Feminismus in Absurdistan

Die politische Debatte um die Gleichstellung der Frau treibt immer seltsamere Blüten — etwa, dass sich heute jeder und jede mit einem anderen Geschlecht identifizieren kann.

Am Frauentag, dem 8. März, dringt das Thema Gleichstellung deutlicher als sonst in das öffentliche Bewusstsein. Doch nimmt dieses Themenfeld immer seltsamere Formen an. In Sachen Geschlechter scheint gerade alles auf dem Kopf zu stehen. Was vormals noch klar als Mann und Frau definiert war, wurde in einer Weise durcheinandergewürfelt, dass nun niemand mehr so recht durchzublicken vermag. Was bedeutet dieser Tage dann noch eine Frauenquote, wenn sich jeder als Frau identifizieren kann? Wird dann der Sinn und Zweck einer solchen Quote nicht unterminiert? Es türmen sich Fragen über Fragen in diesen kafkaesken Zeiten. Und entsprechend bizarr fallen Debatten — etwa im Bundestag — zu diesem Thema aus.

Im sogenannten Hohen Haus in Berlin herrschen eine große Aufregung und eine ebenso große Empörung. Aufregung und Empörung ranken sich jedoch nicht um die angespannte Weltlage, haben weder Russland, Ukraine, noch die USA oder China zum Gegenstand, betrachten auch nicht die desaströse Gesundheits- und Wirtschaftspolitik der gegenwärtigen oder wenigstens der vorhergehenden Regierung oder hätten gar einen Bezug zu konstruktiven Lösungsansätzen als Ausweg aus der gesellschaftlichen Lähmung und Zerrissenheit.

Das Hohe Haus ist vielmehr — wie so oft — mit sich selbst beschäftigt. Wohlwollend hätte man gewünscht, es ginge dann immerhin noch um die längst überfällige Ablösung des amtierenden Gesundheitsministers Karl Lauterbach, wobei man hier hätte der Frage dringend nachgehen können und müssen: Wie konnte dieser Mann überhaupt zum Minister berufen werden?

Aber nein! Das böse Wort „Theater“ macht zürnend, wittert man links und mittig irgendwie Verachtung im Raum und wähnt sich herabgesetzt. Das Theater-Wort schließlich gesprochen von der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden einer überhaupt schlecht gelittenen Partei. Sie wissen schon, diese, die da dauernd kommt, mit der Freiheit, der Familie, der Nation, der Sprache, der Bildung, freilich auch dem Boden und der lästigen Demokratie.

Aber, zieht man selbst die Faschingszeit ab und denkt nicht an die Büttenrede, ist angesichts all der Maskierten im Saal die Assoziation zum Theater so fehl am Platze? Manche haben dann sogar mit Maske am Pult ihren Auftritt, um irgendwie zu stammeln und zu geifern. Maskierung und Theater haben immerhin sinnvolle Berührungen, Maskierung und „Durchimpfung“ scheinen dagegen wohl ein weniger plausibel zusammengehendes Begriffspaar zu bilden.

Die Abschaffung der Frau — ein Geschenk zum Weltfrauentag

Dann aber überhaupt der Skandal in der Debatte anlässlich des Weltfrauentages durch die Feststellung der AfD-Fraktionsvorsitzenden Beatrix von Storch: „Markus Ganserer ist biologisch ein Mann“ (1). Auch wenn biologisch und rechtlich dieses Mannsein eine Tatsache darstellt — immerhin zeigt ein Blick in den Lebenslauf, dass er mit einer Frau verheiratet ist und zwei Kinder hat —, wird der Bürger draußen im Lande durch eine im modischen Blau maskierte Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann belehrt, dass diese Aussage „niederträchtig“, „bodenlos“, „homophob“, „zutiefst menschenverachtend“ sei. Sie wird dann in Endlosschleife wiederholen: „abscheulich“ und „niederträchtig“ wäre das Gesagte über „eine Kollegin im Deutschen Bundestag“.

Peinlichkeit verschließt länger schon — auch in der Politik — nicht mehr den Mund. „Die“ konnte das sagen, weil, da war noch was mit der „freien Rede“, heißt es dann. En passant könnte angemerkt werden, ob dieses „Die“ tatsächlich dann so respektvoll daherkommt, so menschenfreundlich, so kollegial. Doch wer wollte hier schon derart kleinlich sein gegenüber einer Lieblingsfeindin aus der politischen Schmuddelecke?

Dem Bürger bleiben der teuer bezahlte Klamauk und das Possenspiel — Fasching hin oder her — und vielleicht entfährt ihm noch der Ruf, der schon in der Antike vernehmbar hallte: „Ein großes Wunder, o Asclepius, ist der Mensch“ und gibt damit, ähnlich dem alten Gotte Merkur, seinem Erstaunen Ausdruck.

