Eine Frage der Verantwortung

Ob wir Opfer oder Schöpfer unserer Lebensgeschichte sind, das entscheiden wir.

„Ich übernehme die volle Verantwortung.“ Oft haben wir diesen Satz gehört von Menschen, die Verantwortung mit der Macht über andere verwechseln. Hier geht es um die Verantwortung, die wir für uns selbst übernehmen. Sie hat nichts mit Schuld zu tun, sondern ist die Grundlage dafür, in seine schöpferische Wirkmacht zu kommen. Diese Macht ist im wahrsten Sinne unerschöpflich. Begrenzend wirken die Hindernisse, die wir ihr entgegensetzen.

Wir haben einen gewissen Einfluss darauf, wie unser Leben abläuft. Mit dieser Aussage dürften die meisten Menschen einverstanden sein. Wir wählen unseren Beruf und unsere Aktivitäten, suchen uns unsere Freunde und Partner aus und haben die Qual der Wahl neuerdings auch bei unserem Geschlecht. Positives Denken ist in Mode, und viele schicken ihre Wünsche ans Universum. Und auch wenn es mit der Erfüllung nicht klappt: Ob das Glas halb leer oder halb voll ist, das entscheiden wir.

Doch wie weit geht unser Einfluss? Wer oder was bestimmt die Grenzen unserer Wirkmacht? Haben wir zum Beispiel einen Einfluss darauf, welche Krankheiten wir bekommen und wie sie heilen? Hier wird es schon schwieriger. Wer sich von Fast-Food ernährt und sich kaum bewegt, wird sich nicht wundern, wenn er früher oder später krank wird. Derjenige hingegen, der krank wird, obwohl er auf eine gesunde Ernährung und viel Bewegung achtet, sieht sich oft als Opfer äußerer Umstände oder genetischer Veranlagungen.

Wo beginnt unsere Wirkmacht und wo endet sie? Endet sie überhaupt? Oder können wir uns, wie es in der evangelisch-lutherischen Heilslehre verankert ist, noch so sehr anstrengen und kommen doch nicht ins Paradies, wenn es nicht in unserem Schicksalsbuch steht? Ist es der Zufall, der über alles regiert? Wovon hängt es ab, was uns in unserem Leben geschieht?

In der Ohnmacht gefangen

Viele Menschen fühlen sich regelrecht vom Leben bestraft. Das ist umso tragischer, weil viele davon ausgehen, nur dieses eine Leben zu haben. Alles setzen wir daran, es uns so lang, so bequem oder so erlebnisreich wie möglich zu machen. Wir konsumieren, was wir können, ohne uns Gedanken über die Auswirkungen zu machen. Nach uns die Sintflut. In einem zerstörerischen Hedonismus machen wir die Nacht zum Tag und den Winter zum Sommer.

Krankheit und Tod stehen viele geradezu feindselig gegenüber und können sie nur als ungerecht deuten. Die Maschine läuft nicht, wie sie soll. Bestenfalls kann sie repariert werden. Das machen Spezialisten. Wir müssen es nur über uns ergehen lassen. Determinismus, Materialismus und Kapitalismus haben ein Menschenbild geprägt, wonach wir zu Objekten geworden sind, die sich über ihren Besitz, ihre Arbeit, ihre Interessen, ihre Familie und ihr Aussehen definieren.

Das Leben ist ein erbitterter Kampf ums Überleben, das Haben bestimmt das Sein und eine Seele gibt es nicht. Wer so denkt, der wird keinen Sinn in den Dingen erkennen können, keine Botschaft in den Ereignissen. Er wird sich nicht fragen, was die Ereignisse mit seiner eigenen Haltung zu tun haben.

Anstatt das Innen zu erforschen, wird er auf das Außen projizieren. Statt auf Eigenverantwortung setzt er auf Schuld. Damit sind alle Werkzeuge vereint, die ihn von seiner Kraft abschneiden, sein eigenes Leben zu lenken und zu gestalten.

Verantwortung verleiht Flügel

Als ich an Krebs erkrankte, war es die Ohnmacht, die für mich am unerträglichsten war. Ich wurde durch Röhren geschoben, in Daten zerlegt und bekam Protokolle verabreicht. Andere kümmerten sich um mein Problem. Ich musste nur folgen und die Daumen drücken, dass es nicht schiefgeht. Eine Garantie gab es nicht. Niemand konnte mir versprechen, dass es funktioniert.

Ein Kind begibt sich vertrauensvoll in die Hände der Erwachsenen und lässt sie machen. Doch ich war kein Kind. Ärzte sind für mich keine Götter in Weiß, sondern Menschen. Menschen machen Fehler. Sie können sich irren. Sie können eitel und erfolgssüchtig sein und sich mehr für den eigenen Verdienst als für das Wohl ihrer Patienten interessieren. Ihnen wollte ich mein Leben nicht anvertrauen. Ich wollte es selbst in die Hand nehmen.

