Es geht ums Ganze!
Nicht nur Assanges Leben steht auf dem Spiel — auch der Fortbestand der Pressefreiheit und damit ein Grundpfeiler der Demokratie.
Während ein Großteil der US-Medien gute Miene zum bösen Spiel macht, warnen Kritiker vor einer Anklage Assanges als „offensichtliches“ Täuschungsmanöver mit versteckten Gefahren. „Dieser Präzedenzfall bedeutet, dass jeder Journalist zur Strafverfolgung in die Vereinigten Staaten ausgeliefert werden kann, wenn er wahrheitsgemäße Informationen über die Vereinigten Staaten veröffentlicht hat.“
von Jake Johnson
Das US-Justizministerium hat am Donnerstag WikiLeaks-Gründer Julian Assange wegen einer „Verschwörung zu einem Hackerangriff“ angeklagt, eine Anklage, die einige Sprechköpfe und Reporter der Konzernmedien sofort als Beweis dafür anpriesen, der Journalismus sei nicht in Gefahr.
„Die Anklage gegen Assange legt ihm Hacking, nicht die Veröffentlichung zu Last, ein entscheidender Unterschied hinsichtlich der Bedenken wegen des First Amendment“ (1. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika, Anmerkung des Übersetzers), twitterte David Lauter, Washingtoner Bürochef der Los Angeles Times.
Aber Befürworter der Pressefreiheit, Assanges Anwälte, WikiLeaks-Mitarbeiter und andere Kritiker warnten davor, dass das genaue Gegenteil der Fall sei und argumentierten, dass die Auslieferung Assanges an die USA einen gefährlichen Präzedenzfall für Journalisten überall schaffen würde.
„Es gibt keine Garantie, dass es keine zusätzlichen Anklagen geben wird, wenn er sich auf US-Boden befindet. Und ich denke, dass dies ein Ansatzpunkt war, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass er ausgeliefert wird. Das ist offensichtlich“ — Kristinn Hrafnsson, WikiLeaks Chefredakteur.
„Dieser Präzedenzfall bedeutet, dass jeder Journalist zur Strafverfolgung in die Vereinigten Staaten ausgeliefert werden kann, weil er wahrheitsgetreue Informationen über die USA veröffentlicht hat“, sagte Assanges Anwältin, Jen Robinson, Reportern auf einer Pressekonferenz in London am Donnerstag (11. April 2019, Anm. des Übersetzers).
Neben Robinson argumentierte WikiLeaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson, dass die scheinbar begrenzte Anklage des Justizministeriums gegen Assange wegen „Hacking“ — und nicht wegen einer weit reichenderen Anklage auf Grund der Veröffentlichung von Verschlusssachen — ein „offensichtlicher“ Trick sei, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass ihn das Vereinigte Königreich an die USA ausliefert.
„Es ist ganz offensichtlich, dass die US-Behörden nur ein Element dessen ausgewählt haben, woran sie seit langem arbeiten“, sagte Hrafnsson.
„Es gibt keine Garantie, dass es nicht zusätzliche Anklagen geben wird, wenn er sich auf US-Boden befindet. Und ich denke und nehme an, dass man durch diese Vorgehensweise die Wahrscheinlichkeit einer Auslieferung erhöhen wollte. Das ist offensichtlich.“
Die britischen Behörden bestätigten, dass Assange unter anderem wegen „eines Auslieferungsbefehls im Namen der Behörden der Vereinigten Staaten“ verhaftet wurde.
Das Justizministerium behauptet in seiner Anklage, dass Assange sich mit der Informantin Chelsea Manning aus der US-Armee verschworen habe, um sich in ein Pentagon-Computernetzwerk zu hacken. Die Anklage besagt auch, dass Assange „Manning ermutigte, Informationen und Aufzeichnungen“ von US-Behörden zu beschaffen und daran arbeitete, „Manning als Quelle der Enthüllungen zu verbergen“, sowie einen verschlüsselten Chatdienst benutzte, um bei der Veröffentlichung von Verschlusssachen im Zusammenhang mit Guantanamo Bay sowie US-Kriegen im Irak und Afghanistan „zu kollaborieren“.
