Dystopie ist überwindbar!
In seinem aktuellen Roman „Hinter der Zukunft“ skizziert Thomas Eisinger erschreckend realistisch einen Plandemie- und Klima-Totalitarismus in Deutschland.
Fiktionen bieten die Möglichkeit, für einen kurzen Augenblick der Realität zu entfliehen. Nicht so bei „Hinter der Zukunft“, dem neuen Roman von Thomas Eisinger. Das 500-Seiten-Werk ist von solch erschreckender Aktualität, dass man sich fast schon fragen könnte, ob der Autor beim Schreiben eine Glaskugel zurate gezogen hat. Eisinger skizziert ein politisches System, welches sich in Deutschland in der Post-Covid-Zeit etabliert. In diesem wird der totale Klimaschutz zur Staatsraison erklärt, und die Bürger werden auf Schritt und Tritt überwacht, sodass keine „Klimasünde“ unentdeckt und ungesühnt bleibt. Eine Flucht aus Deutschland ist unmöglich. Die Bürger leben in einem ständigen Gefühl der Schuld und der Scham. Doch in jedem der Protagonisten schlummert dieses unzerstörbare Etwas, das sie als Menschen auszeichnet. Etwas, das sich selbst durch den schlimmsten Totalitarismus nicht zerstören lässt. Und dieses Etwas bricht sich im Laufe des Romans Bahn. So wird dem Leser die Zuversicht vermittelt, dass die Menschlichkeit sich nicht auf Dauer unterdrücken lässt. Eines Tages werden selbst die härtesten Mauern porös werden und fallen.
Gleich vorweg: Dieser Roman ist ein absolutes Meisterwerk! Mit wahrlich chirurgischer Präzision trifft Eisinger den Nerv der Zeit. Der Roman entstand ein Jahr vor Beginn der „neuen Normalität“ und — als der Autor seine Visionen teils zur Wirklichkeit werden sah — hat er ihn den Gegebenheiten angepasst. Und zwar nicht so, dass die Geschehnisse rund um Lockdowns, „Social-Distancing“, Masken et cetera einfach wie ein Fremdkörper an den Roman drangeklebt wurden.
Nein, die Ereignisse der letzten 20 Monate sind so eng in diesen Roman verwoben, dass man beim Lesen aus dem Staunen nicht mehr herauskommt ob der Tatsache, wie viele tatsächliche Entwicklungen der Autor antizipiert hatte. Während man „Hinter der Zukunft“ liest, ereignen sich in der Realität Prozesse, die im Roman schon beschrieben werden, aber zum Zeitpunkt des Drucks noch nicht feststanden. Der Titel des Romans ist somit mehr als zutreffend.
Doch was genau ist das Sujet dieses Romans? Eisinger skizziert hier ein Deutschland in den Post-Covid-Jahren. Die Bundesrepublik wurde zu einer Art deindustrialisierter, klimaneutraler High-Tech-DDR. In den Jahren nach den Lockdowns kam es in diesem Deutschland zu einer Art „Great Reset“, und die Konstitution der Gesellschaft wurde in ihren Grundfesten aus den Angeln gehoben. Allen Bürgerinnen und Bürgern wurde — anlog zu regelmäßig verpflichtenden Impf-Auffrischungen — eine unabnehmbare Smartwatch — genannt „Der Gute Helfer“ — aufgezwungen. Diese kontrolliert die Bürgerinnen und Bürger auf Schritt und Tritt auf ihr klimafreundliches beziehungsweise klimafeindliches Verhalten und Denken. Sanktioniert wird Fehlverhalten oder auch nur das Aussprechen von „klima-ketzerischen“ Gedanken mit dem Abzug der sogenannten „Coints“.
