Ein verwundetes Land

Serbien leidet bis heute an den Folgen des NATO-Bombardements und lässt sich nicht für Kriegshetze gegen Russland einspannen.

„Wo es mir gut geht, da ist mein Vaterland“, sagt eine Volksweisheit. Für den Autor ist Serbien dieser Ort, seit Jahren seine Wahlheimat. Nun ist Serbien in der westlichen Presse seit Langem als „Schurkenstaat“ markiert. In der Zeit von Slobodan Milošević galt der Balkanstaat als Feindesland par excellence — nun grenzt sich Präsident Aleksandar Vučić auch nicht mit ausreichender Entschlossenheit von Wladimir Putin ab, lässt sich auf aggressive Feindrhetorik nicht ein, mahnt stattdessen zum Frieden. Serbien als Feindesland zu betrachten ist umso leichter, je weniger man Land und Leute tatsächlich kennt. Die Einwohner sind nämlich außergewöhnlich herzlich und hilfsbereit, wie Reisende bezeugen können. Nur ein Trauma lastet noch auf ihrer Seele: Das Bombardement der NATO im Jahr 1999, dem etwa 3.500 Menschen zum Opfer fielen und das eine schlimme, Krebs erregende Uranmunition zurückließ, unter der die Bewohner bis heute zu leiden haben.

Einleitung

Vor circa zwei Jahren äußerte ich nach einem einwöchigen Besuch meiner ehemaligen Heimat in vertrauter Runde im Gastland Serbien auf die neugierige Frage „Wie war es?“ spontan:

„Wo es mir gut geht, da ist mein Vaterland.“

Die folgenden Ausführungen sind keine Analyse der Politik Serbiens, sondern eine subjektive Beschreibung der Eindrücke, die ich als Deutscher, der mit einer serbischen Ex-Diplomatin verheiratet ist, nach über vier Jahren Aufenthalt im Land gewann. Die Eindrücke beziehen sich sowohl auf die Hauptstadt Belgrad als auch auf eine Kleinstadt in den Bergen von Sumadija.

Beschreiben werde ich nur das, was ich in den Jahren vor und während meines Aufenthalts erlebte. Politische Begebenheiten, bei denen ich direkt involviert war, werden auch erwähnt. Ansonsten steht es mir nicht zu, mich in die politische Situation des Gastlandes einzumischen.

Da die beschriebenen Erlebnisse vorwiegend positiv sind, wäre es zu wünschen, sie würden publiziert werden, da Serbien mit seinen Bürgerinnen und Bürgern seit Jahrzehnten falsch gesehen wird. Hinzu kommt politischer Druck mächtiger Staaten. Dadurch werden gravierende Vorurteile bis heute gezielt wachgehalten und geschürt. Das haben die Menschen Serbiens nicht verdient.

In diesem Sinne ist das Folgende als Aufklärung eines in Serbien lebenden intellektuellen Zeitgenossen zu verstehen, die uns lehren soll, was Wahrheit und was Lüge ist.

Gastfreundschaft

Die Gastfreundschaft der Menschen in diesem Land ist ein hervorstechendes Merkmal. Man wird überall freundlich empfangen und willkommen geheißen („dobro dosli“) — auch wenn man die serbische Sprache nicht spricht. Wenn die Menschen dann realisieren, dass man Deutscher ist, versuchen sie schnell ein paar Worte Deutsch zu sprechen.

Ein bewegendes Beispiel war für mich die selbstverständliche Hilfeleistung, die ich von zwei Medizin-Professoren erhielt, als ich an den Nebenwirkungen neuer Tabletten litt. Beide Professoren taten alles in ihrer menschlichen und medizinischen „Macht“ Stehende, um mir zu helfen.

Ich erwähne dieses positive Merkmal „Gastfreundschaft“ deshalb, da das gezeigte Verhalten keine Selbstverständlichkeit ist nach all dem, was deutsche Regierungen und deutsche Soldaten während des Zweiten Weltkrieges und im Jahr 1999 während der NATO-Aggression dem Land angetan haben.

Gegenseitige, generationsübergreifende Hilfe

Die gegenseitige Hilfe der Bürger Serbiens untereinander ist ein weiteres positives Merkmal.

Immer wieder erstaunt es mich, wie nicht nur Mitgliedern der eigenen Familie und nahestehenden Verwandten bei jeder sich bietenden Gelegenheit wie selbstverständlich unter die Arme gegriffen wird. Dabei handelt es sich um finanzielle Unterstützung oder um eine gewöhnliche Hilfeleistung wie die Entlastung von körperlicher Arbeit. Es wird niemand „im Stich“ (alleine) gelassen.

