Ein nützlicher Tod

Der verstorbene Kreml-Kritiker Alexei Nawalny wird vom Westen zum Demokratie-Helden verklärt und im Informationskrieg gegen Russland instrumentalisiert. Teil 1 von 2.

Zwei Dissidenten, zwei verschiedene moralische Bewertungen. Da Alexei Nawalny ungefähr zeitgleich mit dem Prozess gegen Julian Assange in einem Straflager sein Leben verlor, kann man beide „Fälle“ und ihre Aufarbeitung in der Mainstream-Presse gut miteinander vergleichen. Zu Assange äußern sich die Medien gar nicht oder nur sehr zaghaft. Anders bei dem ruppigen russischen Oppositionellen. Dessen Tod, der in den Einzelheiten bis jetzt nicht vollständig geklärt ist, kommt strategisch eher dem Westen als Putin zupass. Alexei Nawalny, der mit rassistischen Sprüchen und erratischen Aktionen so gar nicht dem Idealbild eines Freiheitshelden entspricht, wurde in den USA und in Westeuropa von der Presse stets mit Samthandschuhen angefasst. Der Westen suchte und fand eine Symbolfigur, die er gegen den verhassten Kremlherren ins Feld führen konnte. Auch wenn sein Tod menschlich bedauerlich und die Schuldfrage noch offen ist — wir sollten bei der Beurteilung des Falls bedenken, dass jeder Krieg mit einem Informationskrieg um die Köpfe der Bürger beginnt.

Seit einigen Wochen übertreffen die Strategien des Informationskriegs sich selbst. Aber auch friedliche Stimmen erlangen seit Kurzem eine wesentlich größere Reichweite. Das „Tucker Carlson Interview“ mit Wladimir Putin erreichte ein Millionenpublikum. Kurz darauf werden unsere Medien von Nachrichten über den Tod Alexei Nawalnys geflutet. Zeitgleich laufen in London die Verhandlungen über die Auslieferung des Journalisten und WikiLeaks Gründers Julian Assange in die USA.

„Aus Unwissenheit und Lügen kann man keine gerechte Zivilisation aufbauen“, sagte Julian Assange in einem Video, das seine Frau Stella Assange im Februar 2024 auf Facebook teilte.

„Wir müssen uns gegenseitig aufklären. Wir müssen diejenigen würdigen, die die Wahrheit ans Licht bringen, und diejenigen entlarven, die unsere Fähigkeit vergiften, die Welt, in der wir leben, zu verstehen. (...) Die Qualität unseres Diskurses ist die Messlatte für unsere Zivilisation.“

Julian Assange: Verfolgung ohne Anklage

Julian Assange, Gründer von WikiLeaks, ist seit Juni 2012 in Gefangenschaft: Zunächst fand er Schutz in der ecuadorianischen Botschaft in London, aber seit April 2019 sitzt er im Hochsicherheitsgefängnis in Belmarsh. Die Weiterführung seines politischen Asyls in der Botschaft scheitertenach einem Regierungswechsel in Ecuador unter anderem an einem IWF-Kredit für das Land — dem Assange als Gegenleistung zum Opfer fiel.

Assange ist Journalist und ermöglichte duch WikiLeaks das Aufdecken von Kriegsverbrechen der USA im Irak und in Afghanistan. Seit „Collateral Murder“ wird er gejagt und mit 175 Jahren Haft in den USA bedroht. Sein Fall wurde am 20. und 21. Februar 2024 vor dem High Court in London verhandelt, und ist bis heute nicht entschieden worden. Der Gesundheitszustand von Assange ließ seine eigene Teilnahme nicht zu.