Die Coints bilden sozusagen das Kernstück dieses Systems. Der Begriff „Coints“ ist entstanden aus den beiden Wörtern „CO2“ und „Coins“. Das ist die zentrale Währung, mit der die Bürger — nebst eines digitalen Euros — Waren und Dienstleistungen begleichen. Doch diese Währung ist bei weitem nicht allein monetärer Natur, sie bildet zugleich die zugestandene Lebenszeit der Bürger ab. Jeder Bürger erhält in diesem System vermittels der Coints ein Lebenszeit-Konto. Bei einem sparsamen, klimaneutralen, ökologisch folgsamen, jeder Lebensfreude entbehrenden Lebensstil liegt die Lebenserwartung bei etwa 60 Jahren. Nach Ablauf der Lebenszeit werden die Menschen in Lager verfrachtet. Alternativ können sie dem Planeten das „große Geschenk“ machen und sich im Rahmen einer Planeten-Zeremonie mit CO2 einschläfern beziehungsweise umbringen lassen.
Dieses System zwingt die Menschen dazu, jedwedes Tun, jeden ausgesprochenen Gedanken und jede Art von Konsum abwägen zu müssen, da eine Bezahlung mit der eigenen Lebenszeit die unmittelbare Folge ist. Der uns bereits bekannte, sich aus unserem Handeln ergebende CO2-Fußabdruck ist in Eisingers Roman der Stiefel auf dem Gesicht, der nach George Orwell den Menschen immer tiefer in die Erde, in sein Grab drückt.
Doch nicht nur für den reinen Konsum werden die sogenannten Coints abgezogen. Richtig teuer wird sündhaftes, den Planeten schädigendes Verhalten. Und das kann dann ganz schnell auch mal mehrere Monate oder gar Jahre an Lebenszeit kosten.
Durchregiert wird dieses Deutschland von der Klimapartei, an deren Spitze die Klimakanzlerin die Zügel in der Hand hält. Zweimal täglich findet eine verpflichtende Livestream-Zeremonie statt, das sogenannte „Pray-for-the-Planet“. Bei dieser hält die Klimakanzlerin in nordkoreanischer Manier eine Ansprache, was nun für die Rettung des Klimas zu tun sei, wie man gegen Leugner, Fakten-Hetzer und Zweifler vorgehen solle.
Die Freiheitseinschränkungen im Namen des Klimaschutzes — und auch des Pandemieschutzes — sind in dieser Gesellschaft omnipräsent und werden von der breiten Masse getragen. Man grüßt und verabschiedet sich mit Grußformeln wie „Gutes Gewissen“ oder „Keine Schuld“. Die Masken gehören in öffentlichen Verkehrsmitteln ganz selbstverständlich dazu, ebenso der Mindestabstand. Die Anzahl der zulässigen Kontakte ist ebenfalls limitiert. Die Bürger dürfen nur einer bestimmten Anzahl von Menschen näher als 1,5 Meter kommen. Die Kontakte müssen einander vorab registrieren. Spontane, ungezwungene Begegnungen sind vollkommen ausgeschlossen.
Das Grundgesetz wurde so modifiziert, dass nicht mehr die Würde des Menschen, sondern die des Planeten unantastbar ist. Abweichler werden vom „guten Helfer“ mit gelber oder roter Farbe als Leugner, Klimasünder oder Schlimmeres markiert und ihre Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt.
Deutschland ist weitestgehend deindustrialisiert, die Versorgung mit Strom, Gas und Waren sehr dürftig. Außer für die Oberschicht, versteht sich.
Der Strom ist streng rationiert und fällt wegen Versorgungsengpässen des Öfteren aus. Im Winter ist das Wasser eisig kalt und im Sommer unangenehm warm.
Eine Flucht ist unmöglich. Die Mauer, die Deutschland umgibt, wurde nicht wie damals mit Beton errichtet. Der sogenannte Klimawall besteht aus Sendemasten, die registrieren, ob jemand „Klimaflucht“ begeht. Übertritt ein Bürger die deutsche Grenze, wird er von seinem „guten Helfer“ mittels Stromschlag getötet. Schwere Stromschläge erleidet auch jeder, der versucht, sich vom „guten Helfer“ zu befreien.
