Everyday for Future
Die Schülerstreiks für Klimaschutz müssen über den Status von freitäglichen Wohlfühl-Demos hinauswachsen.
Seit mehreren Wochen sind freitags die Schulbänke leer und die Innenstädte voll. In Europas Städten – seit Dezember 2018 auch in Deutschland – gehen Schüler und Studenten statt zur Schule und zur Uni auf die Straße, um gegen den Klimawandel zu protestieren. Die Initialzündung ging von der damals fünfzehnjährigen Schwedin Greta Thunberg aus, deren Reden im Netz mittlerweile millionenfach geklickt wurden. Doch wie glaubwürdig und konsequent ist diese Bewegung? Was nehmen die jungen Demoteilnehmer mit nach Hause? Welche Konsequenzen ziehen sie? Was ändern sie in ihrem Leben? Oder erschöpft sich der Protest schlicht darin, von „denen da oben“ etwas zu fordern?
Es wirkt fast so, als würde sich Dirk C. Flecks Öko-Thriller-Trilogie „Maeva“ bewahrheiten. Nur dass die Ökologie, die Ikone des Bewusstseinswandels, nicht in Gestalt einer von mystischer Aura umgebenen jungen Tahitianerin daherkommt, sondern in Gestalt einer jungen Teenagerin aus Schweden. Sie ignorierte im vergangenen Sommer nicht – im Gegensatz zur breiten Masse – die unverkennbaren Zeichen des Klimawandels in Form von Hitze und Dürre – einem „Jahrhundertsommer“. So begann sie am ersten Schultag in Schweden, Ende August, sich vor den Reichstag zu setzen, um gegen den Klimawandel zu protestieren. Schnell fand sie landesweit Nachahmer, sehr rasch auch in den Nachbarländern.
Bis die Schülerbewegung in Deutschland aufschlug, sollte noch einige Zeit vergehen. Erst kurz vor Weihnachten – also lange nach den dramatischen Auswirkungen der Hitze und Dürre – kam es bei uns zu den ersten „Friday for Future“-Demonstrationen. Und bis heute demonstrieren Schüler und Studenten Freitag für Freitag gegen die Zerstörung der „Umwelt“. (Anmerkung d.A.: Der Begriff „Umwelt“ wird in Anführungsstriche gesetzt, da er irreführend ist und impliziert, die Natur sei etwas, das uns umgibt, statt etwas, mit dem wir stets verbunden sind. Richtigerweise müssten wir von einer Mitwelt sprechen.) Die Bewegung hat das, was Menschen andernorts aufgrund von hoher Luftverschmutzung nicht mehr haben: einen langen Atem!
Die Grundsätze dieser Bewegung treffen den Nagel auf den Kopf. Sie hinterfragt beispielsweise: Was hat es für einen Sinn, irrsinnige Mengen an Schulstoff auswendig zu lernen, um sich für eine Zukunft zu qualifizieren – eine Zukunft, die so gar nicht mehr eintreten kann, wenn wir die Erde weiterhin als ein auszubeutendes Rohstofflager betrachten und nicht als einen lebendigen Organismus, mit dem es im Einklang zu leben gilt. Es formiert sich ein Widerstand in den Bankreihen und ein Widerwille dagegen, permanent bewertet zu werden. Die Schüler drehen den Tafelstab um und stellen den Politikern nun ein Klimazeugnis aus.
Zweifel und Kritik
Natürlich ließ der Gegenwind nicht lange auf sich warten. Dieser kam aber keinesfalls von Windrädern, die im Zuge der Proteste errichtet wurden, sondern aus den Reihen konservativer Parteien. Schließlich geht es um viel Kohle. Im doppelten Sinne.
So kritisierte beispielsweise der Ministerpräsident von NRW, Armin Laschet (CDU), der nach eigener Aussage in seiner Jugend nie demonstrieren ging, dass die Jugendlichen doch bitte in ihrer Freizeit demonstrieren sollten. So könnten sie zeigen, dass sie auch bereit seien, ein persönliches Opfer zu bringen. Dass die Schüler durch Demonstrationen während der Schulzeit kein Opfer bringen würden, ist natürlich Unfug: Die Schule zu schwänzen kann – auch wenn es im Kollektiv geschieht – weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen.
Schulverweise, Repressionen durch Lehrkräfte, heftige Konflikte mit den Eltern und so weiter. Ferner dürften die durch den Friday for Future ausgefallenen Lehrstunden – vor dem Hintergrund derjenigen, die durch Lehrermangel verursacht wurden – nicht sonderlich stark ins Gewicht fallen. Ein schwaches Argument also!