Julian Assange ist kein Whistleblower und es gibt kein Gesetz in der Welt, auf dessen Grundlage man einen Journalisten in ein fremdes Land ausliefern könnte, wo ihm lebenslänglicher Knast oder der Tod drohen. Solche Gesetze darf es auch niemals geben. Der Fall ist unfassbar, und ich bin froh, dass zunehmend Menschen deshalb auf die Straße gehen, etwa während der Verhandlung in London oder in Berlin auf dem Pariser Platz. Das kollektive Bewusstsein für Demokratie oder Unrecht ist hier entscheidend, Assange steht in diesem Fall für die Pressefreiheit und für uns alle.

Unsere konzernabhängigen Medien lassen nicht nur vieles weg, sondern liefern auch schubweise Propagandanarrative zu bestimmten politischen Zwecken, das scheint sich inzwischen herumgesprochen zu haben. Aber das strategische Ausmaß dahinter ist immer noch sehr vielen Menschen nicht bewusst. Wir müssen es jedoch durchschauen, um konsequent für den notwendigen Wandel eintreten zu können. Mit welchen Mitteln wird der Informationskrieg des US-Imperialismus gegenwärtig geführt? Welche Auswirkungen hat er auf uns?

Unmenschliche Haftbedingungen darf es nirgendwo geben

Niemand auf der ganzen Welt sollte in Gefangenschaft sterben müssen. Wenn diese Gefahr droht, ist die Menschenwürde verletzt. Das gilt unabhängig von Schuld, Unschuld und politischer Gefangenschaft. Und es gilt natürlich auch für den russischen Oppositionellen Alexei Nawalny.

Nawalny war im Februar, Kalenderwoche 7, im Alter von 47 Jahren in einem Straflager im Norden Sibiriens bei einem Spaziergang zusammengebrochen und verstorben. Der genaue Todestag steht nicht fest. Woran Nawalny starb, ist auch unklar. Das Straflager IK-3, auch Polarwolf genannt, zählt zu den Gefängnissen mit den brutalsten Haftbedingungen in Russland. Nawalny war zudem durch wiederholte Einzelhaft im Straflager gesundheitlich angeschlagen.

Unmenschliche Haftbedingungen müssen benannt und beendet werden. Politische Gefangenschaft erst recht. Aus diesem Grund wäre seit April 2019 eine regelmäßige Berichterstattung über den Fall Assange und die Haftbedingungen in Einzelhaft in Belmarsh notwendig gewesen, und das, solange Julian nicht frei ist. Seine Gefängniszelle in Belmarsh ist zwei mal drei Meter groß, eingesperrt ist er dort alleine, und das 21 Stunden am Tag.

Der Sonderberichterstatter des UN-Menschenrechtsrates zum Thema Folter, Nils Melzer, besuchte 2019 Assange mit zwei medizinischen Experten in Belmarsh. Er beschrieb das Vorgehen der USA und ihrer Verbündeten als „weiße Folter“ oder „psychologische Folter“ und forderte ein sofortiges Ende der Verfolgung. Er warnte vor einer Auslieferung in die USA, wo er die Gefahr von „Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe“ für Assange sieht.

„Es war offensichtlich, dass die Gesundheit von Herrn Assange durch die extrem feindselige und willkürliche Umgebung, der er über viele Jahre ausgesetzt war, ernsthaft beeinträchtigt wurde“, stellte Melzer bereits 2019 fest.

„Vor allem aber zeigte Herr Assange neben körperlichen Beschwerden alle Symptome, die typisch sind für lang anhaltende psychologische Folter, darunter extremer Stress, chronische Angstzustände und intensive psychologische Traumata.“


Oben: „Belmarsh live“, betretbare und eingerichtete Gefängniszelle in Originalgröße. Unten: Abbildung der Gefängniszelle von Julian Assange. Pariser Platz, 20. Februar 2024. Fotos: Angela Mahr

Westliche Propaganda: Nawalnys Tod als Kriegsgrund

Obwohl die näheren Umstände und die Todesursache von Alexei Nawalny ungeklärt sind, beschuldigten westliche Politiker und westliche Medien sofort, also am gleichen Tag, den russischen Präsidenten Wladimir Putin persönlich. Rufe nach weiteren Sanktionen werden in den USA und in Deutschland laut. In den USA will man durch „Verschärfung“ die „Einnahmen des Kremls (...) schmälern und gleichzeitig (...) ermöglichen, dass Öl auf den Markt gelangt“.

