Er hat angefangen
Nicht Schuldzuweisungen schaffen Frieden, sondern die bedingungslose Übernahme der eigenen Verantwortung.
Immer wieder tappen wir in die Falle, die Schuld für Missstände bei anderen zu suchen. Diese Haltung ist so verständlich wie zerstörerisch. Mit dem Beginn eines neuen Krieges wird einmal mehr deutlich, wie sinnlos es ist, Frieden mit Waffengewalt herbeiführen zu wollen. Die Gewinner sind wie immer die, die Zwietracht säen. Wer den teuflischen Kreislauf unterbrechen will, muss das Gewehr, das auf andere zielt, sinken lassen und bei der Suche nach dem Verantwortlichen bei sich selbst anfangen.
Ich sitze friedlich da. Meine Welt ist in Ordnung. Plötzlich bricht es über mich hinein. Wie aus heiterem Himmel greift mich einer an. Vollkommen unprovoziert. So oder so ähnlich mögen es die meisten empfinden, wenn sie in einen Konflikt geraten. Man selbst hat nichts gemacht. Der andere hat angefangen. Er hat sich nicht richtig verhalten. Er ist es, der unsere Grenzen überschreitet, uns verletzt, uns Unrecht tut. Während wir unserem Gegenüber die Schuld dafür zuschieben, einen Fehler gemacht zu haben, reiben wir unsere Hände im Verdrängen unseres eigenen Einflusses.
Als Kinder sind wir in solchen Fällen zur Mama oder zum Papa gelaufen. Als Erwachsene haben wir es oft nicht gelernt, die Verantwortung für unser Handeln selbst zu übernehmen. Wir setzen das Maß dort an, wo wir am besten dastehen. Wir verteidigen uns ja nur. Der Angreifer ist stets der andere. So nehmen wir uns die Rechtfertigung, schärfste Waffen ins Feld zu führen, die allen Beteiligten Schaden zufügen, einschließlich uns selbst.
Huhn oder Ei?
Von vielen Stimmen wird der Angriff der palästinensischen Hamas auf Israel als „unprovoziert“ bezeichnet, so, als gäbe es keinen Grund, gegen Israels Außenpolitik zu protestieren. Auch bei diesem Konflikt ist das Ziel nicht, Frieden zu schaffen. Es geht, so der ehemalige Ministerpräsident Israels Ehud Barak, darum, einen Krieg zu gewinnen (1).
Wohin es führt, immer wieder neue Sieger und Besiegte zu produzieren, immer neue Opfer, die wiederum zu neuen Angreifern werden, sehen wir, wenn wir uns nur umschauen. Wer sich auf die Schuld des anderen konzentriert, ohne sein eigenes Verhalten mit einzubeziehen, gerät in eine Sackgasse.
So wie es keine Antwort auf die Frage gibt, ob zuerst das Huhn oder das Ei da war, so werden wir keinen Frieden finden, wenn wir mit dem Finger auf andere zeigen und die Dinge aus ihren Zusammenhängen reißen. Auch wenn wir es uns vielleicht einbilden: Nichts geschieht einfach so. Alles hat eine Vorgeschichte. Alles hat ein Terrain, das mehr oder weniger empfänglich ist.
Krieg bringt keinen Frieden
Es ist unser Denken, das dazu beiträgt, dass die Welt keinen Frieden findet. Solange wir meinen, Kampf, Gewalt und Unterdrückung seien die conditio humana des Menschen, solange wir denken, Kriege habe es immer gegeben und werde es immer geben, solange wir uns einbilden, auf der einen Seite stünden die Guten und auf der anderen die Bösen, so lange wird sich nichts ändern.
Immer tiefer werden wir in Kriege und Konflikte einsteigen. „Fortschreitende gesellschaftliche und technologische Entwicklungen wie etwa unbemannte Drohnen, der Einsatz biologischer Waffen oder Cyberwarfare als Kriegsführung im digitalen Raum“, so die Online-Plattform Statista, „stellen dabei neue Herausforderungen auf dem Weg zu einer friedlichen Welt dar“ (2).
