Eva meets Lilith
Damit erfüllende, gleichberechtigte Beziehungen entstehen können, müssen die verschiedenen Aspekte des Weiblichen zusammenwirken. Exklusivauszug aus „Die wilde Göttin“.
In den Vorstellungen der meisten Menschen gehört etwas zu einer Liebesbeziehung dazu, was uns immer wieder daran hindert, ehrlich zu sein: Eifersucht. Wir halten sie für normal. Wohl jeder kennt sie. Wird nicht daran sichtbar, wie viel wir einander bedeuten? Tatsächlich ist Eifersucht das, was ihr Name besagt: eine Krankheit. Wir glauben, den anderen besitzen zu können. Jeder, der sich für unseren vermeintlichen Besitz interessiert, wird als Rivale oder sogar als Feind angesehen. So ist es unmöglich, aufgrund der bestehenden Beziehungsmuster zusammenzufinden. Es braucht die entschlossene Kraft einer Lilith, auf Eva zuzugehen, um gemeinsam zu Adam zu gehen und eine neue Art von Beziehung zu erfinden. Exklusivauszug aus „Die wilde Göttin. Der Lilith-Mythos als Weg der Versöhnung zwischen Mann und Frau“.
Wie die Vertreibung aus dem Paradies wurde auch der bedeutendste Krieg in der antiken Mythologie durch einen Apfel ausgelöst. Der junge Prinz Paris sollte das Urteil fällen, welche der drei Göttinnen die Schönste sei: Hera, Athene oder Aphrodite. Hera verspricht ihm die Herrschaft über die ganze Welt, Athene Heldenmut und Aphrodite die Liebe zur schönsten Frau der Welt. Zu jener Zeit war das die schöne Helena. Die jedoch war bereits mit Menelaos verheiratet, dem mächtigen König von Sparta.
Ihr Raub soll der Auslöser für den Trojanischen Krieg gewesen sein, der zu einer zehnjährigen Belagerung der Stadt Troja führte. Nur durch eine List der Griechen wurde die Stadt schließlich besiegt. Der Grund des Krieges war ein Mann gewesen, der seine Frau als sein Privateigentum betrachtete. Es kümmerte ihn nicht, dass sie einen anderen wollte. Sie gehörte ihm. Niemand anderes sollte sie besitzen. Es war die Eifersucht eines einzigen Mannes, die eine ganze Stadt in die Vernichtung trieb und auf beiden Seiten unzählige Opfer forderte.
Wohl jeder kennt die Eifersucht. Für die meisten Menschen gehört sie zur Liebe dazu. Ist nicht daran zu ermessen, wie viel wir einander bedeuten? Zeigt nicht das Maß der Eifersucht auch das Maß der Liebe? Der Begriff kommt aus dem Althochdeutschen und bedeutet so etwas wie bittere Krankheit. Sie bezeichnet die Besorgnis über einen Mangel an Besitz oder Sicherheit, die Unsicherheit, nicht genug Zuneigung, Anerkennung, Aufmerksamkeit, Respekt oder Liebe zu bekommen. Durch den — vermeintlichen — Mangel an Zuneigung können Verlustängste entstehen und Minderwertigkeitsgefühle ausgelöst werden. Anders als beim eifersüchtigen Kind, das sich schnell wieder beruhigt, wenn es Zuwendung erfährt, verlangt ein eifersüchtiger Partner oft nach einer uneingeschränkten und ausschließlich ihm geltenden Aufmerksamkeit. Wird diese Sucht nicht erfüllt, kann die Wut darüber so weit gehen, dass einstige Geliebte zu Feinden werden.
Eifersucht ist wie ein unersättlicher Hunger. Der andere soll mir etwas geben: Anerkennung, Liebe, Respekt, Zärtlichkeit, Sicherheit, Bestätigung — und wenn das nicht ist, dann bleibt am Schluss immer noch der Hass, um die Verbindung aufrechtzuerhalten.
Sei mein! lautet der Schlachtruf der Bedürftigen. Bleib bei mir, bis dass der Tod uns scheidet. Immer wieder tauchen Schlagzeilen auf, in denen mehrheitlich Männer Frauen töten, die sie verlassen haben. Unzählige Beziehungskriege sind seit Troja geführt worden, die einen oder beide Partner das Leben kosten. Rosenkriege werden geführt, Reifen zerstochen, Haustiere entführt, Kinder als Geiseln genommen und Existenzen ruiniert, um es einem Partner heimzuzahlen, der es gewagt hat, nicht die eigene Bedürftigkeit zu bedienen.
