Esoterisch machtlos

Es ist an der Zeit, sich von linken Überheblichkeitsgefühlen zu verabschieden, Teil 3.

Das waren politische Zeiten damals 1968. Denn alles war politisch. In den Jahren danach fing das Gegenteil davon an, die linke Lebenswirklichkeit zu bestimmen: Entpolitisierung. Aber alles in einer Ästhetik politischer Überaufgeklärtheit.

Zuletzt hatten wir es ja schon von den Linken, ganz speziell von den linken Linken, den Fundis des Spektrums. Wir sprachen über deren moralischen Narzissmus und Rigorismus und wie sie die nächste evolutionäre Stufe des wissenden Menschen genommen haben: zum besserwissenden Menschen.

Jahrhunderte, ja Jahrtausende haben Denker sich mit dem Übermenschen befasst, mit dem hyperanthropos oder homo superior, einem idealtypischen Menschen, der sich vom Normalsterblichen aufgrund seiner Fähigkeiten und Gaben absetzt.

Friedrich Nietzsche lieferte nur die bekannteste Konzeption dieses philosophischen Dilemmas. Er setzt dem modernen Menschen ein messianisches Wesen „höchster Wohlgeratenheit“ entgegen, welches dereinst die Missgeschicke der Menschheit in Geschicke verwandeln würde. Was er nicht ahnte: Dieser Typus heißt Fundi und er regelt gar nichts, übertüncht die eigene politische Bedeutungslosigkeit durch affektiertes Empören und Shitstormen und ist gar nicht so sehr politisch, auch wenn er so tut.

Weil ich gerade von der politischen Bedeutung dieser Leute gesprochen habe: Ich muss etwas berichtigen. Leider ist mir in den letzten beiden Teilen dieser vierteiligen Kolumne ein sachlicher Fehler unterlaufen: Ich habe unsere linken Freunde als politische Entität beurteilt, als Nischenexistenz in den Weiten des politischen Alltages. Und das ist die Krux.

Diese Leute sind absolut nicht politisch. Sie zelebrieren ihre eigene Entpolitisierung in einer Form, die irgendwie politisch anmuten soll. Image ist letztlich alles – da sind sie nicht anders als all die anderen Schausteller politischer Meinungsmache. „Spektakel“ und „Ritualisierung“ sind zwei Schlagworte, die in der Analyse zur Postdemokratie immer wieder vorkommen. Es stimmt schon, der linke Fundamentalismus war zuweilen seiner Zeit voraus.

Postdemokraten der ersten Stunde

Momentan haben wir das größte Parlament in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Landesparlamente werden indes auch nicht kleiner. Nie gab es so viele Politiker wie derzeit. Auf dem Papier stimmt das. Rein oberflächlich betrachtet könnte man diese Behauptung aufstellen und sie wäre nicht falsch. Faktisch ist sie aber nur bedingt richtig.

Wir hatten nie so viele Leute in Parlamenten sitzen: Aber Politiker, die sind aus. Denn Politik, also dieses klassische Lenken und Regeln der öffentlichen Belange, die wird schon lange an ganz anderen Orten besprochen, bevor sie ins Plenum gerät. „Politik ist nur der Spielraum, den die Wirtschaft ihr lässt.“ So trefflich konnte es nur Dieter Hildebrandt formulieren. Mit diesem einen Satz gelang es ihm, das Wesen der Postdemokratie anschaulich und zugleich komprimiert in nur zehn Worten zu beschreiben.

Da können die Fundis nur schmunzeln, denn hier waren sie Trendsetter. Sie sind die Postdemokraten der ersten Stunde. Als noch kein Mensch wusste, was das ist, weil Colin Crouch noch nichts über diese Modifikation der Gemeinwesen geschrieben hatte, tappten die Kollegen von ganz weit links schon postdemokratisch ins Dunkle.

Zuerst entpolitisierten sie sich, indem sie sich jeglicher politischen Kontrolle oder Verantwortung verweigerten – und danach gingen sie dazu über, Andersdenkende und Menschen mit anderer Sozialisierung, in Grund und Boden zu schimpfen. „Nazi!“-Rufe taten sich da als hilfreich hervor. Niederbrüllen, andere Meinungen ersticken oder aus dem Zusammenhang reißen: So ging es postdemokratisch. Spektakel und Rituale halt: Die zwei oben genannten Schlagworte.

Nur ja keinen Dialog beginnen, denn das war der Einstieg zum Abstieg. Wer in einen Dialog ging, der lief Gefahr, andere Positionen zu verstehen. Lauter sein als die anderen: Das war eine Ausflucht! Der Kniff mit der Übermoral, von dem im letzten Teil schon die Rede war, gab wesentlich mehr her als dem Ästhetizismus zu frönen. Er lotste langsam aber sicher weg von der Politik, die ja durchaus ein dreckiges Geschäft ist.

