Ein Wortgebirge
„Aus dem Innersten“: Der Glaube ist dem Unglauben überlegen.
In einer weiteren Ausgabe von „Aus dem Innersten“ denkt Thomas Eblen über menschliches Verhalten nach, genauer: über Glauben und Unglauben und darüber, wie beide zueinander stehen. Zu erwarten ist nichts Erwartbares, das versteht sich. Doch die sehr ungewöhnliche und am Ende eben literarische Verknüpfung wirft ein neues Licht auf Dinge, die einem in der ungewöhnlichen Darbietung plötzlich doch vertraut werden. Vielleicht hat übrigens auch das politische Verhalten von Menschen mit diesem Unglauben und dem Starren zu tun, von dem Eblen spricht — viel mehr als wir glauben.
Kurze Vorrede: Reden und glauben, Sie kennen beides. Geht das zusammen oder ist der Glaube ein stilles Geschäft, das jeder für sich selber einrichten muss? Der Glaube, so scheint es, kann nie von außen kommen, aber von außen geformt sein. Das Perfide ist ja, dass man alles glauben kann. Darin besteht ja die Freiheit des Menschen. Aber die Kenntnis, dass Glauben leicht sein kann, ein Lebensgeschenk, ein wärmender Sonnenstrahl, der einem aufhilft, wenn man hilflos auf dem Boden liegt, ist nicht weitverbreitet.
In diesem Text ist für einmal der Unglaube das Schwere. Er ist das Wortgebirge, das einen jede Sekunde unter sich begraben kann.
Natürlich kann auch der Glaube fest, schwer und klumpig sein. Aber dann ist er schon zum Unglauben geworden. Und ebenso natürlich ist das alles meine Annahme. Spüren Sie die Leichtigkeit?
Zur Sache: Ich kann es nicht ertragen, wenn sich Menschen mir nähern. Ich möchte dasitzen und zufrieden in den Himmel schauen. Doch es geht nicht. Immer kommen Leute aus ihren Häusern, überqueren die Straße und gehen dann an mir vorbei.
Ich bin für mein Leben gerne in meinem Vorgarten. Dort sitze ich auf einem Stuhl und schaue in den Himmel. Dann kommen diese Leute vorbei. Sie müssten nicht unbedingt hier vorbei, sie könnten auch einer anderen Abzweigung folgen, einer, die nicht an mir vorüberführt. Aber das wollen sie nicht. Sie wollen unbedingt an mir vorbei. Weil sie so gerne starren. Sie starren für ihr Leben gerne und in ihrem Starren ist all ihre Dummheit zu erkennen.
Wenn sie wüssten, wie dumm sie erscheinen, wenn sie starren, sie würden nie mehr starren. Aber sie wissen es nicht. Weil niemand wirklich mit ihnen redet. Jene, die mit ihnen reden, schichten nur Worte übereinander, bis diese zusammenfallen und ihre Redner unter sich begraben.
Deshalb gibt es hier in der Gegend auch so viele Wortgebirge, die in sich zusammengefallen sind und ihre Redner unter sich begraben haben. Überall hört man dieses unerträgliche Gejammer.
Viele wollen es als Windgeräusche abtun oder auch als Gewittergetöse, erhellt von grellen Blitzen. Aber natürlich kann man das nicht glauben und diese Leute glauben es selbst auch nicht wirklich. Aber sie wollen es glauben, müssen es sogar glauben, denn sonst könnten sie ja nicht so gelassen an mir vorbeigehen und mich anstarren. Das geht nur, wenn man einen Unglauben hat. Denn nur wenn man einen Unglauben hat, kann man sich für die Geschicke der anderen Leute interessieren.
Glaubte man wirklich, so hätte man genügend mit sich selbst zu tun. Was zu mir findet, sind jedoch Ungläubige, die Angst haben, unter einem Wortgebirge eingeschlossen zu werden, und deshalb flüchten sie in ruhigem Schritt zu mir und starren mich an. Sie starren mich so an, als ob ich eine Antwort wüsste, und dabei haben sie nicht einmal eine Frage gestellt.
Aber man sieht ihnen auch an, wo der Schuh drückt. Sie wollen wissen, wie man an sich glauben kann, denn nur wer an sich selber glaubt, kann in seinem Vorgarten sitzen und in den Himmel schauen ohne Angst, unter seinem eigenen Wörterberg oder demjenigen eines anderen begraben zu werden.
So kommen sie an mir vorbei, bleiben einige Zeit stehen und starren mich an. Ich rühre mich nicht, denn ich kann ihnen nicht helfen. Wenn man an etwas selbst schuld ist, kann einem niemand helfen. So ist die Situation nun einmal. Ich kann auch kein Mitleid empfinden, weil diese Leute genug Gelegenheit gehabt haben, einen eigenen sie tragenden Glauben anzunehmen.
Es gibt so viele Menschen, die wissen, wie man zu einem eigenen, tragenden Glauben kommt, nur ist es so, dass diese Menschen nicht reden. Sie bleiben stumm. Denn wenn sie anfangen zu reden, wird ihr Glaube zu einem Unglauben. Das ist nun einmal so.
Und wenn der Glaube zu einem Unglauben geworden ist, brechen über einem die eigenen Wortgebirge zusammen und man wird darunter begraben. Nur jene, die stumm bleiben, sitzen in Vorgärten und schauen in den Himmel. Ich bleibe stumm.
Kein Mensch wird mich dazu bringen zu reden, nicht einmal zu sprechen. Sie sollen mich anschauen, das würde ich zulassen. Doch die Leute, die an mir vorbeikommen, starren nur und wissen gar nicht, was das ist: Schauen. Deshalb rede ich erst recht nicht.
Aber die Leute denken ja genauso. Wenn der nicht redet, dann eben nicht. Sie gehen wutschnaubend zurück, gehen in ihre Häuser, schmollen eine Weile und festigen dann aus Trotz ihren Unglauben. Da kann man nichts machen.
Viele haben sich jetzt eine zusammenklappbare Schaufel gekauft, eine, die man auf Hosentaschengröße zusammenklappen kann. Mit der schaufeln sie sich dann frei, wenn sie wieder einmal unter einem Wortgebirge eingeschlossen sind. Und es gelingt. Man hört allen Orts ihre Jubelschreie.
Doch alsbald werden sie von einem anderen Wortgebirge unter sich begraben, sobald sie sich beruhigt haben. So hört man über den ganzen Ort verteilt Jubelschreie und verstummende Stimmen. Ich dagegen und auch viele andere, die stumm ihrem Glauben folgen, sitzen in Vorgärten und schauen fasziniert in den Himmel.