„Putin ist ein Mörder“ lautet das titelgebende Zitat des Zeit-Artikels vom 16. Februar. Es stammt von Johannes Vogel, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP im Bundestag. In den folgenden Tagen hagelt es Anschuldigungen: „‚Maischberger’: ‚Putin ist tödlich’“, titelt die Süddeutsche Zeitung am 21. Februar 2024. „Putin ist schuld an Nawalnys Tod“ behauptet der Schweizer Tagesanzeiger, und weiter heißt es dort „Putin hat ihn getötet“. Putin habe an Nawalny ein Exempel statuiert. Putin-Kritiker spekulierten gar über „KGB-Markenzeichen“, erklärt dann die Frankfurter Rundschau am 24. Februar 24 als „Neue These zu Nawalnys Todesursache“.

Vom „Bundestag zum Tod Nawalnys“ berichtet die Tagesschau unter dem Titelzitat „‚Der Mörder heißt Putin‘“ und zitiert im Folgenden den CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen, welcher das Ereignis als Grund zur deutschen Kriegsbeteiligung umdeutet:

„‚Diese Ermordung war selbstverständlich Chefsache. Putin ist der Täter.‘“ Die deutsche Unterstützung der Ukraine mit Waffen und Munition müsse ‚jetzt hochgefahren werden’. Außerdem müssten Gesetze erarbeitet werden, die die Verwendung von im Ausland eingefrorenen russischen Staatsvermögen für ukrainische Rüstungsausgaben ermöglichten. Diese Gesetze sollten fortan ‚Nawalny-Gesetze’ genannt werden“.

Soll Deutschland sich künftig in alle Kriege einmischen, in welchen Länder mit eigenen politischen Gefangenen beteiligt sind? Röttgens Logik ist der schnellste Weg, um Europa zu „verenden“, wie Annalena Baerbock 2023 in einem punktgenauen Freudschen Versprecher von sich gab.

Der französische Präsident Emmanuel Macron nimmt sie hier offenbar beim Wort, denn seit dem 27. Februar 2024 schließe er „den Einsatz von Bodentruppen in Ukraine nicht aus“, wie er nach Abschluss einer „Ukraine-Hilfskonferenz“ mit mehr als 20 Staats- und Regierungschefs, darunter Bundeskanzler Olaf Scholz, in Paris offenbarte. Ex-Diplomat Wolfgang Ischinger „nennt Bodentruppen-Idee ‚ein bisschen kühn, aber nicht falsch’“ titelt der Spiegel.

Meine Analyse befasst sich mit der Frage, ob und inwieweit wir in den vergangenen zwanzig Jahren in Bezug auf Nawalny einer Propaganda-Inszenierung aufgesessen sind. Es gibt Hinweise und Beweise dafür, und mit Sicherheit werden die hier behandelten Fragen sehr kontrovers diskutiert. Noch wichtiger, und unbedingt im Hinterkopf zu behalten ist daher die Frage, wofür eine solche Inszenierung dienen soll.

Mit welchen Gefühlen und mit welcher Handlungsaufforderung an die deutschen Bürger ist die Erzählung über Nawalny aufgeladen? Das wird aus den hier zitierten Schlagzeilen ersichtlich. Nicht die Fehltritte eines Menschen, nicht die Korruption an sich und nicht die leider oft realen Agententhriller sind der eigentliche Grund für meine Analyse, sondern die permanent versuchte Manipulation einer naturgemäß freien und friedlich gesinnten Willensbildung in einer Demokratie.