In diesem Szenario begleiten wir zwei Protagonisten. Zum einen den Klima-Forscher Lars, der die „alte Welt“ noch aus Kindertagen kennt, und zum anderen den 18-jährigen Gaming-Star Robin, der wider Erwarten in seinen jungen Jahren zum Klimakanzler gewählt wird.
Misanthropie Made in Germany
Es ist eine Mischung aus deutscher Schuld- und Scham-Mentalität und tiefsitzender Misanthropie, die diesem System zugrunde liegt. Die Parallelen zum Schuld- und Sühne-Konstrukt der Kirchen im Mittelalter ist unverkennbar. Der Mensch wird betrachtet als genuines Übel für den Planeten. Er kommt qua seiner speziestypischen Konstitution als Sünder auf die Welt und muss Zeit seines Lebens Buße tun. Seine Sündhaftigkeit manifestiert sich mit jedem CO2-ausstoßenden Atemzug. Die Verehrung des Planeten, der Mutter Erde hat jegliches Metaphysische verdrängt. In dem vormals christlich geprägten Deutschland verlor die Kirche bald ihre Grundlage. „Mach dir die Erde untertan“, passt nicht so recht in solch ein System.
Das Menschenbild ist in diesem System bezeichnend. Es sieht nämlich den Menschen in selbsthassender und zugleich paradoxer Weise als klein und minderwertig, aber als groß genug, als dass er die Rettung oder auch die Zerstörung des Planeten — allein von Deutschland aus — bewältigen könne.
Und das ist nur die erste Paradoxie. Dem Leben selbst wurde in dieser Gesellschaft jegliche Sinnhaftigkeit aberkannt. Das Sinn-Vakuum des Daseins übersteigt das des Konsumentendaseins um ein Vielfaches.
In der kapitalistisch geprägten Welt lebte der Mensch für den Konsum von Produkten und Dienstleistungen, die ihm im besten Fall so etwas wie einen Genuss bereiteten. Doch in diesem System weilt der Mensch als ungebetener Gast auf dem Planeten. Alles, was das Leben lebenswert macht, wirkt sich verkürzend auf selbiges aus. Das Terrain, in welchem der Mensch lebt, ist eine hybride Form aus einer SmartCity, die aber an technisch-infrastrukturellen Dysfunktionen krankt, wie man sie aus manchen sozialistischen Staaten kennt. Kurzum: ein lebens- und lustfeindlicher Ort.
Der Mensch steht allseits und permanent vor der Wahl zwischen limitierter Lebensqualität oder limitierter Lebensdauer. Genauer gesagt, trifft er tagtäglich die Entscheidung, sich bestimmte Güter und Dienstleistungen zu gönnen, mit der Aussicht, noch früher in die Lager verfrachtet zu werden. Oder aber er fristet ein Dasein in völliger Ödnis und Lustlosigkeit und wird schlicht damit belohnt, ein paar Jahre später in den Lagern zu enden. Das Leben eines Menschen hat in diesem System keinen wirklichen Sinn. Im Diesseits hat er sein Dasein so weit einzuschränken, dass er dem Erdenrund keinen Schaden zufügt, und ein Jenseits existiert nicht.
Alles ist auf das Ziel gerichtet, dass der Planet zu irgendeinem Zeitpunkt „Hinter der Zukunft“ so weit intakt ist, dass Lebewesen darauf wieder im Einklang und in Harmonie leben können. Wann der Planet in dieser Verfassung sein wird, welche Bedingungen dafür erfüllt werden müssen, das alles steht in den Sternen.
Und hier haben wir eine weitere Parallele zur Praxis der katholischen Kirche. Das, wozu die Lehre Christi von der Institution Kirche missbraucht wurde, ist Macht. Und auch im Roman wird das ehrbare und teils auch überlebensnotwendige Bestreben, den Planeten lebenswert zu erhalten, missbraucht. Missbraucht, um einer kleinen Elite nahezu unbegrenzte Macht zu ermöglichen.