Hier dann jedoch der Bedeutungswandel. Das Erstaunen freilich nurmehr noch ein Stöhnen, das einstige Lob, wie es der Gelehrte Giovanni Pico della Mirandola in seinem Beitrag „Oratio de hominis dignitate („Rede über die Würde des Menschen“) formulierte, gewandelt in Erschrecken. Grundlegend galt sie ihm, die Freiheit, die Würde des Menschen konstituierend, ist allein der Mensch doch als einziges Wesen mit ihr ausgestattet.

Grund ist diese Freiheit zugleich immer aber auch für menschliche Unbehaustheit und Verlorenheit. Engel und Dämonen besaßen ihre endgültige Bestimmung, Pflanzen und Tiere hatten ihren Ort. Adam aber, dem Urmenschen, wurde von Gott ins Stammbuch geschrieben: „Wir haben dir keinen festen Wohnsitz gegeben, Adam, kein eigenes Aussehen noch irgendeine besondere Gabe, damit du den Wohnsitz, das Aussehen, die Gaben, die du selbst dir ausersiehst, entsprechend deinem Wunsch und Entschluß habest und besitzest. Die Natur der übrigen Geschöpfe ist fest bestimmt und wird innerhalb von uns vorgeschriebener Gesetze bestimmt.“

Der Mensch wird somit zum Besonderen, zum Wandelbaren: „Weder haben wir dich himmlisch noch irdisch … geschaffen, damit du wie dein eigener, in Ehre frei entscheidender, schöpferischer Bildhauer dich selbst zu der Gestalt ausformst, die du bevorzugst. Du kannst zum Niedrigen, zum Tierischen entarten; du kannst aber auch zum Höheren, zum Göttlichen wiedergeboren werden, wenn Deine Seele es beschließt“ (2). Zwischen „degenerare“ und „regenerari“ liegt die Dimension der menschlichen Freiheit. Ein „Seil, geknüpft zwischen Thier und Übermensch“, so lehrt es Nietzsches Zarathustra, „ein Seil über einem Abgrunde“ jedoch.

Der Mensch schien fortan bereit, auf dem Seile zu tanzen, wohlbedacht darauf, die Balance nicht zu verlieren und dem abgrundtiefen Fall zu entgehen. Er besann sich und blieb bis in unsere Gegenwart begeistert von seiner unbestimmten Gestalt.

Rasant wurden seine Erfolge in Technik und Wissenschaft. Prosperierend zeigte sich die Wirtschaft. Der Mensch berauschte sich an seinen Fähigkeiten. Hell, strahlend hell wurde es am Ausgang des Tunnels früherer Unmündigkeit. Aber auch das war zu lernen, Rauschzustände ebben ab, die Ernüchterung fokussiert auf die Verlustbilanz. Das Schwanken auf dem Seil wird bedrohlicher, der Schritt ist längst nicht mehr sicher.

Sah nicht mancher schon im 19. Jahrhundert das menschliche Dasein verkümmert und auf bloßes Geschäft hin degradiert? Individualität wurde in der Masse verquirlt. Bestechend klar reifte Nietzsche die Erkenntnis „dieses Heute“ ist „des Pöbels“, der „Pöbel-Mischmasch“, so formulierte er im Zarathustra liebe das „erbärmliche Behagen“ und fordert „wir sind alle gleich“. Ein Höheres wird nicht mehr erkannt.

Die Irritation des Faktischen

Inzwischen übt sich der Einheits- und Massenmensch des 21. Jahrhunderts, den Zeitgeist in Perfektion darzustellen. Er denkt und spricht ihn nahezu perfekt, hat er doch, medial vorzüglich betreut, allmählich gelernt, wie zu denken und zu sprechen ist. Medien und Parlamente sind eindrucksvolle Lehrbeispiele. Endlich darf er auch darauf verweisen, seine sexuelle „Identität“ bestünde darin, ganz und gar nicht festgelegt zu sein. Jede Mode gilt es hier mitzumachen. So bedeutet denn die viel beschworene Pluralität nichts anderes, als das möglichst viele das Gleiche machen, die gleichen Programme sehen, die gleiche Musik hören, die gleichen Rituale vollziehen.

Unterschiede des Echten und des Niveaus werden getilgt. Verbliebene Geheimnisse sind der Transparenz auszuliefern, wie jedes Dunkel „rückhaltlos“ aufzudecken ist, natürlich. Von der ur-menschlichen Grundstimmung aber, die der Philosoph Nietzsche messerscharf beschreibt: „Unheimlich ist das menschliche Dasein und immer noch ohne Sinn“, darf nichts mehr übrig bleiben. Kein Zipfelchen, kein Rest. Es geht im Hier und Heute schließlich um die Massenware Selbstwahrnehmung, es geht um das massenhafte Selbstverständnis, immer aber geht es auch gegen naturwissenschaftliche Kriterien.