Der Irrglaube, Frieden sei durch Kriege herbeizuführen, nährt sich aus unserem Weltbild. Leben wir nicht in einer Welt der Gegensätze, in der der Frieden gewissermaßen den Krieg braucht, so wie das Licht die Dunkelheit? Werden die Sterne nicht erst auf schwarzem Hintergrund sichtbar? Braucht nicht der Tag die Nacht und der Sommer den Winter? Hat nicht jeder Anfang auch sein Ende?
Verdrehte Gegensatzpaare
In einer zyklisch orientierten Welt vervollständigen sich die Gegensätze. Auf Geburt folgt Tod, auf Werden Vergehen. Zusammen machen sie das Leben aus. Doch braucht Zärtlichkeit Gewalt? Braucht Liebe Angst? Braucht das Gute das Schlechte, um erkennbar zu werden? Braucht die Wahrheit die Lüge? Brauchen wir das Gefühl des nachlassenden Schmerzes, um Glück empfinden zu können? Braucht das Licht die Dunkelheit?
Die Flamme der Kerze, so der Veden-Forscher und Philosoph Armin Risi, braucht keine Dunkelheit, um zu existieren (3). Auch die Sterne brauchen nicht das schwarze Firmament. Es ist unsere Wahrnehmung, die es braucht. Wir können das Eine ohne das Andere nicht erkennen. So ist es nicht die natürliche Ordnung, sondern unsere Sicht auf die Dinge, die uns zu dem Gedanken führt, der Frieden brauche den Krieg wie der Tag die Nacht.
Es zeugt von geistiger Verwirrung, zusammenzubringen, was nicht zusammengehört. Während sich in der natürlichen Ordnung die Paare ergänzend gegenüberstehen, schließen sie sich in der künstlichen Ordnung aus und vernichten sich gegenseitig. Liebe wird nicht durch Angst und Gewalt erst komplett. Frieden wird nicht durch Krieg herbeigeführt. Krieg erzeugt Krieg erzeugt Krieg.
Totale Vernichtung
In einer lebendigen Welt vervollständigen sich die Gegensätze und bilden zusammen ein Ganzes.
In einer toten Welt werden Dinge einander gegenübergestellt, die sich gegenseitig aufheben. Die natürliche Ordnung wird aufgebrochen, um einer künstlichen Ordnung Platz zu machen, die sich das Lebendige einverleibt.
In dem Maße, wie die ursprünglichen Zyklen und Rhythmen verschwinden, wird uns das genommen, was uns als Menschen ausmacht: unsere Kreativität. Während Frauen und Männer zunehmend steril werden und die beiden biologischen Geschlechter als politisch inkorrekt gelten, sind wir vom Menschen zur Person geworden, von der Ressource zum Verwaltungsobjekt.
Transgender, genderqueer, genderfluid, bigender, pangender, agender, demigender? In einem kaum noch zu überblickenden Verwirrspiel geht uns die uns angeborene lebensschaffende Kraft unweigerlich verloren. Anstatt neues Leben hervorzubringen, gibt es Abziehbilder aus dem Labor. Mit der Künstlichen Intelligenz schließlich treten wir in ein Zeitalter, in dem der Mensch ausgedient hat.
Finger vom Abzug
Es sind die Verdrehungen in unseren Köpfen, die diese Vernichtung möglich machen. Niemand hat uns dazu gezwungen. Wir haben es freiwillig gemacht. Freiwillig haben wir eine Weltsicht übernommen, in der das Lebendige zunehmend ausgelöscht wird. Freiwillig glauben wir daran, dass dauerhafter Frieden nicht möglich ist und das größte Problem der Menschheit in der Überbevölkerung besteht.