Aber was macht man in der heutigen Politik, wenn einem etwas nicht in den Kram passt – seien es Wahlergebnisse, zweckentfremdete Warnwesten oder aufmüpfige Schüler? Na, man schiebt es einfach dem Russen in die Schuhe. Wie, was? Der Kreml bringt deutsche Schüler dazu, die Schule zu schwänzen? Wenn man Angela Merkel fragt, ist das wohl nicht unplausibel, wie sie indirekt am vergangen Samstag auf der Münchner Sicherheitskonferenz verlautbarte: Nachdem sie Russland „hybride Kriegsführung“ durch Internetkampagnen vorgeworfen hatte, wunderte sie sich im Anschluss drüber, dass plötzlich massenhaft junge Leute von der Sorge um die Umwelt umgetrieben werden. Dass das „nach Jahren ohne sozusagen jeden äußeren Einfluss“ nun der Fall sei – „das kann man sich auch nicht vorstellen“, so die Kanzlerin.
Zwar hätte Russland wohl nichts dagegen, wenn seine westlichen Nachbarn ihre Umwelt-Schutzpolitik grundlegend verbessern würden; schließlich stehen bereits Monsanto und Co. mit ihrer genmanipulierten Nahrung beim flächenmäßig größten Land der Welt vor verschlossenen Türen. Aber dass russische Hacker deutsche und andere europäische Schüler dazu motivieren, gegen den Klimawandel auf die Straße zu gehen? Echt jetzt? Wie sollen die das denn konkret anstellen? Mir fällt nicht einmal ein albernes Beispiel ein, um die Lächerlichkeit dieser „Verschwörungstheorie“ zu unterstreichen.
Doch trotz ihres absurden Kerns schwingt bei der Kritik Merkels und Laschets ein Funken Wahrheit mit. Laschet spricht an, was die Schüler in ihrer Freizeit nicht tun. Und dieser Punkt ist berechtigt. Zwar muss die Demo während der Schulzeit stattfinden, ansonsten verpufft der Protest wirkungslos, denn am Wochenende würde er niemandem „wehtun“. Trotzdem stellt sich die wichtige Frage, was die Teilnehmer nach der Demo machen. Was ändern sie in ihrem Leben zwischen Samstagmorgen und Donnerstagabend? Leben sie dann so wie zuvor? Oder nehmen sie in ihrem Konsumverhalten tatsächliche Änderungen vor?
Fairerweise muss man dazu sagen, dass der Handlungsspielraum von Schülern, die noch bei ihren Eltern leben, sehr eingeschränkt ist. Schließlich entscheiden dann die Eltern aufgrund der Tatsache, dass sie das Geld nach Hause bringen, wofür dieses ausgegeben wird.
Auch Merkels Kritik ist abzüglich der nicht mehr ernst zu nehmenden Russland-Verdächtigung bis zu einem gewissen Grad berechtigt. Warum brennen Schüler in Deutschland erst jetzt für den Klimawandel? Im vergangenen Sommer brannte die Erde mehr als genug. Daraus hätte sich schlagartig ein Handlungsdrang entwickeln können. Doch stattdessen etablierte sich der Friday for Future erst im kalten Dezember. Das neue Schuljahr begann in allen Bundesländern Deutschlands spätestens Mitte September. Warum interessierte sich im Oktober niemand für das Thema? Dort spürte man noch die Nachbeben des Hitzesommers. Außerdem fand in diesem Monat der Kampf um den Hambacher Forst statt. Wo war der Friday for Future im November?
Die Tatsache, dass dieser Bewegung erst ein Internet-Hype vorangehen musste, zeigt, dass hier (noch) kein tiefer Bewusstseinswandel stattgefunden hat und wir derzeit auch noch lange von diesem entfernt sind.
Natürlich dürfen die Demoteilnehmer nicht als homogener Block betrachtet werden. So mag es durchaus diejenigen geben, die schon immer für den Umwelt-Schutz brannten und die nun dankbar aufatmen, dass dieses existenzielle Thema eine breite Aufmerksamkeit erfährt. Dann mag es diejenigen geben, die in dem Friday for Future schlicht ein vorgezogenes Wochenende sehen, nach dem Motto: „Ein Tag weniger Schule! Geil!“ Und neben vielen anderen Motiven dürfte ein großer Bruchteil dieser Bewegung aus denen bestehen, die prinzipiell für Umweltschutz sind, aber bisher nicht bewusst dafür einstanden.