Tatsächlich bestehe seit Anfang der 1990er Jahre der zentrale Grundsatz der amerikanischen Strategie darin, ihre Vormachtstellung auf der internationalen Bühne zu behaupten, erklärt der Schweizer Analyst und ehemalige Geheimdienstler Jaques Baud (1).

„Das ist die Wolfowitz-Doktrin. Bis in die frühen 2000er Jahre hatten die Vereinigten Staaten den Vorteil, als Gegner ein Russland zu haben, das sich nach dem Fall des Kommunismus wieder aufbaute, und ein China, das noch nicht die wirtschaftliche Bedeutung besaß, die es heute hat“.

Nawalny sei also Teil eines umfassenden Versuchs, Russland auf der internationalen Bühne zu diskreditieren und letztlich zu isolieren. Allerdings sei die Auswirkung dieser Kampagne auf die innere Lage in Russland umstritten.

Guter Krieg — Böser Krieg

Die Proteste für Julian Assange in London und weltweit waren indessen nicht wirkungslos. Sein Fall ist endlich im Mainstream angekommen. Julian Assange ist durch die Einzelhaft und die psychische Belastung jedoch krank und würde die drohende Auslieferung in die USA vielleicht gar nicht überleben. Wie konnte es so weit kommen? Wo blieb der Aufschrei der ARD-Kollegen all die Jahre? Wo der Zusammenhang zu seiner Arbeit mit WikiLeaks?

Sie können das in einem kurzen Selbsttest überprüfen: Welches Bild wurde Ihnen bisher seitens unserer konzernabhängigen Medien von Julian Assange vermittelt, und welches Bild von Alexei Nawalny?

Und weil wir nun wieder aus angeblich moralischen Gründen Krieg führen müssen: Was wissen wir eigentlich über den Journalisten und Selenskyj-Kritiker Gonzalo Lira?

Der Kommentator und Kriegsgegner Gonzalo Lira hatte unter anderem darüber berichtet, wie ein ukrainischer Milliardär sowohl Hunter Biden als auch Präsident Wolodymyr Selenskyj und das Neonazi-Bataillon Asow finanzierte. Im Sommer 2023 hatte Lira versucht, die Ukraine zu verlassen, doch dieser Fluchtversuch scheiterte.

Der US-chilenische Journalist Lira starb nach acht Monaten Haft „nach wochenlanger medizinischer Vernachlässigung durch die ukrainischen Behörden“ am 11. Januar 2024 kurz vor Mittag in einem Krankenhaus in Charkiw, berichtet Greyzone. Liras Vater habe „wochenlang die amerikanische Botschaft gebeten (...), bei der medizinischen Notlage seines Sohnes zu intervenieren“.

Lira kämpfte also monatelang in Haft mit einer Lungenentzündung und wurde ignoriert. Der Journalist war im Mai 2023 verhaftet worden wegen „Erstellung und Verbreitung von Material, das die bewaffnete Aggression Russlands gegen die Ukraine“ rechtfertige. Seine Arbeit trug offenbar dazu bei, die Opposition im Lande gegen die US-Finanzierung des Krieges zu mobilisieren. Elon Musk und Tucker Carlson forderten seine Freilassung.

Wo bleibt die Schlagzeile „Weltweite Trauer um Lira“ in der Associated Press, und in unseren damit verbundenen Medien? Wieso finanzieren wir mit unseren Steuergeldern ein solches Regime in der Ukraine?

Es geht mir nicht darum, das Leid politischer Gefangener gegeneinander aufzuwiegen. Es geht mir darum klarzumachen, wo ehrliche Berichterstattung endet, wo die Inszenierung beginnt, und wie weit das gehen kann.

Welche Bedeutung hatte Nawalny tatsächlich in Russland? Welchen Nutzen hat sein Tod für den russischen Präsidenten Wladimir Putin? Welche Bedeutung hat Nawalny für den Westen, welche wird ihm zugeschrieben?