So sind wir zur leichten Beute geworden. Wir begnügen uns damit, unsere Feindbilder zu füttern, und stehen nicht auf, wenn um uns herum himmelschreiendes Unrecht geschieht. Es braucht die unkritische Masse, um die Menschheit in die totale Abhängigkeit und letztlich in ihre eigene Vernichtung zu treiben. Wenn die Masse stillhält, so wie sie es in den vergangenen Jahren getan hat, ist das Spiel für uns verloren. Wenn wir uns jedoch daran erinnern, wer wir eigentlich sind, kann es weitergehen mit uns.
Wir sind mehr als Personen, mehr als maskierte Figuren, mehr als Personal. Wir sind Menschen, schöpferische Wesen, die die Welt so gestalten, wie sie sie wollen. Ob bewusst oder unbewusst: Unsere Gedanken, Wünsche, Gefühle, Glaubensvorstellungen, Visionen formen unsere Realität. Dieses Geschenk an uns ist gleichzeitig unsere größte Herausforderung. Es anzunehmen bedeutet, den Finger vom Abzug zu nehmen und konsequent zu sich selbst zurückzukehren.
Eine Frage des Mutes
Wer dazu bereit ist, verlässt das bequeme Nest, aus dem heraus er über andere urteilt. Er nimmt die Lebensfäden in die Hand, die bei ihm zusammenlaufen, und ergibt sich der natürlichen Ordnung der Dinge, in der sich das Ergänzende gegenübersteht. Er steht nicht mehr zur Verfügung für die globale Vernichtung, sondern schafft die Voraussetzungen dafür, dass wir wieder zusammenfinden können.
Das braucht Mut. Wieviel, das sehen wir an der Menge der Menschen, die alle möglichen Arten von Ausreden erfinden, um nicht bei sich selbst anzufangen. Sie ziehen es vor, sich über andere zu ereifern. So bleiben sie in ihrer Wut gefangen, in ihrer Angst und in ihrer Ohnmacht. Sie hängen fest in ihren Beschuldigungen und haben die Hände nicht frei. Sie bekommen keinen Zugang zu ihrer eigenen schöpferischen Kraft und bleiben ein gefundenes Fressen für diejenigen, die die Zerstörung weiter vorantreiben.
Nach Hause kommen
Wer sich an anderen abarbeitet, ist nicht bei sich. Er ist gewissermaßen außer Haus. Während seine Aufmerksamkeit dort liegt, wo er sowieso nichts ändern kann, können andere ihn besetzen und bei ihm machen, was sie wollen. Wie das aussieht, sehen wir an den Konflikten, Kriegen und Spaltungen in unserer Welt. Auch wenn wir noch so sehr vorgeben, doch eigentlich Frieden zu wollen, bekommen wir ihn nicht.
Wer hingegen bereit ist, Eigenverantwortung zu übernehmen und sich in das eigene Dunkel vorzutasten, anstatt es beim anderen aufzuspüren und anzuprangern, der kann wirklich etwas verändern.
Auch wenn um ihn herum Krieg ist, kann er in sich Frieden schaffen. Indem er die anderen nicht mehr als Projektionsfläche für die eigenen Fehler und Schwächen missbraucht, kann die Welt um ihn herum heller werden.
Wer zu sich selber zurückkehrt, der zündet ein Licht an, das weithin sichtbar ist. Er verdunkelt seine Umgebung nicht mehr mit seinen Gedanken an Rache und Vergeltung, sondern beginnt, aus sich heraus zu leuchten. Dieses Licht braucht die Dunkelheit nicht. Es kann existieren, auch ohne dass sich ihm jemand entgegenstellt, ein Ausdruck unbegrenzter Freiheit, die Welt zu einem Ort des Friedens zu machen.
Quellen und Anmerkungen:
(1) https://www.zdf.de/nachrichten/heute-journal/heute-journal-vom-15-oktober-2023-100.html, https://www.manova.news/artikel/finger-am-abzug
(2) https://de.statista.com/statistik/kategorien/kategorie/900/themen/2321/branche/kriege-konflikte/#statistic1
(3) https://armin-risi.ch/