Eine Frage der Humanität

Eine Menschenrechtsorganisation fordert die Freilassung von Assange und geißelt die Missachtung der Foltervorwürfe des UN-Sonderberichterstatters.

In einem offenen Brief an die Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe, Bärbel Kofler, fordert die Internationale Liga für Menschenrechte die sofortige Freilassung des Enthüllungsjournalisten Julian Assange aus humanitären Gründen. Sie fordert angemessene Gesundheitsfürsorge, Zugang zu allen Akten für seine Verteidigung, Schutz vor Auslieferung an die USA, Ausreise nach Australien oder Asyl in den Mitgliedsstaaten der EU. Die Organisation kritisiert das Desinteresse der Bundesregierung an dem Fall und pocht auf universelle Menschenrechte.

Sehr geehrte Frau Kofler,

die Internationale Liga für Menschenrechte (Sitz Berlin) ist Mitglied und Mitbegründerin der seit 1922 weltweit aktiven Fédération Internationale pour les Droits Humains (FIDH). Sie arbeitet auf der Basis der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948, der Europäischen Menschenrechtskonvention von 1950 und der beiden UN-Pakte von 1966. Sie betrachtet die Menschenrechte als universell, unteilbar und unveräußerlich. Ihr Menschenrechtsbegriff umfasst gleichberechtigt die bürgerlich-politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Schutz- und Teilhaberechte.

Nicht nur unsere Organisation beobachtet mit Sorge, dass Völkerrecht und Menschenrechte zunehmend unter Druck geraten. Regierungen nehmen für sich immer unverhohlener in Anspruch, diese Rechte ihrem opportunen politischen Handeln unterzuordnen.

Wir sind täglich Zeugen der Gleichgültigkeit und häufig der Missachtung gegenüber völkerrechtlich bindenden Verträgen, die die Staatengemeinschaften nach den Katastrophen des 20. Jahrhunderts in der Sorge um die Menschen miteinander geschlossen haben.

Die Internationale Liga für Menschenrechte setzt sich seit jeher für die Verwirklichung und Erweiterung der Menschenrechte in Deutschland, Europa und auch darüber hinaus ein. Sie leiht den Institutionen und VertreterInnen der Vereinten Nationen ungeteilte Aufmerksamkeit und zollt ihnen höchsten Respekt. Umso entsetzter ist sie über die selbstherrliche Reaktion des Auswärtigen Amtes gegenüber dem UN-Sonderberichterstatter über Folter.

Im Fall des australischen Whistleblowers Julian Assange wies Nils Melzer das Amt darauf hin, dass Assange sich nach fast zehn Jahren der Verfolgung durch die Vereinigten Staaten von Amerika, Ecuador, Schweden und Großbritannien auf Grund von psychischer Folter, von unhaltbaren und unangemessenen Haftbedingungen, von Angriffen durch falsche Vergewaltigungsvorwürfe, von Freiheitsberaubung durch bewusst falsche Haftbefehle und von Strafverfahren in akuter Lebensgefahr befindet. Das Auslieferungsgesuch der USA wird in diesem Monat gegenüber einem Journalisten verhandelt, der unumstritten Kriegsverbrechen und Korruption ans Licht brachte und den Vorhang vor Regierungs- und Konzernkriminalität gelüftet hat.

Der Vorstand der Liga verweist zu den Einzelheiten auf seine Presseerklärung vom 17. Januar 2020 nach Inkrafttreten der EU-Richtlinie 2019/1937 zum Schutz von Whistleblowern und deren Bedeutung im Zusammenhang mit Hinweisgebern wie Edward Snowden und Julian Assange.

Das Auswärtige Amt bekundete durch seinen Sprecher das Desinteresse an den Berichten des UN-Sonderberichterstatters, indem es verlauten ließ, dass es die Anzeige von Menschenrechtenverletzungen im Fall Assange auch zukünftig nicht zur Kenntnis nehmen wolle. Es handelt sich bei den Vorwürfen von Nils Melzer um nicht weniger als die Verletzung unter anderem der Artikel 7, 10, 13, 14 Absatz 2 und Absatz 3 Buchstabe b, 19 Absatz 2 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte.

Diese Rechte werden als universell verstanden. Darum dürfen die Vertragsstaaten unter keinen Umständen ihre Augen vor rechtswidrigem Handeln auch befreundeter Regierungen verschließen. Der alleinige Verweis auf angenommene Rechtsstaatlichkeit kann kein valides Argument sein, um die Untersuchungsergebnisse des UN-Sonderberichterstatters zu verwerfen.

Die Liga fordert die sofortige Freilassung des Hinweisgebers Julian Assange aus humanitären Gründen, angemessene Gesundheitsfürsorge, Zugang zu allen Akten für seine Verteidigung, Schutz vor Auslieferung an die USA, Ausreise nach Australien oder Asyl in den Mitgliedsstaaten der EU.

Die Liga appelliert an Sie als Beauftragte für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe, in diesem Sinne auf die britische Regierung einzuwirken. Da Sie auf Ihrer Webseite die notwendige Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft betonen, gehen wir davon aus, dass Sie uns noch vor Beginn des Verfahrens zum Auslieferungsantrag der USA antworten werden.

Mit freundlichem Gruß

Für den Vorstand

Knut Albrecht, Vorstandsmitglied


Quellen und Anmerkungen:

Offener Brief auf der Homepage der Internationalen Liga für Menschenrechte.