Nawalny: 13 Millionen für die russische Opposition

„Was passiert mit Nawalnys Antikorruptionsstiftung (FBK)?“ fragt die Frankfurter Rundschau. „Wie hoch ist das Vermögen, das er seiner Familie hinterlässt?“ Nawalnys Stiftung FBK sowie die sogenannten „Stäbe“, die jeweiligen Regionalvertretungen, finanzierten sich „laut eigenen Angaben hauptsächliche durch russische Kleinspender“. 2019 seien dem eigenen Bericht zufolge 917.000 Euro zusammengekommen.

„Für die Regionalgruppen spricht Nawalnys Stabschef Leonid Wolkow von rund 2,1 Millionen Euro für dasselbe Jahr. (...) Ein Großteil des Geldes würde für Gerichtskosten, Strafen und den Ersatz konfiszierter Computer verwendet.“

Das Privatvermögen Nawalnys ist nicht bekannt.

2019 erklärte das russische Justizministerium Nawalnys Stiftung offiziell zum „ausländischen Agenten“. Seither ist die Stiftung verpflichtet, ihre Finanzierung offenzulegen. Nach einer 2012 neu eingeführten russischen Gesetzgebung können Nichtregierungsorganisationen (NGOs) zum „ausländischen Agenten“ erklärt werden, sofern sie „unter anderem Geld aus dem Ausland erhalten“, berichtet Spiegel Online. Im Sommer 2019 wurde Nawalnys Fonds Geldwäsche vorgeworfen. Die russische Behörde ließ die Konten seiner Stiftung sowie von einigen seiner Unterstützer einfrieren.

„Mitarbeiter von Nawalnys Stiftung hätten ‚eine große Geldsumme von Dritten bekommen‘, die ‚illegal‘ beschafft worden sei, teilten die Ermittler mit. Es gehe um eine Summe in Höhe von knapp einer Milliarde Rubel, das sind 13,8 Millionen Euro.“

Wie wahrscheinlich ist es, dass überwiegend Kleinspender und einige Großspender der russischen Opposition knapp 14 Millionen Euro zusammenbringen?

„Da bei solchen Summen der Verdacht nahe liegt, dass es Geld aus dem Ausland ist, das ihm — aufgeteilt in Kleinbeträge — überwiesen wurde, wurde Nawalny als ausländischer Agent eingestuft“, berichtet der Journalist Thomas Röper, der in Russland lebt, und überlegt weiter:

„Wie realistisch ist es, dass russische Anhänger Nawalny über eine Seite, die kaum Traffic hat, 6,5 Millionen spenden und die durchschnittliche Spende seiner russischen Anhänger bei über 1.600 Euro liegt?“

Der Verdacht erhärte sich noch, wenn man bedenke, dass seine „Rechercheabteilung“ in London sitze und enge Kontakte zum britischen Geheimdienst MI6 pflege.

Jaques Baud verfolgt die Spur des Geldes auf dem Weg des US National Endowment for Democracy (NED) in den USA:

Das NED wurde 1983 gegründet, um einige Aufgaben der CIA zu übernehmen, damit diese sich auf ‚robustere‘ Aktivitäten konzentrieren konnte. Es handelt sich um eine NGO — eigentlich eine Nicht-Regierungs-Organisation; oder genauer gesagt eine ‚Quasi-NGO‘ —, die hauptsächlich von der US-Regierung und dem Kongress finanziert wird.“

„Das NED vergibt Zuschüsse an seine vier Kerninstitute sowie an die unabhängige Zivilgesellschaft und die Medien, um die Demokratie im Ausland zu fördern“, heißt es auf deren eigener Webseite. Die jüngsten geopolitischen Trends, darunter das Wiederaufleben autoritärer Systeme, technologische Veränderungen und der strategische Wettbewerb zwischen den Weltmächten, hätten die Welt unbeständiger gemacht. Doch der „langfristige, bedarfsorientierte Ansatz des NED“ bei der „Vergabe von Zuschüssen“ sowie die „kontinuierliche Unterstützung durch den Kongress“ machten die Organisation beständig. Das NED sei „in der Lage, Chancen zu nutzen“. Es habe sich weiterentwickelt, mit einer „stärkeren Fokussierung auf strategische Prioritäten, innovativen Antworten auf den technologischen Wandel und einer verstärkten Unterstützung von Basisgruppen und aufstrebenden Führungspersönlichkeiten“.