Prinzipiell für Umweltschutz und bewusst für Umweltschutz zu sein, ist ein riesengroßer Unterschied!
Prinzipiell für den Schutz der Umwelt zu sein bedeutet, dass man bei der Frage um die Wichtigkeit des Umweltschutzes d'accord ist, aber keine weiteren Ambitionen hat, diese Einstellung auch in konkreten Taten umzusetzen. Ich spreche aus Erfahrung, da ich früher selbst so tickte. Bewusst für den Umweltschutz zu sein bedeutet dagegen, konkrete Maßnahmen zu treffen und diese auch im Alltag umzusetzen. Beispielsweise kein Fleisch mehr zu essen, keine Flugreisen anzutreten, keine Take-Away-Produkte zu nutzen, sein Geld auf eine Öko-Bank zu bringen und tagtäglich, mit eiserner Disziplin, Minimal-Waste zu praktizieren.
Die Demonstration
Nun schreibe ich über diese Bewegung nicht aus dem Elfenbeinturm meines Schreibtisches. Selbstverständlich bin ich selbst einmal dabei gewesen. Mir bot sich teilweise ein etwas bizarres Bild. Ich sah riesige Banner mit der Aufschrift „FCK AFD“. Unabhängig davon, wie man zu dieser Partei steht – was hat ein solches Banner auf einer Demo für Umweltschutz zu suchen? Ist das nicht eine ziemliche Themenverfehlung? Und überall sah ich Schüler in Kleidung der neuesten Mode-Linien. Ob das alles Fair-Trade ist? Etwas am Rande der Demo standen zwei Typen. Einer hielt ein Pappschild mit der Aufschrift „Change the system, not the climate!“ hoch. Sein Nachbar hielt indes einen Coffe2Go-Becher in der Hand. Ein Orwell’scher Anblick!
Um mich herum tönten die Rufe: „Stoppt den Klimawandel!“ Aber wer war damit eigentlich gemeint? „Die da oben“? Andere Schilder trugen die Aufschrift: „Wir bleiben hier, bis ihr handelt!“ Sehr interessant! Den Klimawandel stoppen oder endlich handeln sollen andere. Warum lautet dort der Tenor nicht: „Stoppen WIR den Klimawandel!“? Die Frage lässt sich natürlich schnell beantworten: CEOs großer Konzerne oder Präsidenten haben (theoretisch) eine viel größere Macht als ein Achtklässler der Realschule in Osnabrück.
Aber genau hier liegt ein grundlegender Fehler. Man blickt immerzu nach oben. Nach oben zu blicken, ist dann legitim, wenn man mit Sorgen die vielen Flugzeuge am Himmel beobachtet. Wenn es jedoch darum geht, einen echten Wandel herbeizuführen, dann sollte sich der Blick nach vorne, nach links, nach rechts und vielleicht auch nach hinten richten. Zu den potenziellen Verbündeten. So warten alle darauf, dass „die da oben“ was machen. Ob nun die „Bösen“, also Konzern- oder Staatschefs, oder die Guten wie Greta. Die sollen was machen und wir applaudieren oder kritisieren, was da von oben runterkommt.
So begnügten sich – so schien es mir – einige auf dem Friday for Future damit, Forderungen zu brüllen, zu posen und sich in Selfies zu verewigen. Prof. Mausfeld würde nun wahrscheinlich von einer geschickten Kanalisierung der Veränderungsenergie sprechen. Die jungen Menschen toben sich aus und gehen dann gut gelaunt ins Wochenende. Fertig!
Friday for Future muss pragmatisch werden!
Dieser Artikel soll sich aber nicht in die empörten Ausrufe aus den Riegen der Konservativen und der Industrie einreihen und auch keine Miesepeter-Schrift sein, sondern eine konstruktive Kritik. Welche effektiven Aktionen können die Schülerinnen und Schüler also starten? Hier ein paar Vorschläge:
- Schülersprecher/innen könnten einfach mal ganz frech im Namen der Schule eine Anfrage an einen Solaranlagen-Hersteller schicken, um sich zu erkundigen, was es denn kosten würde, eine Solaranlage auf dem Dach der Schule zu montieren, um die Schule von umweltschädigender Energiegewinnung unabhängig zu machen. Der „Solar-Papst“ Franz Alt wird nicht müde zu betonen, dass die Sonne keine Rechnung schickt. Vielleicht wäre durch diese Ersparnis dann sogar genug Geld da, um genug Lehrer einzustellen.
- Im weiteren Schritt müsste das Büro des Rektors belagert und dieser genötigt werden, diese Investition oder andere ökologisch sinnvolle Projekte durchzusetzen.