Konnte man vor wenigen Jahren noch unbekümmert sprechen, nicht etwa nur als literarische Figur: „Corpus nos veritatem cognoscere docet“ und übersetzten, „der Körper sagt uns die Wahrheit“ (3), so wäre dies in der Betrachtung einer Britta Haßelmann wohl „bodenlos“ und „niederträchtig“. Jedenfalls wäre es irgendwie biologistisch, denn der Aussage scheint der Gedanke vertraut — wir Menschen sind Naturprodukte, unterliegen somit Regeln, sind damit nicht gänzlich frei.

Doch der Mensch ist nun einmal klein oder lang, verfügt über eine robuste oder schwächliche Konstitution, kann Nachwuchs zeugen oder eben auch nicht, besitzt ein starkes oder geschwächtes Immunsystem, ist überhaupt gesund oder kränklich. Vieles unserer Natur entspringt überdies dem biologischen Erbe unserer Vorfahren. Die Natur zieht diese Begrenzungen, der Tod ist irgendwann die endgültige Grenze des Lebendigen.

Nein, der Gedanke an unsere Natur scheint unangenehm und offenbar sogar verwerflich. „Natur ist nur ein Haufen Verschwendung und Grausamkeit, vielleicht nicht aus dem Blickwinkel der Natur, aber vom menschlichen Blickwinkel aus. Das Gesetz der Natur ist Grausamkeit“ (4), so der neue Tenor der Zeitgeistpolitik. Deshalb: Wirklich ist nur noch das, was der Einzelne für wirklich erklärt. Und das lässt sich eben gendern, irgendwie.

Einer fatalen Verkennung wäre der Mensch da aufgesessen, mit dem Märchen von den beiden Geschlechtern tönt es durch den Blätterwald und die bilderzeugenden Medien. „Frau“ und „Mann“ wären eine Schimäre, die Erzeugung einer bestimmten Art ungleichartiger Keimzellen, derer es letztlich kleine Spermien und große Eizellen gibt, ebenso.

Völliger Verblödung ist anheimgefallen, wer bislang annahm, ein Mensch mit einem Penis und Hoden wäre ein Mann. Markus/Tessa Ganserer, Vater zweier Kinder, es sei erinnert, verkündet unumstößlich gewiss: „Ein Penis ist nicht per se ein männliches Sexualorgan.“ Vollständig in die Irre geht auch die einstige Gewissheit, ein Mensch mit Vagina, Eierstöcken und Milch erzeugender Brust wäre eine Frau. Diese Vorstellung ist bestenfalls absurd, wird erklärt und überhaupt verantwortlich gemacht für die die Menschheit bis auf den heutigen Tag ereilenden katastrophalen Entwicklungen.

Der neue Mann — oder: Die falsche Frau

Ist es somit tatsächlich falsch, an dieser Stelle von einer Ideologie zu sprechen und auf den Realitätsverlust zu verweisen? Doch wer den Einwurf wagt, dem kann „ein Possenreißer … zum Verhängnis werden“, lässt sich die Warnung schon bei Nietzsche lesen. Wer möchte sich schließlich dem Vorwurf aussetzen, er nehme die Selbstzuschreibung eines Menschen und somit den Menschen selbst nicht ernst?

Wer eben flugs erklärt, er sei nun eine Frau, wenngleich vielleicht auch nicht für immer, doch ein paar Monate wenigstens, dem hilft dann bei der Karrieregestaltung sogar die Frauenquote. Es braucht dafür keine Frauenkleider, es braucht kein biologisches Verstecken, selbst mit einem Bart könnte man noch punkten — Conchita Wurst etwa machte das deutlich.

Es braucht von Stund an — jedenfalls im Hohen Haus — nur die bekenntnishafte Selbstwahrnehmung: Ich fühle mich ab jetzt als Frau! In ihrem „Frauenstatut“ erklären die Grünen rundheraus: „Von dem Begriff ‚Frauen‘ werden alle erfasst, die sich selbst so definieren.“

Handelte es sich um eine private Angelegenheit, so möchte man „Schwamm drüber“ ausrufen oder den Worten des feministischen Magazins Emma beipflichten: „So weit, so nachvollziehbar — und zum Glück heutzutage auch möglich für einen Menschen, der so fühlt.“

Doch der juristische und physische Mann Markus/Tessa Ganserer ist ein Politikum mit dem Sitz auf dem Frauenquotenplatz. Verwundert zeigt sich laut Emma selbst die feministische Initiative „Geschlecht zählt“ und betont: „Die Grünen haben mit dem Fall Ganserer das Selbstbestimmungsgesetz, das noch im Sommer 2021 im Bundestag abgelehnt wurde, einfach de facto eingeführt“ und kommt nicht umhin zu vermuten:

„Bevölkerung und Medien sollen daran gewöhnt werden, dass die Kategorie Geschlecht in unserem Rechtssystem neu definiert werden soll: Wer Frau und wer Mann ist, soll nicht mehr auf objektiv feststellbaren, körperlich-biologischen Merkmalen beruhen, sondern auf einer ‚Gender-‚ beziehungsweise ‚Geschlechtsidentität‘, die auf einem subjektiven Gefühl beruht, das sich aus Stereotypen und Geschlechterklischees speist“ (5).