Im Roman lebt die moralische Upper-Class im Berliner Regierungsviertel, welches mittlerweile zu einer von den einfachen Menschen abgeschotteten „Gated-Community“ umgewandelt wurde. Dort zahlt man nicht mit Coints. Im Gegensatz zum Klima-Proletariat leben die Menschen dort wie die Made im Speck. Erinnert doch arg an die katholischen Päpste und Bischöfe, die Wasser predigten, doch Wein tranken, und eine Lebensweise führten, für die kein Fegefeuer ausreichend wäre.
Nähe zu unserer Realität
Dieser Roman ist in der Tiefe so nah der Realität wie fast kein zweiter. Das dazugehörige Genre nennt sich zu Recht „Near-Fiction“. Die Fiktion vermag es, die Menschen für aktuelle (Fehl-)Entwicklungen zu sensibilisieren oder diese sichtbar zu machen. „Hinter der Zukunft“ ist ein niedergeschriebener Ideologie-Frühjahrsputz. Es werden die gängigsten modernen Ideologien, Kulte und Dogmen beleuchtet und entlarvt. Es lohnt sich daher allemal, diese Parallelen im Einzelnen kurz anzureißen.
Post-Covid
Die Zeit um 2020/21 wird in dem Roman in der Retrospektive als die Zeit der großen Pandemien bezeichnet. Aus ihnen gingen die Maßnahmen hervor, die gekommen sind, um zu bleiben. Masken, Abstandsgebote, Kontaktreduzierung, allgegenwärtige Desinfektion sowie ein von enormer Hypochondrie getragener Seuchenschutz.
Die — vermeintlichen — Pandemien werden im Buch, aber auch schon heute, mit dem Thema Klima verknüpft. Der Klimawandel würde angeblich die Entstehung gefährlicher Viren hervorrufen. Daraus ergibt sich selbsterklärend eine sich wechselseitig hochschaukelnde Kausalkette. Wer sich klimaschädlich verhält, fördert neue Pandemien. Die Klimabewegungen werden vor diesem Hintergrund auch nicht müde, Aussprüche wie #fighteverycrisis zu skandieren.
Die reale Klima-Politik
Spätestens seit „Fridays for Future“ ist das Thema „Klimawandel“ omnipräsent und wurde nur für ein paar wenige Monate durch Covid abgelöst. Seit 2020 ist die CO2-Erbsenzählerei fester Bestandteil des öffentlichen Raums. Auf Plakaten werben Unternehmen jedweder Branche mit ihrer nun klimaneutralen Produktion oder Verfahrensweise. Firmen, die sich davor nicht im Geringsten darum geschert hatten. Auch die öffentlichen Verkehrsmittel präsentieren sich als Klimaretter auf Straße und Schiene. Der ICE bezeichnet sich auf seinem Grünstreifen der Zuglackierung als „Deutschlands schnellster Klimaschützer“. E-Mobilität wird allseits angepriesen, während man zugleich die Energiewende anstrebt.
Im Roman selbst ist der Strom immer streng rationiert und fällt des Nachts regelmäßig und manchmal auch tagsüber wetterbedingt aus. Die Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln wird zur Odyssee, da die Fahrzeuge des Öfteren einfach liegen bleiben. Die nächsten Jahre werden zeigen, inwiefern sich der Roman auch in dieser Hinsicht als prophetisch erweist.