Was jeder normale Mensch mit ein bisschen Lebenserfahrung im Lande, ja eigentlich in jedem Land auf der Erde weiß, das wissen natürlich auch linke Fundis. Während die Menschen diese Erkenntnis als traurige Wahrheit abtun und wissen, man kann die politischen Abläufe ja nicht einfach aussetzen, bis sich jedermann zu einem moralischen Umgang verpflichtet hat, tun die linken Fundamentalisten exakt das. Sie halten sich raus.

Nicht völlig, versteht sich. Sie unken schon, plärren laut, machen fix Vorwürfe, üben sich hier und da in Rabulistik und artikulieren, was ihnen stinkt. Aber Verantwortung übernehmen: Das geht nicht. Auf keinen Fall. Jeder, der zum Beispiel ganz zögerlich R2G ins Gespräch brachte in den letzten Jahren, erntete die Wut des fundamentalistischen Lagers.

Niemals dürfe es so weit kommen, da würde die Linkspartei ja die letzten Ideale über Bord werfen. Oft sind das dieselben Leute, die eben dieser Linkspartei unterstellen, sie würde ohnehin schon lange keine Ideale mehr haben. Wagenknecht isst schließlich Hummer und Klaus Ernst hat nie das Ende des Kapitalismus thematisiert in seinem Porsche.

Ooommm: Die Verwechslung von politischem Gewissen und Esoterik

Die alten Linken, die Sozis und die Gewerkschafter von dazumal, die hofften auf eines: auf Macht. Und der neue Linke und seine heutigen Nachfolger, was tun die: Macht nichts! Die wollen sie nicht in ihrer Nähe wissen, denn sie fürchten sich, korrumpiert zu werden, ihre Ideale aus den Augen zu verlieren.

Doch dieses Ideal von der „Exterritorialität von der Macht“ kanalisiert das politische Moment, baut darüber ein animistisches Gedankengebäude, das von einer Allreinheit kündet, einem Rückzug in ein Arkadien des Unbefleckten, in dem die komplexen Prozesse des Gemeinwesens einer frömmlerischen Orthodoxie unterordnet werden können. Als Handlungskraft in der Ruhestarre bleibt man so handlungsunfähig.

Zu folgern, dass nur Machtabstinenz linker Politik nützt, ist ein dummes, ja gefährliches Paradoxon. Politik muss ja Machtspielräume haben. Hat sie keine Aussicht auf Macht, wird sie zur Kür. Auch oppositionell einzuwirken ist ja ein Machtspielchen, wenn auch nicht unmittelbar an den Hebeln der Macht.

Daher ist der Parlamentarismus ja unter vielen dieser Linken gar nicht wohl gelitten. Natürlich hat der Schwächen – wie könnte man daran auch zweifeln wollen! Aber wem fällt Besseres ein? Räte abrufen? Nette Idee, wenn es überschaubar bleibt. Aber 80 Millionen Bürger können nicht gleichzeitig 80 Millionen Räte in allen möglichen Gremien, Gruppen und Kommissionen sein. Irgendwann verliert man doch die Übersicht und keiner geht mehr zur Räterunde.

Nein, die Machtabstinenz als grundsätzliche Option, als von vorneherein postulierter Weg, dient linker Politik überhaupt nicht. Sie entpolitisiert das linke Moment. Wenn überhaupt, dann nützt die Haltung linker Spiritualität, befriedigt sie das wohlige Gefühl, moralisch unnahbar zu sein. Als Stimme aus dem moralingetränkten Off, nicht als handelnde Instanz, die – ganz im Sinne von Ernst Toller – schuldig werden kann, weil sie handelt.

Und so zelebriert man lieber einen Ethikanimismus, den man in Verkennung der Situation als politische Haltung verkauft. Dieser Reinlichkeitsfimmel ist aber keine Grundlage von politischen Abwägungen – er ist das Gegenteil. Ooommm!

Nichts wäscht so weiß, als dass es unberührt aussieht. Weiß bleibt ein T-Shirt lediglich, wenn man es in der Folie verpackt im Schrank liegen lässt. Nur wenn man es nicht benutzt, gibt es keine Flecken und Gebrauchsspuren, vergilbt es nicht. Und so wie ein verpacktes Stück Stoff kein Oberteil darstellt, ist eine Politik, die ihren eigenen Einsatz unter Inkaufnahme von Kompromissfähigkeit scheut, keine Politik mehr. Sie wird zur Esoterik – dem höchsten aller entpolitisierten Zustände.

Da kann nicht mal die Großmeisterin des postdemokratischen, entpolitisierten Zeitgeistes im Lande mithalten: die Bundeskanzlerin herself. Die wird aber trotz ihrer destruktiven Haltung gewählt, gewählt und gewählt – ganz anders als die normative Linke im Lande, die historische Einbußen in Kauf nehmen muss. Die Kanzlerin ist halt ein Unikat, sie gilt als unverwechselbar. Die Linke leider nicht. Zu diesem linken Problem unserer Zeit demnächst abschließend mehr…


Rechts gewinnt, weil Links versagt