Ein stilles Feuer
Die Poetik-Ecke XXIX verbindet zwei ganz verschiedene Sprachen, die einen Weg nach draußen aufzeigen.
„Da, wo ich bin, kann ich nicht bleiben. Da, wo ich bleiben will, kann ich nicht sein.“ In diesen Zeiten, Jahre nach Corona, ist die Ernüchterung eingekehrt. Den Sieg tragen die mit den Klartexten davon. Die Gestrigen, die alten Machtlogiken. Umso wichtiger, dass in der Manova-Poetik-Ecke eine ganz andere Linie zum Leuchten kommt. Denn es sind noch schwebende Geister im Land, welche die größere Hoffnung, hervorgegangen aus der Sprengkraft des Widerstehens von 2020, nicht aufzugeben bereit sind. Zwei Schreiberinnen, ohne einander zu kennen, verknüpfen ihre Texte zu einem Bewusstsein, das nur außerhalb von Mustern und Schemata sein kann. Vielleicht entsprechen die lyrischen Zeilen Anna Eggenwirths dem inneren Sprechen der Figuren — ein alter Mann, eine obdachlose junge Frau — aus der poetischen Prosa von Marina Silalahi.
Im neuen Jahr
grüße ich
meine nahen und
die fremden Freunde
Grüße
die geliebten Toten
Grüße alle Einsamen
Grüße die Künstler
die mit
Worten Bildern Tönen
uns beglücken
Grüße die
verschollenen Engel
Grüße mich selber
mit dem Zuruf
MUT
von Anna Eggenwirth
Gestern war sein Gesicht noch eingefallen und leblos, sein Körper eingeknickt, ein Schatten lag auf seinem Herzen. Er sprach wie durch Nebel, als hätte er den Tod begrüßt. Eine Nacht lag er in meiner Umarmung, dicht an mich geschmiegt. Als hätten sich die Ätheressenzen meiner Lebendigkeit auf den Weg gemacht und ihn vom Tod befreit. Schatten und Nebel hatten keine Freude mehr an seiner Gestalt. Ein fröhliches „Guten Morgen“ klang durch den Raum. Vom Leben durchflutet machte er sich an die Arbeit.
von Marina Silalahi
Es war
Ich war. Nun bin ich wieder.
Was ist denn nur das Ich?
Keine Ahnung.
Keinen Schimmer Keinen Blassen.
— Ahnung —.
Ein Hula-Hupp-Reifen kann nur
begrenzt kreisen
Irgendwann fällt er.
Der Reifen.
Geschwungen um den Leib.
Wie lange
ist nicht wichtig.
Auffangen.
Geschraubt hochwärts ziehen
Spiralig abwärts halten.
Gebündelte Bewegung.
Fokussiert.
Die Erinnerung ist keine.
denn die Reifen
zeigen sich solange
wie die Umdrehungen eingebettet sind.
In der Einen Galaxie
Der Arm hält.
Ist kein Arm.
Ist ein Zustand.
Ist ein Ort. Wie keiner
Alter. Nova.
Geburtsort der Sterne.
Sternenstaub verteilt sich
Knistern in den Sternen
von Anna Eggenwirth
Es ist kalt in Deutschland
Schneeregen fällt auf die Obdachlosen in der Fußgängerzone. Aus den schützenden Hauseingängen hat man sie verjagt. Gnadenlos sind sie der windigen Eiseskälte ausgesetzt. Sie schlagen die Arme übereinander und treten auf der Stelle. Die Wolldecken, in die sich manche gewickelt haben, triefen vor Feuchtigkeit. Die Passanten in der Einkaufsstraße schauen nicht hin, auch ich mogele mich an einer auf dem Boden sitzenden zitternden jungen Frau vorbei. Es fehlt mir an Kleingeld, um etwas in die leere Plastikschale zwischen ihren Füßen zu werfen. Nach einigen Schritten halte ich inne, kehre um und frage sie, ob sie schon gefrühstückt hat. Ein kaum hörbares „Nein“ kommt über ihre Lippen. Ich beuge mich zu ihr und lade sie zu einem Frühstück ein. Ihre Augen leuchten kurz auf. „Gerne“, antwortet sie „aber bitte nicht in dem Café da drüben. Die Straße ist mir vertraut. Einen Milchkaffee und ein Schinkenbrötchen bitte“, presst sie schnell hervor, als würde das verlockende Angebot in den nächsten Sekunden keine Gültigkeit mehr haben. Natürlich erfülle ich ihren Wunsch gerne. Als ich zurückkehre, nimmt sie das Frühstück mit ausgestreckten Armen entgegen, wickelt das Brötchen aus und inhaliert den Duft des heißen Getränks mit geschlossenen Augen. Genüsslich beißt sie in das frische, noch knusprige Brötchen. Der Kaffee bringt so viel Wärme in ihre Glieder, dass sie die feuchte Wolldecke von sich schiebt. „Dieser Tag hat für mich wieder einen Sinn bekommen“, sagt sie leise, „es gibt also noch Menschen, die mich sehen …“