Die Frauenfeindlichkeit rot-grün-gelber Politik wird, durch die Möglichkeit zur schlichten männlichen Selbstdeklaration den geschlechtlichen Status beliebig zu ändern, offensichtlich.

Sollte nicht wenigstens noch nach den Konsequenzen gefragt werden, die solches Treiben mit sich bringt? Denn unmittelbaren Zugang erhielt die selbstdeklarierte Frau nun zum Frauensport, zu Frauenhäusern, Frauentoiletten.

Sie fände Eingang in frauenspezifische Statistiken, könnte an Studien wie speziellen Ausschreibungen und Förderprogrammen teilhaben.

Bislang galt die Logik als Basis für Recht und Gesetz und damit den Rechtsstaat. Was aber, wenn mit Logik und Tatsachen nicht länger etwas auszurichten ist und Willkür und Irrationalität die Oberhand gewinnt? Die schwindsuchtartige Ausbreitung erleben wir gerade mustergültig im Hohen Haus, dem Deutschen Bundestag. Vielleicht bedarf es deshalb dringender Erinnerung:

„Ich vermisse diese Zeiten, als man noch um Fakten stritt. Als es noch um Wahr und Falsch, nicht nur um Gut und Böse ging. Als der Klügere noch nicht nachgeben musste. Weil es noch gar keinen Klügeren gab. Es gab den Klugen und den Dummen. Dem Dummen wurde Einhalt geboten, indem man Lexika zur Hand nahm und sie ihm um die Ohren schlug. Der Dumme wurde widerlegt und nicht etwa überzeugt. Weil im Recht zu sein noch mehr als reine Ansichtssache war. Damals bestand die Streitkraft des Zänkers maßgeblich aus seinem Wissen, manchmal sogar aus seinem Verstand, niemals aber aus seinem Gefühl. Der, welcher die Welt nur fühlt, doch weder etwas denkt noch weiß, ist zum Streiten gar nicht fähig“ (6).


Quellen und Anmerkungen:

(1) https://twitter.com/AfDimBundestag/status/1494307736422596612?ref_src=twsrc%5Etfw%7Ctwcamp%5Etweetembed%7Ctwterm%5E1494308840388628480%7Ctwgr%5E%7Ctwcon%5Es3_&ref_url=https%3A%2F%2Fjungefreiheit.de%2Fdebatte%2Finterview%2F2022%2Fvon-storch-ganserer-ist-ein-mann%2F
(2) August Buck, Einleitung, S. XVIII, in: Giovanni Pico della Mirandola, De hominis dignitate, herausgegeben und eingeleitet von August Buck, Hamburg, 1990. Auf die Problematik des Begriffs Natur ist hier nicht näher einzugehen, denn der Begriff, der sich lange Zeit gegen die traditionelle Theologie ins Feld führen ließ, ist selbst durch den naturwissenschaftlichen Fortschritt zerbröselt. Die Details der Lebensprozesse werden molekularbiologisch entschlüsselt. Die Entzifferung des genetischen Codes machen die Lebensgrundlagen bei Mensch, Tier und Pflanzen nicht nur erkennbar, sondern zudem manipulierbar. Auf die Manipulierbarkeit des Erbmaterials setzt nicht zuletzt auch die Impfstoffentwicklung bei Covid-19. Jene Natur aber, die gottgleich mit Macht ausgestattet, sämtliches Leben nach unumstößlichen Gesetzen zu erschaffen und zu lenken, von Philosophen und Dichtern verehrt und bewundert, ist in Auflösung begriffen. Diese Natur ist somit nicht länger Garant für den Glauben an Ordnung und Stabilität, kann somit kein Garant mehr sein für Moralbegründung oder Lebenssinn.
(3) Monika Maron, Stille Zeile sechs, Frankfurt am Main, 2006, S. 66
(4) Alice Munro, Kleine Aussichten, in: Margaret Atwood, Survival, Berlin, München, 2021, S. 50
(5) https://www.emma.de/artikel/markus-ganserer-die-quotenfrau-339185
(6) Lisa Eckhart, Omama, Wien, 2020, S. 373