Die Verantwortung für den eigenen Körper, das eigene Leben, ist keine Bürde, die man trägt. Sie hat es mir nicht noch schwerer gemacht, sondern mir geradezu Flügel verliehen. Ich musste mich nur noch um mich kümmern. Was andere machten, war ihre Sache. Ich musste mich nicht mehr damit beschäftigen, an den Ereignissen herumzudrehen, sondern konnte in mich hinein tauchen und auf die Suche gehen.

Aussteigen

So ist es geblieben. Es geht um mich. Wenn bei mir etwas zwickt, kneift oder drückt, gibt es nur einen einzigen Menschen, der dafür verantwortlich ist: ich. Was ich zu tun habe, ist, genau hinzuspüren und das Gefühl nicht wegzudrücken. Nicht wie damals zu sagen „Stell dich nicht so an“ oder „Das bildest du dir doch nur ein“. Da sein. Zuhören. Glauben schenken. Mir selbst eine gute Mutter sein, ein guter Vater. Mir nicht vorwerfen, schon wieder so empfindlich zu sein und immer noch mit Problemen beschäftigt, die ich für längst gelöst hielt.

Das hilft. Ab dem Moment, in dem ich etwas ausdrücken kann und man mir wohlwollend zuhört, ist das Problem fast schon gelöst. Die Knoten öffnen sich, die Energie fließt wieder. Es klingt zu schön, um wahr zu sein? Und doch: Es funktioniert.

Einfach ist es nicht. Denn wir müssen etwas sein lassen: uns am Außen abzuarbeiten und unsere Neigung, Probleme, die uns betreffen, auf andere abzuladen. Vorbei die Zeiten, in denen wir mit dem Finger auf andere zeigten. Vorbei die wohlige Genugtuung bei dem Gedanken, dass andere die Idioten sind, vorbei die Feindbilder, auf die sich Wut und Verzweiflung ergießen können.

Alles in Ordnung

Wer dazu bereit ist, wirkliche Eigenverantwortung zu übernehmen, für den ist das Außen ein Abbild dessen, was sich in ihm abspielt. Nur hier kann er etwas verändern. Er lässt die anderen in Ruhe und macht sich daran, die Hindernisse in sich aus dem Weg zu räumen, die ihren Schatten auf das Gegenüber werfen. Er löst in sich das auf, was die Welt dunkel macht. Er dreht sich um und wendet sich der Lichtquelle zu, über die der Film projiziert wird. So kann er die Produzenten und Regisseure erkennen und versteht, dass er einen Film nicht zu Ende sehen muss. Er kann den Saal verlassen und raus in die Natur gehen, dorthin, wo alles echt ist.

In der Echtheit und Ruhe der Natur, dort, wo alles wahrhaftig ist, lernt er, Film und Wirklichkeit voneinander zu unterscheiden. Einen Film erkennt er daran, dass einige wenige von ihm profitieren. Die Wirklichkeit hingegen nützt allen. Auch wenn sich ein Lebewesen vom anderen ernährt: Alles hat seinen Platz. Alles ist Kooperation, gemeinsames Wirken.

Vor diesem Hintergrund ist alles in Ordnung. In kosmischer Ordnung. Allein wer sich ihr widersetzt und ihr seinen Widerstand entgegenbringt, bezahlt ihn mit Schmerz und Leid. Auch Krankheit hat hier ihren Ursprung. Etwas ist blockiert.

Heilung geschieht, wenn die Hindernisse aufgehoben sind und die Energie wieder fließt. So finden die Dinge von ganz allein immer wieder in die Homöostase zurück, das Gleichgewicht eines offenen, dynamischen Systems.

An uns ist es, die Wirkung der Selbstheilungsprozesse nicht zu behindern und die Bedingungen zu schaffen, dass der Schmerz, die Krankheit, das Problem sich auflösen können: Frieden, Ruhe, Vertrauen, Hingabe an die große Ordnung. Der Arzt kann den Bruch schienen. Heilen muss der Knochen allein. Unsere Verantwortung ist es nicht, an den Dingen herumzuschrauben, sondern einen Raum zu schaffen, in dem Heilprozesse möglich werden.

Tragödie oder Abenteuer?

Wer das tut, hat keine Zeit, sich als Opfer zu fühlen. Er gerät nicht in die Fänge einer Ohnmacht, die ihn degradiert und nach unten zieht, sondern wächst in die Höhe. So lernt er das Paradox verstehen, wonach wir gleichzeitig ohnmächtig und mächtig sind. Wir sind beides zusammen: Sternenstaub, Sandkörner in der Wüste, und zugleich mächtige Schöpferwesen, die das Potenzial in sich tragen, die Welt mitzugestalten.