Wenn das nicht beruhigend klingt. Ein interessanter Artikel der New York Times von 2018 berichtet über US-Geheimdienstpraktiken im Zusammenhang mit Wahlen im Ausland und macht es noch konkreter:

„In den vergangenen Jahrzehnten bestand die sichtbarste amerikanische Präsenz in der ausländischen Politik aus vom Steuerzahler finanzierten Gruppen wie dem National Endowment for Democracy, (...), die keine Kandidaten unterstützen, sondern grundlegende Wahlkampffähigkeiten vermitteln, demokratische Institutionen aufbauen und Wahlbeobachter ausbilden.“

Im Jahr 2016 habe das NED 108 Zuschüsse in Höhe von insgesamt 6,8 Millionen US-Dollar an Organisationen in Russland gewährt, für Zwecke wie die „Einbindung von Aktivisten“ und die „Förderung des bürgerlichen Engagements“.

Wie genau sieht eine solche Förderung aus? Jaques Baud zitierte dazu den genannten Artikel der New York Times wie folgt:

„Auf seiner Website gibt das NED nicht an, wer seine Mittel erhält, aber aus einem Telegramm der US-Botschaft aus Moskau vom Jahr 2006 geht hervor, dass es Nawalnys Bewegung ‚Demokratische Alternative’ finanziert. Eine Analyse der von der Agentur finanzierten Projekte legt nahe, dass Nawalny und seine Mitarbeiter etwa 1,8 Millionen US-Dollar pro Jahr erhalten.“

Entweder die Journalisten der New York Times hatten sich damals fürchterlich verrechnet, oder die Zeitung bekam Druck von oben. Beim Abruf des hinter einer Schranke versteckten Artikels findet sich gegenwärtig folgender Korrekturhinweis:

„Eine Korrektur wurde am 18. Februar 2018 vorgenommen. In einer früheren Version dieses Artikels hieß es fälschlicherweise, dass Alexei Nawalny, ein politischer Gegner des russischen Präsidenten Wladimir V. Putin, Zuschüsse von der National Endowment for Democracy erhalten habe. Tatsächlich erhielt eine Organisation, für die er arbeitet, im Jahr 2006 einen Zuschuss von 23.000 Dollar von der Stiftung.“

Zur Erinnerung: Das oben genannte Telegramm der US-Botschaft aus Moskau aus dem Jahr 2006 stammt von WikiLeaks. Dessen Gründer, Julian Assange, muss unbedingt freigelassen werden.

Die geleakten Telegramme aus Moskau beschreiben die verschiedenen Oppositionsbewegungen im damaligen Russland.

„Marija Gaidar, Tochter des ehemaligen Premierministers Yegor Gaidar, führt die DA! (Demokratische Alternative)“, heißt es in der oben genannten Nachricht.

„Gaidar sagte, DA! konzentriere sich auf überparteiliche Aktivitäten, um das politische Bewusstsein. Sie hat Mittel vom National Endowment for Democracy erhalten, eine Tatsache, die sie nicht öffentlich macht, aus Angst, durch eine amerikanische Verbindung kompromittiert zu werden. Sie sagte uns, DA! sei eine Ergänzung zu Oborona, keine Konkurrenz, sondern ein Versuch, die demokratische Basis zu verbreitern. (...) Sie plant 2007 ein Sommercamp zu veranstalten, um bis zu 2000 Studenten in demokratischem Aktivismus zu schulen.“

2005 gründete Alexei Nawalny zusammen mit Marija Gaidar die Bewegung „Da!“. Seine Bewegung wurde nachweislich vom National Endowment for Democracy finanziert.