In einer Erklärung stellte Trevor Timm, Geschäftsführer der Freedom of the Press Foundation, fest, dass das Justizministerium zwar „bisher nicht versucht hat, den Vorgang der Veröffentlichung ausdrücklich für illegal zu erklären, aber ein Kernstück seiner Argumentation würde viele gängige Beziehungen zwischen Journalisten und ihren Quellen, auf die sich Reporter ständig verlassen, kriminalisieren“.
„Mehr Dokumente von einer Quelle anzufordern, einen verschlüsselten Chat-Messenger zu verwenden oder zu versuchen, die Identität einer Quelle anonym zu halten, sind keine Verbrechen, sie sind für den journalistischen Prozess unerlässlich“, fügte Timm hinzu. „Ob Sie Assange mögen oder nicht, die Anklage gegen ihn ist eine ernsthafte Bedrohung der Pressefreiheit und alle, die sich für den ersten Verfassungszusatz interessieren, sollten energisch protestieren.“
Micah Lee von The Intercept — ein Assange-Kritiker – wiederholt Timms Warnung:
Trotz dieser ominösen Warnungen von Verfechtern der Pressefreiheit haben viele Reporter und Kabelnachrichten-Gurus weiterhin lautstark die Linie des Trumpschen Justice Department (DOJ) nachgeplappert und behauptet, die Anklage sei keine Bedrohung für den Journalismus.
„Die Anklage macht deutlich, dass dies nichts mit der Veröffentlichung von Unterlagen zu tun hat“, twitterte der NBC News Journalist Tom Winter.
Glenn Greenwald, Mitbegründer von The Intercept, schlug schnell zurück: „Ich bin nicht überrascht, dass sich ABC-Journalisten hinter Trumps DOJ zusammenschließen, um die Kriminalisierung von WikiLeaks zu rechtfertigen — NBC liegt ganz auf der Linie der CIA/NSA , die seit langem davon besessen sind, [WikiLeaks] zu zerstören — aber dieser Tweet ist falsch: Die Anklage legt Assange auch zur Last , seine Quelle ermutigt zu haben“, tweete Greenwald.
In einer Erklärung verurteilte das Zentrum für Verfassungsrechte, Center for Constitutional Rights (CCR, Assanges Verhaftung und mögliche Auslieferung an die USA als „einen besorgniserregenden Schritt in Richtung eines Dammbruchs zur Bestrafung eines jeglichenJournalisten, den die Trump-Administration als Verbreiter von ‚Fake News‘ verspottet“.
„Die Verhaftung ist ein gefährlicher Präzedenzfall, der sich auf andere Medienunernehmen wie die New York Times erstrecken könnte, insbesondere unter einer rachsüchtigen und rücksichtslosen Regierung“, sagte das CCR.
„Die Vereinigten Staaten sollten endlich versuchen, sich mit den Kriegsverbrechen im Irak auseinanderzusetzen, die sie begangen haben, anstatt diejenigen anzugreifen und zu verhaften, die versucht haben, die Wahrheit darüber zu enthüllen.“
In einer Kolumne für die Washington Post am späten Donnerstag warnte die erfahrene Journalistin und Redakteurin Margaret Sullivan ihre Berufskollegen davor, die Prinzipien zu ignorieren, die dieser Fall in Frage stellt.
„Bevor wir Assange den Rücken kehren“, schrieb Sullivan, „sollten wir gründlich darüber nachdenken, was auf dem Spiel steht.“
Zwar könne es verlockend sein, ihn „den Wölfen zum Fraß vorzuwerfen, als reinen Narzissten und schlechten Schauspieler — und ‚nicht so wie wir “, die Folgen könnten jedoch schrecklich sein, fügte sie hinzu-.
„Die Grauzone hier ist größer, als sie aussieht“, schloss sie, „ebenso wie die Gefahren für den traditionellen Journalismus und das öffentliche Interesse.“
Und die HuffPost-Journalistin Ashley Feinberg hat es so formuliert: „Assange ist ein Stück Scheiße, und genau deshalb ist dies der perfekte Fall für die [US-Regierung], um einen sehr gefährlichen Präzedenzfall zu schaffen.“
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „[While Much of US Media Plays Along, Critics Warn Assange Indictment an 'Obvious' Ploy With Deeper Dangers]“ (https://www.commondreams.org/news/2019/04/11/while-much-us-media-play-along-critics-warn-assange-indictment-obvious-ploy-deeper). Er wurde von Ullrich Mies übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam
korrigiert.