Frauen und Männer sind gleichermaßen betroffen, wenn es darum geht, andere durch Kälte, Abweisung, Schmollen, Bestechung, Drohungen, Schuldzuweisungen oder Erniedrigungen dazu zu bringen, sich entsprechend der eigenen Erwartungen zu verhalten. „Aus Liebe“ fesseln wir den anderen an uns. „Aus Liebe“ lügen wir. „Aus Liebe“ fauchen wir jeden an, der das Interesse des Partners erwecken könnte. Doch Eifersucht ist kein Ausdruck von Liebe. Sie ist eine Sucht. Eifersucht ist eine Krankheit, die zu einer regelrechten Seuche geworden ist. So stark hat sie sich in unserer Gesellschaft verbreitet, dass wir sie für normal halten. Sie ist überall. Kaum eine Liebesgeschichte, die ohne sie auskommt. Ganz fest wollen wir unser Glück halten. Niemand anderes soll es bekommen. Auch hier: Es darf nur einen geben. Einen Partner, der nur uns gehört.
Doch in den allermeisten Fällen hält das Glück nicht lange an. Wohl die meisten Paare sind vor allem aus Gewohnheit zusammen, wegen der Kinder, des Geldes, des Hauses, des Autos oder des Hundes oder weil sie Angst davor haben, allein zu sein. In Deutschland wird eine von drei Ehen wieder geschieden. Der häufigste Scheidungsgrund ist Untreue. Einer der beiden Partner ist „fremdgegangen“ und hat den anderen „betrogen“. Oft reicht ein Flirt, um ein Drama heraufzubeschwören. Fast erscheint es wie ein Verbrechen, dass sich der „eigene Mann“, die „eigene Frau“ auch für andere interessieren kann.
Was für ein Affront! So stand es nicht im Kaufvertrag! Man hat sich doch ewige Treue geschworen! Treue, das bedeutet, jede Eva zu meiden und auch nicht im Traum an eine wie Lilith zu denken. Jeder Typ, der sich nähert, wird misstrauisch beäugt. Manchen ist schon das freundliche Wechseln von Blicken verboten und erst recht das interessierte Gespräch. Kommt es gar zu einer Berührung, ist der Gipfel erreicht. Und wenn es dann auch noch zur Sache geht, dann ist der Teufel los. Oft ist das Vertrauen so sehr zerstört, dass nur noch die Trennung infrage kommt.
Deshalb machen es die meisten heimlich. Wir lügen einander an. Wir sagen nicht, dass wir einen anderen Menschen attraktiv finden, und tun so, als seien wir immun. Doch die meisten sind es nicht. Wer wäre nicht nach einer langjährigen Beziehung empfänglich dafür, etwas Neues zu erleben?
Spätestens nach ein paar Jahren ist die große Verliebtheit vorbei. Eine gewisse Routine ist eingetreten. Das Bedürfnis nach Sicherheit ist gestillt, und das Bedürfnis nach neuen Erfahrungen pocht an die Tür. Aus Angst, die Sicherheit zu verlieren, werden viele zu wahren Akrobaten. Lügen, Intrigen, Verdrehungen, Heimlichkeiten bis hin zu Doppelleben sollen den Partner in der Annahme wiegen, wir interessieren uns auch nach der Silberhochzeit allein für ihn.
Lilith steht für ein anderes Beziehungsmodell. Zu ihrer Zeit klammerten sich Frauen und Männer nicht aneinander, sondern liebten frei. Niemand gehörte einem anderen. Es gab keinen Besitz, den man hortete, kein Privateigentum, keine verpflichtende Partnerschaft, keinen Zwang, zusammenzubleiben. Es gab keinen Ernährer der Familie. Der Clan wurde im Mutterhaus versorgt. Die biologische Vaterschaft war ohne Bedeutung. Es war die Gemeinschaft, die sich um das Aufziehen der Kinder kümmerte. Es gab keine alleinerziehenden Mütter, keine prügelnden Väter, keine traumatisierten Kinder. Die Fürsorge stand im Zentrum der Gemeinschaft. Was einer hatte, wurde mit den anderen geteilt.
Frauen hatten keine Ehemänner, sondern Liebhaber. Von denen, die um sie warben, suchten sie sich die aus, die sie wollten, und genossen, wie alle Säugetierweibchen, ihre natürlichen Rechte: das Recht, frei einen Gefährten zu wählen, die Umstände der Vereinigung zu bestimmen, ihr eigenes Nest oder Revier zu besetzen und alle Männchen zurückzuweisen, solange sie mit der Aufzucht der Jungen ausgelastet sind.
Die Frauen mussten sich nicht zwischen einem Versorger und einem Liebhaber entscheiden. Sie hatten beides. Die Menschen waren frei zu lieben, wen sie wollten und so lange sie es wollten. Sie taten es nicht heimlich, sondern offen. Denn sie hatten nichts zu befürchten.