Bleibt ein Auto mit irgendeinem Schaden auf der Straße liegen, leisten Vorbeifahrende jede erdenkliche Hilfe. Mir ist dieses Verhalten aus meinem Vaterland nicht bekannt.

Weiterhin gab es eine Zeit, in der ich aufgrund einer Gangunsicherheit auf zwei Wanderstöcke angewiesen war. Diese Zeit werde ich nicht vergessen.

Wo immer ich hinging — ob in eine Bankfiliale, eine Bäckerei oder einen anderen Laden — sofort wurde mir ein Stuhl und der Vorrang in der langen Warteschleife angeboten. Auch auf den Fußgängerstreifen ließ mir vor allem die mittlere und ältere Generation stets den Vortritt; dieses Verhalten überraschte und freute mich.

Bei den serbischen Bürgern selbst registrierte ich, dass ältere Personen in der Regel immer von einem jüngeren Familienmitglied (Sohn oder Tochter) begleitet wurden. Die Begleitperson übernahm dann meist die anstehenden, mühseligen Formalitäten für die älteren Personen.

Nun zu einem finsteren Kapitel:

Ein Krieg, der nicht zu Ende geht

Im März 1999 griff die NATO überraschenderweise und ohne triftigen Grund das ehemalige Jugoslawien (Serbien und Montenegro) an.

Dabei bombardierten die Staaten der NATO nicht nur die serbische Hauptstadt Belgrad und einige Gebiete des Landes, sie setzten mit Depleted Uranium (DU) auch gehärtete und international geächtete Munition gegen das Land ein.

Nicht nur die Bürgerinnen und Bürger Serbiens leiden bis heute an den Konsequenzen dieser krebserregenden Munition. Auch das Wasser, die Atmosphäre und ganze Landstriche wurden verstrahlt beziehungsweise mit ungeahnten Folgen vergiftet.

Daraufhin publizierten im Jahr 2012 Vladislav Jovanovic, Slobodan Petkovic und Prof. Dr. Slobodan Cikaric in serbischer und englischer Sprache das Aufsehen erregende Buch „CRIME IN WAR – GENOCIDE IN PEACE“ mit dem Untertitel „The consequences of NATO bombing of Serbia in 1999“ (1).

10 Jahre später (2022) veröffentlichten zwei ausgewiesene Experten, Dr. Zorka Vukmirovic sowie Prof. Dr. Danica Grujicic, das Buch „THE TRUTH ABOUT THE CONSEQUENCES OF THE NATO BOMBING OF SERBIA IN 1999”. Herausgeber ist die „Serbische Gesellschaft für den Kampf gegen Krebs“, deren Präsidentin Frau Prof. Grujicic ist (2).

„Der Krieg, der nicht zu Ende geht“ war der Titel meines im Jahr 2018 erstmals erschienenen Artikels, der in mehreren deutschen und serbischen Zeitungen veröffentlicht wurde und den Uranwaffeneinsatz der NATO gegen die Bundesrepublik Jugoslawien (SRJ) im Jahr 1999 und seine Folgen beschreibt (3).

Durch den Einsatz hochgiftiger und radioaktiver Uran-Geschosse haben die aggressiven Krebserkrankungen bei Jung und Alt ein epidemisches Ausmaß erreicht. Krieg mit Uranwaffen (Massenvernichtungswaffen) ist wissentlich und willentlich herbeigeführter Völkermord, das schlimmste Verbrechen im Völkerstrafrecht.

Die Bombardierung Serbiens dauerte 78 Tage. Neben über 1.000 getöteten Soldaten starben 2.500 Zivilisten — darunter 78 Kinder. Neben den Projektilen mit Depleted Uranium sind auch andere explosive Kombinationen und Raketenkraftstoffe mit bestimmten chemischen Verbindungen zum Einsatz gekommen. Bestraft wurde niemand!

Die Bevölkerung Serbiens wurde von politischer Seite lange Zeit bewusst nicht aufgeklärt.

Das Volk hat jedoch ein Recht auf die Wahrheit. Um das eigene Leben und das der Familie befriedigend gestalten zu können, muss jeder Bürger die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Gegebenheiten in seinem Land realistisch einschätzen können.

Immenser Druck der NATO-Staaten

Abschließend soll noch der gewaltige Druck der NATO-Staaten erwähnt werden, weil Serbien es ablehnt, die westlichen Sanktionen oder Strafmaßnahmen gegen den alten Freund Russland mitzutragen (4), und weil Serbien nicht bereit ist, das Kosovo, ein Herzstück des Landes, als souveränen Staat unter der Ägide der NAT0 anzuerkennen.