Auch die Beladung des Themenkomplexes Klimaschutz mit Schuld und Scham ist bereits heute zu sehen. Gesprochen wird beispielsweise von sogenannter „Flugscham“. Im Buch wird dieser Neologismus weiter ausgeführt. So besitzt das Ministerium für Schuld und Scham Abteilungen für „Energiescham“ oder auch für „Daseinsscham“, der Scham für die eigene Existenz und dafür, dass man mit jedem Atemzug CO2 ausstößt. In diesem System sind sogar anstrengende Sportarten verboten, da man hierbei zu viel CO2 ausstößt. Das kommt einem absurd vor? Dann denken Sie an reale Abstrusitäten wie die Maskenpflicht im Wald. Oder daran, welche Ämter in der neuen Regierung von welchen Menschen besetzt wurden.
Die moralische Aufladung der Klima-Thematik mit Schuld und Scham geht natürlich auch zulasten der Familienstrukturen ...
Zerstörung von Familienstrukturen
Stellt man sich einen Familienhaushalt mit drei Generationen vor — was es heute so gut wie gar nicht mehr gibt —, zeichnet sich schnell ab, wo die Klima-Spaltlinien verlaufen. Das beginnt bereits bei dem Nachwuchs. Schon heute gibt es Birthstrikes, also der Verzicht darauf, Nachwuchs zu zeugen. Dem Klima und dem Planeten zuliebe.
In Eisingers Roman ist das Kinderkriegen eine teure Angelegenheit. Da kostet es in Coints umgerechnet dann gleich mal ein paar Jahre, wenn sich junge Menschen dazu entschließen, weitere „CO2-Schleudern“ in die Welt zu setzen.
Und da ist natürlich noch der Konflikt zwischen Jung und Alt. Unvergessen ist das „Meine Oma ist ne alte Umweltsau“-Kinderchor-Lied vom WDR. Die alten weißen Männer gelten als jene, die die Zukunft des Planeten zerstört hätten. Im Buch werden Menschen ab dem mittleren Alter ganz ungeniert als Zukunftsvernichter — kurz „ZuVis“ — bezeichnet.
Der von Eisinger skizzierte Klimastaat bemächtigt sich ebenfalls schon äußerst früh des Nachwuchses. Kinder werden dazu ermuntert, weg von ihren Eltern hin in sogenannte Communities zu ziehen, wo Erziehung im Sinne des Klimaschutzes stattfindet. Im Alter von etwa sechs Jahren folgt die „Planetenweihe“ — in Anlehnung an die Jugendweihe der DDR —, bei der die Kinder ein Gelübde auf den Planeten abgeben und ihre Existenz dem Klimaschutz verschreiben. In diesem Staat werden den Kindern die Schuld- und Schamgefühle in die Wiege gelegt.
Deutsche Schuld- und Scham-Mentalität
„Hinter der Zukunft“ ist auch ein Buch über die Mentalität Deutschlands. Man stößt auf sehr vieles, was Psychologen und Autoren wie Hans-Joachim Maaz oder Raymond Unger über die Psychologie der Deutschen geschrieben haben. Von Ungerer hat sich Eisinger auch inspirieren lassen.
Das in dem Roman beschriebene System ist mit der von Schuld und Scham geprägten Mentalität der Deutschen bestens kompatibel. Es ist eine Bevölkerung, die im Übereifer, das „Allerguteste“ zu tun und zu Moralweltmeistern zu werden, ihr Handeln in das exakte Gegenteil verdreht. Aus den Anstrengungen, das Menschlichste zu tun, bringen sie das Unmenschlichste zutage.
Im Buch steht hierzu ein sehr wichtiges Zitat:
„Nun zum Kampf um den Erhalt einer für uns Menschen lebenswerten Umwelt. (…) Um diese Anstrengungen uneingeschränkt gut zu finden, ist es notwendig, den Menschen selbst, die Menschheit, gut zu finden. Denn nur dann ‚verdient‘ sie es, für immer in einer lebenswerten Welt zu leben. Was aber, wenn man die Menschen für gar nicht so gut, vielleicht sogar für böse und zerstörerisch hält? (...) Ist dann die Rettung einer für den Menschen lebenswerten Erde noch immer ein vollkommen gutes Ziel? Oder schwingt nicht auch ein Gedanke mit wie ‚wenn es den Menschen nicht mehr gäbe, würde es der ganzen Erde besser gehen‘ oder ‚die Erde hat ein Virus. Er heißt Mensch‘? (...)