Fast klingt es zu schön, um wahr zu sein. Soll es wirklich eine Zeit gegeben haben, in der die Liebe frei war? In der Treue nicht bedeutete, ein Leben lang an denselben Mitbewohner, denselben Sexualpartner gebunden zu sein, sondern ehrlich miteinander umzugehen, verbunden durch mehr als den exklusiven Koitus? Könnte es das geben, Beziehungen ohne Eifersucht, ohne Besitzdenken, ohne Gewalt, ohne Angst, jemanden zu verlieren, weil niemand einen anderen „haben“ will? Sind Menschen zu so etwas in der Lage? Könnten wir uns das vorstellen, wenn es nicht so wäre? Hätten wir Sehnsucht danach? Gäbe es den Lilith-Mythos, wenn es nicht eine Zeit der freien Liebe gegeben hätte? Gäbe es die Geschichte von Kain und Abel, wenn es schon immer Eifersucht gegeben hätte? Was macht diese Geschichten so interessant, wenn nicht die Tatsache, dass sie etwas damals Neues erzählen?
Letztlich jedoch ist es unerheblich, ob es einmal eine Zeit der Liebe ohne Eifersucht gegeben hat. Entscheidend ist, wovon wir träumen und wonach wir uns sehnen.
Was wünschen wir uns, wenn wir ganz ehrlich sind? Was täten wir, wenn wir keine Angst hätten, andere zu verletzen, zu verlieren oder selber verurteilt zu werden? Wenn jetzt Lilith vorbeikäme und uns sagte, eine Liebe frei von Eifersucht, frei von Angst und frei von Gewalt sei möglich — wie verhielten wir uns? Würden wir die Tür schließen und sagen, wir brauchen nichts? Oder würden wir sie auf einen Kaffee hereinbitten? Sind wir so zufrieden mit unserem Leben, oder gäbe es da noch das eine oder das andere, was wir gerne verändern würden, wenn wir die Möglichkeit dazu hätten?
Die Rivalität überwinden
Der Gedanke, dass Lilith und Eva sich zusammenschließen, ist nicht neu. Er wurde bereits künstlerisch in Kurzfilmen, Kurzgeschichten und Theaterstücken umgesetzt (1). Die Idee hat es in sich. Was würde geschehen, wenn diese beiden die Eifersucht überwinden würden, wenn sie keine Konkurrentinnen mehr wären, sondern Freundinnen? Welche Kraft würde freigesetzt, wenn die Zaghafte und die Draufgängerische zusammen gingen, die Ungezähmte und die Folgsame, die Einzelgängerin und die Mutter, die Frau und die Geliebte, die Hure und die Heilige? Welches Feuer würde entstehen, wenn die Gegensätze sich nicht mehr gegenseitig zunichtemachen, sondern befruchten? Was würde geschehen, wenn wir uns nicht mehr an gemeinsamen Feindbildern abarbeiten, sondern gemeinsame Sache machen? Was wäre, wenn die Frauen sich in einer neuen Art von Sisterhood zusammenschließen würden, um gemeinsam zu Adam zu gehen?
Es hat in den Frauenbewegungen der vergangenen Jahrhunderte immer auch etliche Männer gegeben, die sich für die Rechte der Frauen engagierten. Viele jedoch haben sich wieder abgewendet, weil Männer von Teilen der Frauenbewegung verhöhnt, gedemütigt und beleidigt wurden.
Die Erniedrigung gipfelt heute im Diskriminieren einer besonderen Spezies: dem alten weißen Mann. Er soll für die Übel auf der Welt verantwortlich sein und wird entsprechend beschämt und beschuldigt. Alte weiße Männer gelten als Gerontokraten, Rassisten und Sexisten, die die Gleichberechtigung der von ihnen Diskriminierten behindern. Am besten sollten sie, so fordern es Stimmen aus der Frauenbewegung, aus dem Weg geschafft werden.
Tatsächlich sind es ein paar alte weiße Männer, bei denen die Fäden der Macht zusammenlaufen und die nun das Recht erhalten, sich ebenfalls diskriminiert zu fühlen. Alle anderen treibt die Schmähbewegung noch weiter von den Frauen weg. Hier braucht es die vereinte Kraft von Lilith und Eva, um die Spaltung der Geschlechter zu überwinden. Es braucht eine Bewegung, die sich nicht an Feindbildern orientiert, sondern die Verbindungen zwischen allen Beteiligten schafft.