- Konsequenterweise müsste dann auch der medial hoch gepriesenen „Digitalisierung der Schulen“ eine klare Absage erteilt werden. Nicht nur, weil diese Digitalisierung das körperliche und seelische Wohl der Kinder ruiniert. Die Infrastruktur des Internets verschlingt eine unvorstellbare Menge an Strom! Sie gehört für eine lebenswerte Zukunft drastisch reduziert. Schülersprecher/innen müssten sich ganz klar gegen eine Digitalisierung der Schulen aussprechen.
- Die Schüler können sich dafür einsetzen, dass die Schulkantinen – so es denn welche gibt – „minimal waste“ betreiben und Fleisch radikal von der Speisekarte streichen. Die E-Mails der Eltern, die sich darüber echauffieren, können getrost mit Schockbildern und Videos aus Schlachthäusern beantwortet werden.
- Die Schüler könnten die Einführung eines neuen Schulfaches fordern: Nachhaltigkeitskunde! In ihrer massiven Überzahl sitzen die Schüler definitiv am Machthebel. Und so wie sie den Politikern ein Klimazeugnis ausstellen, so können sie auch einen Einfluss auf den Unterrichtsstoff nehmen und Themen fordern, die für die Zukunft wirklich von Relevanz sind.
- Warum finden die Demonstrationen immer in den Innenstädten statt? Der Aufmerksamkeit wegen? Die hat man doch mittlerweile schon! Wie wäre es denn, die Demo mal ganz wo anders abzuhalten? Immer der gleiche Ort ist doch langweilig. Man könnte doch mal den Umweltsündern einen Besuch abstatten, sofern diese sich in den jeweiligen Städten niedergelassen haben. Beispielsweise Fabriken oder Zentralen von großen Supermärkten, um gegen den Plastikverpackungswahn zu demonstrieren.
- Wie oben bereits beschrieben, ist der Handlungsrahmen der Schüler – durch das „Hotel Mama“ bedingt – meist relativ eingeschränkt. Wie wäre es denn, die Eltern in die Demonstration mal mit einzubinden – gerade wenn die Tage wieder länger werden? Das stärkt den angeschlagenen Familienzusammenhalt. Zusammen kann man überlegen, wie man gemeinsam als Familie den Haushalt nachhaltiger gestaltet. So zum Beispiel, indem man bewusst lokale Landwirte unterstützt. Aber auch dergestalt, dass man massiv versucht, Plastik zu reduzieren und so gut es geht, nur noch in verpackungsfreien Läden einkauft, die es mittlerweile in jeder Großstadt gibt. Wenn man sich einmal darauf einlässt und den heilenden Kräften des Marktes Glauben schenkt, würde die steigende Nachfrage nach unverpackten Lebensmitteln das Angebot automatisch steigern, so dass es irgendwann immer mehr Unverpackt-Läden geben wird. Wenn der Markt erkennt, dass sich mit diesem Geschäftsmodell Reibach machen lässt, werden mehr und mehr Anbieter auf den Markt strömen und solche Läden eröffnen. Vielleicht etabliert sich mit der Zeit sogar eine Unverpackt-Franchise-Kette. Die großen Supermärkte wie REWE oder Edeka würden die Zeichen der Zeit erkennen, ebenfalls auf diesen Zug aufspringen und nach und nach ihr Sortiment unverpackt anbieten.
Wohin die Reise in diese ungewisse Zukunft geht, kann man nicht mit Sicherheit sagen. Vielleicht wird die Bewegung dafür sorgen, dass die Klassenzimmer an zukünftigen Freitagen noch für eine lange Zeit verlassene Orte bleiben werden. Vielleicht ebbt diese Bewegung mit dem anstehenden Abi-Stress wieder ab und gerät dann beim Abi-Ball vollkommen in Vergessenheit. Vielleicht ist der Friday for Future auch ein Aufhänger für jene, die bisher für das Thema nicht sensibilisiert waren, dadurch aber „getriggert“ wurden und mit dieser Initialzündung in diese Richtung etwas ganz Eigenes starten.
Das Projekt Friday for Future vermochte es vielleicht bisher, mit seinem Lärm und seinem Toben ein Zeichen zu setzen. Aber Zeichen kann man eben nur setzen, mit der Betonung auf „setzen“. Konkrete Taten muss man begehen, mit der Betonung auf „gehen“. Oder, um das Ganze mit einer tibetanischen Weisheit zu beenden:
„Ein Baum, der fällt, macht mehr Krach als ein Wald, der wächst.“