Ein trauriges Lied
Deutschland ist Israel treu bis in den Tod — gemeint ist allerdings der Tod Tausender Unschuldiger.
Macht es Sinn, wenn ein Land mit einem anderen bedingungslos solidarisch ist — und zwar zeitlich unbegrenzt und völlig unabhängig davon, wie besagtes Land sich verhält? Für das derzeitige Verhalten Deutschlands spielt die Erfahrung als Täter-Nation während der Hitler-Diktatur eine große Rolle. „Gelernt“ haben wir aus der Geschichte aber offenbar nur, weitere Gräueltaten durchzuwinken, wenn sie von einer Regierung angeordnet werden, die das frühere Opferkollektiv, also Juden, vertritt. Das ist weder logisch noch in den Konsequenzen menschlich. Der Autor gedenkt der Toten von Gaza und widmet ihnen gleich auch eine neue Komposition, illustriert im Musikvideo durch Bilder von Menschen, die in Trümmern stehen. Unweigerlich gerät das Lied zur Elegie.
Ist Deutschland verpflichtet, bedingungslos solidarisch mit Israel zu sein? Nein! Man sollte mit keinem Staat bedingungslos solidarisch sein, auch nicht mit dem eigenen, wenn man sich als Souverän und nicht als Untertan begreift. Bedingungslos solidarisch kann man mit seinen Kindern sein, weil die Liebe zu den Töchtern und Söhnen im besten Fall keine Bedingungen stellt. Trägt Deutschland aufgrund seiner Geschichte eine besondere Verantwortung, das Leben von Menschen jüdischen Glaubens zu schützen? Ja, natürlich! Darüber hinaus liegt jedoch die wichtigste Aufgabe darin, uns „die Fähigkeit zu bewahren, Ungerechtigkeit, die irgendwo auf der Welt passiert, aufs Tiefste zu empfinden“ (Che Guevara).
Wenn eine Apartheidsregierung ein ganzes Volk kollektiv für einen Terroranschlag bestraft – Menschen, die seit Jahrzehnten unter der Besatzung genau dieser Regierung leiden, Familien, denen man täglich ihr Land raubt, Kinder, die man für Generationen traumatisiert, Flüchtlinge, denen man das Recht verwehrt, in ihre Heimat zurückzukehren, sie staatenlos macht und zu Menschen zweiter Klasse degradiert – dann halte ich es für meine Pflicht, als Künstler, als Vater und als Mensch, aufzustehen und zu sagen: Dies geschieht nicht in meinem Namen!
Da ich mir Frieden für Israel wünsche, werde ich für die Freiheit des palästinensischen Volkes auf die Straße gehen. Das eine ist ohne das andere nicht möglich.
Die Apartheidspolitik Israels hat in die Katastrophe geführt — eine weitere „Nakba“, mit jetzt schon über 20.000 Toten und zwei Millionen Flüchtlingen, ist das Ergebnis. Ein Ende ist nicht in Sicht. Die Voraussetzung eines Völkermords laut UN-Resolution von 1951 sind erfüllt — die Entmenschlichung einer Bevölkerungsgruppe, der gezielte Angriff auf die Zivilbevölkerung und die Zerstörung lebens- und überlebenswichtiger Einrichtungen wie Schulen, Krankenhäuser, Moscheen und Kulturstätten. Darüber hinaus kündigen Regierungsvertreter des Staates Israel die Auslöschung des palästinensischen Volkes an — man muss ihnen nur zuhören.
Die Vertreter der deutschen Regierung hören lieber weg und enthielten sich bei der Abstimmung in der UN für eine Waffenruhe. Die deutsche Regierung ignoriert zum größten Teil das Leid der palästinensischen Bevölkerung und beharrt auf die Solidarität zu Israel. Die Opfer des Anschlages vom 7. Oktober wiegen schwer, das Leben der Palästinenser nicht. Alles ist recht, um die Hamas zu vernichten, auch 8.000 tote Kinder (Stand 24. Dezember 2023) werden in Kauf genommen. Es findet genau das statt, was Max Blumenthal schon vor Jahren in seinem Dokumentarfilm Killing Gaza festgehalten hat: Vertreibung, ethnische Säuberung und Völkermord – das schlimmste Verbrechen, das ein Staat begehen kann.
Das ist alles nicht neu. Deutschland kann ein trauriges Lied davon singen, die US-Amerikaner und Australier auch — sie alle teilen eine sehr dunkle Vergangenheit, wenn es darum geht, wie Siedler mit der indigen Bevölkerung umgegangen sind, wie sie geschändet und gemordet haben. Dass sich Israel aufgrund seiner menschenverachtenden Regierung nun nahtlos in die „Hall of Shame“ einreiht, ist nur ein weiteres dunkles Kapitel in der von Blut und Tränen getränkten Menschheitsgeschichte.
Frieden ist nach meiner Einschätzung möglich, wenn das postkoloniale Erbe überwunden wird, die geopolitischen Interessen Europas und Amerikas keine Rolle mehr spielen, die gewaltbereiten Vertreter der Regierungen keine Stimme mehr haben und die Menschen dort weitermachen können, wo sie vor 100 Jahren aufgehört haben – als Christen, Muslime und Juden, die sich das Land teilten, gut zueinander waren. Frieden für die Menschen in Palästina und Israel.
Die Etude A’ísch (Arabisch: Ich lebe — ein Wort, dass man oft nach Bombenangriffen hört), die hier im Anschluss zu hören ist, habe ich im November 2023 für die Menschen in Gaza und dem Westjordanland geschrieben. Ich widme es meinem halb-palästinensischen Freund Nadim Helow, der seit Jahren mit dem Volk seines Vaters leidet und der mich bei meiner Weiterbildung zu diesem Thema begleitet. A’isch ist ohne Liedtext, mir fehlen zurzeit die Worte – ich hoffe, die Musik spricht für sich.