Entwürdigung als Demokratieschutz

Nancy Faeser hat das als rechtsextrem geltende Magazin „Compact“ handstreichartig verboten. Auch wer gegenüber Jürgen Elsässer skeptisch ist, muss darin einen gefährlichen Anschlag auf die Pressefreiheit sehen.

In der Theorie klingt das immer alles gut. Die Demokratie schützen. Die Gefahr des Rechtsextremismus eindämmen. Wer aber wissen will, was ein politisches System wirklich wert ist, muss auf die Details eines solchen Vorgangs schauen. Der Begründer des rechtsgerichteten Magazins Compact, Jürgen Elsässer, wurde um 6 Uhr früh aus seinem Bett geklingelt. Noch im Morgenmantel, musste er eine schwarz gekleidete, bedrohlich wirkende Sturmtruppe in sein Haus lassen. Alles wurde beschlagnahmt — seine Existenz soll offensichtlich ruiniert, er selbst massiv eingeschüchtert werden. Und das Schlimmste: Schon vorab informierte Pressevertreter lichteten den Verleger in diesem für ihn peinlichen Moment der Schwäche ab, um ihn vor einem Millionenpublikum bloßzustellen. War da nicht mal was mit der „Würde des Menschen“? Und warum kann eine Innenministerin einfach ein Medium verbieten, dessen Veröffentlichungen für sie unbequem geworden sind? Das erinnert nicht nur an die „Spiegel-Affäre“ des Franz Josef Strauß, sondern an noch viel schlimmere Regime. Wem die politische Linie des Jürgen Elsässer nicht so behagt, der sollte dennoch nicht davon absehen, jetzt diesen unfassbaren Vorgang zu kritisieren. Den Kampf für die Presse- und Meinungsfreiheit dürfen wir nicht allein jener weltanschaulichen Richtung überlassen, die gerade einem Akt von Staatswillkür zum Opfer gefallen ist — in diesem Fall der „rechten“. Wenn wir nicht aufpassen, kann es auch Medien anderer politischer Ausrichtung treffe, die der Ministerin gerade nicht in den Kram passen. Pfarrer Jürgen Fliege ist auf dem Ohr der Verletzung von Menschenwürde besonders hellhörig. Seine Botschaft: Schaut nicht nur auf den vermeintlichen Zweck einer staatlichen Maßnahme — an ihren Mitteln können wir erkennen, wes Geistes Kind unsere Obrigkeit ist.

Liebe Frau Faeser,

was meinen Sie denn zur unantastbaren Würde von unserem Mitbürger Jürgen Elsässer? Kann man die schon jetzt vernachlässigen und als politischen Kollateralschaden zum Wohle der Republik abtun? Herr Elsässer, der mit zerzaustem Haar und im Morgenmantel in aller Herrgottsfrühe von schwarzen Sturmhauben aus dem Bett geklingelt wurde, um ihn dann offenbar in Absprache mit der Bildzeitung und anderen Kanälen der gesamten Republik im Bademantel vorführen zu können?Was meinen Sie dazu, Frau Faeser? Ist es das, was sich die Mütter und Väter des Grundgesetzes gedacht hatten, als sie das mit der Menschenwürde, also unser aller Umgang miteinander, in unserer Verfassung ganz, ganz nach oben gepackt haben? Mit Ausstrahlung auf alle und alles, was da noch zu verabreden ist für ein demokratisches Gemeinwesen? Die Würde des Menschen und ihre Unantastbarkeit durch den Staat zuerst und durch uns alle dann! Ist es das?

Das erinnert mich — bitte tun Sie das nicht schnell als unvergleichbar ab — an eine in solcher Praxis geübten Zeit, in der die Verschwörer um den 20. Juli herum vor dem Volksgerichtshof ohne Hosenträger antreten mussten, um ihnen als Erstes die Würde zu nehmen. Gespött für die Massen, zum seelischen Fraß vorgeworfen, damit sie mit dem Finger johlend auf die Hose zeigen konnten! Furchtbar! Ein Schaudern, solange ich lebe. Das sitzt so tief bei mir. Und sich dann auch noch von oben herab verspotten und anschreien zu lassen, warum die Männer des Widerstandes denn so verkrampft ihre Hose festhielten. Gelächter, guter Witz!