Erst dann kann sich unsere Wirkkraft entfalten, wenn wir die Ereignisse im Außen nicht als gegen uns gerichtet sehen. Sie geschehen. Wir wissen nicht, warum. Wie sie auf uns wirken, hängt von der Bedeutung ab, die wir ihnen geben. Lassen wir uns durch die Katastrophenszenarien, die überall aufgezogen werden, in Panik versetzen, oder bleiben wir gelassen, atmen tief durch und versuchen, in uns Klarheit zu schaffen, um sie aus uns herausstrahlen zu lassen?

Mit dieser Haltung sind wir nicht vor Krankheit, Unfällen, Verlusten und Ungerechtigkeiten gefeit. Es geht auch nicht darum, innerlich abzustumpfen und sich nicht mehr von den Ereignissen berühren zu lassen. Angst, Wut und Trauer bleiben unsere treuen Begleiter. Doch das Leben erscheint uns weniger als eine Tragödie und mehr wie ein Abenteuer, bei dem es nicht verboten ist, sich auch dann zu amüsieren, wenn wir durchgeschüttelt werden.

Wie es euch gefällt

Was auch geschieht: Das Leben ist nicht ungerecht. Es folgt bestimmten Gesetzen. Wer sie nicht kennt oder sich ihnen widersetzt, der bekommt Gegendruck. Nicht als Strafe. Leid ist nicht notwendig. Es ist eine Information, eine Aufforderung, es auf eine andere Weise zu versuchen und die Haltung zu ändern.

Festhalten oder loslassen: Wir haben die Möglichkeit, die Intensität unseres Schmerzes zu beeinflussen. Er vergeht, wenn wir uns entspannen und die Nerven sich beruhigen. Dann erkennen wir vielleicht, dass die Ungeheuer, die uns begegnen, mit der Energie wachsen, mit der wir sie füttern. Sie brauchen unsere Aufmerksamkeit, unsere Empörung, unsere Angst. Entziehen wir sie ihnen, schrumpfen sie zusammen wie ein Ballon, aus dem die Luft entweicht.

Es liegt an uns, ob wir uns unbewusst wie Nutzvieh unsere Energien absaugen lassen oder uns bewusst fragen, was die Ereignisse mit uns zu tun haben. In jedem Fall haben sie das. Sonst würden wir sie nicht wahrnehmen.

Was uns nicht betrifft, das könnten wir gar nicht sehen. So ist nicht irgendwer da draußen das, womit wir uns zu beschäftigen haben — die anderen, die Eliten, die Politiker — sondern wir. Was machen wir groß? Den Hass, die Wut, die Lüge den Krieg? Oder die Wahrheit, die Liebe, die Weisheit, den Frieden, die Freude, die Schönheit?

Hermetische Gesetze

Sich hierfür bereit zu machen ist um Vieles anspruchsvoller, als Wunschlisten ans Universum zu schicken oder sich die Welt schön zu denken. Das Dunkle muss mit einbezogen werden, um es überwinden zu können. Der Schmerz muss angeschaut und angenommen werden. Dann wirken sie für uns, die Gesetze, die seit uralter Zeit die Welt bewegen.

Die auf Hermes Trismegistos zurückgehenden hermetischen Gesetze, die Verbindung einer altägyptischen mit einer griechischen Gottheit, bestehen aus sieben Prinzipien. Ihnen liegt die Ansicht zugrunde, dass das All geistiger Natur ist. Neben dem Prinzip der Geistigkeit gibt es das Prinzip der Analogie, wonach sich die Gegensätze ineinander spiegeln: Wie innen, so außen, wie oben, so unten, wie der Geist, so der Körper. Alles ist Bewegung, alles fließt, alles ist polar.

Die Gegensätze sind ihrer Natur nach identisch und nur in ihrer Ausprägung verschieden. Alles trägt sein männliches und sein weibliches Prinzip in sich. Jede Ursache hat ihre Wirkung, Zufall ist nur ein Begriff für ein unerkanntes Gesetz. Es gibt viele Ebenen von Ursachen, aber nichts entgeht dem Gesetz. Wer das respektiert, kann das realisieren, was er sich wünscht. Er muss nichts und niemanden mehr bekämpfen, niemanden beschuldigen, niemanden belehren und von oben herab behandeln. Es ist sein eigenes Verhalten, mit dem er zunächst sich selbst und dann seine Umgebung verändert.

Wenn wir diese Gesetze verinnerlichen, müssen wir uns keine Sorgen mehr um die Gerechtigkeit machen. Wie man in den Wald hineinruft, so ruft es zurück. Früher oder später bekommt jeder, was er ausgesät hat. So können wir auf Rache und Groll verzichten und uns ganz in Ruhe dem zuwenden, was wir realisiert sehen wollen.