Falsche Feinde, falsche Freunde
Deutschland sieht in Russland eine Bedrohung und sucht bei den USA Schutz — beides könnte auf einer fundamentalen Fehleinschätzung beruhen.
Deutschland hat in der Vergangenheit mehrfach Russland angegriffen, nicht umgekehrt. Die circa 27 Millionen russischen Toten (1) im Zweiten Weltkrieg sind in Russland nicht vergessen. Es ist verständlich, dass viele Russen Angst vor den Deutschen haben. Die osteuropäischen Staaten dürfen historisch begründete Ängste haben — so argumentieren Politiker, insbesondere auf EU-Ebene. Darf das Russland nicht?
Noch kenne ich kaum Sanktionen der russischen Regierung gegen deutsche Unternehmen oder die Enteignung von deutschem Eigentum seitens Russlands Regierung. Es sind die EU und die deutsche Regierung, die in der Zwischenzeit das dreizehnte Sanktionspaket beschlossen haben (2) und sowohl den russischen Staat als auch einzelne russische Bürger enteigneten.
Ich kenne keine Pläne für die Stationierung von russischen Soldaten an der deutschen Grenze. Es wird nicht mit russischen Waffen auf deutsche Soldaten geschossen. Es wird geplant, deutsche Soldaten an der russischen Grenze zu stationieren, (3) es wird mit deutschen Waffen auf russische Soldaten geschossen (4) und die Bundeswehrführung diskutiert die Zerstörung russischer Infrastruktur. (5,6)
Ich kenne keine Äußerungen von russischen Politikern, die zu einem Krieg gegen Deutschland aufrufen. Es sind deutsche Politiker, die Sätze von sich geben wie „Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland“ (7) oder „Der Krieg muss nach Russland getragen werden“. (8)
Viele Deutsche haben offensichtlich Angst davor, von den Russen angegriffen zu werden. Sie sehen es als wahrscheinlich an, dass Russland Deutschland angreift: Die Russen sind aus der Sicht vieler Deutsche gefährlich. Aber diese vielen Deutschen denken weniger an die Ängste der Russen und haben keine Angst, dass dieselben Russen im Falle einer erneuten deutschen Attacke auf Russland eine Atombombe auf Deutschland abwerfen.
Viele Deutsche vertrauen auf Schutz aus den USA. Werden die Amerikaner jedoch im Ernstfall die Deutschen deutlich stärker verteidigen, als sie zum Beispiel Afghanistan und die Ukraine verteidigt haben, auch wenn das dann einen Atombomben-Angriff auf die USA bewirken würde?
Und ist die Antwort auf diese Frage wirklich so klar, dass es russische Entscheidungsträger auf jeden Fall davon abhalten wird, eine Atombombe auf Deutschland zu werfen?
Anders als von vielen Deutschen angenommen gibt es im Fall eines Angriffs auf einen NATO-Staat laut NATO Statut @§5 keine automatische Beistandsverpflichtung. Daran hat Anfang Februar 2024 einer der Kandidaten auf die Präsidentschaft der USA erinnert (9).
John F. Kennedys Lehre aus der Cuba-Krise war (10): „Vor allem müssen Atommächte, bei steter Verteidigung der eigenen Lebensinteressen, solche Konfrontationen vermeiden, die einem Gegner nur die Wahl eines demütigenden Rückzugs oder eines Atomkriegs lassen.“ Man darf eine Atommacht nicht in die Enge treiben. Was würde es genau für Deutschland bedeuten, wenn das Land Russland angreift?
Wenn sich die Europäer an dem Krieg in der Ukraine beteiligen und es gar dazu bringen könnten, dass die Russen dabei wären zu verlieren: Werden sich die Russen dann entschuldigen, abziehen und uns in Ruhe lassen?
Nach 1945 hat sich Deutschland 50 Jahre lang friedlich verhalten. Seitdem hat sich die Bundeswehr jedoch an den Kriegen gegen Serbien, Afghanistan und Syrien beteiligt. Diese Länder wurden zerstört und aus diesen Ländern hat keine Armee Deutschland angegriffen. Nun drängt sich aber die Frage auf, die unter anderem Daniele Ganser aufwirft (11): Lässt das den Schluss zu, dass bei einem Angriff der Bundeswehr auf ein Gebiet, das Russland als Teil seines Territoriums ansieht, die russische Armee nicht zurückschießen wird?
An dieser Stelle möchte ich Bernhard Strauss zitieren: „Es ist hier nicht meine Absicht, Verhaltensweisen der russischen Seite zu rechtfertigen, sondern vielmehr, mit Nachdruck darauf hinzuweisen, dass es jedenfalls ein elementares Erfordernis darstellt, zunächst das Verhalten aller Akteure möglichst objektiv zu beurteilen, wenn man ehrlich daran interessiert ist, dazu beizutragen, dass eine Lösung gefunden wird, durch die der Konflikt gerecht und dauerhaft beendet wird.“ (12)
Kriege haben in der Regel mehr als nur eine Ursache, aber aktuell haben Wirtschaftsinteressen großen Einfluss auf politische Entscheidungen. Welche amerikanischen Wirtschaftsinteressen mit dem aktuellen Krieg in der Ukraine zusammenhängen und zwar weit über das Thema Fracking-Gas hinaus, hat Robert Kennedy Jr. sehr prägnant dargelegt (13). Zu den wesentlichen Aspekten gehören:
- Für die russische Regierung ist die Einbindung der Ukraine in die NATO nicht verhandelbar. Wäre auf diese NATO-Mitgliedschaft verzichtet worden, hätte der Krieg vermieden werden können. Als Konsequenz des Kriegs sind die Länder Schweden und Finnland der NATO beigetreten.
- Jedes Mal, wenn ein neues Land der NATO beitritt, muss es seine Waffensysteme an die technischen Spezifikationen der NATO anpassen. Das bedeutet Umsatz und Gewinne insbesondere für die amerikanischen Unternehmen Boeing, Raytheon, General Dynamics, Northrop Grumman und Lockheed Martin. Auch das Geld, das die USA der Ukraine leiht, wird in erster Linie dafür verwendet, Waffen von diesen Unternehmen zu beziehen.
- Geld fließt von der amerikanischen zur ukrainischen Regierung als Kredit. Niemand rechnet mit einer Rückzahlung der Kredite der USA an die Ukraine, aber dadurch wird die „Unterstützung“ an bestimmte Bedingungen geknüpft. Zu diesen Bedingungen gehören unter anderem die Privatisierung der ukrainischen Infrastruktur und des landwirtschaftlichen Bodens. Die amerikanischen Unternehmen Dupont, Cargill und Monsanto haben bereits 30 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche der Ukraine erworben.
- Die amerikanische Firma BlackRock, der größte Vermögensverwalter der Welt, mit dem die EU große Beratungsverträge abgeschlossen hat, ist einer der Haupteigentümer der oben genannten Rüstungs- und Landwirtschaftsunternehmen sowie von Fracking-Gas-Produzenten (14). Volodymyr Selenskyj hat auch bereits Ende 2022 Verträge über den Wiederaufbau der Ukraine mit dem Unternehmen BlackRock unterschrieben.
Will Deutschland nun auch amerikanische Kredite, um mit amerikanischen Waffen für einen Krieg gegen Russland aufzurüsten?