Versteckte Kamera in Moskau

Der ehemaligen Fox-News-Moderator Andrew Napolitano sprach am 19. Februar 2024 mit dem ehemaligen CIA-Analysten Ray McGovern (2).

„War Nawalny ein britischer oder amerikanischer Geheimdienstvertreter?“ wird McGovern gefragt, und er antwortet:

„Wir haben eine Art Beweis mit einer versteckten Kamera, die ihn dabei beobachtete, wie er, eigentlich nicht Nawalny selbst, sondern sein Top-Helfer, mit einem bekannten MI6-Agenten verhandelte. Und sie reden darüber, wie viele Millionen sie brauchen würden, um dies oder jenes zu tun. (...) Es war (...) sein Stabschef oder sein wichtigster Berater.“

Auf einen Videobeweis bezieht sich auch Scott Ritter, ehemaliger US-amerikanischer Offizier und Waffeninspekteur:

„Wir haben Aufnahmen von Nawalnys Stellvertreter, auf denen er jemandem vom britischen Geheimdienst sagt, ‚Ich brauche 10 bis 12 Millionen Dollar, um das zu schaffen‘. Das heißt, um Putins Rückkehr an die Macht zu verhindern. Das sagt doch alles. Das ist Verrat, das ist Hochverrat. Und genau das hat Nawalny gemacht“ (3).

BILD
Screenshot des besprochenen Videos innerhalb des Interviews mit Scott Ritter. Quelle: Judge Napolitano — Judging Freedom, YouTube
Zu finden ist das Video außerdem auf stateofthenation.co. Der Film soll vom russischen Inlandsgeheimdienst FSB irgendwann im Jahr 2012 gefilmt worden sein, heißt es hier. Dem Dienst zufolge zeigt der Film ein Treffen zwischen Wladimir Aschurkow und einem Mitarbeiter der britischen Botschaft in Moskau. Die Person, die Aschurkow in einem Moskauer Café traf, wurde als James William Thomas Ford identifiziert, damals Zweiter Sekretär für politische Angelegenheiten der britischen Botschaft in Russland. Dem FSB zufolge handelt es sich um einen MI6-Agenten, der unter diplomatischer Tarnung arbeitete.

Die versteckte Kamera zeigt (4) folgenden Dialog:

Aschurkow: „Wenn wir mehr Geld hätten, würden wir natürlich unsere Möglichkeiten erweitern. Ein bisschen Geld. Wenn jemand etwas ausgeben würde, ich weiß nicht... 10, 20 Millionen Dollar pro Jahr ausgeben würde, sähe die Sache schon ganz anders aus. Und das ist nicht viel Geld für Leute, für die Milliarden auf dem Spiel stehen (...)“.

Ford: „Ja, ja.“

Aschurkow: „Das ist also die Botschaft, die ich bei meinen Fundraising-Bemühungen und in Gesprächen mit Leuten aus der Wirtschaft und so weiter zu vermitteln versuche.“

Ford: „Ja“

Weiter erklärt Aschurkow im Video:

„Wir müssen auf verschiedenen Schachbrettern spielen. Massenproteste, Bürgerinitiativen, Propaganda, Kontakte mit der Elite knüpfen und ihr erklären, dass wir vernünftige Leute sind und nicht alles einreißen und ihr Vermögen wegnehmen werden, solche Dinge“.

In einem dritten Teil des Videos heißt es:

Aschurkow: „Wir werden also sehen, was dabei herauskommt. Also ist es vielleicht das, was ich tue.“

Ford: „Ja, nun ja, also kein kleiner Job“.

Beide lachen trocken.

Teil 2 meiner Analyse behandelt das verdeckte Londoner Netzwerk zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung und zur Vorbereitung von Regimewechseln in Osteuropa und Russland sowie die weltweiten medialen Reaktionen auf das Interview von Tucker Carlson.