Frau Faeser, das tut mir weh bis heute. Das hat sich mir seit meinen Schülertagen tief eingeprägt. Und das ist mir für mein ganzes Leben ein Gradmesser dafür geworden, wie Obrigkeit welcher Art auch immer mit denen umgeht, die sie nicht nur richten, sondern vorher schon zerstören wollen. Zuerst die Würde! Die muss man ins Visier nehmen. Sie zum Gespött der Massen machen! Sie in ihrer Seele treffen, in ihrem Ansehen, um sie unschädlich zu machen. Zuerst die Seele! Dann erst den Rest. Und die immer wieder runtergebetete Unschuldsvermutung verfliegt im neuen „Wind of Change“.

Zuerst die Würde angreifen! Hören Sie, Frau Ministerin, als welche Sie Dienerin unseres ehrwürdigen Gemeinwesens sind, das die Würde des Menschen an die erste Stelle unserer Verabredungen stellt: Das geht gar nicht!

Solche Bilder inszenierter Schamlosigkeit müssen doch auch in Ihrer Seele landen und in Ihrer persönlichen Erinnerung frischgehalten werden bis zum jüngsten Tag, wenn Sie sie nicht vorher anschauen. Frau Ministerin! Sagt Ihnen das eigentlich noch einer leise in ein noch offenes rotes Ohr? Offene rote Ohren nämlich haben einen sehr kurzen Weg zu unserer Scham und zu unseren Seelen beziehungsweise umgekehrt.

Zum Hintergrund für alle: Herr Elsässer, das ist der, dessen politisch-publizistische Arbeit die einen nicht einmal mit der Kneifzange anfassen würden, während andere sie bejubeln, und die Sie, Frau Ministerin, nun quasi zur Bücher- und Presseverbrennung freigeben wollen. Nach einem über Jahre sich hinziehenden Verfahren, versteht sich. Nach Ihrer persönlichen politischen Sintflut, versteht sich auch. Mithilfe einer Justiz, von der uns Herr Laschet dankenswerterweise noch einmal mitgeteilt hat, wie groß und umfassend der politische Einfluss der Regierung auf sie ist — Ihr Einfluss also, Frau Faeser, auf Staatsanwaltschaft und Rechtswesen. Von wegen „unabhängig“!

Nun leben wir ja in Zeiten, in denen die Seele es schwer hat, zu Wort zu kommen und Gehör zu finden. Es steht ihr kaum noch jemand bei. Erst recht nicht, wenn ihr Mahnen und Raunen aus alten wilden Zeiten und ihre Weisheiten in Konflikt mit der Obrigkeit geraten. Das hat sich ja zu Coronazeiten gezeigt, in der die Kirchen und ihre Fürsten durchweg auf die Seelen ihrer gefährdeten Schäfchen gepfiffen haben, um nach der Pfeife der Regierung zu tanzen. Von da kommt kein Widerspruch mehr. Jetzt muss man auch nicht mehr damit rechnen, dass in den wiederentdeckten kriegstüchtigen Zeiten ein Pfarrer Niemöller und Leute, die aus seinem Holz geschnitzt sind, bei Ihnen vorsprechen, um für die vielleicht auch bald gefährdeten politisch wachen Christenseelen zu kämpfen!

Was aber die nach meiner Beobachtung immer weiter abgewürgte Pressefreiheit in unserem Land angeht: Da kam auch kaum noch ein mutiger „Furz“ (Martin Luther). Da ist es also auch schon vorbei mit den unverzagten Ärschen. Wind of Change auch hier.

Mit dem Segen
Ihr Pfarrer Fliege