Ihre Worte schnüren mir die Kehle zu. Eine ältere Passantin, die die Szene beobachtet, bleibt stehen und beginnt, sich über die aktuellen Zustände in Deutschland zu beklagen. „Das ist doch alles Irrsinn“, schimpft sie, als hätte sie auf eine solche Gelegenheit nur gewartet. Sie erzählt, dass sie ihr Außenkaminrohr um weitere 3 Meter verlängern müsse, damit der Feinstaub sich besser verteile. Das hat zwar nichts mit dem Schicksal der Obdachlosen zu tun, denen man hier auf Schritt und Tritt begegnet, wirft aber ein Licht auf die Probleme, die vielen Menschen im Lande durch eine irrwitzige Klimapolitik beschert werden. „Wie soll ich diese Auflagen finanzieren?“, fragt sie mit Blick auf das junge Mädchen, die sich aber nicht angesprochen fühlt. Ich komme mir vor, als stünde ich mitten in Deutschland zwischen zwei Küsten des Elends. „Wenn ich mich nicht an die Vorschriften halte, wird der Kamin stillgelegt“, höre ich die Dame sagen, „ich kann das aber unmöglich finanzieren. Hab doch nur ne kleine Rente. Wer gibt mir auf sowas Kredit?“
Allein gelassen sind sie beide, meine junge Freundin, die sich gerade die Lippen abwischt, ebenso wie die ältere Dame, die ihrem Ärger über die Lebensumstände in unserem Land Luft macht. Ich muss an das größenwahnsinnige Projekt des reichsten Mannes der Welt denken, der unter dem Beifall der neues US-Regierung verkündet hat, den Mars bis zum Jahr 2050 mit einer Million Menschen zu besiedeln. Tausende Raketen sollen Megatonnen an Material auf den roten Planeten transportieren. Schon im Jahr 2022 hat das Weltraumunternehmen von Elon Musk im Probebetrieb 63.000 Tonnen Raketentreibstoff ver(sch)wendet. Von der Luftverschmutzung ganz zu schweigen, Aber wir müssen unsere Kaminrohre verlängern, damit sich der Feinstaub besser verteilt …
Ich höre die Dame sich weiterhin empören über unsere Regelung und schließlich über Gott und die Welt. Gelebte Ohnmacht. Ich schaue auf das stille junge Mädchen am Boden. Die Obdachlosen, sind das die Menschen, die als erste aus dem Wahnsinn hinaus auf die Straße getreten sind?
von Marina Silalahi
Wahrhaftig will ich sein.
Ein Gedicht schreiben will ich nicht.
Ein An-schreiben ebenso nicht.
Im Stillen mit mir selbst ist es getan
So wie ich es hier nun ausdrücke
All das, was mich erinnert, mich zieht,
das Geschehen in den Bildern tanzen lässt ...
ich mich noch festhalte, an ihnen.
An den Geschehnissen die waren.
Sie gegenwärtig noch halten will
Als Träger von Wehmut und Hoffnung
Trauere, loslassen zu müssen.
Fühle mich in einem GEbet.
All dies
Beginne ich nun an zu häufeln
und anzuzünden.
Es wird ein stilles Feuer sein.
Kein loderndes.
Kein knisterndes.
Kein Funken sprühendes Feuer.
Bedächtig und konstant brennen
die Formen ab und lassen
den Inhalt frei.
Das Wesentliche.
Die Flammen ziehen gerade hinauf.
Verlodern nicht.
Sie tragen kleine blaue Flammenkronen.
Deute in der Asche keine Formen.
Das ist unwesentlich.
Sie ist einfach nur nahrhaft.
Alles ist gut
Und das soll sein.
So ist es.
von Anna Eggenwirth
Kinder der Verfolgung — ich sehe euch — und ich bin verzweifelt.
Hetzjagd ist über euch gegossen; Worte habe ich keine.
Kinder des Krieges, ihr kennt keinen Frieden.
Wie kann ich eure Herzen heilen?
Wie kann ich einen Samen des Friedens in euch pflanzen?
Wie ist das möglich, während ihr frierend und hungernd eure Eltern sucht?
Ihr sollt wissen: Ich sehe euch.
Bald werden wir uns begegnen und ich werde eure Tränen trocknen.
von Marina Silalahi
Die Jahre kehren wieder.
Hab all die Lieder nicht versteckt.
Sind manchmal verdeckt gehalten.
In — einem Vorhang.
Fallen auf den Grund.
Eingehüllt
Halten schützend
Magnetische Bänder.
Nachtrag:
Es gibt doch nur das Eine
Zu leben. In dem, was ist.
Und was ich bin In mir.
Im Wir.
Mit mir-im-uns-in-Aller.
von Anna Eggenwirth