Es ist leicht, sich über die Gegenseite zu echauffieren und gegen einen gemeinsamen Feind zu protestieren. Wir beziehen unsere Genugtuung daraus, über die andere Seite herzuziehen und uns selbst auf der richtigen Seite zu wähnen. Gelöst werden Probleme dadurch nicht. Indem wir uns davon abhängig machen zu erwarten, dass sich die andere Seite zuerst ändert, geben wir unsere Energie dorthin, wo sie uns nicht zur Verfügung steht. Um sie wieder zurückzuholen, gibt es nur eins: uns mit uns selbst zu beschäftigen.
Wovor haben wir solche Angst? Warum vergleichen wir uns ständig? Warum werden wir zu Rivalen? Warum fürchten wir das Alter so sehr? Warum versuchen wir immer wieder, in möglichst vorteilhaftem Licht dazustehen? Es wird Zeit brauchen, Antworten zu finden. Wir werden uns zusammensetzen müssen, um über die Dinge zu reden, die uns bewegen. Gesprächskreise werden wir bilden, Gruppen, in denen wir Vertrauen zueinander fassen. Wir werden es lernen, gewaltfrei miteinander zu kommunizieren und uns ehrlich mitzuteilen. Anstatt uns über andere zu beklagen, werden wir Veränderungsmöglichkeiten bei uns selbst suchen. Immer mehr werden wir uns aneinander annähern und gemeinsam eine solidarische und vertrauensvolle Schwesternschaft entwickeln, die die Liebe zu den Männern miteinschließt.
Die Friedensforscherin Sabine Lichtenfels spricht von einer Stunde der großen Umbesinnung. Auf Malta erforschte sie die Tempel der Liebe, die der Großen Göttin geweiht waren, der Mutter allen Lebens und der ewigen Güte. Nachdem die Große Mutter vom Patriarchat ermordet worden war, blieb Lilith zurück, eine geschichtliche Urkraft, die sich nicht töten lässt und deren Kraft in Verbindung mit universellen Heilungsvorgängen und einer urgeschichtlichen Kultur des Friedens steht. Sie ist ein Archetyp, der feldbildend wirkt und einen weitreichenden gesellschaftlichen Heilungsvorgang einleiten kann. Er steht für Befreiung: Befreiung von der Angst vor Gewalt, Unterdrückung und Bestrafung, Befreiung von dem Neid der Konkurrentinnen und den Normvorstellungen der Schönheitsindustrie, Befreiung von den Religionsvorstellungen der patriarchalen Kultur und von der Ohnmacht dem Mann gegenüber, Befreiung von sexuellem Vergleich und Leistungsdruck.
Die Tempel der Liebe zeugen von einer ganz anderen Art von Beziehungen, als wir sie heute kennen. Während unsere Kultur den Eros auf den persönlichen Bereich zweier Menschen festgelegt hat, standen alle Liebesbeziehungen zur Zeit der Großen Göttin im Zusammenhang mit dem großen Ganzen.
Nichts existierte getrennt voneinander. Die Menschen erkannten die heiligen Aspekte der Sexualität und bildeten Gemeinschaftsformen, in denen diese Wahrheit gelebt werden konnte. Die jungen Frauen und Männer wurden sorgfältig auf die Liebe vorbereitet und in Liebesdiensten geschult. In den Tempeln lernten die Menschen, ihre Träume zu deuten und in den Sternen zu lesen, ihrem Herzen zu folgen und respektvoll und spielerisch ihre Körper zu erkunden. Frauen und Männer hatten mehrere Partner, mit denen sie sich gegenseitig erforschten. Beide stellten sich dabei ganz in den Dienst der Erde mit all ihren Mitgeschöpfen und vertrauten auf eine Göttin, die allen Lebewesen Schutz gab.
Die Frauen liebten und brauchten die Männer. Doch nicht als Herrscher oder Lehrmeister wollten sie sie, sondern als potente Liebhaber, die die sinnliche Liebe kennen. Lilith will einen Mann, dem sie sich nicht unterwirft und den sie sich nicht unterlegen macht, indem sie ihn bemuttert.
Sie sucht die ursprüngliche, freie und wollüstige Begegnung mit den Männern. Sie unterstützt sie in ihrer Entwicklung und zeigt ihnen, was sie an ihnen liebt und begehrt und was nicht. Sexuelle Hingabe, das ist Liliths Botschaft, macht uns nicht abhängig, sondern frei. Mit diesem Wissen steht sie heute am Anfang einer gewaltfreien Revolution der weichen Macht. Sie wird von Frauen angeführt, die auf dem Weg ihrer Emanzipation nicht den Mann bekämpfen, sondern die sinnliche Liebe in all ihren Aspekten bejahen. Diese Frauen schließen sich in einer Solidarität zusammen, die an Liebesthemen nicht scheitert und die Basis dafür schafft, dass auch zwischen den Geschlechtern eine neue Balance erreicht werden kann.
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