Die gute Mutter Erde retten oder die Menschheit? Was wählst du selbst? Der Planet muss gerettet werden — vor den Menschen! Idealisierung einerseits und Verurteilung andererseits, es ist klar, wie die Geschworenen urteilen werden! Doch wie kann das sein? Wie können wir gegen uns selbst urteilen? Sind wir wirklich so schlecht? Und was genau meint hier das Wörtchen ‚wir‘? Denn dieses ‚Wir‘ existiert nicht. Diejenigen, die die Umwelt verwüstet haben — und ich spreche nicht vom Klima — das sind jene, die schon immer über allen Regeln standen. Die Megakonzerne, Großbanken, Medienzare, Kriegstreiber und auch viele Politiker. Sie haben sich unfassbar bereichert und dann die Story erfunden, dass jeder einzelne Schuld an den Folgen für die Umwelt hätte. Nichts könnte falscher sein“ (Seite 324 bis 325).
Damit leiten wir direkt zum nächsten Punkt über:
Doppelmoral
Vor dem Klima und vor Corona sind wir alle gleich, aber manche sind gleicher. Wir kennen das sowohl von den Corona-Bestimmungen als auch aus der Klima-Diskussion. Bei Corona gelten Abstandsregeln und Maskenpflicht nicht unbedingt in derselben Weise wie beim einfachen Fußvolk. Da schaukeln österreichische Politiker gemeinsam zu „Life is Life“, die G7-Spitze vergnügt sich in Wales, Karl Lauterbach gönnt sich eine maskenfreie ICE-Fahrt, während Kinder stundenlang mit Maske im Unterricht sitzen. Und auch beim Klima gibt es unzählige Beispiele der Doppelmoral. Jüngstes Beispiel dürfte Ursula von der Leyen seien, die lange Reden über den Klimawandel hält, aber dann für eine Streckendistanz vergleichbar mit Düsseldorf-Köln den Privatjet nimmt. Oder denken wir an all die Stars und Sternchen, die vor dem Klimawandel warnen und uns mahnen, enthaltsamer zu leben. Leute wie Leonardo DiCaprio, Madonna, Robert De Niro – die Verlinkungen führen zu Artikeln darüber, wie „enthaltsam“, „sparsam“ und „klimaneutral“ diese Stars leben.
Im Buch wird diese Doppelmoral noch auf die Spitze getrieben. Das Regierungsviertel ist von der Außenwelt abgeschottet. Hier wird niemand vom „guten Helfer“ abgehört, niemand zahlt für den eigenen dekadenten Lebensstil mit seinen Coints. Gerechtfertigt wird das damit, man hätte durch sein politisches Handeln ja viel für das Klima getan und dürfe sich entsprechend etwas gönnen. Hinzu kommt, dass manche der ganz Mächtigen oder Einflussreichen sich sogar Coints kaufen können, was den Normalsterblichen verwehrt bleibt.
Orwell, Cancel Culture und Durchdigitalisierung
Orwellsche Einflüsse sind in dem Roman überall erkennbar. Da ist zum einen die dreifache Überwachung: Die Überwachung durch Smartphones, durch den „guten Helfer“ und die Kontrolle durch die Mitbürger. Teil unserer Realität sind Überwachungsmöglichkeiten wie die zahlreichen Corona-Tracking- und Tracing-Apps, Armbänder in Schulen, die prüfen, ob sich Schüler zu nahe kommen, und natürlich das Denunziantentum, welches teils sogar behördlich gefördert wird.
