Eine Welt ohne Geld
Im Mutmach-Gespräch skizziert die Künstlerin Bilbo Calvez den philosophischen und sozialpsychologischen Hintergrund ihrer Vision einer geldfreien Gesellschaft.
„Woher nehmen und nicht stehlen?“ Die Vorstellung, ohne Geld zu leben, verursacht bei den meisten Angst, vor allem vor Verarmung und Abhängigkeit. So kommt es, dass wir gegen den größten Tyrannen in unserem Leben, das Geld, nichts unternehmen, weil wir uns ein Dasein ohne ihn gar nicht vorzustellen vermögen. Es ist daher zunächst wichtig, das eigene Vorstellungsvermögen etwas zu erweitern. Bilbo Calvez spricht über ihre Mission als Künstlerin sowie die dringende Notwendigkeit, den eigenen Lebenssinn und die Berufung zu entdecken und zu verwirklichen. In ihrem soeben erschienenen Debütroman „Saruj — stell dir vor, es gibt kein Geld mehr“ entwirft sie eine futuristische Utopie, in der die Menschheit ohne Geld und andere Tauschmittel friedlich, frei und kooperativ lebt.
„Ich sage nicht, dass es möglich ist, aber als Künstlerin male ich eine Vision“
Kaum vorstellbar scheint dieser Paradigmenwechsel von der heutigen, autoritär organisierten turbokapitalistischen Gesellschaft, die um den Menschen einen engen Verhaltensrahmen definiert. Geld hat in unserer Welt vielfach einen höheren Stellenwert, als die eigene Würde und sogar das Leben selbst. Regeln, Gesetze, Kontrolle, Belohnung und Strafe sind notwendige Begleiter der gegenwärtigen Herrschaftsform, denn wir Menschen und unsere wahrhaftigen Sehnsüchte müssen schließlich „in Schach“ gehalten, die uns innewohnenden Kräfte zu sinnvoller Veränderung unterdrückt werden. Sowohl von denen „da oben“ als auch ihrem System, das uns, um weiterbestehen zu können, als funktionierende Zahnräder braucht.
Wenn wir jedoch die Gelegenheit bekämen, in vertrauensvollem Umfeld Eigenverantwortung, Initiative und Empathie zu entwickeln, bräuchten wir weder einen starren äußeren Rahmen, noch bräuchten wir Geld, erläutert Bilbo Calvez ihre Vision. Die intrinsische Motivation der Menschen sei es, anderen und sich selbst Gutes zu tun. Allerdings gehe es nicht darum, neue Konzepte zu adaptieren, sondern um einen tiefen Entwicklungsprozess, in dem auch die Aktivierung der rechten, intuitiven Gehirnhälfte von zentraler Bedeutung sei. Dieser wird heute ungerechtfertigterweise noch viel weniger Bedeutung beigemessen, als der linear-rationalen linken Hemisphäre.
Die Veränderung zur Freiheit braucht viel Empathie!
Tiefgreifende Veränderungen kosten Kraft, sie sind sehr anstrengend, wie auch der Hirnforscher Gerald Hüther erläutert:
„Wir sind dazu bereit, wenn wir wissen, wozu es gut ist. Mit anderen Worten: wenn wir ein in die Zukunft weisendes, Kohärenz stiftendes Anliegen haben. Also wenn uns das, was in ferner Zukunft liegt, wichtiger ist, als das, was der Augenblick uns an Beruhigungspillen liefert.“
Wir könnten zweifellos anders leben, als wir es derzeit tun. Voraussetzungen für die hierzu notwendige Veränderung sind dabei die Fähigkeit zur Vorstellung von Alternativen und die Sehnsucht nach dieser anderen Wirklichkeit.
Bilbo Calvez will durch ihre lebendig und detailliert ausgearbeiteten Visionen inspirieren, Hoffnung schenken und ermutigen. Die Vorstellung einer Gesellschaft, die auf Wohlwollen und Güte anstelle von Wirtschaftlichkeit und Zweckrationalität basiert und die geprägt ist von Sanftmut und radikal praktiziertem Vertrauen — Qualitäten, die in unserer heutigen Gesellschaft schmerzlich fehlen — hat die französische Künstlerin schon früher beschäftigt und auch zu ihrem Projekt „Bärensuppe“ inspiriert.
Sie stiftet mit ihren Projekten dazu an, Anarchie leben zu lernen. Im Mutmach-Gespräch mit Friederike de Bruin erklärt sie, dass radikale Anarchie wie das Zusammenleben innerhalb einer Familie funktioniert: Es gibt keine totalitären Regeln, über alle notwendigen Regeln wird gemeinsam entschieden. Und es wird auch nicht gezählt und aufgerechnet.
Für Bilbo Calvez ist die Erkenntnis, dass wir Gemeinschaftswesen oder in ihren Worten „Vertrauenswesen“ sind, essenziell. Am Beispiel der „Bärensuppe“ habe sie dies ganz praktisch erlebt und durch diese wie auch andere Erfahrungen immer wieder die Bestätigung erhalten, dass wir zum Wohle aller kooperieren können: „Wir Menschen sind liebevoll.“