Entwaffnender Humor
Andere zu verspotten, ist oft verletzend — besser ist es, sich selbst nicht mehr so ernst zu nehmen.
Humor mögen alle. Verspottet werden hingegen, das wollen wir nicht, denn das tut weh. Warum wird Humor so sehr gehypt, Spott aber nicht? Vor allem dann finden wir Spott gar nicht gut, wenn es uns selbst trifft. Humor bedeutet, sich über sich selbst zu belustigen, Spott, andere abzulehnen und auszugrenzen. Spotten ist leicht, da findet sich immer ein passendes Objekt. Humor hingegen setzt Selbstgewahrsein voraus, die Kenntnis der eigenen Schwächen und Fehler und den Mut, diese anderen zu zeigen, was denjenigen, der sich so exponiert, verletzlich macht.
Die Ethik des Humors
Wir spotten über „die anderen“, weil wir sie für doof oder böse halten. Ist das ethisch zu vertreten? Sofern die anderen mächtig sind, dürfen wir das, behaupte ich. Sind sie jedoch nicht nur mächtig, sondern missbrauchen noch dazu ihre Macht, dann ist Spott sogar das optimale Mittel im Widerstand gegen solch eine Macht. Denn Spott untergräbt Macht und unterminiert Autorität. Mächtige der Lächerlichkeit preiszugeben ist gewaltfreier, demaskierender Widerstand. Ein Kind lacht, weil es sieht, dass der Kaiser nackt ist. Nun sehen es alle, und sie lachen mit.
Allzu leicht mokieren wir uns jedoch über Schwache. Zum Beispiel über Minderheiten, die ein bisschen anders sind als der Mainstream. Vielleicht haben sie eine andere Hautfarbe, tragen andere Kleidung oder haben einen anderen Akzent. Viele von uns gratulieren sich zu ihrem Humor, weil sie diese anderen lustig finden, obwohl das eigentlich Spott ist und kein Humor.
So wie in Schulklassen über die gespottet wird, die lispeln oder stottern, zu dick sind oder zu dünn oder aus dem falschen Vorort oder Land kommen; dann findet die führende Clique sie komisch und lacht sie aus, was ein Hinauswurf aus der Ingroup ist. Das ist so sehr verletzend und entwürdigend, dass es schon zu Suiziden geführt hat. Die Duckmäuser in der stillen Mehrheit heulen dabei mit den Wölfen; sie wagen es nicht, sich mit den Opfern zu solidarisieren, weil die Gefahr besteht, dass sie dann selbst verspottet werden.
Die Verwundbarkeit der Macht
Ganz anders bewerte ich es, wenn in Diktaturen ein Witz über den Diktator die Runde macht. Es braucht Mut, solch einen Witz weiterzugeben, umso mehr, ihn auch noch auszuschmücken und mit ihm die ganze Elite der Höflinge und Speichellecker zu verspotten. Bei uns über Kim Jong-un einen Witz zu machen, fällt leicht; solcher „Humor“ ist hierzulande Mainstream. In Nordkorea regiert ein anderer Mainstream, da kann so was den Spötter den Kopf kosten.
Schwieriger ethisch zu beurteilen finde ich, wenn man sich über Menschen im Mittelfeld der Macht belustigt. Darf man über mich spotten, obwohl ich doch heute mit dem linken Fuß aufgestanden bin und mich ziemlich schwach fühle?
Darf man den Minister einer schwachen, viel gescholtenen Regierung verspotten, obwohl der doch eigentlich eine arme Sau ist?
Sowohl in politischen wie in privaten sozialen Situationen wünsche ich mir mehr Sensibilität für die Schwächen und Stärken der Betroffenen. Die Empfänger von Ironie, Satire, Spott oder auch nur einer charmanten Infragestellung ihrer Identität vertragen nämlich sehr unterschiedlich viel davon.
Einige trifft schon ein leichtes Grinsen mitten ins Herz ihrer Unsicherheit. Können sie den Angriff wegstecken als „Was sich liebt, das neckt sich“, oder sinnen sie nun auf Rache? So kann ein latenter Zwist eskalieren. Wer erst nur ein empfindliches Ego ein bisschen kitzeln wollte, findet sich dann womöglich in einem nur schwer zu befriedenden Streit wieder.
Innen wie außen
Die Psychostrukturen solcher privaten Eskalationen ähneln denen in der Politik. Wenn Witzfiguren wie die Ostfriesen den Spott gegen sie umdrehen und in Stolz auf ihre Region verwandeln konnten: Hut ab, das ist psychisches Judo vom Feinsten. Anderen Minderheiten wie den Zigeunern gelang das nicht; auch die seit einiger Zeit politisch korrekte Bezeichnung „Sinti und Roma“ hat an ihrer Ausgrenzung kaum etwas ändern können.
Vielleicht kann nur eine innere Wandlung in uns, die wir mal die Spötter und mal die Verspotteten sind, den Schmerz solcher In- und Exklusionen lindern. Dann kann aus dem, was gerade noch Drama war, ein unterhaltsames Gesellschaftsspiel werden, das zudem Rollentausch erlaubt.
Mir hilft es, mir bei dem Spott über meinen inneren Schweinehund, Nörgler oder Perfektionisten zuzusehen und dabei, wie gnädig oder ungnädig ich als Dompteur dieser inneren Identitäten jeweils gerade mit ihnen umgehe. Wie viel Raum gebe ich dem Größenwahnsinnigen in mir und wie viel dem „Ich-kann-nix, weiß nix, bin nix“? Johannes Gallis Kellerkinder bieten schöne Beispiele, wie das humorvolle Ausagieren innerer Anteile sowohl eigene Blockaden heilt, als auch für die Empfindlichkeiten anderer sensibilisiert.
Mensch, erkenne dich selbst
Damit wären wir beim Selbstbezug. Wer bin ich denn, über den ich da spotte, wenn ich mich selbst auf die Schippe nehme? Welchen Anteil von mir verspotte ich da gerade, und wer ist das, der da spottet? Wenn mir „nichts Menschliches fremd“ ist, wie der römische Dichter Terenz es in seiner Komödie „Der Selbstquäler“ eine seiner Figuren sagen lässt, dann habe ich doch alles in mir. Dann wäre jeder Spott, den ich in diesem Bewusstsein auf ein Objekt in der Außenwelt richte, eine Verspottung meiner selbst. Das wissen die Verspotteten aber nicht. Sie halten mich stattdessen für einen sie verachtenden Spötter. Meist haben sie damit auch recht.
Besser, ich belustige mich über Eigenschaften von mir, die jeder an mir sehen kann. Dann lachen sie über mich, und es bleibt ihnen überlassen, wie sehr sie dabei merken, dass sie über sich selbst lachen.