Die derzeitige Cancel Culture ist bei „Hinter der Zukunft“ noch einmal massiv verschärft. Alternative Medienportale, Blogs und Magazine wie das, das Sie gerade lesen, gelten in Eisingers Roman als „dunkle Seiten“. Dunkle Seiten, aber auch dunkle Bücher, beinhalten in der Lesart des Systems „klimaleugnende und faktenhetzerische“ Inhalte, die Zweifel — das heißt „selbst denken“ — evozieren können.
Auch wird in Orwellscher Manier daran gearbeitet, die Vergangenheit zu tilgen. Wir erinnern uns: „Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft. Wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit.“
Im Klima-Deutschland ist sogar das Aufhängen eigener Fotos in der Wohnung verboten, wenn darauf Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor zu sehen sind. Alles, was noch an die alte Zeit erinnert, muss getilgt werden. Ähnliche Tendenzen sehen wir in unserer Realität. Man spricht von der „neuen Normalität“, Tagesschau-Sprecher beschimpfen jene Zuschauer, die sich ein Zurück in die Normalität wünschen, und ein geleaktes internes Schreiben des Bayerischen Rundfunks hält Journalisten dazu an, nur noch Geimpfte zu interviewen.
All das wird durch eine omnipräsente Digitalisierung getragen, die wir auch in unserer Lebensrealität zunehmend beobachten. In Eisingers Roman sind die Menschen jederzeit und allerorts ortbar. In unserem Alltag halten Registrierungs-QR-Codes, digitale Impfpässe zunehmend Einzug.
In der Art und Weise, wie die Menschen die Welt wahrnehmen, decken sich Fiktion und Realität — das meiste „Wissen“ über die Welt entspringt nicht eigenen, mit den Sinnen gemachten Erfahrungen, sondern dem, was auf digitalen Screens rezipiert wird. Schon heute erwartet uns mit „Metaverse“, dem „Internet of Bodies and Things“, der Übertritt des Menschen in den digitalen Raum bei nahezu vollständiger Abkopplung von der realen, physischen Welt.
Der Mensch obsiegt gegenüber der Ideologie
Doch was genau verleiht diesem Roman die ganz spezielle Würze? Dass die darin beschriebene Fiktion so nah an unserer New-Normal-Mentalität liegt, ist die eine Besonderheit. Die Near-Fiction ermöglicht dem Leser, sich tief und umfassend in die skizzierte Welt hineinzudenken.
Aber was diese Beschreibung einer Dystopie von Orwells und Huxleys Romanen unterscheidet: Man schlägt das Buch bei der letzten Seite zu, ohne dass man danach den Drang verspürt, sich das Leben zu nehmen.
Im Zentrum des Romans steht der unzerstörbare Kern der Menschlichkeit. Oder auch der „gesunde Anteil“, wie Traumaforscher Franz Ruppert sagen würde. Es ist dieser durch keinen Totalitarismus der Welt zu vernichtende Wesenskern dessen, was den Menschen menschlich macht. Wir begleiten in diesem Buch die beiden Protagonisten bei ihrem Wandlungsprozess, in welchem sich die schale Hülle einer seelenlosen Person füllt mit der Lebendigkeit, Kreativität und Eigenermächtigung eines Menschen, der sein Potenzial auslebt.
Zu Beginn der Erzählung befinden sich Körper, Geist und Seele der beiden aufgrund systemischer Tiefenindoktrination nahezu vollends im vielschichtigen Klammergriff des deutschen Klimastaats. Jede Handlung, jedes Wort, ja sogar jeden Gedanken wiegen beide dahingehend ab, wie dieser sich auf das Klima auswirken könne. Die Protagonisten Robin und Lars sind nur bleiche Schatten ihrer selbst, ein kümmerlicher Abklatsch dessen, was sie eigentlich sein könnten. Doch mit der Zeit geraten sie trotz ihrer Bemühungen um einen „klimafrommen“ Lebensstil mit dem System immer häufiger in Konflikt. Und zwar immer dann, wenn sich in ihnen die verschütteten Überreste ihres Menschseins zu regen beginnen und die Ketten des Systems spürbar werden.
