) – Gen-Mais macht‘s möglich!
Noch haarsträubender ist das Binnenmeer an Bier, das Amerika an diesem Tag versäuft. Mit 120 Millionen Litern Bier beim Super-Bowl trinkt der Amerikaner das 16-fache dessen, was sich Besucher aus aller Welt in zwei Wochen auf dem Münchner Oktoberfest hinter die Rübe kippen (3). Noch bizarrer wird diese Zahl, wenn man sie in Blut umrechnet: Ein durchschnittlicher Erwachsener hat sechs Liter Blut im Körper. Umgerechnet ist das also die Blutmenge von 20 Millionen Menschen! Amerikas Bürger trinken beim Super-Bowl also mehr Liter Bier, als alle Bewohner Österreichs, der Schweiz und Sloweniens zusammengenommen an Blut im Körper haben.
Jeder kann sich ausmalen, welche Werte sich global ergeben!
American Football – Ein Sport des Krieges
American-Football ist durch und durch militaristisch (7). Das Spiel an sich und auch das Drumherum. Tatsächlich ist der American Football fester Bestandteil der Ausbildung in der US-Army und -Navy, denn er kombiniert rohe körperliche Gewalt mit militärisch akkuratem Strategiedenken. Weiterhin ist der Super-Bowl der wohl wichtigste Termin im Jahreskalender der Militärpropagandisten (7). Während des Vietnam- und des Golfkrieges wollte man die pazifistischen Protestbewegungen in einem durch dieses Großereignis aufwallenden Hyper-Patriotismus ertränken. So beispielsweise, als Whitney Houston 1991 in Tampa, Florida, die Arena zum Beben brachte, als sie im Duett mit den über ihrem Kopf hinwegdonnernden F-16-Kampfjets die Nationalhymne sang (8).
Ähnlich wurde der Super-Bowl auch nach 9/11 benutzt. Noch 2017 wurde dem Kriegsverbrecher und ehemaligen US-Präsidenten George H.W. Bush die Ehre zuteil, den traditionellen coin toss (zu dt.: Münzwurf) zu vollführen, der über den Ballbesitz zu Spielbeginn entscheidet (9). Und auch dieses Jahr sind Super-Bowl und Militarismus nicht zu trennen, wenn die NFL am kommenden Sonntag vor 15 Besitzern der Medal Of Honor salutiert – der höchsten Auszeichnung des US-Militärs (10).
Die Sportart selbst gerät dabei in den Hintergrund!
Schlusspfiff
Betreiben wir in Deutschland zum Kölner Karneval noch Maskerade, ist der Super-Bowl ein Tag, an dem die westliche Gesellschaft schamlos ihre Maske fallen lässt. Am ersten Sonntag im Februar werden wir Jahr für Jahr Zeugen eines Dammbruches, bei dem viele ihrem zügellosen, rücksichtslosen und von jeglichem Bewusstsein befreiten Lebensstil freien Lauf lassen. Es ist eine umgekehrte Walpurgisnacht. Statt am Ende des Winters die bösen Geister zu vertreiben, werden sie herbeigerufen: Militarismus, Massentierhaltung und Materialismus.
Es ist die absolute Tiefschlafphase in den Abgründen unserer Komfortzone. Es ist ein völliges Sich-gehen-lassen. Das mentale Herabsinken in einen Zustand, in dem wir für Manipulationen kriegerischer und sozio-ökonomischer Natur vollends empfänglich sind.
Mit Blick auf den hart arbeitenden Lohnsklaven ist es nur allzu verständlich, dass dessen Ausgleichs-Sehnsucht ein hedonistischer Cocktail ist, bestehend aus Völlerei, Alkoholismus, entertainender Berieselung und dem emotionalen Surrogat für die eigene, innere Leere in Form des Patriotismus. Was sonst hat ihm diese kalte Welt abseits der Breitbildfernseher zu bieten außer einem ermüdenden Arbeitstrott, tristen Behördenbesuchen und lästigen Alltagsverpflichtungen?
Vielleicht ist der Super-Bowl auch eine Chance für manche von uns – dergestalt, dass dieser Tag uns die schon beinahe parodistisch überspitzten Missstände so deutlich vor Augen führt, dass wir nicht anders können, als zu erkennen: Dies ist ein zur Normalität erklärter Wahnsinn, dem es Einhalt zu gebieten gilt!
Quellen und Anmerkungen:
(1) https://www.zeit.de/sport/2015-09/nfl-american-football-deutschland-free-tv
(2) https://www.rubikon.news/artikel/das-foulspiel-der-fussballgiganten
(3) https://rp-online.de/sport/us-sport/super-bowl-2019-die-verruecktesten-fakten-zum-nfl-finale_bid-9145231
(4) https://www.focus.de/kultur/kino_tv/welcher-sender-ist-wertvoller-werbung-vor-news-soviel-kostet-ein-spot-vor-der-tagesschau-und-vor-rtl-aktuell_id_4485273.html
(5) https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-06/alt-werden-alter-senioren-pflege-usa-amerika/seite-2
(6) https://www.dw.com/de/die-marode-infrastruktur-der-usa/a-39686642
(7) https://www.taz.de/!5272020/
(8) https://www.youtube.com/watch?v=N_lCmBvYMRs
(9) https://www.foxsports.com/nfl/story/george-h-w-bush-receives-huge-ovation-before-super-bowl-coin-toss-020517
(10) https://www.profootballhof.com/nfl-to-salute-15-medal-of-honor-recipients-at-super-bowl-lii/