So sind die ersten hundert Seiten wirklich keine leichte Unterhaltung! Für gewöhnlich greift man doch zu einem Roman, um für kurze Augenblicke der Realität zu entfliehen. Doch dieser Roman lässt einen solchen Eskapismus gar nicht erst zu. Im Gegenteil, man wird eher noch tiefer in eine erschreckend denkbare, nahe Zukunftsversion hineingesogen. Diese Version beschreibt der Autor auf den ersten hundert Seiten in aller Ausführlichkeit.
Dabei ergibt sich eine sehr interessante Dialektik. Eisinger nimmt als Erzähler häufig die Sichtweise der herrschenden Ideologie ein und beschreibt mit sarkastischem Unterton die Welt aus der Logik des totalitären Klimaschutz-Systems heraus. Zugleich legt er manchen Figuren die Zweifel in den Kopf oder manchmal auf die Zunge. Dadurch ergibt sich ein lehrreiches Hin und Her zwischen den Mantras der Ideologie und den Gedanken der Figuren, die beginnen, den Gehalt dieser Ideologie anzuzweifeln.
Jeder Leser wird aber durch und durch belohnt, hat er sich durch die ersten hundert Seiten gekämpft. Spätestens ab dem Zeitpunkt, als der 18-jährige Robin unerwartet zu Deutschlands Klimakanzler gewählt wird, geht nach dem deskriptiven Teil der Spannungsbogen der Geschichte ruckartig nach oben. Zugleich zeigen sich zwischen den Zeilen die ersten Hoffnungsfunken.
Robin muss in seinem Amt erkennen, dass er als eines der Staatsoberhäupter im Grunde genommen gar keine wirkliche Entscheidungsbefugnis hat, und eigentlich ein Staat im Staate die Zügel der Macht in Händen hält. Angetrieben durch den Wunsch, seinen altersbedingt ins Lager verfrachteten Großvater wiederzufinden, macht er sich drauf und dran, das System in seinem Innersten zu durchleuchten, die Mechaniken und Spielregeln zu verstehen. Schnell kommt er dahinter, dass es bei alledem gar nicht um einen wie auch immer gearteten Schutz des Planeten geht, sondern nur um eines: Macht!
Wir begleiten zwei Protagonisten, die — mit Unterstützung weiser Mentoren — anfangen, das Licht des Menschlichen in einem finsteren System zu suchen. Nach zwei Dritteln des Romans beginnt man zu verstehen, warum der Anfang so düster war. C.G. Jung lehrte uns: „Man wird nicht dadurch erleuchtet, dass man sich Lichtgestalten vorstellt, sondern durch Bewusstmachung der Dunkelheit.“ So müssen sich Robin und Lars mit ihrer eigenen Dunkelheit und der ihrer Mitmenschen auseinandersetzen, den Schatten der ihnen aufoktroyierten Ideologie erkennen, um über diesen hinwegspringen zu können.
Thomas Eisinger zeigt mit seinem Werk, dass sich der Mensch selbst in der schwärzesten Dunkelheit immerzu dem Licht zuwenden kann, Widerständen trotzen, sich selbst ermächtigen und wie eine kleine Blume oder ein Grashalm den Asphalt durchbrechen kann. Das ist die Kernbotschaft des Romans. Ein Roman, der die Leser auf den ersten Seiten in einer dunklen Höhle empfängt. Diese Höhle erhält im Leseprozess immer mehr Löcher, durch die Licht hineinströmt. Das Licht einer Zukunft, die nicht von Weltuntergang-Prognosen gezeichnet ist. Sondern eine Zukunft mit zahlreichen, dem Menschen offenstehenden Möglichkeiten. Möglichkeiten, um eines Tages „hinter der Zukunft“ in einer anderen Welt zu leben. Eine Welt, die vielleicht nicht politisch korrekt ist, aber stattdessen „menschlich“ korrekt.
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